Published 26.04.2023

Urbane Produktion in Deutschland

Ergebnisse einer bundesweiten empirischen Datenanalyse

Urban Production in Germany 

Findings of a Nationwide Empiricial Data Analysis

Keywords: Urbane Produktion; regionale Wirtschaft; Raumtypen; Nutzungsmischung; Stadtentwicklung ; Urban manufacturing; regional economy; mixed use; spatial patterns; urban development

Abstract:

Nach Jahren der Trennung von Wohnen und Arbeiten geriet die Produktion in der Stadt zunehmend aus dem Blickfeld und wurde zum Teil aus den Städten verlagert. Angestoßen durch veränderte Produktionsweisen und neue Leitbilder der Nutzungsmischung wird aktuell über die produktive Stadt diskutiert. Bundesweite Analysen darüber, wie sich Produktion in unterschiedlichen Stadt- und Gemeindetypen darstellt, fehlen bislang. Hier setzt der vorliegende Beitrag an, der eine empirisch messbare Definition urbaner Produktion vorstellt und dazu Daten des Betriebs-Historik-Panels des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) mit Bevölkerungsdaten des Zensus sowie verschiedenen Geodaten verschneidet. Auf dieser Basis erfolgt eine räumlich differenzierte Analyse zum Status quo und zur zeitlichen Entwicklung (2000-2017) urbaner Produktion in Deutschland. Dargestellt werden Informationen zu Betrieben und Beschäftigten sowie deren bundesweite und kleinräumige Entwicklungen.

After decades of separating housing from workplace, production and manufacturing were pushed out of most urban areas. Due to new technologies and architectural possibilities for mixed-use neighborhoods, the Productive City is part of an international discussion on integrated urban development. So far, empirical studies on production and manufacturing in urban and rural areas are missing on a nationwide level. Therefore, a definition of urban production that enables a data driven method is part of the first section of this paper. The analysis is based on georeferenced data on population (based on the German census) and long-time data on employment (2000-2017) from the Institute for Employment Research (IAB). A combination of these two datasets, enables a status-quo and a long-time analysis on development of urban manufacturing in Germany, including different spatial matters.

Die Produktive Stadt als Leitbild der Stadtentwicklung

Städte sind seit jeher Zentren wirtschaftlicher Aktivitäten und werden in ihrer Gestalt und Nutzung in hohem Maße durch die Struktur der regionalen Wirtschaft geprägt. Nach Jahren der Trennung von Wohnen und Arbeiten und vor dem Hintergrund von Globalisierungs- und Tertiärisierungsprozessen geriet die Produktion in der Stadt zunehmend aus dem Blickfeld und wurde vielfach aus den städtischen Quartieren verdrängt (Läpple 2019: 12). Ausgehend von den Herausforderungen unter anderem des Klimawandels und einem neuen Bewusstsein für lokale sowie emissionsärmere Produktionsweisen im Zuge technischer und digitaler Innovationen wird aktuell über die produktive Stadt als Leitbild und Perspektive der Stadtentwicklung diskutiert (BBSR 2021). Die Idee der produktiven Stadt beabsichtigt, inklusive und resiliente Städte durch die Etablierung und Sicherung nutzungsgemischter Strukturen unter Einbeziehung von Produktion zu schaffen. Im Sinne der Neuen-Leipzig Charta ist es das Ziel, die Produktion wieder als integrierten Bestandteil der Stadt zu begreifen und in diesem Zusammenhang die Nutzungsmischung zu fördern (BMI 2020). Dabei gilt es sowohl über die Bestandspflege als auch Neuansiedlung gewerblich materieller Produktion in der Stadt attraktive, innovative und wettbewerbsfähige Lebens- und Wirtschaftsstandorte zu sichern und zu stärken.

Einen wichtigen Bestandteil der produktiven Stadt stellt die urbane Produktion dar. Unter dieser wird die Herstellung und Bearbeitung von materiellen Gütern in dicht besiedelten Gebieten verstanden, die häufig lokale Ressourcen und lokal eingebettete Wertschöpfungsketten nutzt (Brandt et al. 2017). Der nicht einheitlich definierte Begriff der urbanen Produktion wird in dieser Analyse durch drei Kriterien definiert, die sowohl die Art der Produktion (1) als auch die Lage der produzierenden Betriebe (2–3) berücksichtigt: (1) materielles Gewerbe, (2) Bevölkerungsdichte und (3) Nutzungsmischung. Über die beiden Indikatoren Bevölkerungsdichte und Nutzungsmischung wird somit indirekt die Nähe zur Wohnbebauung abgebildet. Urbane Produktion wird im Rahmen dieser bundesweiten Analyse über alle Stadt- und Gemeindetypen betrachtet und schließt somit sowohl Städte als auch ländliche Kreise mit ein.

Eine der bisher wenigen datengestützten Analysen zur urbanen Produktion geht aus der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Dynamik von Betriebsneugründungen in verschiedenen deutschen Metropolregionen hervor. Diese liefert erste Hinweise darauf, dass eine Zunahme urbaner Produktionsstandorte in der jüngeren Vergangenheit in Agglomerationsräumen zu verzeichnen ist, die traditionell weniger industriell geprägt waren wie beispielsweise Berlin und Leipzig (Gornig und Werwatz 2018: 1008). Weitere Studien mit einem räumlichen Fokus zur urbanen Produktion beschränken sich bislang meist auf Fallstudienanalysen einzelner Städte, wie zum Beispiel zu Städten des Ruhrgebietes sowie zu Berlin, Stuttgart und Aachen (SenStadt Berlin 2020; Piegeler und Spars 2019; Gwildis und Werrer 2016).

Mit dem Ziel der Sicherung und Etablierung einer vielfältigen ökonomischen Basis stehen Städte und Gemeinden heute vor der Herausforderung, die Struktur und den Wandel der gewerblich-industriellen Produktion zu analysieren und angemessen zu handeln. Die vorliegende Analyse ist ein Beitrag zu einem besseren Verständnis darüber, wie sich derartige Entwicklungen bundesweit ereignen. Zudem wird im folgenden Beitrag untersucht, ob es räumliche Schwerpunkte urbaner Produktion in Deutschland gibt.

Trends und Treiber urbaner Produktion in Deutschland

Die Diskussion um urbane Produktion geht mit einer Vielzahl von Trends und Treibern der Stadt- und Wirtschaftsentwicklung einher, die im nachfolgenden näher erläutert werden. Die fortschreitende Digitalisierung und der technologische Wandel haben weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft in Deutschland (Franken und Cutmore-Beinlich 2018: 57). Die dadurch veränderten Arbeitsbedingungen und Anforderungen an Unternehmen, insbesondere in der industriellen Fertigung, werden in Deutschland auch im Rahmen des „Industrie 4.0“ Begriffs diskutiert (Stiehm 2017; Gornig und Werwatz 2018). Durch Automatisierung, Robotik, Cyber-physische Systeme (CPS), Big Data und künstliche Intelligenz (KI) hat die Digitalisierung Einfluss auf die Produktionsprozesse und verändert Geschäftsmodelle, Vertriebsstrategien oder Dienstleistungsprozesse. Demzufolge wird ein weiterer Verlust von Arbeitsplätzen in der Produktion angesichts von Produktivitätsgewinnen erwartet. Es eröffnen sich jedoch auch Chancen für die Produktion zum Beispiel durch den Vertrieb von individualisierten Produkten sowie durch dezentrale Produktionsstätten (zum Beispiel in leer fallenden Einzelhandelslagen) (Stiehm 2017). Zudem werden aufgrund des demographischen Wandels und dem damit verbundenen Fachkräftemangel (Adenauer 2015: 16) vermehrt hochqualifizierte Fachkräfte in den produzierenden Betrieben benötigt, weshalb eine Ansiedlung von Produktionsstätten an urbanen Standorten zur Fachkräftesicherung notwendig sein kann (Balducci et al. 2020: 10).

Agglomerations- und Clustereffekte produzierender Betriebe sind ebenfalls wichtige Standortfaktoren (Juraschek et al. 2019: 520). Da die Verfügbarkeit bestimmter Infrastrukturen, von Fachkräften, aber auch von Investitionskapital an Bedeutung gewinnt, wird die räumliche Nähe relevanter. Globale Krisen wie die COVID-19-Pandemie oder der Angriffskrieg auf die Ukraine zeigen zudem die Risikoanfälligkeit der fragmentierten Lieferketten auf, sodass Unternehmen ihren Fokus neben Maßnahmen zur Effizienz vermehrt auf Resilienz legen (Petersen 2020: 7).

Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit wirken sich auf die (Wieder-)Ansiedlung und den Erhalt urbaner Produktion aus. Aufgrund raumordnerischer und klimapolitischer Ziele zur Nachverdichtung und Innenentwicklung steigt der Flächendruck in Städten und Gemeinden. Der vergleichsweise hohe Flächenbedarf des materiellen Gewerbes, insbesondere produzierender Betriebe, steht in Konkurrenz zu anderen Flächennutzungen wie Wohnen, Dienstleistungsgewerbe, soziale Infrastruktur und Freiflächenentwicklung (Meyer und Beckamp 2020: 34). Die Herstellung und Reparatur von Gütern benötigt Flächen zur An- und Ablieferung, Produktion, Lagerung, Versand und gegebenenfalls zum Verkauf vor Ort. Emissionen durch Produktion und Logistik können zu Nutzungskonflikten führen. Aufgrund der zunehmenden Sensibilität gegenüber Produktion und einer starken Regulierung von Emissionen ist die Integration der Produktion in Siedlungsstrukturen mit Herausforderungen verbunden. Gleichzeitig erzeugt dies einen Innovationsdruck und daraus folgenden technologischen Fortschritt, sodass heute wiederum emissionsärmer und deshalb stadtverträglicher produziert werden kann. So wird zum Beispiel Produktion vertikal gestapelt, die An- und Ablieferung eingehaust (Haselsteiner et al. 2023) oder über das Planungsrecht eine feinkörnige Mischung ermöglicht (Schoppengerd 2023). Die dargestellten Trends und Treiber nehmen Einfluss auf Produktions- und Organisationsprozesse sowie auf Geschäftsmodelle im materiellen Gewerbe. Dies stellt die Kommunen vor neue Herausforderungen im langfristigen und strategischen Umgang mit Fragen der produktiven Stadt.

 Fragestellung und Methodik der empirischen Analyse

Anlass für die (geo-)datengestützte Analyse ist das bisherige Fehlen bundesweiter Untersuchungen zum Status quo urbaner Produktion und deren Entwicklung. Die Analyse des vorliegenden Beitrags ist im Rahmen des ExWoSt Projekts „Neue Räume für die produktive Stadt“ (BBSR 2022b) entstanden. Das Betriebs-Historik-Panel (BHP) des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) stellt die Datenbasis dar. Das BHP umfasst aktuell einen Zeitraum von 1975 bis 2019 und enthält eine Reihe an Variablen zu allen Betrieben, „die zum 30. Juni eines Jahres mindestens einen sozialversicherungspflichtigen oder seit 1999 geringfügig Beschäftigten aufweisen“ (Ganzer et al. 2021: 10). Für die Abgrenzung von materiellem Gewerbe und urbaner Produktion ist die räumliche Lage entscheidend. Deshalb liegt der Analyse eine neue, georeferenzierte Version des BHPs zugrunde, die bis einschließlich 2017 für diese Zwecke verwendet wird.

Wirtschaftszweige des materiellen Gewerbes nach Wirtschaftszweigklassifikation des Statistischen Bundesamts von 2008 sind die Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, das Verarbeitende Gewerbe, die Sammlung, Abfallbehandlung und Rückgewinnung von Stoffen, die Instandhaltung und Reparatur von Kraftwagen sowie die Reparatur von Datenverarbeitungsgeräten und Gebrauchsgütern.
Abbildung 1: Wirtschaftszweige des materiellen Gewerbes nach Wirtschaftszweigklassifikation des Statistischen Bundesamts von 2008. Quelle: Eigene Darstellung.

Im Rahmen einer sektoralen Abgrenzung wird zunächst das materielle Gewerbe operationalisiert. Dazu wurden anhand der Wirtschaftszweigklassifikation des Statistischen Bundesamts (2008) jene Wirtschaftszweige zusammengefasst, die als materielles, ver- und bearbeitendes Gewerbe klassifiziert werden können. Hierzu zählen die Bereiche Landwirtschaft, Manufaktur und Reparatur sowie Fabriken bzw. Industrie (siehe Abbildung 1). Unberücksichtigt bleibt das Baugewerbe.

Urbane Produktion wird zum einen über die Art der Produktion, das heißt materielles Gewerbe, und zum anderen über die Lage der Produktion, das heißt über wohnortnahe beziehungsweise dicht besiedelte, nutzungsdurchmischte Standorte definiert. In Folge dessen werden in einem zweiten Schritt, der territorialen Abgrenzung, ebendiese urbanen Standorte operationalisiert.

Die Abgrenzung von urbanen Standorten erfolgt auf der Basis von Bevölkerungsdaten, die als Raster-Daten vorliegen (100m x 100m Raster). Jede dieser Zellen wird auf die Bevölkerungsdichte im Umfeld überprüft. Dazu wird ein 500m Radius um jede Zelle gelegt und die dortige Bevölkerungsdichte ermittelt. In Abhängigkeit zu den Stadt- und Gemeindetypen wurden in einem iterativen Prozess drei verschiedene Schwellenwerte für 1) Großstädte über 100.000 Einwohner:innen (Schwellenwert: 1.800 Einwohner:innen), 2) Mittelstädte mit einer Einwohnerzahl von 20.000 und bis unter 100.000 (Schwellenwert: 500 Einwohner:innen) sowie 3) Kleinstädte unter 20.000 Einwohner:innen (Schwellenwert: 200 Einwohner:innen) ermittelt. Rasterzellen, in denen die Bevölkerungsdichte im 500m Radius über diesem Schwellenwert liegt, werden in dieser Analyse als urban definiert. Im Ergebnis entfallen von den bundesweit insgesamt knapp 20 Millionen 100m x 100m Rasterzellen 23 Prozent auf urbane Standorte (Abbildung 2, linke Karte).

Darüber hinaus wurde die Nutzungsmischung mit Hilfe des Basis-Landschaftsmodells (Basis-DLM, Stand 07/2021) für Großstädte berechnet, sodass die dortigen, teils sehr großräumigen Innenstädte trotz gegebenenfalls geringer Wohnbevölkerung in die Betrachtung aufgenommen werden.

Urbane Produktion umfasst also entsprechend der sektoralen Abgrenzung ausgewählte Wirtschaftszweige des materiellen Gewerbes und befindet sich entsprechend der territorialen Abgrenzung an Standorten mit einer, im Verhältnis zur jeweiligen Größenklasse der Städte, hohen Bevölkerungsdichte sowie Nutzungsmischung (Abbildung 2, rechte Karte).

Die Definition von urban über alle Raumtypen hinweg mag vor allem bei Kleinstädten und ländlichen Kreisen verwundern. Da Nutzungsmischung und die räumliche Nähe von Produktion und Wohnen in allen Raumtypen von Belang und hier von zentralem Interesse sind, wird der Begriff urban in dieser bundesweiten Analyse einheitlich über alle Raumtypen hinweg verwendet. 

Die adressscharfen Standortdaten des BHP wurden anschließend entsprechend der sektoralen (Betriebsstandorte der oben genannten Wirtschaftszweige) und der territorialen Abgrenzung zugeschnitten. Die Auswertung erfolgt datenschutzbedingt für die Stadt- und Gemeindeebene und nicht mehr auf Ebene der Rasterzellen. Urbane Produktion schließt demnach beispielsweise interkommunale Gewerbegebiete an Autobahnen aus, in denen Betriebe des materiellen Gewerbes (sektorale Abgrenzung) ihren Standort haben können, diese jedoch meist zu weit entfernt von Wohnbebauung und damit Bevölkerung liegen (territoriale Abgrenzung). Auch Betriebe eines großen Gewerbegebiets am Standrand werden ausgeschlossen, während Betriebe eines Gewerbegebiets, welches direkt an ein Misch- oder Wohngebiet grenzt, erfasst werden können. Die Ergebnisse wurden final einer Plausibilitäts- sowie einer Datenschutzprüfung unterzogen. Bei der Datenauswertung ist zu beachten, dass es gerade bei Großbetrieben gegebenenfalls zu einer geringfügigen Verzerrung der Werte kommen kann, da nicht das komplette Betriebsgelände als Betriebsstandort abgebildet wird, sondern lediglich pro Betrieb eine Adresse im Datensatz des BHP als Punkt erfasst ist.

In der Deutschlandkarte links werden die urbanen Standorte nach der territorialen Abgrenzung dargestellt. Die rechte Deutschlandkarte filtert diese urbanen Standorte nun mittels der sektoralen Abgrenzung der Wirtschaftszweige zur Klassifikation des materiellen Gewerbes und zeigt die Rasterzellen, in denen Betriebe urbaner Produktion vorhanden sind.
Abbildung 2: Territoriale und sektorale Abgrenzung in der empirischen Analyse der urbanen Produktion. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).

Charakteristik der urbanen Produktion in Deutschland

Im folgenden Analyseschritt werden der Status quo und die Entwicklung der Beschäftigten und der Betriebe urbaner Produktion und zum Vergleich des materiellen Gewerbes sowie allen Beschäftigten und Betrieben in Deutschland dargestellt. Anschließend erfolgt eine räumlich differenzierte Betrachtung der Ergebnisse auf Basis von Kreistypen.

Beschäftigte der urbanen Produktion in Deutschland

Etwa jede/r fünfte Beschäftige in Deutschland ist im materiellen Gewerbe tätig (Stand: 2017). Dies entspricht ca. 8,1 Millionen Beschäftigten. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) davon sind an urbanen Standorten tätig, das heißt die Herstellung der Waren findet in der Nähe zu Wohnbevölkerung statt. Mit ca. 4,7 Millionen Beschäftigten ist die urbane Produktion in Deutschland somit wirtschaftlich, aber auch stadtentwicklungspolitisch betrachtet von hoher Relevanz (Tabelle 1).

Die Tabelle zeigt die Zahl der Beschäftigten in der urbanen Produktion, dem materiellen Gewerbe und in allen Wirtschaftszweigen Deutschlands in den Jahren 2000 und 2017 sowie deren Veränderung in Prozent. Die urbane Produktion verlor demnach 12 Prozent, das materielle Gewerbe 1 Prozent, während die Zahl der Beschäftigten aller Wirtschaftszweige um 18 Prozent stieg.
Tabelle 1: Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der urbanen Produktion, im materiellen Gewerbe und in allen Wirtschaftszweigen in Deutschland (gerundet). Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).

Während der fachöffentliche Diskurs hinsichtlich der Entwicklung neuer urbaner Produktionsstandorte in Deutschland in den letzten Jahren einen Bedeutungszuwachs erfahren hat, geben die Daten dies nur bedingt wieder. Im Vergleich zum Jahr 2000 sank die Anzahl der Beschäftigten in der urbanen Produktion um zwölf Prozent. Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der Beschäftigung im materiellen Gewerbe und urbaner Produktion. Im Betrachtungszeitraum lag in beiden Fällen der Beschäftigungstiefstand im Jahr 2010. Seit 2010 steigt die Anzahl der Beschäftigten im Kontext der verbesserten konjunkturellen Lage kontinuierlich wieder an (+7 Prozent im materiellen Gewerbe, +2 Prozent bei urbaner Produktion, +11 Prozent bei den Beschäftigten aller Wirtschaftszweige). Das Ausgangsniveau aus dem Jahr 2000 wird bis 2017 jedoch nicht wieder erreicht. Die Beschäftigungsentwicklung in der urbanen Produktion kann vom konjunkturellen Aufschwung somit weniger stark profitieren als die der Produktion insgesamt (materielles Gewerbe) oder die der bundesweiten Beschäftigungsentwicklung aller Wirtschaftszweige (+18 Prozent) (siehe Tabelle1).

Die Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten im materiellen Gewerbe vom Jahr 2000 bis 2017 nimmt bis 2006 leicht ab und steigt bis 2008 wieder leicht an, fällt dann auf einen Tiefstand im Jahr 2010 und steigt wieder leicht bis 2017, bleibt aber leicht unter dem Wert von 2000. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich beim Verlauf der Linie urbaner Produktion ab. Jedoch schrumpft die Zahl deutlicher.
Abbildung 3: Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten im materiellen Gewerbe und in der urbanen Produktion im Zeitraum 2000 bis 2017 in Deutschland. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).
Der Anteil der Beschäftigten in der urbanen Produktion an den Beschäftigten im materiellen Gewerbe im Jahr 2017 ist räumlich ausdifferenziert, wobei insbesondere im Südwesten hohe und im Nordosten eher niedrige Anteile zu verzeichnen sind.
Abbildung 4: Anteil der Beschäftigten in der urbanen Produktion an den Beschäftigten im materiellen Gewerbe (2017). Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).

Aufgrund der unterschiedlichen Wirtschafts- und Branchenstruktur in Deutschland verlaufen die dargestellten Prozesse regional unterschiedlich. Im Folgenden wird daher eine kleinräumige Betrachtung der urbanen Produktion in Deutschland vorgenommen und der Frage nachgegangen, welchen Anteil die Beschäftigung in der urbanen Produktion auf Kreisebene an der Beschäftigung des materiellen Gewerbes insgesamt hat (Abbildung 4).

Urbane Produktion ist in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und dem Saarland in den Landkreisen um die Großstädte stark ausgeprägt. Möglicherweise können die regionalen Unterschiede darauf zurückzuführen sein, dass gerade in den wirtschaftsstarken Verdichtungsräumen Produktionsstandorte aufgrund der Flächenknappheit in Verbindung mit vergleichsweise hohen Boden- und Immobilienpreisen eher am Stadtrand und in peripher gelegenen Gewerbegebieten und umliegenden Kreisen zu finden sind. In Großstädten haben somit peripher gelegene Standorte hinsichtlich der Beschäftigung eine höhere Bedeutung für den lokalen Wirtschaftsstandort. Im bundesweiten Vergleich finden sich Standorte urbaner Produktion zudem eher in den dichter besiedelten Kreisen Süd- und Westdeutschlands. Die geringen Werte in weiten Teilen Ostdeutschlands könnten historisch mit den ehemaligen volkseigenen Großbetrieben begründet sein, die eher außerhalb der dicht bebauten Siedlungsstrukturen angesiedelt waren.

Betriebe der urbanen Produktion in Deutschland

Das Betriebspanel des IAB umfasst circa 3 Millionen Betriebe in Deutschland, von denen 2017 circa 218.000 zu den urban produzierenden Betrieben zählen (siehe Tabelle 2). Der Anteil der Betriebe urbaner Produktion an denen des materiellen Gewerbes beträgt etwa zwei Drittel (65 Prozent) und liegt damit höher als der Anteil der Beschäftigten urbaner Produktion an allen Beschäftigten im materiellen Gewerbe (58 Prozent). 

Die Tabelle zeigt die Zahl der Betriebe in der urbanen Produktion, dem materiellen Gewerbe und in allen Wirtschaftszweigen Deutschlands in den Jahren 2000 und 2017 sowie deren Veränderung in Prozent. Die urbane Produktion verlor demnach 17 Prozent, das materielle Gewerbe 7 Prozent, während die Zahl der Betriebe aller Wirtschaftszweige in Deutschland um 21 Prozent stieg.
Tabelle 2: Entwicklung der Anzahl der Betriebe in der urbanen Produktion, im materiellen Gewerbe und in allen Wirtschaftszweigen in Deutschland (gerundet). Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).

Der Rückgang der Betriebe urbaner Produktion ist im Betrachtungszeitraum deutlich stärker ausgeprägt (-17 Prozent) als der Rückgang der produzierenden Betriebe des materiellen Gewerbes (-7 Prozent) und somit insbesondere gegenläufig zum bundesweiten Anstieg aller Betriebe (+21 Prozent) (Tabelle 2). Zudem sinkt im Gegensatz zur Entwicklung der Beschäftigten die Anzahl der Betriebe kontinuierlich über den gesamten Zeitverlauf. Ein etwas stärkerer Rückgang ist zu Beginn des Betrachtungszeitraumes (2000–2003) zu erkennen (Abbildung 5).

Die Entwicklung der Anzahl der Betriebe im materiellen Gewerbe vom Jahr 2000 bis 2017 nimmt bis 2003 leicht ab und steigt bis 2008 wieder leicht an und hält sich bis 2014 auf diesem Niveau, verzeichnet dann allerdings bis 2017 einen erneuten Rückgang. Die Entwicklung der Betriebe der urbanen Produktion verzeichnet von 2000 bis 2017 einen kontinuierlichen Rückgang.
Abbildung 5: Entwicklung der Anzahl der Betriebe im materiellen Gewerbe und in der urbanen Produktion im Zeitraum 2000 bis 2017 in Deutschland. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).

Bei der Betrachtung des Anteils der urban produzierenden Betriebe an allen Betrieben des materiellen Gewerbes auf Kreisebene zeigen sich deutlichere regionale Schwerpunkte als bei den Beschäftigten (Abbildung 6). Diese liegen im südwestlichen Teil Deutschlands (Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) sowie in Hessen, in Teilen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens. Insbesondere in Norddeutschland ist der Anteil der urban produzierenden Betriebe an allen Betrieben des materiellen Gewerbes mit unter 50 Prozent vergleichsweise gering. Das deutet darauf hin, dass es in diesen Regionen eher nicht integrierte Gewerbegebiete am Stadtrand oder weniger urbane Standorte gibt.

Der Anteil der Betriebe der urbanen Produktion an den Betrieben des materiellen Gewerbes im Jahr 2017 zeigt einen starken Nord-Süd-Kontrast, wobei im Süden deutlich höhere Anteile zu verzeichnen sind. Zu erkennen ist ebenfalls ein Unterschied zwischen dem Osten und den Westen Deutschland, wobei insbesondere Hessen und Rheinland-Pfalz besonders hohe Anteile aufweisen.
Abbildung 6: Anteil der Betriebe der urbanen Produktion an den Betrieben des materiellen Gewerbes (2017). Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP.
Die zeitliche Entwicklung des Anteils der Betriebe sowie der Beschäftigten der urbanen Produktion weist von 2000 bis 2017 einen kontinuierlichen Rückgang von etwa 0,7 % pro Jahr auf. Der Anteil der Betriebe der urbanen Produktion am materiellen Gewerbe ist insgesamt höher.
Abbildung 7: Entwicklung des Anteils der Betriebe und der Beschäftigten der urbanen Produktion am materiellen Gewerbe im Zeitraum 2000 bis 2017 in Deutschland in Prozent. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).

Der Anteil der urbanen Produktion am materiellen Gewerbe insgesamt sank im betrachteten Zeitverlauf (2000–2017) sowohl bei den Betrieben als auch bei den Beschäftigten kontinuierlich (je 7 Prozentpunkte, Abbildung 7). 

Räumliche Muster urbaner Produktion in Kreistypen Deutschlands

Urbane Produktion wird bislang überwiegend für Großstädte und Metropolregionen diskutiert. Daher werden nachfolgend städtische und ländliche Kreistypen des BBSR (2022a) miteinander verglichen. Zu berücksichtigen sind dabei die unterschiedlichen Schwellenwerte von urban entsprechend des jeweiligen Kreistypen (siehe territoriale Abgrenzung in Kapitel 3).

Mit rund 2,3 Millionen Beschäftigten in 2017 ist urbane Produktion in städtischen Kreisen besonders relevant. 48 Prozent der Beschäftigten urbaner Produktion arbeiten in städtischen Kreisen, während dort lediglich 36 Prozent aller Beschäftigten tätig sind. Kreisfreie Großstädte und ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen liegen im gleichen Jahr mit circa 847.000 beziehungsweise 912.000 Beschäftigten in der urbanen Produktion auf ähnlichem Niveau, während die dünn besiedelten ländlichen Kreise mit circa 657.000 Beschäftigten absolut betrachtet vergleichsweise wenige sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der urbanen Produktion aufweisen (Tabelle 3). 

Gemessen an allen Beschäftigten des materiellen Gewerbes findet in Großstädten etwa die Hälfte der Produktion an urbanen Standorten statt. Dies ist der niedrigste Werte der vier Kreistypen. In allen Kreistypen hat der Anteil der urbanen Produktion am materiellen Gewerbe insgesamt im betrachtetet Zeitraum abgenommen, in den Großstädten am stärksten. Eine gestiegene quantitativ messbare Relevanz urbaner Produktion als ökonomische Basis der Beschäftigungsstruktur in Kommunen lässt sich somit mit den vorliegenden Daten für den Betrachtungszeitraum nicht bestätigen.

Die Analyse der urban produzierenden Betriebe zeigt für alle vier Kreistypen rückläufige Entwicklungen, die in relativen Anteilen betrachtet vor allem in den Großstädten deutlich stärker ausfallen als in den anderen drei Kreistypen (Tabelle 3). Absolut verzeichnen städtische Kreise die höchsten Rückgänge. 

Zu beachten ist, dass die Anzahl der Betriebe im materiellen Gewerbe in Großstädten im Vergleich zu den Betrieben aller Wirtschaftszweige eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. Dieser geringere Anteil der Betriebe ist jedoch in Großstädten häufiger an urbanen Standorten zu finden als in den beiden ländlichen Kreistypen. In allen Kreistypen kam es auch zu einem Rückgang der Anzahl der Betriebe des materiellen Gewerbes, der jedoch durchweg geringer ausfiel, als der Rückgang der Betriebe der urbanen Produktion. 

Bei den Beschäftigten zeigt sich eine andere und differenzierte Entwicklung: In Großstädten sinkt die Anzahl der Beschäftigten urbaner Produktion stärker als im materiellen Gewerbe, in städtischen Kreisen sinkt die Anzahl der Beschäftigten im materiellen Gewerbe leicht. Die beiden ländlichen Kreistypen verzeichnen Zuwächse bei den Beschäftigten im materiellen Gewerbe (Tabelle 3).

Die Tabelle zeigt eine Aufschlüsselung der Beschäftigten und Betriebe in Deutschland in der urbanen Produktion und dem materiellen Gewerbe nach Jahr, kreisfreier Großstadt, städtischem Kreis, ländlichem Kreis mit Verdichtungsansätzen und dünn besiedelten Kreisen.
Tabelle 3: Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten und Betriebe in der urbanen Produktion, im materiellen Gewerbe und in allen Wirtschaftszweigen in Deutschland nach siedlungsstrukturellen Kreistypen (gerundet). Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB (2021).

In Großstädten entfallen 13 Prozent der Beschäftigten auf das materielle Gewerbe, in den drei anderen Kreistypen waren dies in 2017 zwischen 26 und 27 Prozent. Bei den Betrieben sind die Unterschiede noch deutlicher. In Großstädten sind nur sechs Prozent aller Betriebe, Betriebe des materiellen Gewerbes, in den anderen Kreistypen zwölf bis 15 Prozent. Zwar sind bundesweit seit 2010 absolut wieder steigende Beschäftigungszahlen in der urbanen Produktion zu verzeichnen (siehe Abbildung 8), jedoch profitieren Großstädte von diesem Aufwärtstrend weniger als andere Kreistypen. Im Verhältnis zu den steigenden Beschäftigungszahlen in den anderen Wirtschaftszweigen nimmt der Anteil der Beschäftigten im materiellen Gewerbe an allen Beschäftigten jedoch in allen Kreistypen seit 2000 kontinuierlich weiter ab.

Abbildung 8 zeigt, dass vor allem kreisfreie Großstädte zwischen 2000 bis 2010 einen kontinuierlichen Rückgang an Beschäftigten verzeichnen. Nach einem kleinen Anstieg 2011 setzte sich der vorangegangene Trend bis 2017 fort. Insgesamt ist dort ein Rückgang von einem Viertel der Beschäftigten zu verzeichnen.

Ein leichter Aufwärtstrend in der Anzahl der Beschäftigten kann in städtischen Kreisen und ländlichen Kreisen mit Verdichtungsansätzen ab circa 2010 festgestellt werden, jedoch werden auch hier die Zahlen von 2000 nicht mehr erreicht. Die Anzahl der Betriebe nimmt in allen Kreistypen ab, jedoch deutlich stärker in den kreisfreien Großstädten – im Zeitraum ebenfalls etwa ein Viertel aller Betriebe. Eine mögliche Erklärung kann darin liegen, dass Betriebe vor allem in den kreisfreien Großstädten aufgrund von Flächenkonkurrenzen und Nutzungskonflikten, verdrängt oder verlagert wurden und kaum neue produzierende Betriebe in nutzungsgemischten Strukturen entstanden sind (Abbildung 8 und Tabelle 3). 

Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten der urbanen Produktion nach Kreistypen vom Jahr 2000 bis 2017 verläuft konjunkturell. Alle Kreistypen haben gemeinsam, dass die Anzahl der Beschäftigten in der urbanen Produktion zunächst bis zum Jahr 2006 stark abfällt, dann wieder leicht steigt. Vom Jahr 2008 bis 2010 ist ein erneuter Rückgang zu verzeichnen. Anschließend stagnieren die Zahlen. Die Anzahl der Betriebe der urbanen Produktion sinkt vom Jahr 2000 bis 2017 kontinuierlich in allen Kreistypen. Die kreisfreien Großstädte verzeichnen jedoch den stärksten Rückgang.
Abbildung 8: Entwicklung der Anzahl der Betriebe und der Beschäftigten der urbanen Produktion nach Kreistypen im Zeitraum 2000 bis 2017 in Deutschland (indexiert, Basisjahr 2000=100). Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: infas360 GmbH (2016), GEObasis.nrw (2021), BHP des IAB(2021).

Urbane Produktion fördern und sichern

In dieser Analyse konnte erstmals der Status quo und die Entwicklung urbaner Produktion deutschlandweit gemessen und dargestellt werden. Es wird deutlich, dass aus stadtentwicklungspolitischer Sicht beide betrachteten Indikatoren – Betriebe und Beschäftigte – bedeutend sind. Betriebe können identitätsstiftend und aus fiskalischer Sicht (Unternehmenssteuer) relevant sein. Die Beschäftigtenzahlen spielen für den lokalen und regionalen Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle. Insbesondere Arbeitsplätze im materiellen Gewerbe, das heißt, in Produktion, Industrie, Handwerk und Landwirtschaft erweitern oftmals Erwerbsmöglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterschiedlicher sozioökonomischer Kontexte. Somit erfüllen sie auch eine wichtige soziale und darüber hinaus eine fiskalische Funktion (Einkommensteuer). Beide Faktoren sollten sowohl bei der analytischen als auch der (kommunal-)politischen und stadtplanerischen Debatte mitbeachtet werden.

Die Gegenüberstellung von urbaner Produktion in Großstädten und anderen Kreistypen zeigt, dass urbane Produktion in allen betrachteten Kreistypen eine Rolle spielt und zur nutzungsgemischten Stadt(-region) beiträgt. Aus dem Rückgang urbaner Produktion lässt sich jedoch eine politisch-planerische Relevanz zur Stärkung und Aufrechthaltung einer diversen Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur ableiten, die sich in besonderer Weise für Großstädte, aber auch für alle anderen siedlungsstrukturellen Kreistypen ergibt. Kommunen müssen sich über die Entwicklung der Produktion und schwindende Flächen für emittierendes Gewerbe in der Stadt bewusst sein. Um dem Verlust an Flächen entgegenzuwirken, bedarf es der Erarbeitung stadtentwicklungspolitischer Strategien und Konzepte, die Leitziele zum Erhalt von Flächen für Produktion und Handwerk festhalten. Bei deren Erstellung sind sowohl Wirtschaftsförderung und Stadtplanungsämter als auch Bauordnung oder Umweltamt mit einzubeziehen. Zudem sollte die Politik frühzeitig eingebunden werden, um Konzepte zu legitimieren und vorhandene Instrumente zu deren Umsetzung zu nutzen (zum Beispiel Aufstellung von Bebauungsplänen, Vorkaufsrechtssatzungen, Aktivierung von Eigentümer:innen).

Sind Gewerbe- und Industrieflächen einmal in Wohn- oder für höherwertige Nutzungen umgewidmet oder umgenutzt, lassen sich diese nur selten wieder für Produktion und Handwerk nutzen. Im Sinne des Leitbilds der produktiven Stadt und einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur sollte das Ziel sein, bestehende Flächen und Gebäude in nutzungsgemischten Strukturen für Handwerk und Produktion zu sichern und auszubauen. Die aktuellen Prozesse der Digitalisierung, des technologischen Wandels oder der ökologischen Nachhaltigkeit lassen die Umsetzung nutzungsgemischter Strukturen leichter erscheinen. Dies gilt nicht nur für Großstädte, sondern auch für kleinere und mittlere Kommunen mit Mut zur Mischung.

About the author(s)

Udo Brixy, PD Dr., Institute for Employment Research.
Stefan Gärtner, PD and Dr., Institute for Work and Technology.
Kerstin Meyer, Institute for Work and Technology.
Marvin Guth, Bochum University of Applied Sciences.
Katharina Hackenberg, Dr., Federal Institute for Research on Building, Urban Affairs and Spatial Development.
Andrea Jonas, Dr., Federal Institute for Research on Building, Urban Affairs and Spatial Development.

References

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