- Start
- Grünzüge – von der planerischen Festsetzung zur Koproduktion
- Grüne Infrastruktur – ein öffentliches Gut der Daseinsvorsorge
- Naturkapital und Grüne Infrastruktur
- GI in der Metropole Ruhr und dem Grünzug Östliches Emschertal
- Koproduktion
- Grüne Infrastruktur als Gemeinschaftsgut
- Koproduktion von Nahrungsmitteln
- Koproduktion öffentlicher Güter
- Koproduktion in der Landwirtschaft mit Koproduktion durch die Landwirtschaft kombinieren
- Koproduktion: Initiierung und Erfahrungen in CoProGrün
- Akteur:innenveranstaltungen für Koproduktion
- Koproduktions-Coaching
- Ergebnisse: Pilotprojekte Koproduktion Grünzug Östliches Emschertal
- Reflexion der Koproduktionsprozesse
- About the author(s)
- References
Published 27.07.2022
Grüne Infrastruktur gemeinsam entwickeln
Co-Producing Green Infrastructure
Keywords: Grüne Infrastruktur; Urbane Agrikultur; Emscher Landschaftspark; Koproduktion; Grünzug; Green infrastructure; Emscher landscape park; co-production; green corridor
Abstract:
Lebensmittelproduktion, Ökosystemleistungen, Freizeitangebot – Grünzüge sind Lebensgrundlage, Erholungsraum und Grüne Infrastruktur. Grünzüge stellen ein wertvolles Gemeinschaftsgut dar. Um sie zu sichern und zu gestalten, sind Kommunen auf Zusammenarbeit insbesondere mit der Landwirtschaft als wichtigstem Landnutzer und der zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerschaft angewiesen. Koproduktion überwindet dazu die Arbeitsteilung zwischen Produzierenden und Konsumierenden: Beide arbeiten gemeinsam an der Herstellung und der Nutzung von Grüner Infrastruktur (GI). Das Forschungsprojekt CoProGrün hat im Grünzug Östliches Emschertal untersucht, wie GI mit lokalen Akteur:innen koproduziert werden kann. In einem transdisziplinären Team wurden Koproduktionsprojekte im Bereich der urbanen Landwirtschaft und des urbanen Gärtnerns entwickelt und umgesetzt. Vier Stufen der Koproduktion von der Koppelproduktion über Kodesign und echte Koproduktion bis zur Koproduktion in Gemeinschaften wurden identifiziert. Neben einer theoretischen Grundlage zur Koproduktion trägt die Forschung damit zur Ausweitung transformativer Koproduktionsprozesse in Kommunen bei.
Green corridors are the backbone of green infrastructure in urban regions, they provide habitats, food production, recreational opportunities and a wide range of other ecosystem services. Green corridors are a valuable community asset. In order to secure and shape them, municipalities are dependent on cooperation with the local economy, especially agriculture as the most important land user, and civil society organizations. Co-production overcomes the classic division of labour between producers and consumers: Both work together on the production and use of green infrastructure. The research project CoProGrün presented here used the example of the green corridor Östliches Emschertal (Eastern Emscher Valley) in the German Ruhr Metropolis to investigate, how green infrastructure can be sustainably maintained, secured in the long term and attractively designed by involving these actors. Four levels of co-production ranging from joint production to community co-production have been identified. The results show, that a cross-sectoral, transdisciplinary approach can create and sustain a process leading to new types of green infrastructure management through urban farming and gardening.
Grünzüge – von der planerischen Festsetzung zur Koproduktion
Urbanes Grün prägt entscheidend die Lebensqualität von Städten. Seit Jahrzehnten kümmert sich daher die kommunale Planung um den Aufbau und die Pflege von Grünflächen und Netzwerken Grüner Infrastruktur. Parks, Kleingärten, Wälder und Äcker entfalten ihre volle Wohlfahrtswirkung allerdings erst im Verbund: Als Grünzüge gliedern sie die Stadt, bieten größere Erholungsräume, vernetzen Lebensräume von Tieren und Pflanzen und bringen Frischluft in überhitzte Quartiere. Und dennoch sind diese Flächen durch Siedlungsnutzungen bedroht und die Pflege der Freiräume lässt zu wünschen übrig. Geringe Wertschätzung für landwirtschaftliche Flächen führt dazu, dass diese für andere Nutzungen geopfert werden.
Grünzüge müssen daher durch Planungsrecht gesichert, aber auch von den Bürger:innen als wertvolle Stadträume erkannt und genutzt werden.
Das Forschungsprojekt CoProGrün greift das Konzept der Urbanen Agrikultur auf und untersucht, wie Grüne Infrastruktur durch die Einbindung von Akteur:innen aus (Land-)Wirtschaft und Zivilgesellschaft nachhaltig ausgerichtet, langfristig gesichert und attraktiv gestaltet werden kann. Am Beispiel des Grünzuges Östliches Emschertal wird gezeigt, wie Grüne Infrastruktur mit verschiedensten Akteur:innen der Stadtgesellschaft koproduziert werden kann. Hierfür arbeiten Partner aus Kommunen, Landwirtschaft und Wissenschaft zusammen. Die Akteur:innen konsumieren den Grünzug nicht nur, sondern koproduzieren ihn durch innovative Bewirtschaftungs- und Beteiligungsformen. Kommunen, Landwirt:innen, urbane Gärtner:innen, Stadtteilvereine, Sozialträger und andere Projektakteur:innen bringen diese nun in die Umsetzung. Für die Zukunft stellt sich die Frage, wie Kommunen die Unterstützung von Koproduktion mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft in ihre alltägliche Praxis einbinden können.
Grüne Infrastruktur – ein öffentliches Gut der Daseinsvorsorge
Die Daseinsvorsorge als gesellschaftliche Aufgabe beruht auf der Abhängigkeit des Menschen von Naturgütern: „Human society depends on the benefits provided by nature such as food, materials, clean water, clean air, climate regulation, flood prevention, pollination and recreation.“ (European Commission 06.05.2013: 2) Um den Gütercharakter dieser Leistungen der Natur zu betonen, werden sie von der Europäischen Kommission (EK) auch als Naturkapital bezeichnet.
Naturkapital und Grüne Infrastruktur
Naturkapital stellt ein Gemeinschaftsgut dar (Décamps 2010: 14) und ist damit Risiken der Degradierung durch Übernutzung ausgesetzt, die durch gesellschaftlich legitimierte Planung verhindert werden sollen. Europaweit sind Schutz und Entwicklung des Naturkapitals notwendig (European Commission 06.05.2013: 2). Dieser Aufgabe stellt sich die EU unter anderem mit dem Umweltaktionsprogramm Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten (Europäische Kommission 29.11.2012) und der dem Green Deal zu Grunde liegenden Clean Planet Strategy (European Commission 28.11.2018) zur Vermeidung des Fortschreitens und der Auswirkungen des Klimawandels. In der Umsetzung dieser europäischen Ziele kommt den Kommunen und den Bürger:innen eine herausragende Rolle zu. Die übergeordneten Strategien zur Sicherung und Bewirtschaftung des Naturkapitals lassen sich nach unserer Ansicht nur dann erfolgreich umsetzen, wenn sie auf der lokalen Ebene von einer breiten Gemeinschaft verschiedenster Agierender getragen werden.
Um das Naturkapital angemessen zu berücksichtigen, ist es als Grüne Infrastruktur (GI) gleichrangig mit der grauen Infrastruktur und der sozialen Infrastruktur in die Daseinsvorsorge einzubinden. Die EK definiert GI als „strategically planned network of natural and semi-natural areas (…) designed and managed to deliver a wide range of ecosystem services. It incorporates green spaces (…) and other physical features in terrestrial (…) areas. On land GI is present in rural and urban settings.“ (European Commission 06.05.2013: 3)
Die Definition macht deutlich, dass GI sowohl eine funktionale, über Ökosystemdienstleistungen (ecosystem services) beschriebene Dimension besitzt als auch eine räumliche Dimension. Über Ökosystemdienstleistungen (ÖSD) wird dargestellt, welche positiven Effekte durch GI bereitgestellt werden. Der Nutzen der Natur lässt sich über ÖSD in verschiedenen Leistungskategorien klassifizieren. Für die in diesem Beitrag dargestellte Forschung zur Koproduktion von GI im städtischen und stadtnahen Raum lassen sich verschiedene Nutzen der GI besonders hervorheben, die in Verbindung mit der Urbanen Agrikultur (UA) erbracht werden. Während UA selbst zunächst zu den versorgenden ÖSD gehört, besitzt sie auch enge Verbindungen zu weiteren Gruppen. Einen Überblick der positiven Korrelationen zwischen UA, ÖSD und den Nutzen von GI geben Timpe et al. (2015).
GI in der Metropole Ruhr und dem Grünzug Östliches Emschertal
In der heutigen Metropole Ruhr wurde die Bedeutung eines strategisch geplanten Freiraumnetzwerkes bereits früh erkannt. In seiner 1912 an der heutigen RWTH Aachen University verfassten Dissertation legte Robert Schmidt die ersten Ideen für einen General-Siedlungsplan vor, der die Siedlungsräume und Freiflächen des Ruhrgebietes festschreibt (Schmidt 1912). Mit der Gründung des Ruhrsiedlungsverbandes in den 1920er-Jahren, heute als Regionalverband Ruhr (RVR) fortgeführt, nahm die Idee regionaler Grünzüge zwischen den Ruhrgebietsstädten Gestalt an. Nach ihrer formalen Etablierung in Regionalplänen in den 1960er-Jahren erhielten sie in den 1990ern als Emscher Landschaftspark (ELP) ein neues Label. Der Masterplan ELP 2010 (Schwarze-Rodrian und Bauer 2005) und der ökologische Umbau der Emscher komplettierten die sieben Nord-Süd-Grünzüge mit einer grün-blauen Infrastruktur in Ost-West-Ausrichtung.
Der RVR schützt und entwickelt diese Grünzüge durch die Festschreibung im Regionalplan, den Ankauf von Flächen und das Verzeichnis der Verbandsgrünflächen. Unter dem Label ELP werden die regionalen Grünzüge zudem konzeptionell weiterentwickelt, in Teilen durch den RVR gepflegt und touristisch vermarktet. Trotz dieser Bemühungen haben die regionalen Grünzüge kontinuierliche Freiraumverluste zu verzeichnen, welche vor allem zu Lasten landwirtschaftlich genutzter Flächen gehen (Häpke 2012). Dies stellt eine erhebliche Gefährdung des regionalen Naturkapitals dar, obwohl dieses in der Situation des Klimawandels besonders gefordert ist.
Wie die andauernden Freiraumverluste zeigen, reicht eine rein planungsrechtliche Sicherung von Grünzügen heute nicht mehr aus. Sollen sie widerstandsfähig gegen andere Nutzungsansprüche bleiben, müssen sie vom gemeinsamen Engagement von Kommunen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft getragen sein, und ihre wirtschaftliche Nutzung als Freiraum, zum Beispiel durch die Landwirtschaft, muss gestärkt werden. An diesem Ziel hat von 2016 bis 2019 das Forschungsprojekt CoProGrün (Co-produzierte Grünzüge als nachhaltige kommunale Infrastruktur) gearbeitet. Als Reallabor dient dazu der Grünzug F am Oberlauf der Emscher (siehe Abbildung 1), der im Rahmen des Projektes den Namen Grünzug östliches Emschertal erhielt.
In einem transdisziplinären Ansatz versucht das Forschungsprojekt zu beantworten, wie durch einen Koproduktionsprozess GI gesichert und weiterentwickelt werden kann. Neben den bereits genannten klimatischen Nutzen (regulierende Leistungen) bezieht das Projekt in besonderer Weise die möglichen Nutzen für eine regionale Lebensmittelversorgung (versorgende Leistungen und CO2-Minderung), soziale Absicherung und soziales Leben und eine verbesserte Stadt-Land-Beziehung sowie Bildung (kulturelle Leistungen) ein. Der Grünzug Östliches Emschertal eignet sich in besonderer Weise als Reallabor, da dieser und die umgebenden Quartiere verschiedene, für die Metropole Ruhr typische Raumkonfigurationen beinhalten.
Koproduktion
Koproduktion beschreibt die Auflösung der Grenzen zwischen Produzent:innen und Konsument:innen bei privaten beziehungsweise zwischen Produzent:innen und Nutzer:innen bei öffentlichen Gütern. CoProGrün zeigt wie Koproduktion sowohl in der Nahrungsmittelproduktion (private Güter) als auch in der Raumentwicklung (Gemeinschaftsgüter) eingesetzt werden kann, um die GI im östlichen Emschertal weiter zu entwickeln.
Grüne Infrastruktur als Gemeinschaftsgut
Naturkapital und GI sind öffentliche Güter, von denen die Allgemeinheit profitiert. Der Güterbegriff umfasst hier sowohl materielle Güter als auch immaterielle Leistungen, wie es auch im Konzept der ÖSD der Fall ist. Anders als viele monofunktionale und im öffentlichen Besitz befindliche Infrastrukturen ist die GI jedoch multifunktional und durch komplexe Eigentums- und Nutzungsstrukturen geprägt. Die durch GI erbrachten ÖSD sind grundsätzlich öffentliche Güter, von denen niemand ausgeschlossen werden kann. Die physischen Bestandteile der GI sind jedoch häufig keine öffentlichen Güter, sondern fallen in andere Güterkategorien mit beschränktem Zugang und unter Verantwortung unterschiedlichster Akteure. Vegetationsstrukturen, Wald, Landwirtschaftsflächen sind private Güter, über die ihr:e Eigentümer:in oder Nutzungsberechtigte:r eigenständig entscheiden kann. Auch diese privaten Güter weisen jedoch Gemeinschaftsgutfunktionen für die GI auf.
Von besonderer Bedeutung für den ELP als GI des Ruhrgebietes ist dabei die produzierende Nutzung Landwirtschaft. Zusammen mit der Forstwirtschaft macht sie 53 Prozent der Landnutzung im ELP aus (Schwarze-Rodrian und Bauer 2005: 209). Ihre Arbeit fällt zunächst in den Bereich der privaten Güter: Auf Flächen in privatem Eigentum werden von den Besitzer:innen Produkte für den Markt hergestellt. Zugleich befindet sich die Landwirtschaft jedoch in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis mit der GI als öffentlichem Gut: Als externer Effekt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit erhält und entwickelt sie ÖSD. Die Ausweisung als Grünzug schützt die Flächen der Landwirtschaft vor der Konkurrenz anderer Nutzungen, eine wirtschaftlich und ökologisch tragfähige Landwirtschaft ist dabei jedoch zugleich ein gewichtiges Argument, die planungsrechtliche Ausweisung als Grünzug nicht
aufzugeben.
Soll sich der Grünzug vom Planungsinstrument zu einer gemeinschaftlich getragenen GI entwickeln, ist die Landwirtschaft daher einer der wichtigsten Kooperationspartner:innen.
Koproduktion von Nahrungsmitteln
Neuere Entwicklungen in der UA zeigen, dass auch die Produktion von Nahrungsmitteln einer koproduktiven Herangehensweise zugänglich ist. Direktvermarktung über Verkaufsstände oder Hofläden kann als eine einfache Form der Koproduktion gelten, da Distributionsschritte durch den Weg der Konsumierenden auf den Hof substituiert werden. Größerer Einfluss wird Kund:innen bei der Community Supported Agriculture eingeräumt. Gegen Zahlung eines Jahresbetrages erhalten sie einen Ernteanteil des landwirtschaftlichen Betriebes. Sie zahlen keinen Kaufpreis, sondern bringen Kapital in die Produktion ein, werden zu Genossenschaftsmitgliedern und leisten in den meisten Fällen auch die Distribution selbst. Zusätzlich erhalten sie Mitbestimmungsrechte bei der Auswahl der angebauten Früchte, üben also Kontrolle im Produktionsprozess aus. Für Landwirt:innen als Produzent:innen liegt der Nutzen in einem verringerten Aufwand bei der Vermarktung, der Absatzsicherheit und besserer Planbarkeit der Produktionsressourcen.
Ein weitergehendes Beispiel von Koproduktion in der Landwirtschaft sind Selbsterntegärten. Prosument:innen können eine bepflanzte Gartenparzelle mieten; sie erhalten die notwendige Infrastruktur, Werkzeuge zur Bearbeitung und Bewässerung sowie Bewirtschaftungswissen in Form von Beratung. Die Pflege der Beete und die Ernte übernehmen sie selbst. Die Prosumierenden erhalten Kontrolle über die Qualität des Produktes und des Produktionsprozesses, sie können die eigene Leistung in der Aufzucht des Gemüses wahrnehmen und werden durch den Kontakt zu den Besitzer:innen der benachbarten Parzellen Teil einer Gemeinschaft. Ein:e Landwirt:in spart gegenüber der klassischen Produktionsweise die Arbeitsschritte der Pflege, der Ernte, der Qualitätskontrolle, der Lagerung und der Weitergabe an die Distribution ein.
Koproduktion öffentlicher Güter
In der Produktion öffentlicher Güter und Leistungen kann es durch die Trennung staatlicher Produzierender und zivilgesellschaftlicher Nutzender nicht nur zum Marktversagen, sondern durch Informationsdefizite auf Seiten des Staates und fehlende Instrumente für die Umsetzung von Planungen auch zu Staatsversagen kommen (Kirchgässner 2000: 13). Hinzu kommt, dass staatliche Instanzen in der Bereitstellung öffentlicher Güter nicht unbegrenzt leistungsfähig sind, was besonders an der hohen (Schulden-)Belastung der kommunalen Haushalte in den letzten Jahren deutlich wird (Wessel 2015: 7–11). Auch im ELP ist dies nach Aussage des RVR an einem Pflegenotstand der GI ablesbar.
Einen Ausweg kann die Koproduktion der öffentlichen Güter bieten, die Elinor Ostrom (1996: 1073) wie folgt definiert: „By coproduction I mean the process through which inputs used to produce a good or services are contributed by individuals who are not ‚in‘ the same organisation.“ Neben den ökonomischen Gründen sprechen auch gesellschaftlich-politische Gründe für eine Koproduktion öffentlicher Güter. Der Weg weg von der staatlichen Daseinsvorsorge, hin zur Koproduktion erhöht die Selbstbestimmung der Beteiligten.
„All public goods and services are potentially produced by the regular producer and by those who are frequently referred to as the client. The term ‚client‘ is a passive term. Clients are acted upon. Coproduction implies that citizens can play an active role in producing public goods and services of consequence to them.“
(Ostrom 1996: 1073)
Koproduktion im Sinne einer Emanzipation der Nutzer:innen von der reinen Inanspruchnahme der Daseinsvorsorge geht über das gängige Verständnis von Bürger:innenbeteiligung oder Mitbestimmung hinaus. Bürger:innen werden in einer weit aktiveren Rolle benötigt. Abbildung 2 macht deutlich, dass das klassische Spektrum der Bürger:innenbeteiligung nach Arnstein (1969) maximal das Level des Co-Designs staatlicher Leistungen erreicht. In der Koproduktion werden Bürger:innen jedoch auch an der Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge beteiligt. Hier legt CoProGrün seinen Schwerpunkt.
In eine tatsächliche Koproduktion sind sowohl die Planung und Gestaltung eines öffentlichen Gutes als auch dessen letztendliche Herstellung eingebunden (Bovaird 2007). Abbildung 3 zeigt die Bandbreite, die von der klassischen Bereitstellung öffentlicher Güter ohne Koproduktion (oben links) bis zur alleinigen Bereitstellung durch die Zivilgesellschaft (unten rechts) reicht und den durch CoProGrün gewählten Schwerpunkt auf gemeinsame Planung und Erbringung von GI.
Koproduktion in der Landwirtschaft mit Koproduktion durch die Landwirtschaft kombinieren
CoProGrün strebt im Grünzug Östliches Emschertal und gemeinsam mit den dort tätigen Akteur:innen eine Vertiefung der Koproduktion von GI an. Abbildung 4 zeigt das Modell möglicher Stufen von Koproduktion innerhalb des Projektes. Diese sind unterteilt in die Koproduktion des Grünzugs als öffentliches Gut und die Koproduktion von Nahrungsmitteln im Grünzug als private Güter. Die Trennung dient vor allem dem besseren Verständnis der unterschiedlichen Dimensionen der koproduzierten Güter. In der Praxis spielt sie in vielen Fällen keine Rolle, und es bestehen auf allen Stufen der Koproduktion enge Beziehungen zwischen Koproduktion im Grünzug und Koproduktion des Grünzugs.
Basisstufe ist die Koppelproduktion: Die Landwirtschaft nutzt und gestaltet die Landfläche und schafft damit die als Grünzug ausgewiesene Landschaft. Die planungsrechtliche Festsetzung schützt somit auch die Aktivitäten der Landwirtschaft in besonderer Weise. Gegen den Veränderungsdruck und die Flächenkonkurrenz durch die Stadtentwicklung, dem sowohl die Grünzüge als auch die stadtnahe Landwirtschaft ausgesetzt sind, kann eine Vertiefung der Koppelproduktion auf den Stufen zwei und drei helfen: Eine ökonomisch stabilere lokale Landwirtschaft verteidigt hier den Grünzug gegen andere Nutzungsansprüche. Dabei helfen neue Geschäftsmodelle für die Koproduktion von Nahrungsmitteln im Grünzug, welche auch die Wertschätzung als Produktionsort in der Stadtbevölkerung steigern können und die Verbindung zwischen den Spalten im Grünzug und des Grünzuges herstellen. Die öffentliche Hand tritt hier als Koproduzent auf, indem sie die Abstimmung mit der Landwirtschaft sucht, gemeinsam mit Landwirt:innen neue Geschäftsmodelle entwickelt oder durch Beratung unterstützt sowie bei der Suche nach geeigneten Flächen behilflich ist. Stufe vier der Koproduktion wird erreicht, wo öffentliche Hand, landwirtschaftliche Produzenten und lokale Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Hier entsteht aus den ursprünglich getrennten Rollen der Produzent:innen, Konsument:innen und Nutzer:innen eine Gemeinschaft.
Koproduktion: Initiierung und Erfahrungen in CoProGrün
Das Projekt CoProGrün hat das Ziel, einen Koproduktionsprozess am Beispiel des Grünzuges Östliches Emschertal zu initiieren, zu entwickeln und in umsetzbare Pilotprojekte für eine konkrete Koproduktion zu überführen. Zu diesem Zweck vereint das Konsortium verschiedene Fachexpertisen und Akteur:innenzugänge:
- Der Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur der RWTH Aachen University fungiert als Verbundkoordinator und bringt seine Expertise zur GI und UA sowie der Organisation von Agierendenprozessen ein.
- Der Regionalverband Ruhr ist als Kommunalverband für die Sicherung, Entwicklung und Unterhaltung der regionalen Grünzüge des ELP zuständig. Er ist mit zahlreichen lokalen Akteur:innen eng verbunden.
- Der Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Südwestfalen besitzt einen Forschungsschwerpunkt UA und untersucht und entwickelt dort neue Betriebs- und Geschäftsmodelle der Landwirtschaft.
- Der Dortmunder Verein Die Urbanisten e.V. betreibt Stadtentwicklung von unten und ist spezialisiert in der Aktivierung von Akteur:innen und der Organisation gemeinsamer Prozesse, zum Beispiel im Bereich des urbanen Gärtnerns.
- Die Landwirtschaftskammer NRW vertritt den Berufsstand der Landwirt:innen. Sie unterstützt und berät diese in fachlichen und ökonomischen Fragen und stellt für CoProGrün die Verbindung in diese Berufsgruppe her.
Die Verbundpartner initiieren den Koproduktionsprozess unter dem Motto Unser Grünzug ist schön und natürlich, erholsam und lecker, produktiv und rentabel. Der Prozess lässt sich in fünf Phasen aufteilen (siehe Abbildung 5). Diese beginnen und enden in der Regel mit einer Meilensteinveranstaltung, bei der alle Prozessbeteiligte zusammenkommen. Daneben versammeln kleinere Veranstaltungen themenspezifische Akteur:innengruppen.
Da der CoProGrün-Koproduktionsprozess nicht an eine konkrete Planung oder gar ein formales Planverfahren gebunden ist, auf welche Akteur:innen reagieren, ist die Identifikation, Ansprache und Aktivierung der erste wichtige Schritt zur Koproduktion. Durch die transdisziplinäre Ausrichtung der Projektpartner konnte mit einer Akteur:innenrecherche und bereits bestehenden Kontakten ein breites Feld an Akteur:innen identifiziert werden. Neben einer Einladung zur Auftaktveranstaltung im November 2016 erfolgte eine zielgruppenspezifische persönliche Ansprache. Während die Akteur:innen der Stadt- und Raumentwicklung durch den RVR und die Urbanisten zumeist telefonisch oder per E-Mail kontaktiert und dann durch zahlreiche persönliche Interviews vertieft eingebunden wurden, erfolgte in der Landwirtschaft eine postalische Erstbenachrichtigung, welche bei positiver Reaktion durch einen Hofbesuch fortgesetzt wurde. In allen Fällen erweisen sich die persönliche Ansprache und auch der Besuch der Akteur:innen vor Ort, in ihrem alltäglichen Arbeitsumfeld als ein wichtiger Schlüssel zu ihrer Einbindung. Dies ist mit einem hohen Aufwand verbunden, macht jedoch die Ernsthaftigkeit des Anliegens deutlich und kann das Führen der Interviews und Gespräche am konkreten Beispiel erleichtern.
Abbildung 6 zeigt, dass die transdisziplinäre Ausrichtung des Projektes bereits auf der Ebene der Verbundpartner zunächst potenzielle Akteur:innen aus der eigenen Disziplin und Peer-Group anspricht. Dieses Abholen innerhalb eines vertrauten Kontextes ist entscheidend, um im Prozess die Zusammenarbeit mit weiteren Partner:innen außerhalb des gewohnten Umfeldes zu ermöglichen.
Die Darstellung der räumlichen Verteilung der aktivierten Agierenden im Verhältnis zum Grünzug in Abbildung 7 bestätigt die Spezialisierung der Projektpartner auch im Verhältnis zu den Raumcharakteren: Während die Urbanisten e.V. vor allem Akteur:innen im städtischen Raum von Dortmund zu aktivieren wissen, sind die von der FH Südwestfalen und der Landwirtschaftskammer aktivierten Landwirt:innen vor allem im nördlichen Teil des Grünzugs und am südlichen Dortmunder Stadtrand zu finden. Der RVR als querschnittsorientierte Kommunalverwaltung wiederum weiß Agierende in allen Bereichen und den verschiedenen Kommunen des Grünzugs anzusprechen.
Akteur:innenveranstaltungen für Koproduktion
CoProGrün führt die individuell und im Feld ihrer eigenen Interessen an der Grünzugentwicklung angesprochenen Akteur:innen in gemeinsamen Veranstaltungen zusammen. Hier entsteht das Forum um Synergien zwischen den Ideen und Projekten der Agierenden herzustellen. Für die Veranstaltungen wurden Orte gewählt, die exemplarisch für den Grünzug und seine Akteur:innen stehen: eine ehemalige Werkhalle, die Scheune eines Landwirtschaftsbetriebes, ein Bürgerhaus und eine zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaute Kirche. Auch die Verpflegung wurde von im Grünzug ansässigen Betrieben mit lokalen Produkten zubereitet. Im Einzelnen fanden die folgenden Meilensteinveranstaltungen statt:
- Die Auftaktveranstaltung im November 2016 informierte über das Vorhaben, die Entwicklungsabsichten für den Grünzug und das Verständnis von Koproduktion. Gäste aus anderen Metropolregionen berichteten von ihren Erfahrungen mit kooperativer Regionalentwicklung im Spannungsfeld von Landwirtschaft, GI und Siedlungsentwicklung.
- Die Ideenbörse im Mai 2017 präsentierte die Ergebnisse der Akteur:innenaktivierung und der räumlichen Analyse des Grünzugs. In mehreren Diskussionsrunden wurden die wichtigsten Themenstellungen für die Zukunft des Grünzugs, Ansätze für Koproduktion und auch ganz individuelle Projekt- und Entwicklungsvorhaben der Anwesenden zusammengetragen.
- Die Projektbörse im März 2018 gab den Agierenden und Agierendengruppen die Möglichkeit, ihre Projektvorschläge zu präsentieren. Ein Projektmarktplatz ermöglichte direkten Austausch. Hilfestellung für den Aufbau weiterer Kontakte gaben dabei die Grünzugtaler, Schokoladentaler mit aufgeklebten E Mail Adressen, für den Austausch zwischen Akteur:innen. Im Anschluss wurden die Projekte in den einzelnen Projektgruppen mit Hilfe der CoProGrün-Partner vertieft ausgearbeitet und in Machbarkeitsstudien überführt.
- Die abschließende Projektplattform im April 2019 war die Gelegenheit, die ausgearbeiteten Pilotprojekte zu präsentieren und für den dauerhaften Betrieb um weitere Mitstreiter:innen zu werben. Eine gemeinsame Radtour stellte im Anschluss einzelne Standorte sowie das übergreifende Projekt Route der Agrarkultur vor.
Wichtig für den Erfolg waren verschiedene Elemente, die in allen Veranstaltungen in verschiedener Form vorkamen. Gemeinsame Aktionen wie das Zusammensetzen des bei der Anmeldung ausgegebenen Grünzugpuzzles während der Projektbörse 2018 (siehe Abbildung 8) stärkten den Gemeinschaftssinn unter den Akteur:innen (Christenn und Timpe 2020). Individuell muss den Akteur:innen Raum gegeben werden, ihre Interessen und Pläne zum Ausdruck zu bringen. Geschah dies bei den Pitches der Projektbörse schon in sehr konkreter Form, so waren bei der vorhergehenden Ideenbörse noch zufällig zusammengestellte, moderierte Diskussionsgruppen das Mittel der Wahl (siehe Abbildung 9).
Die drei als Börsen organisierten Veranstaltungen bildeten Meilensteine des Koproduktionsprozesses, hier entstanden transdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung und der Anstoß zu Koproduktionsgemeinschaften wurde gegeben. Ebenso wichtig waren jedoch weitere Veranstaltungen in kleinerem Rahmen und mit thematischem Fokus. Wie in Abbildung 5 gezeigt, wurden in CoProGrün fünf sogenannte Clusterworkshops organisiert. Diese griffen jeweils eines der in der Ideenbörse aufgebrachten Themen auf und diskutierten Möglichkeiten von Projekten mit den interessierten Akteur:innen und gezielt eingeladenen externen Expert:innen. In diesen Veranstaltungen entstanden die konkreten Projektideen und Projektarbeitsgruppen, die in der Projektbörse präsentiert und dann in die Entwicklungs- und Ausarbeitungsphase überführt wurden.
Koproduktions-Coaching
Die Entwicklungs- und Ausarbeitungsphase stellt den letzten Abschnitt auf dem Weg zu Koproduktion dar. In dieser Phase wandeln sich der Charakter der Zusammenarbeit und die Rolle der Projektpartner. Stand zu Beginn die Aktivierung von Agierenden und die Abfrage und Einbindung ihrer Interessen im Vordergrund, so arbeiten die Fachleute aus CoProGrün (hier die Verbundpartner) und die Projektagierenden nun in offenen Teams intensiv zusammen. Die Fachleute übernehmen dabei die Rolle von Koproduktions-Coaches. Sie helfen, Projektgruppen zu organisieren und deren Abläufe zu strukturieren, identifizieren und kontaktieren Expert:innen aus anderen Regionen und organisieren einen Austausch, weisen den Weg zu Genehmigungsbehörden und möglichen Fördermitteln, bieten ihre Fachexpertise im räumlichen Entwerfen an, erarbeiten mit den Agierenden einen Businessplan für die langfristige Tragfähigkeit ihres Projektes oder schulen sie in der Selbstorganisation. In einzelnen Projekten, in denen die Initiierenden nicht die Möglichkeit dazu haben, übernehmen Coaches auch die Projektkoordination. Eine zusammenfassende Darstellung dieser Coaching-Aktivitäten und der Häufigkeit ihres Einsatzes in CoProGrün zeigt Abbildung 10.
Ergebnisse: Pilotprojekte Koproduktion Grünzug Östliches Emschertal
Als Ergebnis des Koproduktionsprozesses sind Machbarkeitsstudien für insgesamt zehn Projekte entstanden, deren Umsetzung im Sommer 2019 startete. In Kooperation entstanden mit:
a) Landwirt:innen und Zivilgesellschaft:
- eine Route der Agrarkultur durch den Grünzug zur Intensivierung der Stadt-Land-Beziehungen
- die Pflege von Infrastrukturflächen im Grünzug durch gefährdete Nutztierrassen in Kooperation zwischen Straßen.NRW, der Emschergenossenschaft und einem Landwirtschaftsbetrieb
- Direktvermarktung, Mietgartenkonzepte und Gastronomie auf zwei Landwirtschaftsbetrieben im Grünzug
- ein erweitertes Netzwerk für die Vermarktung von lokalen Produkten über eine Food Assembly
b) Stadtteilvereinen, Wohnungswirtschaft und Sozialträgern:
- ein Konzept für Quartiersgärtner:innen in der Victoriasiedlung Lünen
- die Wiederbelebung des Stadtteilgartens in Castrop-Rauxel Deininghausen
- der Aufbau eines Gemeinschaftsgartens am Sozialen Zentrum Dortmund
c) zivilgesellschaftlichen Netzwerken für Grünzugpflege und Biodiversität:
- ein Konzept für die Nutzung und Pflege von Streuobstwiesen im Grünzug inklusive einer Online-Plattform zur Standortkartierung, Vernetzung und Kommunikation
- eine Anleitung für die Anlage von Insektenweiden im Grünzug.
Weitere Projekte wurden im Prozess bearbeitet, es wurde jedoch keine Machbarkeit festgestellt oder die Projekte konnten in Eigeninitiative der Agierenden ohne vertiefte Koproduktion verwirklicht werden.
In Anlehnung an Abbildung 3 lässt sich die Rolle der Akteur:innen und der CoProGrün-Partner im Prozess in verschiedene Stufen einteilen. Abbildung 11 macht deutlich, dass in diesem transdisziplinären Forschungsprojekt die Projektpartner selbst auch in starkem Maße als Koproduzenten auftreten. Gerade in Projekten mit Bezug zum gesamten Grünzug sind einzelne Projektpartner stark involviert. Grau dargestellt sind Projekte, die nicht innerhalb von CoProGrün weiterverfolgt wurden. Im Falle der oben rechts eingeordneten Projekte ist die lokale Akteur:innenkonstellation bereits so gut organisiert, dass keine Koproduktion für die Projektumsetzung notwendig ist.
Sozialkapital ist hier zu verstehen als sozio-emotionale Bindung zwischen Akteur:innen, die Vertrauen, Solidarität und Kooperationsbereitschaft untereinander erhöhen (Fürst et al. 2004: 35). In CoProGrün wurde es durch die persönliche Ansprache potenzieller Akteur:innen, die beschriebene Serie von Veranstaltungen und die intensive Zusammenarbeit und Verlässlichkeit der Projektpartner im Coaching aufgebaut. Austausch und Vernetzung gehen über die einzelnen Projektteams hinaus. Auch Akteur:innen welche in CoProGrün kein gemeinsames Projekt aufgebaut haben, konnten ihre Beziehungen zueinander stärken und für zukünftige Vorhaben nutzen. Dabei ist die Zusammenarbeit über sektorale Grenzen hinweg von besonderem Wert. Abbildung 12 zeigt die im Koproduktionsprozess neu entstandenen Kooperationen und Netzwerke.
Der RVR als regionale Kommunalverwaltung mit Querschnittsaufgaben in der Raumentwicklung ist dabei naturgemäß besonders stark vernetzt. Dies deutet darauf hin, dass hier über die begrenzte Projektlaufzeit von CoProGrün hinaus Aufgaben der Koproduktionsförderung im Bereich der GI im Ruhrgebiet gut anzusiedeln wären.
Neben den Pilotprojekten als wesentliches Ergebnis in CoProGrün kann der Aufbau von Sozialkapital durch den Koproduktionsprozess als zusätzliches Ergebnis gesehen werden.
Reflexion der Koproduktionsprozesse
Die Pilotprojekte zeigen den Erfolg des Koproduktionsprozesses im Sinne der Projektziele von CoProGrün. Sie erhöhen die Bindung der lokal (Land-)Wirtschaft Betreibenden und unterschiedlicher Bürger:innen und Bürger:innengruppen mit der GI. Diese haben die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Vorstellungen von der Entwicklung des Grünzugs Östliches Emschertal umzusetzen und dabei unterschiedlichste Interessen von eigenwirtschaftlichen Gewinnzielen bis zum Naturschutz und dem Engagement für die Gemeinschaft zu verfolgen.
Die Vielfalt der Projekte zeigt den Beitrag von GI zu Gemeinwohl und Daseinsvorsorge in vielen Bereichen. Die Varianz in den Bezugsräumen und Handlungsmaßstäben macht deutlich, dass die Motivation zu Koproduktion sowohl aus einem konkreten Interesse an der Entwicklung vor der eigenen Haustür als auch mit Bezug zu übergeordneten Zielen für die Entwicklung von Natur und Landschaft entstehen kann.
Abbildung 13 macht das Engagement jeder einzelnen Akteursperson über den gesamten Koproduktionsprozess hinweg sichtbar. Hier wird deutlich, dass die Agierenden unterschiedliche Rollen spielen können. Aus der initialen Akteur:innenansprache und den ersten Veranstaltungen bleiben nur wenige Personen durchgehend in der Projektarbeit aktiv. Diese entwickeln sich jedoch mit Unterstützung der Projektpartner zu tragenden Pfeilern für einzelne Projekte. Durch die Fortführung und Verlässlichkeit des Prozesses und seine Veranstaltungen können stetig weitere Personen für die Koproduktion gewonnen werden. Mit der abschließenden Konkretisierung der Projekte ergibt sich nochmal ein starker Zuwachs an Mitwirkenden. Als Erkenntnis lässt sich festhalten, dass ein Koproduktionsprozess ein selbstförderndes Wachstum entfalten kann. Dies ist in CoProGrün erfolgreich, da es sich zwar um ein Projekt mit begrenzter Laufzeit handelt, nicht jedoch um ein Projekt mit anlassbezogener Beteiligung von Bürger:innen. Die Offenheit für Themen und die Gestaltbarkeit durch die Agierenden auf der Basis ihrer eigenen Bedürfnisse ermöglichen den flexiblen Ein- und Ausstieg in die Koproduktion, statt den Prozess nach Klärung aller vorhabensrelevanten Fragen zum Erliegen kommen zu lassen. In der Koproduktion sind somit nicht alle agierenden Personen stabile Teilhabende, der Prozess als Ganzes erweist sich jedoch als stabil und wachstumsfähig.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei die permanente Begleitung des Prozesses und seiner Agierenden durch die Projektpartner:innen.
In CoProGrün wurde diese Kontinuität über die Projektlaufzeit von drei Jahren und die bereits im Raum verankerten Projektpartner sichergestellt. So können die Akteur:innen eine Kontinuität der aufgebauten Beziehungen auch über das Forschungsprojekt hinaus erwarten. Dies drückt sich auch in einer personellen Kontinuität aus, da zwei zunächst für das Projekt angestellte Mitarbeiterinnen des RVR dort nun dauerhaft tätig sind.
Ein Koproduktionsprozess lässt sich jedoch nicht zum Nulltarif initiieren. Für einen erfolgreichen Prozess braucht es zusätzliche Arbeitskapazität innerhalb der Kommunalverwaltung und auch bei den zivilgesellschaftlichen Partnern die Urbanisten e.V. und Landwirtschaftskammer NRW. Kosten für die Organisation von Veranstaltungen außerhalb des gewohnten Rahmens der Verwaltung, sowohl räumlich als auch in Bezug auf einen geselligen Teil und die Verpflegung der Teilnehmenden, sind aufzubringen, um Foren für den notwendigen persönlichen Austausch aller Agierenden zu ermöglichen. Für die Ausarbeitung der Projektideen sind Budgets für die Hinzuziehung externer Expert:innen und die enge Begleitung der Projektteams durch die kommunale Seite der Koproduktion vorzusehen. Koproduktion ist daher ein Prozess, in den die institutionalisierten Partner zunächst investieren müssen.
Dem gegenüber steht im Falle der GI nicht zwangsläufig eine Senkung von Kosten an anderer Stelle, zum Beispiel durch Ersparnis von Pflegeaufwand für GI, der nun durch Bürger:innen oder Landwirtschaftsbetriebe übernommen wird. Der Gewinn der Koproduktion für die GI ist vor allem qualitativer Art. Durch die Gestaltung in einem gemeinsamen Prozess entsteht eine verbesserte Passung zwischen dem Angebot an GI und den Wünschen der Nutzer:innen. Koproduktionsprozesse helfen, neue Wünsche an die Gestaltung des Lebensumfeldes, im Fall von CoProGrün beispielsweise ein stark gestiegenes Interesse an der Insektenbiodiversität, in die Gestaltung der GI einzubinden und der Zivilgesellschaft dabei eine verantwortliche Rolle zu geben. Akteur:innen die, wie Landwirt:innen, zunächst eigenwirtschaftliche Interessen verfolgen, erhalten durch den Koproduktionsprozess die Möglichkeit, diese in die Entwicklung des Gemeinschaftsgutes einzubinden.
References
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