Published 2.04.2025

In kommunaler Verantwortung

Innenstadtumbau durch Transformation früherer Kauf- und Warenhäuser

Municipal Responsibility in Focus

Redevelopment of Inner Cities Through Transformation of Former Department Stores

Keywords: Bauen im Bestand; Transformation der Innenstädte; Umbaukultur; Warenhaus-Nachnutzung; (kommunale) Transformationsfähigkeit; Building in existing structures; transformation of inner cities; culture of rebuilding; re-use of former department stores; (municipal) transformation capacity

Abstract:

Der Rückzug des Einzelhandels übt erheblichen Druck auf die Innenstadtzentren aus. Kommunen stehen vor der Herausforderung, Funktionsverluste abzufedern und den anstehenden Nutzungswandel aktiv zu gestalten. Vakante Kauf- und Warenhäuser mit ihren beträchtlichen Raumpotenzialen können Schlüsselgebäude für diese Transformation sein. Ihre Drittverwendung bedingt jedoch ein hohes Maß an Komplexität und stellt Kommunen vor die Frage ihrer eigenen Transformationsfähigkeit. Anhand eines theoretischen Modells zur Transformationsfähigkeit und zwei aktueller Projekte aus Lübeck und Hanau wird dargestellt, wie Kommunen die Transformation ihrer Innenstadtzentren durch die Reaktivierung früherer Kauf- und Warenhäuser vorantreiben. Dabei werden Schlüsselfaktoren für die Entwicklung passfähiger Nutzungskonzepte und akteursbezogene Aspekte für die kommunale Transformationsfähigkeit diskutiert.

Transformationsdruck in den Innenstadtzentren

Die durch erhebliche Strukturveränderungen geprägten Innenstadtzentren bilden eine zentrale Handlungsarena für eine nachhaltige Bestandsentwicklung. Der Rückzug des Einzelhandels führt zu massiven Funktionsverlusten und erhöht den Druck, das innerstädtische Nutzungsgefüge neu auszurichten. Insbesondere Warenhausunternehmen verlieren seit Jahrzehnten Marktanteile, das Filialnetz der ehemals als Karstadt, Kaufhof, Hertie oder Horten geführten Warenhäuser in Deutschland hat sich von 394 Filialen im Jahr 1994 auf 83 Standorte im Spätsommer 2024 reduziert (eigene Berechnungen von Nina Hangebruch).

Ehemalige Kauf- und Warenhäuser sind Schlüsselimmobilien für den Innenstadtumbau (Hangebruch und Othengrafen 2022). Sie waren über Jahrzehnte Hauptanziehungspunkte in den Innenstadtzentren und prägten mit ihren großmaßstäbigen Baukörpern und ihrer Architektur das Stadtbild. Durch ihr umfassendes Sortiment und die rasch steigende Filialdichte wurden Kauf- und Warenhäuser in der Nachkriegszeit zu Symbolen für den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder. Ihr Funktionsverlust führt zu Frequenzrückgängen, Beeinträchtigungen im Erscheinungsbild, Bedeutungsverlusten von Einkaufsstandorten und Imageeinbußen (Hangebruch 2020: 143). Der Transformationsbedarf der Gebäude geht mit der Schaffung neuer Besuchsanreize und grundlegenden Sanierungsmaßnahmen einher. Entsprechende Umnutzungen stehen auch im öffentlichen Interesse, da frühere Kauf- und Warenhäuser emotional aufgeladen sind und der Niedergang alteingesessener Geschäfte oft als Verlust von Heimat empfunden wird (Bundesstiftung Baukultur 2018: 50).

Der Handlungsdruck in den betroffenen Innenstadtzentren erfordert eine aktive Gestaltung des innerstädtischen Nutzungswandels und rückt die Umnutzung früherer Kauf- und Warenhäuser in den Fokus der öffentlichen Hand.

Kommunen können verschiedene Handlungsansätze ergreifen und als Moderatoren und Vermittler, Initiatoren, Mieter und nicht zuletzt auch als Käufer und Selbstnutzer agieren (Hangebruch 2023a). Daraus ergeben sich unterschiedlich große Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten, die unter anderem von den finanziellen und personellen Ressourcen der kommunalen Verwaltung sowie der Priorisierung der Innenstadtentwicklung durch politische Entscheidungsträger abhängen (Diringer et al. 2022: 59).

Bei den 219 zwischen 1994 und 2019 aufgegebenen Warenhäusern sind im Schnitt fünf Jahre zwischen Warenhausschließung und Eröffnung der Nachfolgenutzung vergangen (Hangebruch 2023a). Für die 92 seit 2020 geschlossenen Galeria-Häuser ist angesichts der gegenwärtigen Rahmenbedingungen für die Immobilienprojektentwicklung in den Innenstadtzentren mit einer Ausweitung der Transformationszeiträume zu rechnen. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Hohe Umsatzanteile des Onlinehandels (rund 40 Prozent in den innenstadtrelevanten Sortimentsbereichen; HDE 2024), weniger Nachfrage nach Einzelhandels- und Büroflächen sowie gestiegene Bau- und Finanzierungskosten. Die Transformation der Innenstadtzentren und die Reaktivierung aufgegebener Kauf- oder Warenhäuser bilden vor diesem Hintergrund komplexe Herausforderungen, die die Kommunen mit der eigenen Transformationsfähigkeit konfrontieren.

Aber was genau kennzeichnet die kommunale Transformationsfähigkeit? Was sind zentrale Voraussetzungen, Anforderungen und Merkmale? Wie prägen unterschiedliche Handlungs- und Interaktionsformen die Ausgestaltung der Transformationsfähigkeit? Anhand von zwei Fallstudien analysiert und reflektiert der Artikel Wirkungshebel und Schlüsselfaktoren, die die kommunale Transformationsfähigkeit beeinflussen und Transformationserfolge begünstigen können.

Eine Frage der Transformationsfähigkeit

Das Konzept der Transformationsfähigkeit ist eng mit der Diskussion um resilientere Städte und Regionen verknüpft (Borras et al. 2023; Hölscher et al. 2019; Mehryar et al. 2022; Wolfram 2016). Es bezieht sich auf die kollektive Fähigkeit städtischer und regionaler Akteure, beabsichtigte Veränderungen umzusetzen, um Missstände zu überwinden und einen resilienteren Zustand zu erreichen (Castán Broto et al. 2019; Manyena et al 2019; Sousa et al. 2024). Bei der Transformation der Innenstadtzentren und ehemaligen Kauf- und Warenhäusern stößt die kollektive Fähigkeit städtischer Akteure allerdings auf limitierende Faktoren, wie die Notwendigkeit, den kommunalen Zugriff auf Immobilien zu verbessern.

Die notwendigen Transformationsprozesse erfordern das Engagement der Kommunen, da andere Akteure nicht hinreichend tätig werden. Die kommunalen Aktivitäten umfassen nicht nur die Strategie- und Konzeptentwicklung, sondern auch operative Tätigkeiten zur Umnutzung ehemaliger Kauf- und Warenhäuser (Diringer et al. 2022: 63; Hangebruch 2023a; von Schwanenflug 2024a). Einzelne Kommunen erwerben dazu – legitimiert durch Artikel 28 GG – Grundstücke und Gebäude, wenn dies eine positive Wirkung auf die Entwicklung der Stadt erwarten lässt und die finanziellen Risiken für den Kauf sowie die Sanierung und den Betrieb sorgfältig mit dem potenziellen Nutzen abgewogen wurden.

Der Nutzungswandel erfordert von Planer:innen, Transformationsprozesse zu initiieren, zu steuern und umzusetzen (Farhangi et al. 2023; Castán Broto et al. 2019; Keeler et al. 2019). Die Ausgestaltung der Transformationsfähigkeit hängt vor allem von institutionellen Rahmenbedingungen (z.B. Regeln und Vorschriften, Routinen), der Ressourcenverteilung (z.B. finanzielle Mittel), dem Wissen und den Handlungsspielräumen der beteiligten Akteure, dem Bekenntnis und der Selbstverpflichtung der Entscheidungsträger sowie der Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden, ab (Förster et al. 2021; Hölscher et al. 2019, Mehryar et al. 2022).

Gleichzeitig besteht der Kern der Transformationsfähigkeit darin, proaktiv zu sein, Visionen alternativer Zukünfte zu entwickeln und veränderte sozio-ökonomische, sozio-demographische aber auch regulatorische Kontexte, neue Technologien und neue sozialen Praktiken zu berücksichtigen (Wolfram 2016). Unmittelbar damit verbunden ist die Fähigkeit, neue und wirksame Narrative für eine nachhaltige Transformation zu entwickeln, sich die Unterstützung wichtiger Akteure und Institutionen zu sichern und sich aktiv an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen (Klemme 2022; Strasser et al. 2022). Beim Erwerb und der Umnutzung ehemaliger Kauf- und Warenhäuser durch Kommunen ist sicherzustellen, dass die Entwicklung dem Gemeinwohl dient. Die Akzeptanz städtischer Eingriffe in den Immobilienmarkt erfordert eine demokratische Legitimation und transparente Planung. Das umfasst Aushandlungen über die Ressourcenverteilung, kollektives Lernen und Co-Design-Prozesse zwischen öffentlichen und privaten Akteuren (Beer at al. 2019; Borras et al 2023; Diringer et al. 2022: 64). Dabei sind konkrete Orte als „Bühne für transformative Lernprozesse“ (Horlings et al. 2020: 359) von besonderer Bedeutung, da hier Prozesse des Neulernens oder des Wiedererlebens leichter initiiert und begleitet werden können.

Transformationsmodell für Kauf- und Warenhäuser 

Mit Blick auf die Transformation von Kauf- und Warenhäusern und die damit verbundene Umbaukultur stellt sich die Frage, wie die (kommunale) Transformationsfähigkeit weiter ausdifferenziert werden kann. Dafür haben wir – basierend auf einer systematischen Literaturauswertung, Analysen aktueller Transformationsvorhaben und Fokusgruppengesprächen mit Praktiker:innen – ein Transformationsmodell als theoretisch-konzeptionellen Rahmen entwickelt.

Maßgeblich für die Transformation ehemaliger Kauf- und Warenhäuser sind die Determinanten Ressource, (Stand-) Ort und Akteure. Die Schnittstellen zwischen den drei Determinanten bilden die zentralen Wirkungshebel, die mit den Begriffen Umbaufähigkeit, Zukunftsfähigkeit und Passfähigkeit an den Flanken des Dreiecks überschrieben sind. Die den drei Wirkungshebeln zugeordneten Schlüsselfaktoren sind entscheidend für die Transformationsfähigkeit früherer Kauf- und Warenhäuser und für einen erfolgreichen Innenstadtumbau.

Zwei Dreiecksdarstellungen. Links das vereinfachte Modell mit den Begriffen Ressource, (Stand)Ort und Akteure in den Ecken und dem Begriff Transformationsfähigkeit im Kern. An den Flanken des Dreiecks stehen die Begriffe Umbaufähigkeit, Zukunftsfähigkeit und Passfähigkeit. Rechts die vertiefende Darstellung mit im Text erläuterten Schlüsselfaktoren im Hexagon um die Transformationsfähigkeit.
Abbildung 1: Transformationsmodell für frühere Einzelhandelsgroßimmobilien. Quelle: Nina Hangebruch/ Projekt Bestand als Ressource.

Zentrale Wirkungshebel

Bei der Umbaufähigkeit stehen die bestehende Fläche und Bausubstanz sowie die Drittverwertbarkeit, die vor allem durch die städtebauliche Integration des Bestandsbaus, seine Fassadenkonstruktion sowie dessen Belichtungsmöglichkeiten und (vertikale) Erschließung bestimmt ist, im Fokus (BBSR 2024: 29–32). Maßgeblich für die Transformationsfähigkeit des (Stand)Orts sind das angestrebte Nutzungskonzept und die damit verbundenen baulich-funktionalen Anforderungen, die Konditionen für den Erwerb und den Umbau der Immobilie (Wirtschaftlichkeit des Vorhabens) sowie das Finanzierungs- und Trägerschaftsmodell und planungs- und baurechtliche Vorgaben. Zukunftsfähigkeit umfasst das Zusammenspiel zwischen Stadtklima und Gebäude, die Schaffung grün-blauer Infrastrukturen und Angebote für eine nachhaltige Mobilität. Mit Blick auf das Gebäude als Ressource bilden die durch den Umbau und die Gebäudeenergie erzeugten CO2-Emissionen sowie die durch die Weiternutzung von Bestandsstrukturen oder regenerative Energiegewinnung vermiedenen Emissionen maßgebliche Schlüsselfaktoren. Da die kommunale Transformationsfähigkeit als Bedingung für den Innenstadtumbau im Fokus des Artikels steht, kommt der Passfähigkeit eine besondere Bedeutung zu (siehe Abbildung 2).

Ausschnitt der Dreiecksdarstellung mit den die Passfähigkeit bestimmenden Schlüsselfaktoren Lokale Eigenart, Stadtwert und Impulswirkung sowie den zugehörigen und im Text erläuterten Parametern.
Abbildung 2: Transformationsmodell mit Fokus auf der Akteursdimension und dem Wirkungshebel Passfähigkeit. Quelle: Nina Hangebruch/ Projekt Bestand als Ressource.

Sie wird durch die Schlüsselfaktoren Lokale Eigenart, Stadtwert und Impulswirkung bestimmt. Individualität, Lösungsorientierung und ein auf den lokalen Nutzungsbedarf abgestimmtes Umbaukonzept würdigen die vorhandene Baukultur und die Identität des Gebäudes. Sie machen die lokale Eigenart zum Schlüsselfaktor der Transformation, insbesondere im Hinblick auf place-based leadership und transformative Lernprozesse (Beer et al. 2019; Horlings et al. 2020). Der Schlüsselfaktor Stadtwert spiegelt sich in der sozialen Funktion des Transformationsvorhabens: Gelingt es, einen Dritten Ort zu schaffen, gemeinwohlorientierte Nutzungen zu integrieren und milieuübergreifende Angebote für unterschiedliche Zielgruppen zu realisieren? Kann das Projekt durch seine städtebauliche Qualität zur Aufwertung des Erscheinungsbilds und einer verbesserten Interaktion zwischen Gebäude und Umfeld beitragen? Gelingt es, mit der Drittverwendung ein neues und wirksames Narrativ für eine nachhaltige Transformation zu entwickeln? Welche Impulswirkung wird erzeugt? Welcher Beitrag zum Nutzungswandel ist zu erwarten? Ist das Projekt durch Innovationskraft, Kreativität, Mut und Experimentierfreude geprägt?

Akteursbezogene Schlüsselfaktoren

Für die kommunale Transformationsfähigkeit sind vor allem akteursbezogene Schlüsselfaktoren von Bedeutung, insbesondere mit dem Eigentum verbundene Aspekte wie die Verfügungsgewalt über die Immobilie, die Verwertungsabsichten und das Knowhow sowie die (finanzielle) Kapazität des Eigentümers (siehe Abbildung 3).

Maßgeblich für die Umbaukultur sind das Rollenverständnis der Kommune – vor allem die Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger, Schlüsselimmobilien zu erwerben und in kommunaler Verantwortung zu betreiben – sowie die Kommunikationskultur und Prozessgestaltung, der Umgang mit Komplexität und Unsicherheit und das Zusammenspiel zwischen Stadt, Politik, Gesellschaft und Investor. Die Bewältigung des Nutzungswandels erfordert häufig ein radikales Umdenken bei den Stakeholdern und eine Abwendung von tradierten Nutzungskonzepten (Hangebruch 2023b). Zur Arbeit in vielschichtigen Akteurskonstellationen dienen neue Allianzen (Borras et al. 2023), proaktive Ansätze von Co-Design und Co-Produktion sowie innovative Betreibermodelle (Mehryar et al. 2022).

Dreiecksdarstellung mit den Begriffen Ressource, (Stand)Ort und Akteure in den Ecken und den im Text erläuterten Schlüsselfaktoren in einem Hexagon um die Transformationsfähigkeit im Kern.
Abbildung 3: Transformationsmodell mit den akteursbezogenen Schlüsselfaktoren. Quelle: Nina Hangebruch/ Projekt Bestand als Ressource.

In den letzten Jahren übernehmen Kommunen zunehmend selbst Verantwortung für die Umnutzung früherer Kauf- und Warenhäuser in ihren Zentren. Von den 92 seit 2020 geschlossenen Galeria-Warenhäusern sind bereits 15 in den Besitz von Kommunen oder kommunaler Tochterunternehmen übergegangen, darunter der frühere Kaufhof in Hanau (eigene Recherchen; Stand Oktober 2024). Darüber hinaus hat die Hansestadt Lübeck ein früheres Karstadt-Sportkaufhaus in ihrem Zentrum erworben. Anhand dieser beiden Projekte werden wir die zuvor geschilderten Schlüsselfaktoren und Parameter für die Transformationsfähigkeit im Folgenden näher untersuchen. Beide Vorhaben erfahren viel öffentliche Aufmerksamkeit und wurden von uns teils mehrfach besucht, um mit verschiedenen Stakeholdern und Projektverantwortlichen zu sprechen.

Hanau: Aus Kaufhof wird Stadthof

Die hessische Stadt Hanau (rd. 103.000 Einwohner) hat bereits in der ersten Hälfte der 2010er Jahre die Nachnutzung eines früheren Karstadt-Warenhausstandorts auf den Weg gebracht, Anfang 2024 schloss auch der örtliche Kaufhof (siehe Abbildung 4). Für die Karstadt-Nachnutzung wurde im Zuge eines Wettbewerblichen Dialogs ein klassischer Immobilienprojektentwickler gefunden, der unter den Namen Forum Hanau einen Neubau mit einem Mixed Use-Konzept (rd. 22.500 Quadratmeter Einzelhandel, Stadtbücherei und Stadtarchiv, Gastronomie und Fitnessstudio) entwickelt hat.

Eckansicht des leerstehenden Bestandsgebäudes.
Abbildung 4: Früheres Kaufhof-Warenhaus in Hanau (2024). Foto: Nina Hangebruch. 

Schritt für Schritt zu einem passfähigen Nachnutzungskonzept

Das denkmalgeschützte frühere Kaufhof-Warenhaus (siehe Abbildung 4), erbaut 1927 und 1957 wiederaufgebaut, ist ein Zeugnis der ersten Nachkriegsmoderne und eine städtebauliche Konstante am Marktplatz. Die behutsame Sanierung erhält den identitätsprägenden Bau. Bei der angestrebten Drittverwendung der Immobilie (siehe Abbildung 5) kommt eine Einzelhandelsnutzung nur noch für Teilflächen in Betracht. Die Stadt Hanau, die das Gebäude mit zuletzt rund 8.800 Quadratmeter Verkaufsfläche erworben hat, plant eine Umnutzung, die an die lokalen Bedarfe angepasst ist und durch Individualität und Lösungsorientierung überzeugt. Unter dem Namen Stadthof ist eine Mischung aus Pop Up-Stores, Bar und Veranstaltungsflächen im Erdgeschoss beabsichtigt (Freimuth 2024). Entstehen soll ein Ort für Gemeinschaft mit öffentlich zugänglichen, konsumfreien Flächenangeboten (Roth 2024). Die Erdgeschossnutzung wird als „erweiterter öffentlicher Raum“ (Freimuth 2024) mit sozialen Funktionen gestaltet, um die Integration in den Quartierskontext und den Stadtwert zu stärken. Auch die geplante Öffnung des früher für die Anlieferung genutzten Innenhofs und eine mögliche gartenähnliche Umgestaltung würden die Interaktion zwischen Gebäude und Stadtraum fördern. 

Links Darstellung der im Text beschrieben Umnutzung, rechts ein Lageplan mit Darstellung des Gebäudes im Innenstadtkontext.
Abbildung 5: Früheres Kaufhof-Warenahaus in Hanau: Lageplan und Isometrie mit Darstellung der projektierten Umnutzung. Quelle: Projekt Bestand als Ressource. 

Der Umbau der Flächen im ersten bis dritten Obergeschoss und deren Umnutzung durch Bildungsträger, Ärzte und Physiotherapeuten erfolgt zeitversetzt, wenn das Nutzungskonzept finalisiert ist und die notwendigen Planungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren abgeschlossen sind. Der iterative Umbau des Gebäudes zeugt von Mut, Experimentierfreude und einem unkonventionellen Vorgehen.

Die Projektverantwortlichen haben bewusst entschieden, möglichst schnell mit der Umnutzung im Erdgeschoss zu beginnen, um einen langjährigen Leerstand des gesamten Gebäudes und die damit verbundenen negativen Folgewirkungen für die Innenstadt zu vermeiden

(Roth 2024).

Proaktives Handeln der verantwortlichen Akteure

Der Erwerb des Gebäudes erfolgte entsprechend zügig. Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) erklärte bereits am Tag der Ankündigung der Kaufhof-Schließung im März 2023, dass die Stadt den Kauf anstrebe, um Verfügungsgewalt über das Gebäude zu gewinnen (Freimuth 2024). Die rund 25 Millionen Euro Grunderwerbskosten wurden im Oktober 2023 durch ein städtisches Darlehen finanziert. Die Stadt beabsichtigt, das Gebäude langfristig in ihrem Eigentum zu halten und die Federführung für die Umnutzung sowie den späteren Betrieb – für letzteres sieht die Stadt einen jährlichen Zuschuss von 2,5 Millionen Euro vor – bei sich oder ihren Tochterunternehmen zu belassen (ebd.). Die aktive städtische Bodenpolitik zeigt sich auch bei einem weiteren Vorhaben aus dem Innenstadtentwicklungsprogramm Hanau aufLADEN: dem Erwerb und Umbau einer in Nachbarschaft zum Kaufhof gelegenen Immobilie als Wohnraum für Studierende der künftig im Stadthof ansässigen Berufsakademie durch die Stadtentwicklungsgesellschaft Bauprojekte Hanau GmbH. Den Projektverantwortlichen seitens der Stadt ist klar, dass das Nutzungskonzept für das Erdgeschoss im Stadthof ambitioniert ist (Roth 2024). Die Kuratierung des Programms und die Verpachtung der Ladenboxen erfolgen durch die städtischen Tochtergesellschaften Hanau Bauprojekte und Hanau Marketing GmbH, die hier wie Centermanager agieren (v. Schwanenflug 2024b). Dies erfordert einen hohen Personaleinsatz und Kompetenzen, die im klassischen Verwaltungsapparat oft nicht ausreichend vorhanden sind. Daher wurden für den Stadthof sechs Personen im Bereich Gebäudemanagement, Projektsteuerung und Kommunikation eingestellt (Freimuth 2024). Auch eine externe Eventagentur wirkt an der Konzipierung der Erdgeschossnutzung mit.

Mit der Entscheidung, die Umnutzung des früheren Kaufhofs in Eigenregie zu übernehmen, setzt die Stadt Hanau etablierte Strategien zum Stadtumbau fort. Die städtische Umbaukultur spiegelt sich in einem proaktiven Rollenverständnis wider, mit dem Ziel neue Impulse für die Innenstadtentwicklung zu setzen: Zwischen 2008 und 2023 hat Hanau rund 60 Millionen Euro Fördergelder akquiriert, um Investitionen von etwa 500 Millionen Euro anzustoßen (v. Schwanenflug 2024b). Die positiven Erfahrungen mit städtischen Projektentwicklungen und die lange Amtszeit des Oberbürgermeisters haben dazu beigetragen, dass das Vorgehen zur Realisierung des Stadthofs von Beginn an viel Rückhalt in der Stadtgesellschaft und den politischen Gremien fand. Trotz hoher Kauf- und Investitionskosten wurde der Beschluss für den Erwerb, Umbau und Betrieb des Gebäudes einstimmig von der Stadtverordnetenversammlung gefasst.

Die Vision für den Umbau und die Umnutzung des Gebäudes wurde durch die Projektverantwortlichen selbst entwickelt und wird von diesen – unterstützt durch externe Architekturbüros, Beratungsunternehmen und öffentliche Mittel – in den kommenden Monaten umgesetzt. Gleichzeitig schafft eine engagierte Öffentlichkeitsarbeit mit niedrigschwelligen Partizipationsangeboten Transparenz und Vertrauen mit Blick auf den Projektfortgang. Das umfasst nicht nur Medieninformationen, sondern auch direkte Beteiligungsformate wie das Bürgerwochenende Kaufhof geht – Stadthof kommt im Mai 2024. Auch wenn strategische Entscheidungen nicht immer im breiten Konsens aller Akteure getroffen werden, ist das Projekt in einen stadtpolitischen Diskurs eingebettet, der von der Stadtgesellschaft mitgetragen wird.

Lübeck: Von Karstadt Sports zum Übergangshaus zum…

Das frühere Karstadt-Sporthaus in Lübeck (219.000 Einwohner) ist Teil eines 1996 eröffneten, zentral gelegenen Gebäudeensembles aus Karstadt-Warenhaus und -Sportkaufhaus. Das Sporthaus (siehe Abbildung 6) mit rund 6.000 Quadratmetern Verkaufsfläche wurde 2020 im Rahmen der ersten Galeria-Insolvenz geschlossen, das Warenhaus folgte Anfang 2024 aufgrund der zweiten Insolvenz. Die beiden Karstadt-Gebäude stehen im städtebaulichen Kontrast zum UNESCO-Welterbe Altstadt Lübeck mit der benachbarten St. Marienkirche (13. Jahrhundert.) und dem Kanzleigebäude (15. Jahrhundert.) sowie der weitgehend kleinteiligen, denkmalgeschützten (Backstein-)Architektur.

Bildung als passfähiges Nachnutzungskonzept

Während für das Warenhaus noch keine Nachnutzungsoption bekannt ist, hat die Stadt das Sporthaus erworben, um dort ein Mixed Use-Konzept mit Schwerpunkt Bildung zu entwickeln. Die Umnutzung orientiert sich an den lokalen Bedürfnissen, da die vier Altstadtgymnasien unter erheblichen Flächenengpässen leiden und den Hochschulen im Innenstadtbereich Präsenzflächen fehlen. Der Umbau des Gebäudes soll 2026 beginnen und 2028 abgeschlossen sein. Kernidee des durch ein hohes Maß an Individualität und Lösungsorientierung geprägten Konzepts ist es, den Raumbedarf aller vier Schulen an diesem Ort zu bündeln – ergänzt um den dringend benötigten Raum für die Musikhochschule (Brons-Schnell 2024). Die Umnutzung ermöglicht die zukunftsfähige Weiternutzung des städtebaulich prägenden Baukörpers, der als einer der seltenen Kaufhausbauten der Postmoderne auch von baukultureller Bedeutung ist.

Eckansicht des leerstehenden Bestandsgebäudes. Das benachbarte Karstadt-Warenhaus spiegelt sich in den Fenstern.
Abbildung 6: Früheres Karstadt-Sportkaufhaus in Lübeck (2024). Foto: Nina Hangebruch.

Bis zum Umbaubeginn erfolgt eine nicht-kommerzielle Zwischennutzung unter dem Namen Übergangshaus (siehe Abbildung 7). Das im Sommer 2024 eröffnete Reallabor, gefördert durch das Programm Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren (ZIZ) des Bundesbauministeriums, zeugt von Experimentierfreude. Es bietet die Möglichkeit, neue Nutzungsbausteine und räumliche Lösungen für die langfristige Umnutzung zu testen (Brons-Schnell 2024).

Lins Arbeitsplätze in der Denkbar, mittig die umgestaltete Rolltreppenanlage, rechts die Cateringstation Essbar.
Abbildung 7: Zwischennutzung Übergangshaus in Lübeck (2024). Fotos: LTM (links), Nina Hangebruch (Mitte, rechts).

Im Rahmen der Zwischennutzung finden hier Veranstaltungen, Kommunikationsformate und künstlerische Interventionen statt (Hansestadt Lübeck 2023). Kulturelle Angebote, Aktionen für Kinder und Jugendliche, ein Digital Learning Campus und eine Cateringstation, die auf Vertrauensbasis genutzt werden kann, sollen das Gebäude als konsumfreien Begegnungsort ins öffentliche Bewusstsein rücken. Damit sollen neue Impulse für die Innenstadt geschaffen und Menschen erreicht werden, die von den bisherigen Angeboten nicht angesprochen werden (ebd.). Im Kern der baulichen Umstrukturierung steht ein neu zu schaffendes Atrium, das für Belichtung, Entlüftung und Entrauchung des tiefen Gebäudekörpers sorgt. Vom ersten bis vierten Obergeschoss gruppieren sich die von offenen Lernlandschaften umgebenen Klassenräume der Gymnasien um das Atrium. Um eine zusätzliche Geschossebene zu schaffen, wird das alte Dach durch eine zweistöckige Holz-Hybrid-Fertigteilkonstruktion ersetzt (siehe Abbildung 8).

Das Umnutzungskonzept fördert Synergien zwischen schulischen und öffentlichen Nutzungen sowie verschieden Altersgruppen, Bildung, Kultur und Stadtgesellschaft. Großzügige Freiflächen, diverse Sitzgelegenheiten und gastronomische Angebote im Erdgeschoss ermöglichen Multifunktionalität und Aufenthaltsqualität. Ein großer, überdachter Platz fungiert zugleich als Pausenhof, Treffpunkt, Lern- und Veranstaltungsfläche. Die Bühne im Untergeschoss dient sowohl als Proberaum für die Musikhochschule als auch für öffentliche Konzerte und andere Events. Die beide Etagen verbindende, großzügige Treppe kann auch als Tribüne genutzt werden, sodass sich Partys, Konzerte, Lesungen und Ausstellungen über zwei Etagen erstrecken können. Diese Angebote betonen die soziale Funktion der Umnutzung und spiegeln ihren Stadtwert wider, während der Umbau die städtebaulich-funktionale Integration in den Quartierskontext verbessert: Neue Eingänge und transparente Verglasungen sowie die öffentliche Nutzung im Erdgeschoss und das Außengastronomieangebot erhöhen die Interaktion zwischen Gebäude und Stadtraum beziehungsweise öffentlichem Leben. Die angedachte unterirdische Fahrradgarage mit circa 400 Stellplätzen könnte weitere Qualitäten für das Quartier schaffen.

Links Darstellung der im Text beschrieben Umnutzung, rechts ein Lageplan mit Darstellung des Gebäudes im Innenstadtkontext.
Abbildung 8: Früheres Karstadt-Sportkaufhaus Lübeck: Lageplan und Isometrie mit Darstellung der projektierten Umnutzung. Quelle: Projekt Bestand als Ressource.

Der Umbau des Gebäudes zu einem Bildungscampus, Veranstaltungs- und Kulturort sowie öffentlichen Treffpunkt soll Impulse für die Transformation des gesamten Lübecker Innenstadtzentrums setzen und als Inkubator für den Nutzungswandel fungieren. Mit dem Ziel, aus einem Kaufhaus ein Haus der Bildung zu machen, übernimmt Lübeck bundesweit eine Modellfunktion für Kommunen und Projektentwickler. Der Ansatz zur Bündelung der Flächenbedarfe von vier unterschiedlichen Schulen in einem Gebäude sowie die multifunktionale Nutzung insbesondere im Erdgeschoss zeigen Innovationskraft, Mut und Experimentierfreude.

Verständigung der Akteure in einer umfassenden Planungsphase 0

Die Frage des Eigentums und der Verfügungsgewalt über die Immobilie war in Lübeck entscheidend für die Transformation. Die Stadt umging durch den eigenen Immobilienerwerb Unsicherheiten im Umgang mit einem internationalen Immobilienfonds. Auch die Verwertungsabsichten für das Gebäude waren schnell klar: Bereits im März 2021, kurz nach Schließung des Sporthauses, wurde über eine mögliche schulische Nutzung berichtet (Feldhaus 2021). Der städtische Grundstückserwerb erfolgte schließlich im November 2022. Für die Steuerung des Planungs- und Umbauprozesses wurden zwei neue Mitarbeiterinnen im Gebäudemanagement der Hansestadt Lübeck neu eingestellt. Zudem sind Beschäftigte aus Stadtplanung und Bauordnung, von Lübeck Travemünde Marketing (LTM) und städtischer Wirtschaftsförderung beteiligt. Darüber hinaus sind externe Planungs- und Beratungsleistungen beauftragt, um die Kompetenzen der Stadt Lübeck gezielt zu erweitern. Dazu gehören unter anderem eine Machbarkeitsstudie zur Umnutzung, ein Moderationsverfahren zur Einbindung der Stakeholder sowie laufende Planungsleistungen und die Entwicklung des Betreibermodells. Die Umbaukultur und die Rolle der Stadt sind durch das städtische Eigentum am Gebäude geprägt. Das Vorhaben wird regelmäßig in den politischen Gremien diskutiert. Dies fördert Transparenz in der Kommunikation und Verbindlichkeit in der Prozessgestaltung. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt unter anderem mit einem Social Media-Kanal für den Innenstadtumbau.

In Lübeck muss das Verständnis für die Transformation obsoleter Handelsimmobilien durch die öffentliche Hand erst aufgebaut werden. Der Erwerb des Sporthauses war in der Stadtgesellschaft nicht unumstritten und unter anderem Thema einer Stichwahl bei den Kommunalwahlen 2023. Die Projektverantwortlichen organisieren daher zahlreiche Informations- und Veranstaltungsformate sowie eine Denkbar im Übergangshaus, um Vorschläge zur Transformation des Gebäudes vorzustellen und Fragen zum Umnutzungsprozess zu klären.

Um mit Komplexität und Unsicherheit umzugehen, haben sich die Projektverantwortlichen Zeit für eine Planungsphase 0 genommen mit dem Ziel, unterstützt durch externe Büros, die künftigen Nutzungsbedarfe der Stakeholder abzustimmen, unterschiedliche Interessen zu vereinen und ein gemeinsames Konzept zu entwickeln. Nach und nach gelang es, neue Allianzen zu bilden und Bereitschaft für gemeinschaftlich genutzte Flächen zu schaffen. Im Rahmen des Co-Designs fand ein umfassender Dialogprozess statt, um Grundideen für Raumprogramm, Funktionskonzept und Betreibermodell zu entwickeln.

Transformation in kommunaler Verantwortung – Bilanz

Im Fokus dieses Artikels steht die kommunale Transformationsfähigkeit bei der Gestaltung des innerstädtischen Nutzungswandels und der Umnutzung früherer Kauf- und Warenhäuser: Welche Merkmale und Schlüsselfaktoren sind entscheidend? Wie beeinflussen unterschiedliche Handlungslogiken und Interaktionsformen die Transformationsfähigkeit und Umbaukultur?

Die Analyse der Transformationsprozesse in Hanau und Lübeck zeigt, dass die im theoretisch abgeleiteten Transformationsmodell identifizierten Schlüsselfaktoren (siehe Abbildung 1-3) grundlegende Bedingungen für die kommunale Transformationsfähigkeit darstellen.

Sie ermöglichen auf den Gebäudebestand sowie auf die Interessen der Akteure am Standort abgestimmte Transformationsstrategien und -konzepte.

Eigenart und Eigentum als zentrale Stellschrauben für die Transformation

Die betrachteten Gebäude in Hanau und Lübeck sind Zeugnisse bedeutender Epochen der deutschen Kauf- und Warenhauskultur und prägend für die beiden Innenstadtzentren. Die jeweiligen Projektverantwortlichen streben an, diese Gebäude zu erhalten und neuen, überwiegend gemeinwohlorientierten Nutzungen zuzuführen, um die durch den Rückzug des Einzelhandels bedingten Funktionsverluste zu minimieren. Beide Kommunen haben kein finanzielles Verwertungsinteresse und keine Renditeerwartungen bei der Immobilienprojektentwicklung; vielmehr sind sie bereit, selbst in die Gestaltung des Nutzungswandels zu investieren. Der Erwerb zentraler Schlüsselimmobilien im Innenstadtkern ist eine langfristige Entscheidung für mehr Verfügungsgewalt und Gestaltungshoheit
im innerstädtischen Nutzungsgefüge.

Impulswirkung durch (Zwischen)Nutzungen mit Stadtwert

Der langfristige Erfolg beider Projekte ist aufgrund des noch ausstehenden Umbaus der Immobilien bislang nicht messbar. Dennoch generieren Hanau und Lübeck durch ihr Vorgehen neue Narrative für die Innenstadtentwicklung, sie setzen Impulse für das Gemeinwohl und fördern den Nutzungswandel in ihren Zentren. Um langjährige Leerstände zu vermeiden, setzen beide Kommunen während des Planungs- und Umbauprozesses auf Zwischennutzungen. Damit sollen alternative Nutzungen erprobt, die Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und die Stadtgesellschaft am Entwicklungsprozess beteiligt werden. Der Stadtwert der Transformationsvorhaben zeigt sich in den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Mehrwerten der geplanten Umnutzungen. Der ökologische Mehrwert resultiert vor allem aus der Weiternutzung des Gebäudebestands. Der wirtschaftliche Mehrwert liegt im Beitrag der Projektentwicklung zur Förderung des Nutzungswandels. Der soziale Mehrwert manifestiert sich in gemeinwohlorientierten Nutzungen, einem Fokus auf Bildung und Kultur und einer verbesserten Interaktion zwischen Immobilien und umgebenden Stadtraum.

Umbaukultur und Rollenverständnis in Kommunen

In beiden Projekten wird der Umbau- und Entwicklungsprozess vor allem von städtischen Akteuren dominiert. Durch den kommunalen Erwerb der Immobilien haben beide Kommunen langjährige Unsicherheiten im Umgang mit privaten Immobilieneigentümern und deren Verwertungsinteressen vermieden und möglicherweise andauernde Leerstände abgewendet. Die Fallstudien verdeutlichen die Bereitschaft der Politik, die erforderlichen Gelder für den Erwerb und langfristigen Betrieb der Immobilien bereitzustellen oder über Kredite zu finanzieren. Diese Entscheidungen zeigen Mut- und Experimentierfreude, sie sind angesichts des strukturellen Wandels in den Innenstadtzentren und der schwierigen Rahmenbedingungen für gewerbliche Immobilienprojekte für die Kommunen derzeit allerdings auch alternativlos. Bei der Konzipierung der Umnutzungskonzepte, dem Umbau und dem Gebäudebetrieb ergeben sich für die Kommunen und ihre Tochterunternehmen zahlreiche neue Aufgaben. Die Verknüpfung funktionaler, architektonischer, städtebaulicher und finanzieller Aspekte erfordert einen hohen Personaleinsatz und spezifische Kompetenzen für die Projektentwicklung, die im klassischen Verwaltungsapparat oft nicht ausreichend vorhanden sind.

Reflexionsfähigkeit, (kollektives) Lernen und Leadership

Die Transformationsprozesse in Hanau und Lübeck sind erfolgreich (gestartet), weil die kommunalen Akteure die aktuelle Situation im Einzelhandel und in den Innenstadtzentren kritisch reflektiert haben. Auch im verwaltungsinternen Austausch zwischen Dezernaten oder im Dialog mit externen Dienstleistern und anderen Expert:innen wurde erkannt, dass die weitere Ausrichtung der Zentren (allein) auf den Einzelhandel nicht zukunftsfähig oder resilient ist und die Nachnutzung der Gebäude absehbar nicht über den freien (Immobilien)Markt geregelt wird. Diese Offenheit und Reflexionsfähigkeit, unterstützt durch den Austausch mit anderen Städten und das Wissen über Umnutzungen ehemaliger Kauf- und Warenhäuser, sind entscheidend für die Abkehr von gewohnten Prioritäten und Pfadabhängigkeiten. Dies erfordert ein radikales Umdenken bei Kommunen und Immobilieneigentümern sowie Mut und Experimentierfreude zur Bewältigung des Nutzungswandels.

Beide Transformationsvorhaben zeigen, dass vorausschauendes, kommunales Gestaltungs- und Umsetzungsvermögen sowie neue Wege der Verantwortungsübernahme zentrale Voraussetzungen für die Neuausrichtung der Innenstadtzentren sind. In Lübeck ist der Erwerb und die Transformation des ehemaligen Kaufhauses in strategische Planungen zur Erweiterung dringend benötigter Schulflächen eingebunden, während in Hanau eine aktive kommunale Bodenpolitik zur Stärkung und Entwicklung der Innenstadt im Vordergrund steht. In beiden Projekten wird die Selbstverpflichtung der (politischen) Entscheidungsträger deutlich, die Innenstädte trotz komplexer Akteursstrukturen und Eigentumsverhältnisse gemeinwohlorientiert weiterzuentwickeln. Dies zeigt nicht nur der Kauf der Immobilien, sondern auch der mittel- und langfristige Betrieb durch stadteigene Organisationseinheiten.

Damit eine Kommune die Verantwortung und Initiative übernehmen kann, sind neben dem Erwerb der Immobilien vor allem die Möglichkeiten zur proaktiven und strategischen Steuerung des Planungs- und Umsetzungsprozesses zentral.

Dazu gehören Kompetenzen zur Entwicklung positiver Narrative für die Nachnutzungen sowie zur Schaffung breiter Akzeptanz für den Transformationsprozess. Kommunales Wissen und Handlungsspielräume sind entweder aufgrund mehrjähriger Erfahrungen vorhanden (Hanau) oder werden neu geschaffen (Lübeck). Die Akteure in beiden Städten sind sich bewusst, dass der städtische Erwerb ehemaliger Einzelhandelsimmobilien auch kritisch gesehen werden kann. Daher versuchen sie, durch Öffentlichkeitsarbeit, Informationsveranstaltungen und Beteiligungsformate die Akzeptanz des städtischen Eingriffes in den Immobilienmarkt zu legitimieren. Ziel ist es, die Notwendigkeit innerstädtischer Transformationen deutlich zu machen und kollektive Lernprozesse unter verschiedenen Akteursgruppen (Stadtgesellschaft, Immobilieneigentümer, Geschäfteinhaber, Verwaltung, Politik etc.) zu initiieren. Kauf- und Warenhäusern bieten dafür als konkrete Orte eine Bühne.

Anmerkung

Das vorgestellte Transformationsmodell ist im Kontext des Projekts Bestand als Ressource: Stadt- und klimagerechte Transformation von Einzelhandelsgroßimmobilien der 1950er bis 1970er Jahre entstanden. Das von den beiden Autor:innen an der TU Dortmund geleitete Projekt wird gefördert vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen aus Mitteln der Zukunft Bau Forschungsförderung (AZ 10.08.18.7-22.41). Es wird im Verbund mit Annette Hafner und Michael Storck von der Ruhr Universität Bochum, AG Ressourceneffizientes Bauen und Thomas Binsfeld von der Landmarken AG bearbeitet.

About the author(s)

Nina Hangebruch, Dipl.-Ing., ist Wissenschaftlerin am Fachgebiet Stadt- und Regionalplanung der TU Dortmund und im ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung. Ihre Arbeit fokussiert den Nutzungswandel in Innenstädten und die Transformation früherer Kauf- und Warenhäuser.

Nina Hangebruch, Dipl.-Ing., is a researcher at the Department of Urban and Regional Planning at TU Dortmund University and at the ILS Research Institute for Regional and Urban Development. Her work focuses on the change of use in inner cities and the transformation of former department stores.

Frank Othengrafen, Prof. Dr.-Ing., ist Professor für Stadt- und Regionalplanung an der TU Dortmund. Er hat mehrere inter- und transdisziplinäre Forschungsprojekten zur nachhaltigen Transformation von Städten und zu strategischer Stadt- und Regionalentwicklung geleitet. 

Frank Othengrafen, Prof. Dr., is Professor for Urban and Regional Planning at TU Dortmund University. He has led several inter- and transdisciplinary research projects on urban sustainable transformation as well as on strategic urban and regional development.

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Interviews

Heike Brons-Schnell, Leiterin Gebäudemanagement, Hansestadt Lübeck, 26.06.2024, persönlich

Daniel Freimuth, Geschäftsführer Hanau Marketing GmbH, 04.06.2024, persönlich

Simon Roth, Projektleiter BAUprojekt Hanau Baubetreuungs- und Projektentwicklungsgesellschaft mbH, 04.06.2024, persönlich