Published 15.11.2021

Wie geht's digital?

Partizipation während und nach der Pandemie

How's it going - digitally?

Participation During and After the Pandemic

Keywords: Partizipation; Digitalisierung; Pandemie; participation; digitalization; pandemic

Abstract:

Die Covid-19-Pandemie ist eine besondere Herausforderung – auch in der Praxis der Partizipation. Die notwendige Vermeidung der direkten Begegnungen legte Projekte und Prozesse auf Eis. Es galt alternative und digitale Formate zu erfinden – kein einfacher und oft ein vermiedener Vorgang. Denn es braucht mehr als Technik, nämlich erweiterte Kompetenzen sowie veränderte Methoden. Wie geht´s digital? Diese Frage prägte das Jahr 2020 und ist weiterhin relevant. Sie wird in diesem Artikel aus Sicht von Moderator:innen und Prozessbegleiter:innen aufgegriffen. Wir haben zusammen 3x3 Gedanken formuliert, die unsere Erfahrungen verdichten: zu drei grundlegenden, drei operativen und drei zukunftsweisenden Erkenntnissen. Diese wurden gemeinsam mit Praxisbeispielen und Zukunftsthesen am 04. März 2021 in einem Online-Symposium mit über 200 Teilnehmenden präsentiert und diskutiert. Gemeinsam wurde darüber nachgedacht, wohin die Zäsur der Pandemie das Arbeitsfeld der Partizipation führen könnte.

The covid-19 pandemic is a major challenge – also for the practice of participation. The necessary reduction of contacts put projects and processes on hold. We had to find and invent alternative and digital formats – not an easy and often an avoided task. That´s because it needs more than technique, namely expanded competences and modified methods. How’s it going – digitally? This question characterized the year 2020 and is still relevant. In this article we investigate it through the lenses of moderators and process facilitators. Together we formulated 3x3 thoughts that condense our experiences: to 3 fundamental, 3 operative and 3 prospective lessons learned. These findings have been presented and discussed during an online symposium with more than 200 guests on the 4th of March 2021. Jointly we thought about where this caesura will lead the field of participation.

Unterschiedliche Innovationsgeschwindigkeiten

2020 hat sich viel verändert. Während wir auf volle Krankenhäuser und leere Nudelregale schauten, wurden partizipative Prozesse und Projekte gestoppt. Das zentrale Medium der Beteiligung, die persönliche Begegnung, war plötzlich unmöglich. Dem Schock folgend mussten kurzfristig alltägliche Abläufe im Privaten wie im Beruflichen neu erfunden werden. Die privaten Büros reagierten aus eigenökonomischem wie fachlichem Interesse umgehend und entwickelten neue Formate und Konzepte für bestehende wie neue Aufträge. Ohne Rücksicht auf den Stundenaufwand wurde Soft- und Hardware recherchiert, Unbekanntes ausprobiert und Gewohntes verworfen. Gleichzeitig standen vor allem die kommunalen Auftraggeber:innen vor anderen Herausforderungen: Budgets zusammenhalten, Infektionsketten nachverfolgen, Schule und Kinderbetreuung umorganisieren, Testzentren einrichten, Homeoffice technisch und organisatorisch ermöglichen – und sie mussten die kurz-, mittel- wie langfristig unklaren Auswirkungen eines Jahrhundertereignisses abschätzen.

Unterschiedliche Akteur:innen nähern sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten demselben Ziel.
Abbildung 1: Unterschiedliche Innovationsgeschwindigkeiten. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Laufende Verfahren wurden daher mindestens irritiert, oft aber pausiert. Während viele die Dauer der Pandemie unterschätzten und geplante Veranstaltungen mit den wiederkehrenden Verlängerungen der Lockdowns erst um Wochen, dann Monate, dann ein Jahr verschoben oder absagten, veränderten andere bereits im April die Ausschreibungen, adaptierten Prozesse und fragten nach alternativen Möglichkeiten, die dem Gebot zum Infektionsschutz Rechnung tragen. Sie wagten – oft digitale – Experimente, während sich viele ans Verschieben gewöhnten. Für ein klares Bekenntnis zum Wert der Partizipation unter diesen herausfordernden Bedingungen brauchte und braucht es oft eine starke, kreative und beharrliche Beratung durch die Moderator:innen. Die Digitalisierung der Partizipation wurde massiv beschleunigt und passiert doch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Diesen unaufhaltsamen und andauernden Prozess gilt es als Gestaltungsaufgabe wahrzunehmen.

Veränderte Zugänglichkeiten

Partizipation erobert die Wohnzimmer und Büros, die Balkone und Berghütten, die Mittagspause und das Wochenende. Über die verstärkte Digitalisierung und die bewusste Vervielfältigung der Formate kann Beteiligung niedrigschwelliger und reichweitenstärker werden – im Raum, in der Zeit, für die Zielgruppen. Kein mühsames Aufraffen zur Abendveranstaltung mit kargem Buffet und aufgeheizter Stimmung – lieber den Laptop aufklappen, anonym Fragen eintippen und das Lieblingsgericht in der Pfanne brutzeln. Oder im Urlaub den Vortrag nachhören und bequem die Umfrage ausfüllen.

Repräsentant:innen der Stadtgesellschaft unterschiedlichen Alters stehen vor einem übergroßen Laptop als mysteriösem Zugang zur Beteiligung.
Abbildung 2: Veränderte Zugänglichkeiten. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Doch Teilhabe ist abhängig von den Kompetenzen und Ressourcen der Einzelnen. Und so bleiben viele Fragen: Wie erreichen wir Leute mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, eingeschränkten digitalen Möglichkeiten, zu pflegenden Angehörigen oder zu beaufsichtigenden Kindern? Wie vermitteln wir laufend technisches Wissen, das Voraussetzung zur Teilnahme an Formaten ist? In diesem Zuge steigt zwar das gegenseitige Verständnis für Zwischenfragen von Kindern oder den Opa, der die Vortragende unterbricht, um ihr ein Stück Kuchen anzubieten. Doch wie können wir nachhaltig eine Beteiligungskultur pflegen, die auf die persönlichen Ressourcen Rücksicht nimmt?

Die Aktivierung der Menschen zur Teilnahme und ein robustes, niedrigschwelliges Prozessdesign bleiben entscheidend. Und auch der Platz für die kleinen Fragen und das direkte Gespräch muss gegeben sein, droht dies doch in all der Effizienz, Technisierung und Vervielfältigung zu verpuffen. Beteiligung muss notwendigerweise eine Öffentlichkeit herstellen, die zwar nicht repräsentativ sein muss, aber so breit und vielfältig, dass sie als Basis für einen rechtmäßigen, ehrlichen Prozess wahrgenommen wird. Nur so können die Akzeptanz für das Vorgehen und die Identifikation mit den Ergebnissen sichergestellt werden.

Parallel lässt sich wahrnehmen, dass die Zivilgesellschaft durch die Digitalisierung methodisch und instrumentell aufholt. Sie treibt die öffentliche Hand und vor allem die Politik in einigen Zukunftsfragen zunehmend vor sich her, setzt also vermehrt die Themen und den Rhythmus.

Demokratische Prozesse können im digitalen Zeitalter viele neue Türen nutzen – sie müssen aber auch neue Hürden überwinden.

Herausfordernde Interaktion

In der digitalen Anonymität verlieren manche das Vertrauen, den Zugang oder die Höflichkeit. Die Zwischentöne und leiseren Worte sind schwieriger zu hören, die Bildschirmmüden abends schwerer zu aktivieren. Wie kommen wir auf die energetische Höhe und in die inhaltliche Tiefe?

Soziale Räume sind in digitalen Formaten schwer zu schaffen. Dies birgt das Risiko, die Repräsentativität der Beiträge kaum einschätzen zu können und die Ausgewogenheit zu verlieren. Andererseits bricht die Anonymität eine mentale Hürde zur aktiven Teilnahme auf und birgt somit das Potenzial zur Reduzierung von Barrieren und einem demokratischeren Bild. Der Einsatz der Formate, Methoden und Fragestellungen ist daher fein auszubalancieren.

Eine Person hinter einem Laptop wird von unterschiedlichen Formaten der Beteiligung überflutet.
Abbildung 3: Herausfordernde Interaktion. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Digitale Veranstaltungen sind notwendigerweise streng und effizient getaktet. Bei jedem Spannungsabfall verliert man Gäste. Dabei braucht es Raum für informelle Fragen und Zeit für niederschwellige Gespräche. Die Bedeutung der Moderation in der präzisen Vorbereitung der Veranstaltung steigt daher, da die Weichen für erhellende und nahbare Formate vorab gestellt werden müssen. Die Veranstaltungen selbst gleichen oft einer riesigen Arena, in der Nachfragen und Hinweise kreuz und quer übereinander liegen und mit harten Bandagen gekämpft wird. Um die Informationsflut zu bewältigen und die Angemessenheit zu wahren, müssen die Moderator:innen gerade die schriftlichen Äußerungen reformulieren und verkürzen. Es wird also stärker gefiltert, durch Moderation, Format, Medium und technische Limits – gleichzeitig werden alle Äußerungen reichweitenstärker und permanenter.

Damit eine kontrollierte, legitimierte und akzeptierte politische Arena entstehen kann, ist viel Fingerspitzengefühl erforderlich. Das Spannungsfeld zwischen den Möglichkeiten des Formats und den Wünschen der Teilnehmenden ist im Live-Moment einer Veranstaltung nicht immer aufzulösen. Das Prozessdesign, also die gezielte Staffelung und Kombination von Formaten in Rückkopplung mit dem fachlichen Projektfortschritt, gewinnt damit an Bedeutung.

Mehr als Technik

Digitale Veranstaltungen und Formate stehen und fallen mit der Technik. Die Vielzahl neuer Medien und Anwendungen, Programme und deren Funktionen wollen beherrscht, aber auch an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Digitale Moderation erfordert viel Vorbereitung und Übung. Denn oft liegen die Hürden in den Details und erweiterten Einstellungen vergraben. Und die Sekunden bis der Rechtsklick sitzt fühlen sich digital wie Ewigkeiten an.

Zwei kleine Comicszenen erzählen von einer digitalen Veranstaltung.
Abbildung 4: Mehr als Technik. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Die Büros haben viele unterschiedliche Hard- und Softwarevarianten getestet, um die besten Kombinationen zu finden, die sowohl für Kund:innen, Partner:innen und Bürger:innen funktionieren. Viele Gegenüber konnten sich noch nicht so intensiv damit beschäftigen und/oder dürfen bestimmte Tools aus Datenschutzgründen nicht nutzen. Dann ist oft eine Anpassung auf den Einzelfall erforderlich. Auch muss in der Vorbereitung der Veranstaltung und meist auch in der Veranstaltung selbst in die Technik eingeführt werden. Diese Zeit ist einzuplanen, und die Grenze des Handhabbaren ist auf das jeweilige Publikum abzustimmen. Während sich geübte Expert:innen im Multitasking zwischen mündlicher Diskussion, digitalem Flipchart und philosophischem Chat pudelwohl fühlen, ist für die breite Öffentlichkeit eine Live-Umfrage schon Herausforderung genug.

Auf Seite der Moderation entstehen neue Rollen. Wer teilt wann den Bildschirm und wessen Mikrofon ist dann angeschaltet? Wie sieht alles auf der Seite der Teilnehmenden aus? Wie verschieben sich Rollen, wenn die Veranstaltung anders läuft als geplant? Wer spielt die Frage aus dem Chat an die Moderation und die Expert:in auf der Bühne? Die Mikrofondienste im Saal werden ersetzt: technischer Support für die Teilnehmenden, Chatmoderation, inhaltliche Co-Moderation zur Clusterung der Themenkomplexe, Live-Visualisierung der Inhalte, zudem Protokoll und Meeting-Host, Ton- und Kamerateam für Hybridformate und Bildregie für größere Veranstaltungen. Für Workshops braucht es ein wesentlich differenzierteres Drehbuch, sodass alle Rollen auch unter Zeitdruck und bei hunderten gleichzeitigen Anfragen reibungslos ineinandergreifen. Je größer die Zahl der Teilnehmenden und deren Aktivitätsgrad ist, umso stärker sind diese Rollen aufgeteilt, um den Input noch verarbeiten zu können. Bei kleineren Workshops geschieht dies durch eine oder zwei Personen.

Wenn man Technik und Format im Griff hat, kann wieder ein wenig Chaos ins Spiel kommen. Acht Personen können auch ihr Mikrofon anlassen, damit spontanes Lachen und Dazwischenreden möglich wird. Wenn die Kollegin kurz vor ihrer Präsentation aus der Leitung fliegt ist das kein Drama, es übernimmt jemand anderes. Das Verständnis ist meist groß, denn langjährige Routinen hat gerade niemand und Verbindungsprobleme alle mal wieder. Umgekehrt kommen Veranstaltungen gut an, die präzise vorbereitet sind und mit der Zeit ihrer Gäste wertschätzend umgehen. Trotz allem Aufwand kann die Technik zur Freude werden und zu neuen Lösungen inspirieren. Im Fokus sollten aber stets die Inhalte und die Interaktion der Teilnehmenden stehen.

Neues Zeitmanagement

Online gelten andere Zeitmaßstäbe. Jedenfalls sind die Aufmerksamkeitsspannen kürzer und die Ablenkungen neben den Bildschirmen größer. Was hilft ist die kompakte Gestaltung der Inhalte und Formate. Über die Verfügbarmachung von Informationen vor und nach Veranstaltungen kann deren Schwerpunkt von der detaillierten Vermittlung auf die Schaffung des Überblicks und die Klärung kritischer Fragen verlagert werden. Wenn die Inputs auf das Notwendige reduziert sowie didaktisch klar und prägnant vermitteln werden, bleibt Raum für Austausch, Interaktion, Spontanität und die wichtigen Pausen. Zudem wird mit der Zeit der Gäste effizient umgegangen, weil sie ihren eigenen Bedarf an Information, Rücksprache und eigenem Input stärker selbst steuern können.

Zeit wird als endlose Spirale dargestellt.
Abbildung 5: Neues Zeitmanagement. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

In zu langen Veranstaltungen sinkt die Energiekurve irgendwann rapide und es bleiben nur wenige Gäste von Anfang bis Ende dabei. Denn plötzlich sind viel mehr Treffen möglich, räumlich gänzlich unabhängig, der Wechsel dauert wenige Sekunden. Warum also nicht zwei Veranstaltungen parallel anhören? Doch wann wird durchgeatmet, nachgedacht, auf den Bus oder die grüne Ampel gewartet? Bei aller Effizienz leidet das Wohlbefinden. Die Formate gilt es daher sparsam und mit Pausen zu planen, um die Energie aller Teilnehmenden im Gleichgewicht zu halten. Zwar sind die Pausen des Tages eine persönliche Verantwortung, doch kann auch der kollektiv verordnete Break, den alle für einen Snack, einen Schritt auf den Balkon oder ein paar Dehnungsübungen nutzen können, seinen Beitrag leisten.

Auffallend ist auch eine neue Pünktlichkeit. Sogar die chronisch Späten sind meist rechtzeitig da, fallen doch die Tücken des Verkehrssystems als beliebteste Ausrede weg. Und so kommt es manchmal zu einer Ungeduld, die sich in digitalen Räumen schneller als anderswo breit macht. Wichtige Werkzeuge sind jedenfalls exakte Drehbücher mit verbindlichen Zeitangaben, ausreichend Puffer vorab, Pausen zwischendrin und anschließenden Lücken. So können sich alle einfinden, ihre Technik einstellen, das Getränk auffüllen und die Konzentration sammeln.

Die digitale Raumzeit gilt es zwischenmenschlich sensibel und auf die unterschiedlichen individuellen Bedürfnisse ausgerichtet zu gestalten!

Zeiträume der Koproduktion

Das kreative Moment, das zum Zeitpunkt einer Veranstaltung oder eines Workshops im analogen Raum hergestellt werden kann, lässt sich in unserer bisherigen Erfahrung nicht im vollen Umfang in den digitalen Raum überführen. Zu komplexe Inhalte können live nicht mehr nachvollzogen werden. Um digital denselben inhaltlichen Fortschritt zu erzielen, braucht es daher mehrere nachvollziehbare Schritte mit aufbereiteten Zwischenergebnissen, welche die Genese neuer Inhalte transparent und kooperativ gestalten. Dies führt für die Prozessbegleitung zu einem erhöhten Aufwand in der Vor- und Nachbereitung.

Wir bewegen uns also, wenn Partizipation als möglichst breite Perspektiven einbeziehender und mit inhaltlichem Fortschritt versehener Prozess verstanden wird, vom Zeitpunkt zum Zeitraum der Koproduktion. Auch aus dieser Perspektive gewinnt das Prozessdesign an Bedeutung (vgl. Herausfordernde Interaktion). Wann braucht es welche Formate? Wann braucht es Input, Information und Ideen vorab, und wann Zuhören, Sammeln, Intervenieren, Justieren, Ausdiskutieren? Die koproduzierten Inhalte entstehen in asynchronen und parallelen Rhythmen, doch innerhalb klar definierter Prozesse.

Ein dynamischer Zeitstrahl zeigt, dass Beteiligung am selben Prozess an unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Formaten möglich ist. Alles zahlt auf das gemeinsame Ergebnis ein.
Abbildung 6: Zeiträume der Koproduktion. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Die Teilnehmenden brauchen jederzeit Zugang zu Hintergrundinformationen, Zwischenergebnissen und ein offenes Ohr seitens der Prozessbegleitung. Die Aufgabe der Moderation ist immer wieder die Suche nach dem besten gemeinsamen Nenner aus dem, was viele zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Formaten sagen. Gerade im digitalen Raum erwächst daraus immer wieder die Verantwortung für eine kreative Vorleistung, die den Diskussionen Struktur und Halt gibt, auch wenn die Thesen anschließend verworfen oder stark verändert werden.

Die Chance der Zeiträume ist, dass mehr Menschen öfter mitdenken. Viele müssen, wollen, sollen das Gehörte und Erlebte verarbeiten, rücksprechen und am eigenen Schreibtisch weiterentwickeln. So entstehen in ruhigen Momenten, beim Spaziergang, im Gespräch am übernächsten Tag oft kreative Gedanken, die entscheidende Teile des gemeinsamen Produkts werden. Digitale Koproduktion bedeutet also Arbeits- und Erkenntnisprozesse zu organisieren, welche die vielen Träger:innen von Wissen, Kompetenzen, Perspektiven und Anliegen intelligent, transparent und zielgerichtet einbeziehen. So entstehen gute und nachvollziehbare Inhalte.

Vielfalt der Formate

Schon jetzt ist klar: Vieles wird bleiben! Prozesse und Projekte haben sich nachhaltig verändert. Einiges ist nicht umkehrbar, hat sich bewährt, ist nicht mehr wegzudenken. Die Krise ist ein Innovationsschub für die Digitalisierung, welche in der Partizipation zwar schon länger betrieben wird, aber im Vergleich zu anderen Lebensbereichen noch keine breite Anwendung fand. Der Werkzeugkoffer erweitert sich nun rasant. Dies birgt das Potenzial, zukünftig vermehrt mit crossmedialen und multilateralen Ansätzen ein breiteres Publikum gezielter und effizienter, intensiver und vielschichtiger anzusprechen.

Abbildung ausgewählter digitalen und analogen Beteiligungsformate.
Abbildung 7: Vielfalt der Formate. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Informationen streuen, Meinungen erfragen, aktive Mitgestaltung evozieren, kollektive Entscheidungsfindungen begleiten – jedes Format hat seine möglichen Zwecke, Vor- und Nachteile. Diese gilt es noch stärker abzuwägen und zu kommunizieren, damit die Maßnahme auf Akzeptanz stößt und Teilnehmende findet. Wann sollen alle alles hören? Wann soll jeder Person im geschützten Rahmen zugehört werden? Wann braucht es die große Informationsveranstaltung, wann den Dialogstand vor Ort, wann das Video und wann die Umfrage? Kein Format ist allgemeingültig und die Standards verschieben sich. Wenn früher eine große Veranstaltung ausgereicht hat, so wird heute eine aktuelle Projektwebseite, digitale Einsehbarkeit der Planungsinhalte und ein stärkerer Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteur:innen zur Pflicht.

Es gilt nun die entstehenden Synergien zwischen alten und neuen Formaten zu verstehen und den wachsenden Werkzeugkasten zu beobachten. Ein reines mehr, mehr, mehr wird jedoch schnell an Grenzen stoßen: in den Terminkalendern der Verantwortlichen und der Teilnehmenden, in den Projektbudgets und in der Übersichtlichkeit für die Nutzer:innen. Wenn Partizipation als längerfristiger Prozess verstanden wird, der auf allen Seiten und über verschiedene Vorhaben hinaus Vertrauen und Wissen aufbaut, dann werden sich der Vielfalt zum Trotz neue gute Standards und sparsame Klassiker herausbilden. Diese werden jedoch nicht aus singulären Events, sondern aus guten Kombinationen in guten Rhythmen bestehen.

Sinne und Emotionen

Eine persönliche, (gast)freundliche und gemeinschaftliche Atmosphäre im digitalen Raum herzustellen ist mit Abstand die größte Herausforderung. In Veranstaltungen fallen Ambiente, Haptik und Geräusche als Ausdrucksmittel weg. Vielmehr entsteht am Bildschirm ein wilder, kaum zu steuernder Mix aus individuellen Räumen. Der Vorteil davon ist, viele Personen in einer starken Unmittelbarkeit und Direktheit zu erleben, die neue persönliche Einblicke produziert.

Eine Person trinkt alleine vor ihrem Laptop ein Glas Sekt.
Abbildung 8: Sinne und Emotionen. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Doch während sich neun Personen noch gut im Blick haben können, werden mit steigender Besucherzahl die Kacheln immer kleiner. Gestik, Mimik und Ausstrahlung lassen sich dann kaum noch erahnen, und irgendwann verschwinden sie ganz. Irgendwann fühlt es sich wie Fernsehen an, wenn kein Gruppengefühl mehr greifbar ist. In diesen Momenten wünschen sich Moderator:innen das Räuspern, Flüstern, Tuscheln und Raunen der Sälezurück, die Anhaltspunkte zur Stimmung im Publikum geben.

Mit welchen Kniffen lassen sich also Gemeinschaftsgefühl, Gastlichkeit und Kollegialität herstellen? Wie werden die anderen Sinne aktiviert und tiefere Emotionen angesprochen? Live-Musik und/oder eine Einladung zum Weißwurstfrühstück, bei dem zwar jede:r selbst kochen muss, aber gemeinsam gegessen wird, sind erste gelingende Beispiele. Aber auch innerhalb der Büros, die nunmehr auf unbestimmte Zeit dezentral arbeiten, wird auf eine motivierende Atmosphäre geachtet. Die digitalen Kaffeepausen, Mittagessen und Feierabendgetränke waren zwischenzeitlich wichtige soziale Momente im Alltag, scheiterten auf der Langstrecke allerdings am dauerhaften Bildschirmüberdruss. Die Pause möchte oft nicht am selben Ort, in selber Position wie die Arbeit verbracht werden. Doch auch kleine tägliche Routinen, die sparsam mit Zeit und Energie des Teams umgehen, können ein Bild der vernetzten Schreibtische erzeugen, das zur Arbeit am gemeinsamen Projekt motiviert und Emotionen transportiert.

Deutlich ist, dass momentan die persönlichen Gespräche auf allen Ebenen fehlen. Im Team, mit den Partner:innen und Auftraggeber:innen, zwischen Bürger:innen, Politiker:innen und Expert:innen. Vertrauen in Prozesse und Expertise sowie Verständnis für Positionen und Entwicklungen leben nicht nur von inhaltlichen, sondern auch emotionalen Ebenen im Gespräch.

Es wird eine bleibende Übung und Aufgabe sein, den digitalen Raum einerseits um analoge, persönliche Formate zu ergänzen, und andererseits auch in diesem versuchen Resonanzen herzustellen.

Räume als Motivation

Was passiert in der digitalen Distanz mit dem Gegenstand der von uns begleiteten Beteiligungsprozesse, dem Raum? Wird er genauso austauschbar wie unsere Arbeitsstandorte – Hauptsache stabiles WLAN?

Wir sollten unseren Arbeits- und Verhandlungsgegenstand stark einbeziehen. Direkte Formate wie Spaziergänge, Dialogstände und Fachgespräche vor Ort, dezentrale Formate wie Audiotouren oder Schnitzeljagden oder indirekte Formate wie Filme und Ausstellungen, die Eindrücke einfangen und vermitteln, gewinnen an Bedeutung. Denn viele Fragen lassen sich nicht ausdiskutieren. Das Erleben vor Ort, die Anwesenheit im konkreten Raum ist nach wie vor ein Augenöffner für alle, Profis wie Laien. Erst dort können komplexe Sachverhalte verstanden, Leidensdruck oder Freude nachempfunden und Potentiale sichtbar werden. Es braucht die konkreten Anker, die Interventionen und die Aktivierung im Raum. Auch wenn der Austausch heute und in Zukunft zu einem wachsenden Anteil digital stattfindet, bleibt der Diskussionsinhalt und auch das Ziel der gemeinsamen Auseinandersetzung die Gestaltung des analogen Raums. Das muss spürbar bleiben!

Ein Raum mit offenen Türen und der Beschriftung „Beteiligung für Raum“ lädt Passant:innen zum Beitreten ein.
Abbildung 9: Räume als Motivation. Quelle: Studio Malta, Cristina Estanislao.

Abschließend wollen wir laut sagen: Mut zur Beteiligung! Gerade jetzt! Es ist vielleicht mühsamer, aber es lohnt, vorausschauend und kollektiv räumliche Fragen zu bearbeiten. Die Pandemie verändert nicht nur die Art unserer Interaktion, sondern auch kollektive Sichtweisen und grundlegende Themen wie Wohnen, Arbeiten, Einkauf, Freizeit und Mobilität. Zudem erleben wir zwei Dinge: Durch das Verhalten vieler Einzelner wird Entscheidendes bewegt, viele Einzelne müssen also einbezogen werden. Und gerade das Nahumfeld, also die eigene Wohnung und ihre Nachbarschaft, entscheiden über unsere Lebensqualität. Beides mag lange bekannt klingen, doch als kollektive Erkenntnisse aus einer Jahrhundertkrise motivieren sie uns als Gestalter:innen und Moderator:innen im Raum doch verstärkt zu unserer Arbeit.

About the author(s)

STUDIO | STADT | REGION, Studio Malta und nonconform sind Büros, die in den Bereichen Architektur, Stadt-, Dorf- und Regionalentwicklung tätig sind. Alle drei arbeiten stark mit partizipativen Methoden und reflektieren vor diesem Hintergrund gemeinsam das letzte Jahr.

STUDIO | STADT | REGION, Studio Malta and nonconform are offices working in the fields of architecture, urbanism and spatial development. All three share a focus on participatory methods and reflect the last year in this light.