Published 15.11.2021

Von Crowdsourcing und Crowdfunding

Digitale Plattformen zum Stadtmachen auf dem Prüfstand

Crowdsourcing and Crowdfunding

Digital Platforms for Citymaking on the Test Bench

Keywords: Stadtentwicklung; Digitalisierung; Crowdsourcing; Crowdfunding; urban development; digitalization; crowdsourcing; crowdfunding

Abstract:

In den vergangenen Jahren sind im deutschsprachigen Raum von zivilgesellschaftlichen Akteuren verschiedene digitale Plattformen initiiert worden, die auf das Entwickeln oder Finanzieren von Bürger:innen-Projekten in der Stadtentwicklung zielen und sich dabei die Prinzipien des Crowdsourcings und Crowdfundings zunutze machen. Der Beitrag stellt die Plattformen auf den Prüfstand und beleuchtet ihre Qualitäten, aber auch die Probleme und Herausforderungen. Sollen die Plattformen zu hilfreichen Werkzeugen für das Stadtmachen werden, braucht es – so argumentieren wir – verbindliche Kooperationen mit weiteren Akteuren der Stadtentwicklung, vor allem aus dem kommunalen Bereich.

In recent years civil society groups initiated various digital platforms in German-speaking countries that aim to develop or finance citizens‘ projects in urban development using the principles of crowdsourcing and crowdfunding. The article examines these platforms and highlights their qualities but also their problems and challenges. We argue that the platforms need binding cooperation with other stakeholders in urban development especially from the municipal sector if they are to become helpful tools for city-making.

Zwischen Euphorie und Relativierung

Vor gut zehn Jahren entstanden im deutschsprachigen Raum die ersten digitalen Plattformen, die Bürger:innen neue Möglichkeiten eröffneten, eigene Ideen zur Gestaltung ihrer Stadt einzubringen und selbst Projekte zu initiieren. Losgelöst von offiziellen Planungsverfahren und beflügelt von den Möglichkeiten des Web2.0 wurden die Plattformen zunächst von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ins Leben gerufen. Erwartet wurde nichts weniger als ein neuer Partizipationsmodus. Anstelle von top-down durchgeführten Beteiligungsprozessen zu bestimmten Planungsvorhaben mit vordefinierten Themen und Fragestellungen, soll sich die Beteiligungslogik umdrehen und sich auf die bottom-up Bewegung einlassen.

Die Entstehung solcher Plattformen kommt nicht von ungefähr, wird doch schon seit längerem auf eine neue Kultur des Stadtmachens aufmerksam gemacht (siehe zum Beispiel Rauterberg 2013; Willinger 2014; Albers und Höffken 2014; Werner und Müller 2015; Schnur und Beck 2016). Getragen von einem Verständnis, dass Stadt nicht etwas ist, das von manchen hergestellt und von anderen genutzt wird, ergreifen Bürger:innen vielerorts selbst Initiative und gestalten mit eigenen Projekten ihr Lebensumfeld. Digitale Medien werden hierbei selbstverständlich für das eigene Handeln im urbanen Raum genutzt (Albers und Höffken 2015; Klemme et al. 2017). Sie ermöglichen ohne große Vorkenntnisse eigene Projektideen einfach und schnell publik zu machen, mit anderen zu teilen und weiterzuentwickeln – orts- und zeitunabhängig, offen und partizipativ. Besonders digitale Plattformen, die sich die Prinzipien des Crowdsourcings oder Crowdfundings zunutze machen, bieten eine Infrastruktur für das Stadtmachen.

Crowdsourcing-Plattformen dienen der offenen Ideenproduktion. Im Fokus steht Impulse zu setzen, Diskussionen über Nutzungs- und Gestaltungsideen, Wünsche und Bedarfe zu initiieren und offene Entwicklungsprozesse anzustoßen, in denen die Vorschläge von anderen aufgegriffen und gemeinsam weiterentwickelt werden. Auf diese Weise soll sich Stadtentwicklung langfristig öffnen und innovative Ideen entstehen (Petrin 2016). Auf Crowdfunding-Plattformen wird hingegen stärker die Umsetzung von Bürger:innen-Projekten anvisiert, ermöglicht durch die finanziellen Mittel der Vielen. Während öffentliche Ausschreibungen, Fördertöpfe oder Pilotprojekte nicht ständig verfügbar sind, thematisch nicht immer passen und oft eher die organisierten zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ansprechen, bieten Crowdfunding-Plattformen eine wesentlich niedrigschwelligere Möglichkeit der finanziellen Unterstützung (Boyer und Hill 2013). Bei beiden Plattformtypen sind die Ideengeber:innen aufgefordert, eine Community aufzubauen, um mit den Ressourcen der Vielen Projekte auf den Weg zu bringen. Die Plattformen dienen dabei als Mittler zwischen Menschen mit gleichen Interessen, damit sich diese finden, austauschen und in ihrem Lebensumfeld gemeinsam aktiv werden können.

In den fachlichen Debatten haben die initiierten Crowdsourcing- und Crowdfunding-Plattformen, die das Stadtmachen fokussieren, viel Euphorie ausgelöst, eröffneten sie doch die Chance, dass die Gestaltung unserer Städte kollaborativer, offener und partizipativer wird, sich neue Zugänge und Wege zu einer User-generated City ergeben (siehe zum Beispiel Petrin 2011; Rauterberg 2013; Gebhardt et al. 2014; Albers und Höffken 2015; Willinger 2015). Mit dem Start der ersten Plattformen haben sich aber auch relativierende Einschätzungen gemehrt. Beispielsweise bliebe ihre Reichweite und Resonanz teils hinter den Erwartungen zurück; oder es wird auf den Umstand hingewiesen, dass erfolgreiches Crowdfunding bei stadtbezogenen Projekten mehr Zeit, Wissen und Engagement abverlangt, als die durchschnittlichen Bewohner:innen eines Quartiers aufzubringen vermögen (siehe zum Beispiel Brandmeyer 2015; Kraemer 2014; Petrin und Wildhack 2015; Jäckels 2019).

Nach nunmehr zehn Jahren Praxiserfahrung werfen wir in dem Beitrag einen genaueren Blick auf die initiierten Crowdsourcing- und Crowdfunding-Plattformen zum Stadtmachen im deutschsprachigen Raum und stellen sie auf den Prüfstand. Folgenden Fragen gehen wir dazu nach: Wie hat sich die Landschaft an Plattformen entwickelt? Welche Verbreitung, Aktivität und Resonanz weisen sie auf? Und: Sind die Plattformen tatsächlich hilfreiche Werkzeuge für das Stadtmachen? Unser Fokus liegt im vorliegenden Beitrag auf den zivilgesellschaftlich initiieren Plattformen, die Vorreiter in diesem Feld waren und es mit ihren erprobten Ansätzen und Verfahren maßgeblich geprägt haben. Unsere Ausführungen basieren dabei auf Ergebnissen aus dem Forschungsprojekt Entwickeln. Finanzieren. Umsetzen. Stadtmachen auf digitalen Plattformen des vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., in dem Crowdsourcing- und Crowdfunding-Plattformen – sowohl aus dem deutschsprachigen als auch aus dem internationalen Raum – untersucht wurden.

Die Landschaft an Plattformen ist überschaubar geblieben

In den vergangenen Jahren sind im deutschsprachigen Raum verschiedene digitale Plattformen entstanden, die auf das Entwickeln oder Finanzieren von Bürger:innen-Projekten in der Stadtentwicklung zielen, basierend auf den Prinzipien des Crowdsourcings oder Crowdfundings (siehe Abbildung 1). Pioniere in diesem Feld waren – wie schon erwähnt – Plattformen, die von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen initiiert wurden. Blickt man auf die Entwicklung in den letzten zehn Jahren zurück, so ist zunächst festzustellen, dass die Landschaft an Crowdsourcing- und Crowdfunding-Plattformen zum Stadtmachen im deutschsprachigen Raum recht überschaubar geblieben ist und sich auf einzelne (Groß-)Städte begrenzt.

Die ersten Crowdsourcing-Plattformen zum Stadtmachen entstanden ab 2009. Den Anfang machte die zivilgesellschaftlich initiierte Ideenplattform Nexthamburg: Bürger:innen waren eingeladen, ihre Vorschläge zur Stadtentwicklung Hamburgs zu formulieren, mit anderen zu diskutieren und die beliebtesten Ideen gemeinsam weiterzuentwickeln. Inspiriert von dieser neuen Form kollaborativer Stadtentwicklung sind auch anderenorts Crowdsourcing-Plattformen von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ins Leben gerufen worden, um das Stadtmachen von Bürger:innen zu beflügeln. Bekannte und oft rezipierte Beispiele sind etwa die Plattformen Frankfurt gestalten, openBerlin oder Hannover VOIDS (siehe Abbildung 2).

Abbildung 1: Entstehung von digitalen Plattformen zum Stadtmachen im deutschsprachigen Raum. Quelle: urbanista.

Abbildung 2: Crowdsourcing-Plattform Hannover VOIDS. Quelle: Screenshot der Webseite
www.hannover-voids.de, mit freundlicher Genehmigung von Hannover VOIDS.

Wenn auch jede Plattform ihre eigene Spielart aufweist, geht es stets darum, Foren zu schaffen, in denen, unabhängig von den Zielvorstellungen öffentlicher Planungsträger:innen, Bürger:innen ihre eigenen Ideen zur Stadtentwicklung formulieren und gemeinsam weiterverfolgen können. Auffällig ist jedoch, dass seit 2017 kaum noch neue zivilgesellschaftlich betriebene Ideenplattformen hinzugekommen sind. Dafür haben in den letzten Jahren vermehrt Akteur:innen aus kommunaler Verwaltung und Politik digitale Plattformen gestartet, die unabhängig von konkreten Planungsverfahren dauerhaft für die Ideen der Bürger:innen offen stehen, teils hinterlegt mit einem Budget zur Umsetzung ausgewählter Vorschläge (kommunale Ideenplattformen ohne Budget: zum Beispiel Frankfurt fragt mich, Mitreden Braunschweig; kommunale Ideenplattformen mit Budget: zum Beispiel Mannheim gemeinsam gestalten, Mein Augustusburg; dazu auch Klemme et  al.  2018).

Plattformen für urbanes Crowdfunding entstanden im deutschsprachigen Raum ab 2013, insgesamt sind solcherart Plattformen aber rar geblieben. Die vorzufindenden Plattformen wurden allesamt von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen initialisiert. Stadtmacher war die erste urbane Crowdfunding-Plattform für Nachbarschaftsprojekte. Es folgten weitere lokale Crowdfunding-Plattformen mit explizitem Stadtentwicklungsbezug, wie beispielsweise HannoverMachen oder Raumpioniere (siehe Abbildung 3). Nach wie vor ist das Crowdfunding-Feld von privatwirtschaftlich betriebenen Plattformen bestimmt, die ihren Fokus meist auf den künstlerisch-kreativen Bereich haben und oft lokal ungebunden sind.

Abbildung 3: Crowdfunding-Plattform HannoverMachen. Quelle: Screenshot der Webseite
www.hannovermachen.de, mit freundlicher Genehmigung von HannoverMachen.

Je mehr sich Crowdfunding als alternatives Finanzierungsinstrument etabliert hat, um so breiter ist jedoch auch das Spektrum der Projekte auf manchen Plattformen geworden. Startnext, die Plattform mit der größten Crowdfunding-Community im deutschsprachigen Raum, verzeichnet etwa eine wachsende Zahl an gemeinwohlorientierten oder ökologischen Projekten mit urbanem Bezug.

Blickt man auf die Projektideen auf den zivilgesellschaftlichen Plattformen, ergibt sich ein facettenreiches Bild (siehe Abbildung 4). Die Art und Qualität der Projektideen variiert dabei stark und reicht – vor allem auf Crowdsourcing-Plattformen – von vagen Ideen, die eher ein Bedürfnis formulieren, bis hin zu im Detail durchdachten Projekten. Überwiegend beziehen sich die Projektideen auf die eigene Nachbarschaft oder den Stadtteil (zum Beispiel ein Nachbarschaftsgarten). Hinsichtlich ihrer Planung sind sie meist wenig komplex zum Beispiel Stadtmöbel). Es gibt aber durchaus auch Projektideen auf der Ebene gesamtstädtischer Strategien (zum Beispiel Zero-Waste-Stadt) und solche, die komplex und abstimmungsintensiv sind (zum Beispiel ein Kulturfestival auf dem Tempelhofer Feld). Insgesamt sind die meisten Projektideen auf den Plattformen jedoch nicht besonders ungewöhnlich bzw. neuartig. Oder anders gesagt: Der erhoffte Innovationsgehalt der Ideen, gespeist durch das Wissen der Vielen, zeigt sich eher weniger. Stattdessen sind sie oft gemeinwohlorientiert und zielen auf die unmittelbare Verbesserung des Lebensumfelds.

Abbildung 4: Spektrum an Projektideen auf zivilgesellschaftlich initiierten Stadtmacher-Plattformen. Quelle: urbanista.

Generell zeigt sich, dass gerade die Landschaft an zivilgesellschaftlich initiieren Plattformen zum Stadtmachen in den letzten Jahren kaum noch floriert ist. Im Gegenteil: Viele der Pioniere in dem Feld sind inzwischen nicht mehr aktiv. Einige Plattformen wurden mittlerweile ganz geschlossen (zum Beispiel Frankfurt gestalten, Stadtmacher) oder verzeichnen seit einigen Jahren keine neuen Beiträge (zum Beispiel Nexthamburg, openBerlin). Und auf den noch verbliebenen Plattformen ist die Anzahl der Eingaben überschaubar. Beispielsweise finden sich auf der urbanen Crowdfunding-Plattform Raumpioniere seit Gründung im Jahr 2017 neun Projekte, auf der Crowdsourcing-Plattform Hannover VOIDS wurden seit Gründung im Jahr 2018 bisher 18 Ideen eingereicht und auf der Crowdfunding-Platt-form HannoverMachen, die erst kürzlich geschlossen wurde, entstanden 24 Projektideen in fünf Jahren. Kurzum: Was die Verbreitung, Aktivität und Resonanz zivilgesellschaftlich initiierter Crowdsourcing- und Crowdfunding-Plattformen anbetrifft, stellt sich beim Blick auf den Status Quo eher Ernüchterung ein.

Viele Qualitäten, aber…

Verlässt man diese eher quantifizierende Bewertungsperspektive und richtet den Blick nun darauf, was die zivilgesellschaftlich initiierten Plattformen zur Realisierung von Bürger:innen-Projekten in der Stadtentwicklung im Einzelnen leisten, so weisen sie unbestritten einige Qualitäten auf. Dennoch folgt auf fast jede Qualität ein Aber, das die Probleme und Herausforderungen beschreibt, mit denen zivilgesellschaftliche Plattformbetreiber:innen konfrontiert sind, und die letztlich auch eine Erklärung dafür liefern, weshalb das Feld bislang nicht zum Fliegen gekommen ist. Fünf zentrale Aspekte seien an dieser Stelle genannt:

Betreiber:innen sind Enabler, aber mit begrenzten Ressourcen

Hinter den zivilgesellschaftlichen Plattformen stehen kommunikativ starke und gut vernetzte lokale Betreiber:innen. Oft sind es erfahrene Stadtplaner:innen (zum Beispiel Nexthamburg, Frankfurt gestalten, Raumpioniere oder HannoverMachen) oder sie kommen aus dem universitären Kontext (zum Beispiel openBerlin oder Hannover VOIDS). Die fachliche Expertise dieser Akteur:innen ermöglicht es, dass sie als Treiber:innen und gestaltende Agent:innen in die Projekte einsteigen können. Dialog und Austausch sind für sie von großer Wichtigkeit. Sie wollen die Initiator:innen befähigen, ihre Projektideen voranzubringen und sehen sich als Schnittstelle beziehungsweise Übersetzer:in zwischen Bürger:innen und Stadtverwaltung.

Die größte Schwierigkeit ist allerdings, dass sie ihre Plattform oft nur neben der eigenen Berufstätigkeit betreiben können. Noch ist es keiner zivilgesellschaftlichen Plattform gelungen, ein tragfähiges Finanzierungskonzept zu entwickeln. Einige Plattformen konnten mit Hilfe einer Förderung initiiert werden (etwa im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik) und hatten darüber den Freiraum, ihre Konzepte zu erproben, zu lernen und weiterzuentwickeln (zum Beispiel Nexthamburg, openBerlin, Stadtmacher). Die meisten zivilgesellschaftlichen Plattformen werden über andere Erwerbstätigkeiten querfinanziert und damit quasi ehrenamtlich betrieben (zum Beispiel Raumpioniere). Den Betreiber:innen ist es daher nicht möglich, kontinuierlich an der Plattform zu arbeiten – zu Lasten der Akquise neuer Projekte, der Öffentlichkeitsarbeit, aber auch der konzeptionellen und technischen Weiterentwicklung der Plattformen. All dies ist jedoch wichtig, um die Resonanz und Reichweite einer Plattform zu steigern. Die Erfahrungen zeigen schließlich, dass sich die Plattformen nur schwer nebenbei betreiben lassen.

Der Blick auf die privatwirtschaftlich initiierten Crowdfunding-Plattformen macht dabei deutlich, dass es vor allem Partnerschaften sind, die zu tragfähigen Finanzierungskonzepten führen – z. B. mit Stiftungen oder Unternehmen. Startnext ist hier beispielgebend. Bislang ist es kaum einer zivilgesellschaftlichen Plattform gelungen, solche Partnerschaften oder verbindliche Kooperationen einzugehen – auch wenn das für viele Plattformbetreiber:innen erklärte Absicht ist.

Jede:r darf mitmachen, aber es bleibt selektiv

Auf Crowdsourcing- und Crowdfunding-Plattformen kann im Prinzip jede:r mitmachen. Auch technisch gesehen ist die Nutzung dieser Plattformen einfach und unterscheidet sich in der Komplexität der Software kaum von anderen Online-Diensten bzw. gängigen Social Media-Plattformen, die sehr breit genutzt werden. Wie ein Blick auf die Verfahren zeigt (siehe Abbildung 5, 6), ist eine Idee auf Crowdsourcing-Plattformen zu posten schnell gemacht. Die Verfahren auf Crowdfunding-Plattformen sind dagegen umfangreicher. Initiator:innen sind in der Regel Teams, die meist auch Erfahrungen in der Projektarbeit mitbringen und ein hohes Bildungsniveau aufweisen (ECN 2018). Grundsätzlich zeigen sich auf den zivilgesellschaftlich initiierten Plattformen die gleichen Selektivitäten, die bereits aus klassischen Partizipationsverfahren bekannt sind: Jüngere, unter 25-Jährige und ältere, über 65-Jährige, sind eher unterrepräsentiert. Zudem kommen die Initiator:innen tendenziell aus der engagierten Zivilgesellschaft. Die Selektivitäten entstehen vor allem durch die Kompetenzen und Ressourcen, die Initiator:innen auf fast allen Plattformen und ganz besonders beim Crowdfunding mitbringen müssen: von Kommunikationsstärke über Mobilisierungskompetenz bis hin zu fachlichem Know-how. Es sind somit vor allem die ressourcenstarken, gut organisierten Akteur:innen, die das Stadtmachen auf den Plattformen prägen. Selektivitäten entstehen aber auch dadurch, dass zivilgesellschaftliche Plattformen oft nur über eine geringe Reichweite verfügen, und die Mobilisierung von Nutzer:innen durch die Plattformbetreiber:innen hauptsächlich in den eigenen Netzwerken stattfindet – vor allem aus Ressourcenmangel. Die breite Stadtgesellschaft wurde bislang nicht erreicht.

Abbildung 5: Typische Verfahrensschritte auf Crowdsourcing- und Crowdfundig-Plattformen 1. Quelle: urbanista.
Abbildung 6: Typische Verfahrensschritte auf Crowdsourcing- und Crowdfundig-Plattformen 2. Quelle: urbanista.

Es wird qualifiziert, aber es bleibt voraussetzungsvoll

Um nicht nur die Projektprofis zu erreichen, steigen die zivilgesellschaftlichen Plattformbetreiber:innen in die Entwicklung und Qualifizierung der Projektideen ein. Sie hören zu und beraten, sie kümmern sich und leisten Hilfestellung bei der Mobilisierung von Unterstützer:innen wie auch bei Behördenwegen, Genehmigungen, Vernetzung mit Institutionen, Pressearbeit, Marketing und anderen Herausforderungen. Die Qualifizierung findet in allen Phasen der Ideen- und Projektentwicklung statt. Oft reicht es aus, sich mit einer ersten Ideenskizze an die Plattform zu wenden. Die Projektidee im Detail und die Kampagne werden dann im persönlichen Erstgespräch besprochen. Es folgen so viele Beratungsgespräche, wie die Initiator:innen benötigen. Diese intensive On-demand-Beratung findet sich auf fast allen zivilgesellschaftlich initiierten Plattformen. Sie legt in der Regel auch den Grundstein für den Erfolg vieler Projekte. Trotz aller Qualifizierung und Hilfestellung bleibt die Projektentwicklung besonders auf den Crowdfunding-Plattformen voraussetzungsvoll. Denn um eigene Projekte erfolgreich auf den Weg zu bringen und zu echten Stadtentwicklungsakteur:innen zu werden, braucht es nicht nur ein hohes Maß an Hingabe, sondern auch Zeit und Know-How. Dieses Engagement muss man sich aber leisten können. Es gibt immer wieder Initiator:innen, die die Aufwände unterschätzen, sich nicht kontinuierlich ihren Projektideen widmen (können) und zu wenig mobilisieren. Auch hier zeigen die Erfahrungen, dass sich die Entwicklung und Umsetzung eigener Projekte nur schwer nebenbei organisieren lassen. In diesen Fällen stoßen auch die zivilgesellschaftlichen Plattformbetreiber:innen an ihre Grenzen. Nicht wenige Projektideen scheitern in der Folge.

Kollaboration findet statt, aber nicht über die Plattform

Stadtmachen auf digitalen Plattformen birgt die Chance, neue Zugänge zu einer kollaborativen Stadtentwicklung zu schaffen. Denn die Plattformen können unterschiedliche Akteur:innen zusammenbringen, die dabei helfen, Ideen zu verbessern und zu tragfähigen Projekten weiterzuentwickeln. Viele zivilgesellschaftliche Crowdfunding-Plattformen greifen diesen kollaborativen Aspekt auf und bieten den Initiator:innen die Möglichkeit, neben finanziellen Mitteln auch fehlendes Know-how, Sachspenden oder neue Teammitglieder für die Realisierung ihrer Projektideen über die Plattform zu finden. Die Infrastruktur auf den Plattformen für Austausch, Vernetzung und Zusammenarbeit beschränkt sich allerdings auf die Kommentarfunktion, die Kontaktaufnahme oder das Teilen von Beiträgen und hat sich in den letzten zehn Jahren kaum weiterentwickelt. Es verwundert daher nicht, dass die Plattformen für das kollaborative Arbeiten keinen nennenswerten Stellenwert einnehmen. Zudem gibt es nicht ausreichend Diskussion auf den Plattformen und keine kritische Öffentlichkeit, die über die Ideen verhandelt. Die eigentliche Kollaboration findet, wenn überhaupt, außerhalb der Plattform im direkten Austausch im realen Raum statt. Aufgrund der geringen Reichweite der Plattformen und auch der Projektideen, kommen die Unterstützer:innen allerdings überwiegend aus dem bestehenden Netzwerk der Initiator:innen und so gut wie nie zufällig über die Plattform. Bislang konnten die Plattformen ihre Rolle als Mittler zwischen unterschiedlichen Menschen mit gleichen Interessen nur unzureichend ausspielen. Der Open-Source-Gedanke der Ideen wird entsprechend kaum gelebt.

Abbildung 7: Möglichkeiten der Projektunterstützung auf der Crowdfunding-Plattform Raumpioniere.
Quelle: Screenshot der Webseite www.raumpioniere.at, mit freundlicher Genehmigung von Raumpioniere.

Freiräume sind wichtig, aber ohne die Stadtverwaltung geht es nicht

Vor allem die zivilgesellschaftlichen Plattformen ermöglichen einen geschützten Denk- und Freiraum, indem Ideen stückweise reifen können und nicht vorschnell aussortiert werden, weil sie als nicht machbar bzw. als nicht finanzierbar erscheinen. Eine Projektidee profitiert davon, wenn der Raum zum Denken am Anfang möglichst offengehalten wird und Probleme und Einschränkungen noch nicht im Fokus stehen. Will man sich aus der reinen Ideenproduktion jedoch herausbewegen und die Projekte tatsächlich auch realisieren, sind die zuständigen kommunalen Planungsinstanzen in den weiteren Prozess einzubeziehen. Diese Anbindung an das formelle Planungssystem fehlt aber fast allen zivilgesellschaftlichen Plattformen. Die Folge: Sie können Ideengeber:innen kein klares Wirkungsversprechen geben, was mit den Beiträgen passiert. Ein fehlendes oder unklares Wirkungsversprechen kann einen negativen Einfluss auf die Motivation zur Nutzung der Plattform haben. Warum soll man sich beteiligen, wenn nicht klar ist, ob meine Idee eine Chance auf Realisierung hat?

In der Tat laufen nicht wenige Projektideen auf den Plattformen ins Leere infolge der fehlenden Einbindung von Akteur:innen aus Verwaltung und Politik. Um zivilgesellschaftliche Plattformen zu mehr Wirksamkeit zu verhelfen, sind sie auf die Kooperationsbereitschaft von Stadtverwaltungen angewiesen. Diese Kooperationen können verschiedene Formen annehmen: Die öffentliche Hand kann etwa Grundstücke, Flächen oder Räume für eine Konzeptentwicklung über die Plattform freigeben oder eine Ko-Finanzierung von Bürger:innen-Projekten auf einer Crowdfunding-Plattform in Aussicht stellen. Auch kann die Qualifizierung der Projektideen, die über die Plattformen gesammelt werden, co-kreativ mit Expert:innen aus Verwaltung und Politik weiterentwickelt werden. Unabhängig davon, welche Formen diese Kooperationen annehmen können, besteht bei nahezu allen Plattformbetreiber:innen und Initiator:innen der Wunsch nach einer direkten Ansprechperson in der Stadtverwaltung, die die Realisierung von Bürger:innen-Projekten erleichtert – sei es durch schnelle und zielgerichtete Weiterleitung und Bearbeitung der Projektideen, durch niedrigschwellige, unbürokratische Genehmigungswege oder generell durch eine Beratung im Sinne von ‚Wie kann ich meine Stadt selbst mitgestalten‘. Allerdings werden zivilgesellschaftliche Plattformbetreiber:innen vonseiten kommunaler Akteure oft noch nicht als legitime Kooperationspartner:innen anerkannt.

Hilfreiche Werkzeuge – es braucht jedoch verbindliche Kooperationen

Sind die zivilgesellschaftlich initiierten digitalen Plattformen für offene Ideenproduktion und urbanes Crowdfunding nun hilfreiche Werkzeuge für das Stadtmachen? Mit Blick auf den heutigen Stand lautet die Antwort: Ja, aber…

Klar ist: Die Plattformen verhelfen dazu, Bürger:innen-Ideen zur Gestaltung von Stadt sichtbar und öffentlich zu machen. Sie stellen eine Infrastruktur bereit, mit der Initiator:innen um Unterstützung für ihre Ideen werben können und die eine Professionalisierung ihrer Anliegen ermöglicht. Sie helfen dabei, eine Community aufzubauen und die Projektidee auf Relevanz und Zuspruch zu testen. Bürger:innen können über die Plattformen Projektideen finden und unterstützen, die sie gern in ihrer Stadt oder Nachbarschaft umgesetzt hätten. Durch ihr Mitwirken an der Realisierung der Projektidee – sei es durch finanzielle Unterstützung, durch Know-how oder das Übernehmen einzelner Aufgaben – kann ein starkes Gefühl der Identifikation entstehen: nicht nur mit dem Projekt, sondern auch mit dem eigenen Umfeld. Diese Erfahrung von gemeinsamem Engagement und Mitgestalten kann wiederum die lokale Demokratie stärken

Doch gerade diese Möglichkeiten der Teilhabe finden auf den zivilgesellschaftlichen Plattformen noch viel zu wenig statt. Technisch gesehen fehlen Funktionen, die auf den Plattformen tatsächlich Räume für Austausch, Dialog und kollaboratives Arbeiten öffnen. Viel schwerer wiegt allerdings ihre geringe Reichweite. Ein breites Spektrum an Mobilisierungs- und Vernetzungsmaßnahmen ist erforderlich, um Resonanz zu erzeugen, viele Ideen und Projekte auf die Seite zu ziehen und eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Genauso gilt es, die Plattform fortlaufend zu pflegen sowie sie technisch und konzeptionell weiterzuentwickeln. All dies verlangt personelle und finanzielle Ressourcen, die aber den meisten zivilgesellschaftlichen Plattformbetreiber:innen einfach fehlen. Das Ressourcenproblem ist zentral und lässt sich auch nur durch verbindliche Partnerschaften lösen.

Dennoch heben sich die zivilgesellschaftlichen Plattformbetreiber:innen in ihrem Wirken auf der Prozessebene besonders hervor. Hier ist es vor allem die Ermöglichungskultur, die sie praktizieren. Sie gehen mit einem offenen Verständnis an die Projektideen von Bürger:innen heran und suchen Lösungen und Spielräume statt Probleme und Einschränkungen. Durch ihre Arbeitsweise – spontan agieren, niedrigschwellig arbeiten, Netzwerke bilden – bringen sie die notwendige Streetcredibility mit, um mit den Initiator:innen auf Augenhöhe an den Projektideen zu arbeiten. Es wäre daher lohnenswert, wenn andere Akteure – etwa aus Verwaltung, Politik, Stiftungen oder Unternehmen – ihr Potenzial für das Stadtmachen (an)erkennen und sich auf verbindliche Kooperationen einlassen. Mit Hilfe solcher Partnerschaften können die Plattformen nicht nur ihre Reichweite erhöhen und den Kreis an Nutzer:innen erweitern, sie eröffnen auch neue Finanzierungswege oder eben eine direkte Anbindung an die Stadtverwaltung. Die Initiator:innen wiederum profitieren von einer größeren Reichweite ihrer Projektideen und gegebenenfalls von zusätzlichen Ressourcen, die die Kooperationspartner:innen einbringen, wie etwa Beratung oder eine Kofinanzierung. Und schließlich gewinnen auch die Kooperationspartner:innen, indem sie neue Projektideen für die Stadt ermöglichen, in Austausch mit neuen Akteur:innen treten und mit der Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung ihr Image stärken. Wenn also alle relevanten Akteur:innen ihre jeweiligen Stärken mit einbringen und zusammenarbeiten, können die Plattformen zu hilfreichen Werkzeugen für das Stadtmachen werden und das Ziel einer co-kreativen Stadtentwicklung gelingen.

About the author(s)

Dr. Sophie Naue, Dipl-Ing. Stadtplanung, ist seit 2010 für urbanista abwechselnd als freie Mitarbeiterin und Teil des Kernteams im Bereich Forschung und internationale Projekte tätig. Sie verfügt über mehrjährige Praxis- als auch Lehr- und Forschungserfahrung in Hamburg und Lateinamerika.

Dr. Sophie Naue, Dipl-Ing. Urban Planning, has been working for urbanista since 2010 alternately as a freelancer and as part of the core team in research and international projects. She has several years of practical as well as teaching and research experience in Hamburg and Latin America.

Dr. Lars Wiesemann, Dipl.-Geograph, ist Seniorwissenschaftler beim vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. in Berlin. Er war zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Bonn. Nach seiner Promotion arbeitete er am Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).

Dr. Lars Wiesemann, geographer, is a senior researcher at the vhw – Federal Association for Housing and Urban Development in Berlin. He was a research fellow at the Department of Geography of the University of Bonn. After obtaining his PhD he worked at the Federal Institute for Research on Building, Urban Affairs and Spatial Development (BBSR).

Anna Wildhack, Soziologin M.A., hat neun Jahre lang bei urbanista im Bereich co-kreative Stadtentwicklung gearbeitet. Sie hat diverse Partizipationsprozesse geleitet und u.a. die urbane Crowdfunding-Plattform Stadtmacher initiiert.

Anna Wildhack, sociologist, worked for nine years at urbanista in the field of co-creative urban development. She has led various participation processes and initiated the urban crowdfunding platform Stadtmacher.

References

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