Published 2.07.2025
Planungskultur versus Qualität?
Wie Denkmuster und Handlungsroutinen der Verwaltung unsere Mobilitätsräume prägen
Planning Culture Versus Quality?
How Patterns of Thought and Administrative Routines Shape Our Mobility Spaces
Keywords: Planungskultur; Mobilitätswende; Transformation; öffentlicher Raum; Gestaltung; planning culture; mobility transition; transformation; public space; design
Abstract:
Um unsere öffentlichen Freiräume für die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu wappnen, müssen autozentrierte Verkehrsflächen zu qualitätsvollen grünen Räumen werden, die eine veränderte Nutzung hin zu aktiver und kollektiver Mobilität sowie dem Verweilen fördern. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, bedarf es neuer interdisziplinärer Konzepte der Neuorganisation und Gestaltung, bei deren Umsetzung unterschiedliche Akteur:innen aus Planung, Verwaltung und Politik sowie Nutzer:innen beteiligt sind. Entsprechende Vorhaben durchlaufen aber häufig schmerzhafte Prozesse der Planung, in deren Verlauf die Qualität des realisierten Projekts abnimmt. Um die Gründe dafür zu verstehen, untersucht dieser Beitrag anhand einer Case Study in Graz, Österreich, den Einfluss der Planungskultur der Verwaltung auf die Qualität der Umsetzung mobilitätsräumlicher Umbauprojekte und identifiziert Maßnahmen, um einem Qualitätsverlust im Planungsprozess vorzubeugen.
In order to prepare our public spaces for the ecological challenges of our time, car centric traffic areas have to be transformed into high-quality green spaces that promote a change in use towards active and collective mobility and offer a high quality of stay. To achieve this goal, interdisciplinary concepts of reorganization and design are required, in the implementation of which different actors from planning, administration and politics as well as users are involved. However, such projects often go through painful planning processes during which the quality of the realized project is reduced. In order to understand the reasons for this, this article uses a case study in Graz, Austria, to examine the influence of the planning culture of the administration on the quality of the implementation of mobility space conversion projects and identifies measures to prevent a loss of quality in the planning process.
Warum brauchen wir qualitätsvollen Umbau?
Die Notwendigkeit des Umbaus unserer Gebäude und Freiräume ist spätestens seit dem Bekenntnis zur Bekämpfung der Klimakrise nicht mehr zu leugnen. Der Umbau öffentlicher Räume – und ganz besonders unsere Mobilitätsräume – birgt die Chance durch eine Neuorganisation und -gestaltung neben den bekannten positiven Auswirkungen auf die Gesundheit und Zufriedenheit der Anwohner:innen und Nutzer:innen auch dazu einen entscheidenden Beitrag zu leisten (Bendiks und Degros 2019).
Dies gilt in besonderem Maße für Mobilitätsräume, die erstens mithilfe technischer Lösungen in Kombination mit überlegter Gestaltung zur Resilienz unserer Städte beitragen – etwa verringert zusätzliche Begrünung Hitzeinseleffekte (Oláh 2012), mildern versickerungsfähige Böden die Gefahren durch Starkregenereignisse (Kron et al. 2019) und ermöglichen Schwammstadt-Elemente eine effiziente Regenwassernutzung (Arbeitskreis Schwammstadt 2024). Zweitens beeinflusst die Gestaltung von Mobilitätsräumen deren Nutzung und hat damit einen direkten Einfluss auf das Mobilitätsverhalten (Blitz und Lanzendorf 2020; Papagiannakis und Vitopoulou 2015; Banister 2007).
Für Mobilitätsräume gilt also: Autozentrierte Verkehrsflächen müssen zu qualitätsvollen grünen Räumen und attraktiv für aktive und kollektive Mobilität sowie das Verweilen werden, um den ökologischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, etwas entgegenzusetzen.
Wie kann der Umbau gelingen?
Prozesse, die diesen Umbau von öffentlichen (Mobilitäts-)Räumen ermöglichen, sind komplex und verlangen die Beteiligung einer großen Zahl von Akteur:innen, um der Vielschichtigkeit ihrer gesellschaftlichen und ökologischen Relevanz gerecht zu werden (Stefan et al. 2023; Armengaud et al. 2023). Dazu gehören in der Regel jedenfalls Planer:innen aus den Fachgebieten Städtebau, Verkehrsplanung und Landschaftsplanung, politische Akteur:innen, unterschiedliche Abteilungen der Gemeinde-/ Stadtverwaltung sowie (im Idealfall) auch Expert:innen für Beteiligungsprozesse, Anrainer:innen, lokale Interessensgemeinschaften und Vertreter:innen der lokalen Wirtschaft.
Der Erfolg von Umbauprojekten öffentlicher (Mobilitäts-)Räume beziehungsweise deren Qualität kann unterschiedlich gemessen werden. Ihre ökologische (grüne) Qualität wird etwa durch Mikroklimaanalysen sichtbar. Verkehrliche Effekte wie die Steigerung von aktiver und kollektiver Mobilität und Veränderungen der Verweil- beziehungsweise Aufenthaltsqualität werden vor allem bei der Betrachtung der Nutzung der Räume deutlich. Sie können durch Nutzungskartierungen, Verkehrszählungen und Befragungen erhoben werden. Lange Planungshorizonte machen eben diese räumlichen Ergebnisse aber erst spät im Prozess erleb- und damit evaluierbar. Das ist häufig zu spät, um flexibel Anpassungen im Entwurf vorzunehmen und auf auftauchende Veränderungen der Rahmenbedingungen zu reagieren.
Eine etablierte Strategie, um Planungsprozesse flexibler und damit erfolgreicher zu machen, ist ein temporäres Erproben des Vorhabens in sogenannten Reallaboren. Dabei werden durch temporäre und oft provisorische Interventionen, Gestaltungsvorhaben und räumliche Neuorganisationen über einen bestimmten Zeitraum getestet. Die Evaluierung einer solchen temporären Erprobung ermöglicht die frühzeitige Abschätzung möglicher Langzeitauswirkungen und unterstützt die Planung der permanenten und meist kostenintensiveren Umgestaltung (Lewis 2009; Lydon 2016). Darüber hinaus sollen temporäre Installationen dazu beitragen, das Bewusstsein für Probleme und alternative Lösungsansätze bei Politik, Verwaltung und Bürger:innen zu erhöhen (Reallabor für Nachhaltige Mobilitätskultur 2018).
Doch auch mit der Integration von Reallaboren bleiben die Prozesse aufgrund ihrer Komplexität und Langwierigkeit unübersichtlich (Wolfram et. al 2019). Nach der Evaluierung des Erfolgs oder Misserfolgs ist es häufig schwer nachvollziehbar, was zu diesem Ergebnis geführt hat. Es bleibt die Frage, welche Akteur:innen und Faktoren welchen Einfluss auf die Qualität der Umsetzung hatten.
Ein Teil dieser Thematik ist die Frage nach dem Einfluss der Planungskultur auf die Qualität der Umsetzung. Sie beeinflusst als „die zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort vorherrschenden Denk- und Handlungsmuster von Planerinnen und Planern sowie Handlungsroutinen von Planungsinstitutionen“ (ARL 2018: 1735) immerhin sämtliche Entscheidungen und Entscheidungsprozesse (Reimer 2016). Außerdem umfassen Planungskulturen „informelle Normen und Werte (Gewohnheiten, Traditionen, Bräuche, Wahrnehmungen etc.) sowie formelle Regeln und Verfahren (gesetzlicher Rahmen, Rechtsprechung etc.), die als Resultat und Manifestation der gesellschaftlichen Traditionen, Wertvorstellungen et cetera zu sehen sind“ (ARL 2018: 1735).
Eine Veränderung der Planungskultur stellt also einen notwendigen Schritt hin zu einer nachhaltigen Veränderung in Planungsabläufen dar. Damit wird die Planungskultur zu einem der Schlüsselfaktoren für nachhaltige Mobilitätsveränderungen.
(Bardal et al. 2020)
Die Planungskultur der Verwaltung als Entscheidungsträgerin ist dabei von besonderem Interesse. Als projektleitende Instanz städtebaulicher Veränderungsprozesse ist die Verwaltung in der Position, entscheiden zu müssen, wer an den Projekten arbeitet, welche Vorschläge und Vorbehalte gehört werden, wann Ideen verworfen und wann Alternativlösungen gesucht werden et cetera. Angesichts der Entscheidungsgewalt, die die Verwaltung bei Umbauprojekten in öffentlichen Räumen innehat, ist ihr Einfluss – und der ihrer Planungskultur – auf die entsprechenden Planungsprozesse ausschlaggebend.
Wie finden wir den Einfluss der Planungskultur?
Dem Vorbild vorangegangener Studien zum Thema der Planungskultur im deutschsprachigen Raum folgend (Helmholz 2023; Klammer 2022; Sondermann 2016), wird hier die Case Study der Grazer Kaiserfeldgasse analysiert. Um besser zu verstehen, wie die Planungskultur der Verwaltung die Planungsprozesse beeinflusst und sich einer Übertragbarkeit der Ergebnisse anzunähern, werden die Entwicklung der Akteurskonstellation und die Verteilung von Entscheidungsgewalten sowie die daraus ablesbaren Handlungsroutinen und Denkmuster untersucht und den Veränderungen des gestalterischen Entwurfs gegenübergestellt. Dies geschieht durch eine Inhaltsanalyse von Protokollen und Planungen sowie Aufzeichnungen des Evaluierungsteams (im so genannten Logbuch) und Expert:inneninterviews mit Beteiligten aus dem Planer:innen- und dem Evaluierungsteam. Anschließend werden mithilfe des Healthy Streets Index Design Checks (von Lucy Saunders) die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die Qualität der Gestaltung untersucht.
Der Healthy Streets Index (von Lucy Saunders) bietet eine international etablierte Möglichkeit sich einer Beurteilung der Gestaltung von Straßenräumen anzunähern. Er beschreibt zehn Indikatoren, die eine gesunde also attraktive und für aktive Mobilität gut nutzbare Straße auszeichnen. Diese Indikatoren zielen darauf ab, die Empfindungen der Nutzer:innen eines Raumes vergleichbar festzuhalten – dazu gehören zum Beispiel Sicherheitsgefühl, empfundene Lärmbelastung und Aufenthaltsqualität. Neben der Möglichkeit einer qualitativen Bewertung einer Straße auf Basis der individuellen Empfindung einzelner Nutzer:innen, stellt Healthy Streets unter anderem auch das Tool Design Check zur Verfügung. Der Design Check fragt messbare Daten ab und legt diese auf die zehn Indikatoren um, sodass ein Vergleich unterschiedlicher Räume oder Entwürfe möglich wird (Healthy Streets Ltd. o. J.). Derzeit ist noch kein Design Check Tool für Länder des deutschsprachigen Raums verfügbar. In der im Folgenden beschriebenen Analyse der Kaiserfeldgasse wurde deshalb der Design Check für Großbritannien angewendet.
Was lernen wir aus der Kaiserfeldgasse?
Das Pilotprojekt Umbau der Kaiserfeldgasse ist Teil des Umgestaltungsprojektes im sogenannten Neutorviertel in Graz. Die Baustellensituation im Zuge des Straßenbahnneubaus und die damit verbundene Sperrung der Neutorgasse machte die angrenzende Kaiserfeldgasse vorübergehend zur Sackgasse. Das Pilotprojekt nutzte diesen Moment, um in einem Reallabor mit Beteiligungsprozess eine zeitlich begrenzte Umgestaltung zu erproben – das Wohnzimmer Kaiserfeld von August 2023 bis Juni 2024.
Im Sommer 2024 wurde die Kaiserfeldgasse abermals umgestaltet, diesmal zu einer temporären Begegnungszone. Ab dem Frühjahr 2025 beginnt stufenweise der Umbau zur permanent gestalteten Begegnungszone (Stadt Graz 2024). Die nachfolgend beschriebene Untersuchung beschäftigt sich mit dem Zeitraum Mai 2023 bis Juni 2024, in dem sich die Planung und Umsetzung der ersten Umgestaltung im Rahmen des Reallabors verorten lässt. Dieser aus verwaltungstechnischer Sicht doch sehr kurze Planungszeitraum, erforderte schnelle Entscheidungen seitens der Verwaltung, wodurch Handlungsroutinen und Denkmuster im Prozess potenziell deutlicher zutage traten.
Innerhalb der Stadtverwaltung wurde die Abteilung für Verkehrsplanung mit der Projektleitung der Umgestaltung der Gasse im Reallabor betraut. Beteiligt waren von Seiten der Stadt außerdem das Straßenamt (zuständig für die rechtliche und technische Abwicklung von Projekten im Straßenraum), das Stadtplanungsamt (Referat Gestaltung Öffentlicher Raum), die Stadtbaudirektion (Abteilung Stadtteilmanagement), die Abteilung Grünraum und Gewässer sowie Vertreter:innen des politischen Büros der Vizebürgermeisterin. Von der Stadt direkt mit der Planung beauftragt wurden zunächst zwei Verkehrsplanungsbüros (bzw. ein Verkehrsplanungsbüro und ein Verkehrsplanendes Büros für Ziviltechnik) und ein Büro für Landschaftsplanung. Das Institut für Städtebau der TU Graz war im Rahmen des Forschungsprojektes Trans|formator:in mit der Evaluierung des Prozesses betraut und holte zusätzlich je ein Planungsbüro für öffentlichen Raum und eines für Beteiligung und Transformation hinzu. Beide wurden aus dem Budget des Forschungsprojektes finanziert. Im Laufe des Planungsprozesses kam man überein, ein zusätzliches Büro mit der Organisation und Umsetzung der Möbelbauworkshops in der Gasse zu beauftragen. Dessen Mitwirken wurde durch eine separate Förderung für Bürger:innenbeteiligung finanziert.

Für die Gestaltung des Reallabors wurde zunächst vom Planungsbüro für öffentlichen Raum das Konzept Weißes Blatt präsentiert. Dieses sah vor, alle Barrieren, räumliche Hindernisse und für die Belebung der Gasse hinderlichen Elemente zu entfernen. Dazu gehörten parkende Autos ebenso wie Einzäunungen und Niveausprünge. Für die kurzfristige Umsetzung dieser Idee im Reallabor wurden im Laufe des Prozesses unterschiedliche Möglichkeiten vorgeschlagen und wieder verworfen. Insbesondere eine Auflösung des klassischen Straßenprofils von Fahrbahn und Gehsteig durch die Niveauangleichung der Fahrbahn, die von ihrer Mitte (wo sie nahezu auf dem Niveau der Gehsteigoberfläche lag) zum Bordstein hin um bis zu 15 cm abfiel, wurde dabei zum Knotenpunkt der Diskussion.
Die erste Idee der Gestalter:innen die Niveauangleichung durch eine Aufschüttung mit Sand herzustellen – Schlagwort urban beach –, wurde aufgrund der Befürchtung, dass Sand in die Kanalisation und in Häuser gelangen könnte, schnell verworfen. Daraufhin erarbeiteten die Gestalter:innen einen Entwurf, der das Aufschütten von niveauangleichenden Inseln mit Hackschnitzeln vorsah, die von Bordstein aus in den Straßenraum ragen sollten (siehe Abbildung 2). Kanalöffnungen sollten dabei mit Gittern vor dem Eindringen der Hackschnitzel geschützt werden. Außerdem sollte der gesamte Straßenraum von Fassade zu Fassade mit einer einheitlichen Farboberfläche versehen werden. Einwände kamen vom Straßenamt, das Schimmelbefall des Materials bei Nässe befürchtete, und von Seiten mehrerer Prozessbeteiligter, die durch die Verwendung dieses Materials einen „Volksfest-Charakter“ befürchteten.

Als wenig bevorzugte Materialalternative zu den Hackschnitzeln wurde von der Abteilung Grünraum und Gewässer Kies vorgeschlagen. Als Gegenargument wurde hier die Befürchtung einer Vertragung des Materials bei Starkregenereignissen ins Treffen geführt. Der Gegenvorschlag gebundenen Kies – also eine mittels Bindemittels verklebte Kiesschicht – zu verwenden, wurde aus ökologischen und gestalterischen Gründen von der Mehrheit der Beteiligten abgelehnt.
Zeitgleich scheiterte die geplante Verordnung einer Wohnstraße für die gesamte Gasse für die Dauer des Reallabors an der Komplexität des Verordnungsverfahrens für Wohnstraßen mit mehreren Hauszufahrten. Das Straßenamt sah sich mit seinen vorhandenen Kapazitäten nicht in der Lage diesen Mehraufwand zu bewältigen. Als direkte Folge stimmte die Projektleitung einer Verkürzung des Reallabors auf die Hälfte der Gassen-Länge zu. Damit wurde die zu verordnende Wohnstraße auf knapp 50 Meter Gesamtlänge und damit so stark verkürzt, dass keine Sonderbewilligungen für die Zufahrten nötig waren (siehe Abbildung 3). Durch diese Verkürzung wurde allerdings auch der Effekt der verkehrlichen Änderung reduziert. Die Österreichische Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr empfiehlt etwa für Begegnungszonen bei schmalen Straßenquerschnitten eine Mindestlänge von 100 Metern: „Bei einer Länge von weniger als 100 m ist zu prüfen, ob im Vergleich zur Begegnungszone eine punktuelle Querungsstelle die bessere Wahl darstellt.“ (FSV 2016: 7)

Als nächstes schlugen die Gestalter:innen eine Niveauangleichung mit Hilfe von Holzplateaus vor. Diese hätten zwar den Niveausprung zwischen Gehsteig und dem neu gewonnenen Aufenthaltsraum (vor allem die ehemaligen Kfz-Stellplätze) ausgeglichen, zur befahrbaren Fläche wäre allerdings weiterhin eine geringe Kante bestanden. Eine farbige Angleichung der Oberfläche war wiederum vorgesehen. Ihr wurde aber an dieser Stelle von der Projektleitung eine generelle Absage erteilt. Begründet wurde das mit der angekündigten Ablehnung durch die Altstadtsachverständigenkommission (ASVK). Der Vorschlag der Holzplateaus wurde einerseits aus Kostengründen nicht angenommen und andererseits auch konzeptuell aufgrund der Kante als potenzielle Stolperfalle nicht weiterverfolgt.

Unter Leitung der Verkehrsplanungsabteilung einigte man sich schließlich auf eine Reduktion des Entwurfs und Rückbesinnung auf den Kern des ursprünglichen Konzeptes Weißes Blatt. Das so genannte Subtraktive Konzept beschränkte die Intervention auf ein Auf- und Leerräumen des Straßenraums von parkenden Autos und Einzäunungen um die vorhandenen Baumscheiben. Hinzukamen Möbel, die im Rahmen von Möbelbauworkshops vor Ort im Straßenraum gemeinsam mit Anrainer:innen gebaut wurden. Die Grundlage dafür waren Entwürfe externer Planer:innen unter Berücksichtigung von Nutzer:innenwünschen aus dem Beteiligungsprozess. Die ursprünglich angedachte Sperrung des Straßenabschnitts für Lieferverkehr wurde aufgrund der Gegenwehr von Gewerbetreibenden nicht umgesetzt.

Vergleicht man mithilfe des Healthy Streets Design Checks (Abbildung 6) den ersten Entwurf (Abbildung 2) (Entwurf 1 in hellen Farben dargestellt) mit der tatsächlich umgesetzten Gestaltung (Abbildung 4) (Entwurf Umsetzung in dunklen Farben dargestellt) ergibt sich eine geringe, aber dennoch deutlich ablesbare Verringerung der Qualität. Ausschlaggebend waren hier vor allem der Unterschied in der Breite der wahrgenommenen Fahrbahn sowie der bestehende Niveauunterschieds und die erlaubte Zufahrt für Lieferverkehr im umgesetzten Entwurf. Die Verringerung der Qualität schlägt sich in sieben von zehn Indikatoren nieder. Die stärkste Verringerung zeigen die Indikatoren Not too noisy (Verringerung um 13 Prozent), Easy to cross, People feel safe und Clean air (je 8 Prozent). Verkehrszählungen an den Einfahrts-Kreuzungen zur Gasse je einmal vor (Juni 2023) und mehrmals während der Umsetzung des Reallabors (Oktober, November 2023 und Januar und März 2024) zeigten keine Steigerung der Nutzung der Gasse weder für Fuß- noch Radverkehr.

Für die weitere Untersuchung wurde das sogenannte Logbuch ausgewertet. Ein Evaluierungs-Tool, das vom Evaluierungsteam im Rahmen des Forschungsprojektes Trans|formator:in nach einem vorgegebenen Schema geführt wird. Darin werden alle Aktivitäten (Besprechungen, Workshops, Präsentationen, etc.) festgehalten und dazu jeweils unter anderem die Teilnehmenden, das Thema bzw. die Zielsetzung, das Ergebnis sowie die Treiber und Hemmnisse/ Barrieren der Aktivität vermerkt. Im Verlauf der Vorbereitung, Planung und Umsetzung wurden insgesamt 17 Aktivitäten mit Gestaltungsrelevanz identifiziert. Bei der Analyse der jeweiligen Treiber und Hemmnisse wird deutlich, dass die treibenden Energien fast ausschließlich politisch und gestalterisch sind, wohingegen die Barrieren diverser ausfallen. Die drei am häufigsten genannten Kategorien sind zu je gleichen Teilen technische, rechtliche und verwaltungstechnische Barrieren bzw. Hemmnisse (siehe Abbildung 7).

Für die untersuchte Fallstudie verortet dieses Ergebnis also rund ein Viertel der Hemmnisse im Prozess bei der Verwaltung. Es bleibt die Frage wie die Entscheidung über den Umgang mit Hemmnissen getroffen wird. Schlagend wird das etwa bei einigen hier als technisch oder rechtlich kategorisierte Hindernissen, die nicht durch Gutachten belegt, sondern als Sorgen oder Unsicherheiten der Expert:innen eingebracht wurden. Dazu gehört etwa die Sorge, der Schutz der Kanalisation vor eindringenden Materialien durch Gitter sei unzureichend, oder die Ablehnung einer farblichen Gestaltung der Straßenoberfläche unter Berufung auf die Grazer Altstadtsachverständigenkommission. Es ist anzunehmen, dass die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung von Vorschlägen und die Gewichtung der Hemmnisse/ Barrieren beziehungsweise Einwände jeweils bei der Projektleitung und damit in unserem Fall in der Hand der Verwaltung liegt.
Denkmuster und Handlungsroutinen aufbrechen
Aus den beschriebenen Beobachtungen und Analysen des Projektes in der Kaiserfeldgasse lassen sich drei Handlungsroutinen identifizieren und Rückschlüsse auf zugrundeliegende Denkmuster ziehen, die den Erfolg des Projektes beeinflussten. Der Annahme folgend, dass vergleichbare Projekte ähnlichen Herausforderungen gegenüberstehen, bleibt die Frage, wie diese Elemente der Planungskultur positiv verändert werden können, von besonderem Interesse. Im Folgenden werden zu jeder der dreit identifizierten Handlungsroutinen und Denkmuster Thesen vorgestellt, die dabei helfen können, diese Frage zu beantworten.
Neu ≠ Umsetzbar
Das Beispiel der Farbgestaltung der Asphaltflächen der Kaiserfeldgasse zeigt, dass auch in straßenräumlichen Umbauprojekten vieles nur so lange unmöglich scheint, bis es jemand macht (vgl. Nelson Mandela „It always seems impossible until its done.“). Tatsächlich wurde in der nachfolgenden Phase der temporär gestalteten Begegnungszone eine farbliche Gestaltung doch ermöglicht. Ausschlaggebend dafür waren seit 2021 erfolgreich umgesetzte Gestaltungen im Grazer Altstadtgebiet, die als Vorbilder angeführt wurden, wodurch auf eine genaue Prüfung durch die ASVK verzichtet werden konnte.
Das Denkmuster, nur Erprobtes darf für die Gestaltung von öffentlichen Räumen verwendet werden, muss für Reallabore, Verkehrsversuche und temporäre Gestaltungen überwunden werden.
Schließlich sollen diese mithilfe ihrer Evaluierung selbst als Erprobung für permanente Planungen dienen. Daraus wird klar: die Umsetzung von Unerprobtem verlangt eine Planungskultur des Mutes. Für die permanente Umgestaltung der Kaiserfeldgasse hat die Stadt Graz bereits einen Teil dieses Mutes gefunden und eine vollständige Niveauangleichung über den gesamten Straßenquerschnitt angekündigt (Abbildung 8).

Temporär = permanent
Mehr als die Hälfte (rund 57 Prozent) der im Prozess Kaiserfeldgasse eruierten verwaltungstechnischen Hindernisse sind unter dem Thema Mangel an personellen und/ oder zeitlichen Kapazitäten einzuordnen. Begibt man sich auf die Suche nach den Gründen dafür, wird schnell deutlich, dass diese Schwierigkeiten zwar nicht auf der Ebene der Stadt- oder Gemeindeverwaltung beginnen, aber eben diese an ihre Kapazitätsgrenzen bringen. Zu den Ursachen dafür gehört das Fehlen eines rechtlichen Rahmens für Reallabore und ähnliche temporäre Umgestaltungen des öffentlichen Raums in Österreich. Für temporäre Interventionen müssen derzeit dieselben Verwaltungsabläufe durchlaufen und dieselben rechtlichen Anforderungen erfüllt werden wie für permanente Umgestaltungen. Dasselbe gilt für Umbauten im bestehenden Straßenraum, die ebenfalls dieselben rechtlichen und sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllen müssen, die für neu gebaute Straßen gelten. In der historisch gewachsenen (und mitunter sogar denkmalgeschützten) Innenstadt ist dies aber häufig nicht möglich oder (besonders für temporäre Maßnahmen) nicht verhältnismäßig. Das Aufbrechen der Handlungsroutine temporäre werden wie permanente Umgestaltungen behandelt ist also nur durch die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für temporäre Umgestaltungen und Reallabore möglich.
Straßenraum = Verkehrsraum
Im Projekt Kaiserfeldgasse wurde der Abteilung für Verkehrsplanung innerhalb des Konsortiums auf Verwaltungsebene die Projektleitung zugesprochen. Das entspricht der üblichen Handlungsroutine bei straßenräumlichen Umbauprojekten in Graz und lässt auf ein Denkmuster schließen, laut dem Planungen im Straßenraum in erster Linie Verkehrsplanungen seien. Die Abteilungen, die stärker mit Gestaltung beschäftigt sind (beispielsweise das Referat Gestaltung öffentlicher Raum in der Abteilung für Stadtplanung und die Abteilung Grünraum und Gewässer), waren zwar ebenfalls Teil des Prozesses, aber hatten weniger Einfluss auf die Entscheidungen. Auf Grundlage der im so genannten Logbuch vermerkten Teilnehmer:innenlisten wurde die Akteurskonstellation bei den Gestaltungsworkshops im Betrachtungszeitraum Mai 2023 bis Juni 2024 untersucht. Das Ergebnis zeigt, dass Verkehrsplanung und Straßenamt deutlich stärker vertreten (mit durchschnittlich 3,9 Personen pro Workshop) waren als etwa die Abteilungen Grünraum und Gewässer und das Referat Gestaltung öffentlicher Raum (durchschnittlich 1,3 Personen). Dieser Logik folgend wurden auch ausschließlich die beiden Verkehrsplanungsbüros direkt beauftragt. Die Gestalter:innen wurden durch das Forschungsprojekt als Externe in den Prozess integriert und waren ebenfalls weniger stark vertreten (siehe Abbildung 9).

Ein Aufbrechen des Denkmusters Straßenraum = Verkehrsraum und der damit verbundenen Handlungsroutine Umbau von Straßenraum = Zuständigkeit der Verkehrsplanung würde einen stärkeren Fokus auf die Qualität der Gestaltung ermöglichen. Angestoßen könnte dies etwa durch die Integration einer externen, möglichst unabhängigen Projektleitungs-Position werden. Eine andere Möglichkeit wäre eine geteilte Projektleitung zwischen den Leiter:innen der einzelnen Abteilungen mit gleichwertigen Entscheidungsgewalten.
Die Stadt Graz hat im Laufe des Prozesses in der Kaiserfeldgasse bereits Lösungen für verschiedene Probleme gefunden, von denen die Planung der nächsten Umgestaltungsphase, der temporären Gestaltung zur Begegnungszone, profitieren konnte. Es scheint, das Reallabor diente in diesem Fall in erster Linie als eine Erprobung der internen Prozessabläufe, die schließlich zu einer langfristigen Verbesserung ebendieser in Graz beitragen konnte.
Die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Einzelfallstudien wie dieser ist eine wichtige Frage für die Einordnung der im Prozess Kaiserfeldgasse identifizierten Handlungsroutinen und Denkmuster und dem eben beschrieben Umgang mit ihnen. Robert Yin sieht die Stärke der Case Study beziehungsweise Einzelfallstudie in ihrem Vermögen zu Theorien generalisiert zu werden, ebenso wie dies auf Grundlage von Experimenten möglich ist. Dabei bezieht er sich auf das berühmte und einflussreiche Beispiel von Jane Jacobs Werk „life and death of great american cities“, das in erster Linie auf der Darstellung einzelner Case Studies beruht, deren Beobachtung aber Rückschlüsse auf generalisierbare Theorien zulassen (Yin 2009: 44).
Diesem Gedanken folgend bildet diese Studie eine Theorie über die derzeitig vorherrschende Planungskultur in Städten und Gemeinden mit ähnlichem rechtlichen Rahmen und ähnlicher Rolle der Verkehrsplanung, wie sie jedenfalls in weiten Teilen des deutschsprachigen Raums zu finden sind. Sie kann somit als Orientierungshilfe bei der Prozessplanung ähnlicher Projekte in diesen Settings dienen. Darüber hinaus kann sie eine Grundlage für weitere vertiefte Untersuchungen der Planungskultur anhand weiterer Beispiele und zur Einordung ihrer Ergebnisse darstellen. Ebenso wird eine Erprobung und Evaluierung abgeleiteter Maßnahmen nötig sein, um schließlich eine nachhaltige Veränderung der Planungskultur insgesamt hin zu einer Planungskultur des Ermöglichens und des Mutes zu entwickeln, die die Herausforderungen unserer Zeit verlangen.
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