Published 2.07.2025

Zur Sanierung von Siedlungsbauten

Strategien und Prozessoptimierung durch vorausgehandelte Lösungsszenarien

Refurbishment of Residential Buildings

Strategies and Process Optimization Through Pre-negotiated Potential Solutions

Keywords: Prozesshaftigkeit; Regelwerke und Standards; Perspektive von Nutzer:innen; Umgang mit komplexen, fragmentierten Akteurskonstellationen; processuality; regulations and standards; user perspective; dealing with complex, fragmented actor constellations

Abstract:

Die denkmalpflegerische Begleitung von baulichen Veränderungen im Kontext des ökologischen Stadtumbaus und die damit verbundene Genehmigungspraxis ist für alle Beteiligte aufwändig. Konkrete Problemstellungen im Spannungsfeld Ökologie-Ökonomie-Kulturerhalt werden in der gängigen Praxis als Einzelfall behandelt, was nicht selten zu langen Genehmigungsprozessen, Kommunikationsschleifen und deshalb auch überflüssigen Konflikten führt. Der Artikel dokumentiert die detaillierten Untersuchungen im Reallabor der Aachener 1920er Siedlung In den Heimgärten, analysiert die denkmalgeschützte Gebäudesubstanz, dokumentiert den Veränderungsdruck in der Siedlung und diskutiert den Status Quo der aktuellen Genehmigungsprozesse. Der integrierte Prozess mit ersten Ergebnissen vorausgehandelter Lösungsszenarien, die Kommunikationswege sowie die ersten Ideen zur Optimierung der Genehmigungsprozesse und auch die Möglichkeit einer grundsätzlichen Übertragbarkeit des Konzeptes werden vorgestellt.

Spannungsfeld Ökologie-Ökonomie-Kulturerhalt

In der Regel stehen die Siedlungen der 1920er Jahre unter Denkmalschutz, wobei sie aber aufgrund ihrer energetischen Unzulänglichkeiten und gewünschter Anpassungen an zeitgemäße Wohnbedürfnisse einem massiven Veränderungsdruck unterliegen. Bisher stellt sich der bauliche Umgang mit dem Siedlungsbestand dieser Baualtersklasse sehr unterschiedlich dar. Viele sind als Denkmalbereich geschützt und im Rahmen einer entsprechenden Satzung kann damit ein angemessener Umgang sichergestellt werden. Darüber hinaus regeln vielerorts Vorgaben in den Bebauungsplänen und Gestaltungssatzungen mitunter recht detailliert mögliche Veränderungen. Ausgehend von den nutzerspezifischen Vorstellungen sind die energetischen Anforderungen, die Förderangebote sowie die Planungs- und Bauprozesse für private Eigentümer häufig unüberschaubar und damit die Kosten und Abläufe eines jeden Vorhabens unsicher. Die denkmalpflegerische Begleitung der Veränderungen und die verbundene Genehmigungspraxis sind für alle Beteiligte aufwändig, weil jeweils im Einzelfall konkrete Fragestellungen zu behandeln sind. Eine große Gruppe davon lassen sich wahrscheinlich bautypabhängig systematisieren und in Lösungsvarianten als Präzedenzfälle beschreiben. Wesentliche Konstruktionsdetails und energetische Schwachpunkte sind über das einzelne Objekt hinaus verallgemeinerbar. Auch die spezifischen Grundriss- und Grundstücksdispositionen ermöglichen übertragbare nutzungsbedingte und denkmalgerechte Interventionen.

Es sollen im Rahmen des hier vorgestellten Projektes übertragbare und vor allem konkret anwendbare Entscheidungsgrundlagen für die Bauherrenschaft, Planer:innen, Bauverwaltungen sowie die Denkmalbehörden unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und denkmalpflegerischer Belange entstehen. Die Aachener Siedlung In den Heimgärten dient dabei als Reallabor. Neben bauphysikalischen Messungen und der Bestandsaufnahme in einem Siedlungshaus wurde eine umfangreiche Analyse der Bauakten zur Siedlung durchgeführt. Um neben den energetischen Fragestellungen den Veränderungsdruck im Hinblick auf zeitgemäße Wohnbedürfnisse in der Siedlung fassen zu können, fand zusätzlich eine anonyme Bewohner:innenbefragung in der Siedlung statt.

Parallel zu den Untersuchungen im Reallabor der Aachener Siedlung erfolgte die konkrete Analyse der aktuellen Genehmigungsprozesse, die die Problematik der aufwändigen Einzelfallentscheidungen verdeutlicht. Es gab außerdem eine umfassende Sichtung von Planungshilfen und Leitfäden anderer Siedlungskontexte. Um die Prozesse beschleunigen und den Eigentümern konkrete Bauteillösungen und Planungsempfehlungen an die Hand geben zu können, wird derzeit ein bauteildifferenziertes, bautyp- und baualterspezifisches Kompendium möglicher baulicher Interventionen zusammengetragen.

Erste Fragestellungen wie zum Beispiel die denkmalgerechte energetische Sanierung einer Dachgaube oder aber Ideen für die Unterbringung von Lastenrädern und Mülltonnen in den Vorgärten liegen bereits vor. Die Bearbeitung der weiteren umfangreichen Lösungsbedarfe, die sich aus der Bewertung des Substanz, den Klimamessungen und der Bewohner:innenbefragung ergeben, sind Gegenstand des über zwei Jahre laufenden Projektes. Die laufende Evaluation der Ergebnisse ist durch einen interdisziplinär besetzten Fachbeirat gewährleistet

Klima- und nutzungsbezogene Bestandsaktivierung

Es gibt unterschiedliche Handlungsfelder für die klima- und nutzungsbezogene Aktivierung des geschützten sowie auch des darüber hinaus erhaltenswerten Bestands. Dazu zählen die Bauproduktion, die Bautechnik, der Rechtsapparat, die Finanzierung und nicht zuletzt die hinterlegten Planungs- und Bauprozesse.

Prozessdiagramm zur Klärung der Genehmigungsfähigkeit von energetischen Sanierungen.
Abbildung 1: Status Quo der Genehmigungsprozesse. Quelle: Christian Raabe.

Die unzähligen innovativen Ansätze im Bereich der Bautechnik und Bauproduktion sowie das Ausloten der rechtlichen Grundlagen zugunsten von baulichen Maßnahmen, die sich an kostengünstigen Lowtech-Lösungen als auch an Quartierslösungen orientieren, sollen in einer Prozessoptimierung zusammengebracht werden. Dabei stehen in erster Linie die Auseinandersetzung mit den aktuellen Planungsabläufen (siehe Abbildung 1) sowie die Vereinfachung der Abläufe im Fokus (siehe Abbildung 2). Das Projekt nähert sich anhand des Fallbeispiels der Aachener Siedlung In den Heimgärten ganz konkret den diesbezüglichen Anforderungen, Problemstellungen und Lösungsszenarien.

Prozessdiagramm zur Klärung der Genehmigungsfähigkeit von energetischen Sanierungen.
Abbildung 2: Neues Ziel: Ein vereinfachter Sanierungsprozess durch die Entwicklung eines Kataloges ausgehandelter Beispiellösungen. Quelle: Christian Raabe.

Reallabor In den Heimgärten

Die Aachener Siedlung In den Heimgärten vertritt exemplarisch typologisch und konstruktiv den weitverbreiteten Siedlungsbestand der 1920er Jahre in Deutschland. Die Bauten dieser Siedlungen entstanden zwischen den Kriegen häufig in Kombination mit einem Selbstversorger-Garten als Reaktion auf den zeitgenössischen Wohnungsnotstand sowie das allgemein schwierige ökonomische Umfeld. Kennzeichnend waren kurze Bauzeiten, geringe Baubudgets und davon abgeleitet entsprechend bescheidene Grundrissgrößen.

Der auch heute noch ablesbare bauzeitliche Siedlungsgrundriss mit der Einbeziehung der Topografie, mit seinen Durchwegungen, der Staffelung und Gruppierung der Häuser, der wesentlichen Straßen- und Blickachsen sowie die Parzellenstruktur erinnert beispielhaft an die Gartenstadtidee von Ebenezer Howard, die dieser in seinem Werk Garden Cities of Tomorrow 1898 beschreibt. Die Freiflächen, Nutz-, Zier- und Vorgärten sowie deren Einfriedungen prägen auch heute noch das typische Erscheinungsbild. Die auf einem optimierten Standardtyp basierenden Grundrisse der 225 Einzelobjekte reagieren ja nach Lage der Hausgruppen auf die jeweilige Topografie. Die charakteristischen Details der historischen Fassaden-, Giebel- und Dachgestaltung fassen die Reihenhausansichten gestalterisch zusammen, ermöglichen darüber hinaus aber auch gekonnt Akzentsetzungen und damit Binnenidentitäten innerhalb der Anlage.

Hausansichten.
Abbildung 3: Varianz durch unterschiedliche Giebelmotive bei den Siedlungshäusern In den Heimgärten. Quelle: LVR 2000.

Die Aachener Siedlung ist aus den zuvor beschriebenen Gründen städtebaulich, architekturgeschichtlich, orts- und sozialgeschichtlich aber auch siedlungsgeschichtlich bedeutsam und wurde daher 2005 als Denkmalbereich unter Schutz gestellt (LVR, 2000). Um im Kontext der Unterschutzstellung den Anwohnern erste konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand geben zu können, erfuhren die Denkmalbereichssatzung, der Bebauungsplan sowie die Gestaltungssatzung eine niederschwellig zugängliche Übersetzung in Form eines Leitfadens, der die Gestaltungsvorgaben für die Siedlung zusammenfasst (Stadt Aachen o. J.). Viele Anwohner kennen und nutzen diese Vorgaben, wünschen sich jedoch mehrheitlich konkrete vorabgestimmte Detaillösungen, die den oftmals aufwendigen Abstimmungs- und Genehmigungsprozess für individuell gewünschte energetische Optimierungen und räumliche Anpassungen vereinfachen (Umfrage Autor:innen 2024).

Referenzhaus

Im Rahmen des Projekts ergab sich die Gelegenheit, ein unsaniertes und weitestgehend im bauzeitlichen Zustand erhaltenes Reihenmittelhaus In den Heimgärten für die Dauer von zwölf Monaten anzumieten, was ein detailliertes Aufmaß der Substanz sowie die Ermittlung der bauphysikalischen Konditionen ohne Einflussnahme durch Nutzeraktivitäten ermöglicht. Das Referenzgebäude gehört zum ersten der drei Bauabschnitte der Siedlung und seine Fertigstellung ist auf den Sommer 1925 zu datieren. Der heutige Zustand des Gebäudes ist im Wesentlichen bauzeitlich, ausgenommen sind einige spätere Anpassungen: Die maßgeblichste bauliche Veränderung ist die Errichtung eines gartenseitigen Erdgeschossanbaus im Jahr 1964 und in diesem Zusammenhang veränderte sich auch der Grundriss im Bereich des Eingangs und der Küche. Die bauliche Abtrennung von Küche und Diele führte zu einer Veränderung der Kellererschließung, die seitdem über einen neuen kleinen Flur erreichbar ist. Dieser Eingriff ist im Bauamt aktenkundig und vermutlich gehört in diesen Zusammenhang auch die Entfernung einer gartenseitigen Fensterbrüstung und der Einbau einer Türe im Obergeschoss, um das Dach des neuen Anbaus erschließen zu können. Seit wann der Treppenzugang in den Keller nicht mehr – wie im ursprünglichen Typengrundriss skizziert – von der gartenseitigen Küche aus erfolgt, sondern über den straßenseitigen Wohnraum, ist nicht dokumentiert. Gleiches gilt für den Ausbau der rückseitigen Dachkammer, bei der über die gesamte Hausbreite hinweg die rückwärtige Fassade einfach um die gewünschte Raumhöhe hochgezogen und mit einem flachen Dachabschluss versehen wurde, so dass nur noch ein kleiner mit dem Flachdach verschnittener Teil der ursprünglichen Dachschräge im Firstbereich verblieben ist. Vermutlich zeitgleich gab es den gleichen Dachausbau auch beim linken Nachbarhaus.

Wann die Sprossen der Holzfenster herausgeschnitten, die elektrischen Rollläden ergänzt und die Kunststoff-Glasbausteinfenster im Treppenraum eingesetzt wurden, lässt sich ebenfalls nur mutmaßen. Die Erneuerung des Fassadenputzes auf der Garten- und Straßenseite kann nach Aussage der Eigentümerinnen in die 1970er Jahre datiert werden. In diesem Zuge gingen auch die bauzeitlichen und gestaltprägenden Riemchenbänder verloren. Zeitgleich wurde die Haustür erneuert und der neue Briefschlitz in der Außenwand ergänzt, der den ursprünglichen Durchwurf in der Haustür ersetzt. Der Original-Dielenbodenbelag ist augenscheinlich in allen Räumen unter dem PVC- beziehungsweise Teppichbelag noch vorhanden, ebenso der Terrazzobelag im Eingangsbereich.

Bestandsaufnahme

Am Beginn stand die verformungsgerechte Vermessung des Referenzhauses im Rahmen eines Studierendenprojektes inklusive einer detailgetreuen Dokumentation aller relevanten historischen Bauteile wie Fenster, Türen und Treppen und deren digitale Modellierung. Kartierungen der bauzeitlichen Materialien wie Fußbodenoberflächen sowie der vorgefundenen Konstruktionen sind ebenfalls Teil der Dokumentation, soweit vor Ort eine zerstörungsfreie Erhebung möglich war. Am Ende stand der Abgleich aller gewonnenen Informationen mit den bauzeitlichen Bau- und Konstruktionsbeschreibungen.

Auf dieser Grundlage entsteht zurzeit ein detaillierter digitaler Gebäudezwilling als BIM-Modell, der einerseits alle relevanten Bauteile, Materialien, Konstruktionen sowie Schadensbilder abbildet und andererseits die jeweils zugehörigen bauphysikalischen Eigenschaften beinhaltet.

Bewohner:innenbefragung: Dokumentation des aktuellen Veränderungsdrucks

Im Mai 2024 erhielten alle Anwohner:innen sowie Eigentümer:innen der Siedlung eine Einladung zur Teilnahme an einer Bewohner:innenbefragung. Interessant ist hier der Umstand, dass es 1974 bereits eine ähnliche Fragebogenaktion im Rahmen einer Studienarbeit gab. Der Autor damals war Jan Altenkrüge, der sich bereits 50 Jahre nach der Entstehung der Siedlung mit der Frage nach der Bewohner:innenstruktur und der Lebensqualität in der Siedlung Branderhof (seit 2004: Siedlung In den Heimgärten, vgl. Forst 2022: 182) beschäftigte (Altenkrüger, 1974). Ein Rücklauf von knapp 47 Prozent aller Bewohner:innen seinerzeit belegt das schon damals vorhandene Interesse am Umgang mit den 1920er Jahre Siedlungen (unser Rücklauf betrug 2024 immerhin noch 34 Prozent, n=76). Die aktuelle Umfrage greift die Fragestellungen von 1974 zur Sozialstruktur, der Lebensqualität innerhalb der Siedlung und des einzelnen Siedlungshauses im Prinzip auf, differenziert diese aber unter anderem mit der spezifischen Abfrage quantitativer Daten weiter aus. Hinzu kommen in der aktuellen Kampagne außerdem die individuelle Beurteilung der Bausubstanz sowie die Beschreibung von Art und Umfang bisheriger baulicher Veränderungen. Wichtig sind im Zusammenhang zudem Fragen zum Denkmalbereich, den damit verbunden Auflagen und Genehmigungsprozessen und zum Wissensstand bezüglich potentieller Fördermöglichkeiten von Sanierungsmaßnahmen.

Nach einer ersten Auswertung und dem Abgleich mit den Umfrageergebnissen von 1974 kann festgestellt werden, dass die Bewohner:innen sich zu jeder Zeit in der Siedlung wohl fühlen (1974=97 Prozent, 2024=78 Prozent) und dort auch wieder einziehen würden (1974=86 Prozent) beziehungsweise auch gerne in 20 Jahren noch in der Siedlung wohnen wollten (2024=95 Prozent).

Die Abbildung zeigt Diagramme zum Wohnkomfort der Bewohnerbefragung.
Abbildung 4: Links: Wohnkomfort in der Siedlung, rechts: Wohnkomfort im Haus. Quelle: Bewohner:innenbefragung Mai 2024, n=76, initiiert durch LFG Denkmalpflege RWTH.

Viele schätzen das „ruhige, stadtnahe Wohnen mit Charme“ und auch der Wohnkomfort im Haus wird als „klein aber fein“ wahrgenommen.

(anonym aus der Bewohner:innenbefragung 2024)

Dennoch gibt es einige vor allem bauliche Mängel, die sowohl kurz nach Fertigstellung 1929, ebenso in den 1970er Jahren und auch heute noch zu konstatieren sind. Auf die Frage Was stört Sie am meisten? wurde 1974 von den Bewohner:innen in erster Linie die Hellhörigkeit benannt. Auch heute, nachdem die Mehrzahl der Häuser mittlerweile und gegebenenfalls auch mehrfach (teil-)saniert wurden, besteht die Hellhörigkeit als meistgenannte Problematik fort. Aktuell sind die Feuchtigkeit vor allem im Keller und Undichtigkeiten im Bereich der Fenster und des Dachs ebenfalls häufig benannte Mängel.

Die Abbildung zeigt Diagramme zum Wunsch nach baulichen Veränderungen der Bewohnerbefragung.
Abbildung 5: Wunsch nach baulichen Veränderungen (hier war eine Mehrfachauswahl möglich). Quelle: Bewohner:innenbefragung Mai 2024, n=76, initiiert durch LFG Denkmalpflege RWTH.

Bezüglich der Grundrissaufteilung finden sich unter den Beanstandungen 1974 generell die kleinen Räume, die fehlende Toilette im Erdgeschoss und die Zugänglichkeit der Kellertreppe durch das Wohnzimmer. Es fehlten darüber hinaus Abstellmöglichkeiten im Keller. Auch im Jahr 2024 vermissen die meisten Bewohner:innen sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Kinderwagen im Vorgarten oder im Haus selbst, da der direkte Zugang von der Straße in den Garten nicht gegeben ist und viele Häuser nur teilunterkellert sind. Auch der beengte Eingangsbereich, der Zugang zur Kellertreppe durch den Wohnraum, das fehlende WC im Erdgeschoss und die kleinteilige Zimmerstruktur werden beanstandet. Hinzukommen, mit Blick auf die aktuelle Frage nach den Möglichkeiten einer altersgerechten Nutzung, Bedenken bezüglich der nicht barrierefreien Grundrissanlagen in den Häusern (Stand 2024: 50 Prozent der Bewohner:innen sind 51 Jahre oder älter, im Vergleich 1974=45 Prozent).

Bauaktenarchiv: Dokumentation des Veränderungsdrucks früherer Zeiten

Im Stadtarchiv Aachen sind einige Unterlagen aus der Erbauungszeit der Siedlung zu finden. Leider ist nur noch ein kleiner Teil der ursprünglichen konstruktiven Baupläne der in drei Bauabschnitten errichteten Siedlung erhalten. Trotzdem geben verschiedene Unterlagen einen Einblick in die verwendeten Baumaterialien und Konstruktionen. So sind zum Beispiel Leistungsverzeichnisse der Schreinerarbeiten erhalten, die dezidiert die Bauteile Fenster, Türen, Böden und Treppen beschreiben. Zusätzlich findet sich ein umfangreiches Dokument mit 111 Gutachten zu Baumängeln von 1929, das einen Einblick in die Schwachstellen der unter enormem Zeit- und Kostendruck errichteten Gebäude gibt.

Die Verwendung von zu frischem Holz, unsachgemäß ausgeführten Balkonanschlüssen und -abdichtungen, das Fehlen von Drahtbespannung als Putzträger und die Verwendung von Bimskiesmaterial führte schon kurz nach der Fertigstellung zu teilweise inakzeptablen baulichen Mängeln.

Darüber hinaus ermöglicht der Abgleich mit den bisher in der Siedlung gestellten Genehmigungsanträge von Baumaßnahmen eine Einschätzung der am häufigsten gewünschten Veränderungen. Durch Akteneinsicht aller im Bauamt Aachen vorliegenden Hausakten zu den 225 Gebäuden konnte der Veränderungsbedarf der Eigentümer seit den 1940er Jahren nachvollzogen werden. Die meisten bei der Bauaufsicht bis Mitte der 1950er Jahre eingegangenen Bauanträge befassten sich zunächst mit dem Wiederaufbau der im zweiten Weltkrieg teil- oder totalzerstörten Gebäudesubstanz. Gemäß unseren Kartierungen sind für die Siedlung Branderhof, später: In den Heimgärten sieben Bombentreffer vermerkt, die insgesamt 21 totalzerstörte Häuser hinterließen. Stark in Mitleidenschaft gezogen wurde die gesamte Siedlung zusätzlich durch die Erschütterungen und Luftstöße zweier benachbarter Flak-Stellungen (Forst 2022: 80).

Lageplan der Siedlung mit zerstörten- und teilzerstörten Häusern.
Abbildung 6: Kriegszerstörung in der Siedlung In den Heimgärten. Quelle: Anna Maria Albert, auf Grundlage einer Kartierung der UDB Aachen, keine abschließende Erfassung.

Aus den Baubeschreibungen zum Wiederaufbau geht hervor, dass auch aus Gründen der Ressourcenknappheit in den ersten Jahren nach dem Krieg mehrheitlich das vor Ort aufgefundene Abbruch- und Schuttmaterial Wiederverwendung fand, sodass hier von beinahe analog-bauzeitlichen Konstruktionen ausgegangen werden kann. Schon aus dem Jahr 1942 stammte der erste und positiv beschiede Genehmigungsantrag zum rückwärtigen Ausbau des Dachgeschosses. Die Begründung war der Bedarf der Wohnraumerweiterung. Der erste Antrag zum Anbau einer Garage trägt das Datum 1948 und der erste gartenseitige Erdgeschossanbau ist für das Jahr 1949 als Küchenanbau im Gillesbachtal 72 aktenkundig. Bis heute gab es bei etwa 75 Prozent der Häuser (gemäß Auswertung der Akteneinsicht und der Umfrage im Mai 2024) Erweiterungen der ursprünglichen Nutzfläche entweder mit einem rückseitigen Anbau oder/und einem Dachausbau. Einhergehend mit der Erweiterung des Wohnraums fanden seit den 1950iger Jahren auch oftmals weitergehende Umbau- und Modernisierungsarbeiten statt.

Bauphysikalische Messungen

Bauphysikalische Messungen im Referenzhaus wie der Blowerdoor-Test, mit dem die Luftdichtigkeit eines Gebäudes bestimmt und Leckagen aufgezeigt werden können, und die thermografische Gebäudeuntersuchung haben deutliche Schwachstellen der Gebäudesubstanz aufgedeckt. Der Luftwechsel des untersuchten Referenzgebäudes war vor allem im Bereich des ungedämmten Dachs, über die bauzeitlichen Fenster und Türen, im Anschluss an den 1964 ergänzten Anbau sowie im Übergang von Wand zu Dach des Anbaus stark erhöht. Hierbei wurde etwa das sechsfache des gemäß GEG nach einer Sanierung zulässigen Luft-Volumenstroms gemessen (Referenzwert GEG: nL,50,zulässig,max=3,0 1/h – gemessener Wert: nL,50,ist=19,2 1/h). Als relevante Leckagen sind daher die folgenden Bauteile identifiziert: Fenster, Haustür, Spitzboden/Dach und Anbau

Erste überschlägige Simulationen ergaben, dass durch die entsprechende energetische Optimierung dieser Bauteile potenziell eine Endenergetische Reduktion von 60-70 Prozent zu erzielen ist. Weitere Messungen im Langzeitzyklus von etwa einem Jahr zur Ermittlung von Raumklimadaten, Bauteil- und Holzfeuchte, Oberflächentemperaturen sowie die Dokumentation der U-Werte der Außenbauteile, von Bauschäden und der schallübertragenden Bauteile finden derzeit statt. Es geschieht ein fortlaufender Abgleich der Messdaten mit den parallel durchgeführten Simulationen, um diese zu validieren und aber vor allem um auf dieser Grundlage schließlich die Maßnahmen zur energetischen Optimierung später rechnerisch bewerten zu können.

Protokoll der Blowerdoor-Messung. Quelle: Bauphysikalische Beratung Witschas.

Identifikation der relevanten Bauteile

Über die zuvor beschriebenen ersten bauphysikalischen Messungen war es möglich, die folgenden Leckagen im Hinblick auf die Luftdichtigkeit eindeutig zu identifiziert: Türen und Fenster, das Dach inklusive Gaube und der Anbau aus dem Jahr 1974. Inwiefern über die vorgenannten Aspekte hinaus, die aus Sicht des Denkmalschutzes kritisch beurteilte Ertüchtigung der Außenwände als größtes wärmeübertragendes Bauteil relevante Effekte einbringt, ist im Laufe des Projektes zu überprüfen

Die Abbildung zeigt Wärmeverluste über das ungedämmte Dach eines Hauses in der Siedlung.
Abbildung 8: Thermografie an der straßenseitigen Fassade. Quelle: Martin Zerwas, FH Aachen.

Die Bewohner:innenumfrage benannte darüber hinaus vor allem die Feuchtigkeit im Keller und die Hellhörigkeit der Häuser als Mangel. Zum letztgenannten Parameter ist im Zuge der weiteren Messungen zu bestimmen, ob die Problematik im Bereich der Körper- oder der Luftschallübertragung vorliegt und ob auch innerhalb des Hauses im Hinblick auf die Verbesserung des Trittschallschutz Maßnahmen erforderlich sein könnten. Da sich die Einzelhäuser der Siedlung alle in sehr unterschiedlichen Erhaltungs- und Sanierungszuständen befinden, gilt für die vorliegende Untersuchung der bauzeitliche Zustand als Ausgangspunkt für die Entwicklung von energetische Sanierungsstrategien. Durch Referenzmessungen in zwei weiteren Objekten innerhalb der Siedlung, die bereits unterschiedlich starke Umbaumaßnahmen erfuhren, ist es möglich, die Wirksamkeit der ausgehandelten Lösungsvorschläge auch im Übertrag auf Gebäude anderer Erhaltungszustände zu überprüfen.

Anpassung an zeitgemäße Wohnbedürfnisse

Basierend auf dem Ergebnis der Bewohner:innenbefragung sind darüber hinaus Konzepte für die Anpassung der kleinen Grundrisse an zeitgemäße Wohnbedürfnisse zu erarbeiten. Da mittlerweile fast alle Häuser baulich entweder durch die Ergänzung eines gartenseitigen Anbaus oder/und einen Dachausbau mit Gaube erweitert wurden, kategorisieren wir zunächst die bereits realisierten Umbaumaßnahmen. Diese Übersicht ist dann die Grundlage für die Diskussion der maximal möglichen baulichen Erweiterungen innerhalb der einzelnen Parzelle im Rahmen eines Fachgremiums, in dem unterschiedliche beteiligte Disziplinen vertreten sind. Es geht also tatsächlich um sehr detaillierte, aber dennoch verallgemeinerbare Planungsvorschläge. Zu beachten sind hier zum Beispiel die Anbindung von der Straßen- zur Gartenseite sowie natürlich die möglichst barrierefreie Nutzbarkeit, wozu auch eine Toilettenanlage im Erdgeschoss gehört. Darüber hinaus ist die Nutzungsverteilung im Quartier über die Parzelle hinaus ebenso zu untersuchen, wie die Aufwertung und Aktivierung der Quartiersmitte im Bereich Weingartshof. Maßnahmen zur individuellen Energiegewinnung wie die Solaranlage auf dem Dach, die Wärmepumpe im Vorgarten oder gar die Energievernetzung innerhalb des gesamten Quartiers sind im Kontext eines übergeordneten Energiekonzepts zu behandeln und finden hier vor allem mit Blick auf die möglichen denkmalrelevanten Auswirkungen Beachtung.

Status Quo der aktuellen Genehmigungsprozesse

Etwa Zweidrittel der 2024 befragten Eigentümer:innen gab an, schonmal einen Antrag zur Genehmigung von einer Änderung an ihrem Haus gestellt zu haben. Die Bewertung des Genehmigungsprozesses wurde dabei sehr unterschiedlich wahrgenommen, die Querverteilung deckt alle Bereiche von schnell und lösungsorientiert bis langwierig ab. Bemerkenswert ist, dass 75 Prozent der Bewohner:innen angaben, dass die Genehmigung in ihrem Fall mit einem mittellangen (bis 4 Monate) bis kurzen (weniger als vier Wochen) Prozess verbunden war.

Die Abbildung zeigt ein Diagramm zur Bewertung der Genehmigungsprozesse der  Bewohnerbefragung.
Abbildung 9: Bewertung der Genehmigungsprozesse (wurde nicht spezifiziert, betrifft die Baugenehmigung und denkmalrechtliche Erlaubnis). Quelle: Bewohner:innenbefragung Mai 2024, n=76, initiiert durch LFG Denkmalpflege RWTH.

Die durch die genehmigende Denkmalpflegebehörde der Stadt zusammengestellten Regularien in Form der eingangs erwähnten Gestaltungsvorgaben sind etwa der Hälfte aller Befragten bekannt. Diese dienen auch der Behörde selbst im Zuge der Beurteilung der Änderungsanträge als Entscheidungsgrundlage, obgleich darüber hinaus auch immer wieder langwierige Diskussionen mit den Antragsteller:innen aufkommen. Gerade in der Abwägung mit den Belangen des Klimaschutzes wird die Denkmalbehörde oftmals als restriktive, dogmatische Instanz wahrgenommen (anonym, aus der Bewohner:innenbefragung 2024, zum Beispiel beim Thema der PV-Anlagen); über 50 Prozent der befragten Bewohner:innen fühlen sich durch die Auflagen des Denkmalschutzes eingeschränkt.

Einzelfallentscheidungen

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion im August 2022 in Aachen zur Siedlung In den Heimgärten unter Beteiligung der Genehmigungsbehörde und der städtischen Fördermittel-Initialberatung, beklagten die eingeladenen Bewohner:innen und Eigentümer:innen die vermeintliche Fragmentierung und Intransparenz der Beratungs-, Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse. Auch für die Behörden bedeuten die zuvor beschriebenen zum großen Teil redundanten Prozesse und Fragestellungen einen enormen Zeit- und Ressourcenverbrauch. Jeder Antrag vor Erteilung der Genehmigung muss einzeln aufwendig auf die Einhaltung der Vorgaben und Auflagen hin überprüft werden und im Ergebnis ist dann nicht selten eine Überarbeitung und Wiedervorlage einzufordern.

Die Analyse vorhandener Leitfäden

Um Planungs- und Genehmigungsprozesse für Denkmaleigentümer:innen und Behörden zu optimieren, wurden bereits vielerorts Leitfäden sowohl von einzelnen Städten zum Umgang mit bestimmten Denkmälern als auch von Initiativen und Behörden zu gezielten Fragestellungen entwickelt. Diese Leitfäden lassen sich in mehrere Betrachtungsebenen unterteilen:

  • Bauteilbasierte Gestaltungsfibeln für bestimmte Siedlungen: Von der Stadt Duisburg (Stadt Duisburg 2002-2008) zum Beispiel wurden zwischen 2002 und 2008 Fibeln für 13 unterschiedliche Siedlungen als Zusatz zur Denkmalbereichssatzung und als Handreichung für Eigentümer:innen und Planer:innen herausgegeben. Die betrachteten Parameter lassen sich in städtebauliche Merkmale wie Kubatur, Parzellenstruktur und Außenraumgestaltung sowie in die Bauteile Außenwand, Außenwandöffnungen, Anbauten, Dach und Boden differenzieren. Der sinngemäße Übertrag der Gestaltungsfibeln auf andere Siedlungen muss im Hinblick auf die sehr spezifischen auf den jeweiligen Siedlungsbereich zugeschnittenen Analysen und Richtlinien zur Erhaltung und Gestaltung mit Vorsicht erfolgen.
  • Bauteilbasierte Leitfäden zur energetischen Sanierung für den denkmalgeschützten Gebäudebestand: Herausgeber sind hier oftmals einzelne Kommunen wie zum Beispiel die Städte Nürnberg (Stadt Nürnberg 2020), Frankfurt (Stadt Frankfurt 2023), Wiesbaden (Stadt Wiesbaden 2019) oder die Vereinigung der Denkmalämter in den Ländern (VdL 2022). In Österreich liefert das Bundesdenkmalamt mit Sitz in Wien zentral entsprechende Handreichungen. Adressiert werden hauptsächlich Eigentümer:innen und Planer:innen. Mit den Leitfäden zur energetischen Sanierung werden die Eigentümer:innen auf die Genehmigungsverfahren vorbereitet und für die denkmalgerechte Ausführung sensibilisiert; konkrete Maßnahmenvorschläge und Detaillösungen sind jedoch in der Regel nicht benannt und wären jeweils „unter Berücksichtigung des Bestandes festzulegen“ (Bundesdenkmalamt Österreich 2021: 28). Der vom Energiereferat der Stadt Frankfurt erstellte Leitfaden für die energetische Sanierung von Gründerzeitgebäuden (2016) geht hier beispielhaft weiter und bewertet die vorgeschlagenen Optimierungsstrategien im Hinblick auf energetische Effizienz und Kosten. Betrachtet wird der gesamte gründerzeitliche Gebäudebestand, allerdings ohne denkmalpflegerischen Anspruch.
  • Leitfäden zu spezifischen Fragestellungen wie etwa der Umgang mit Denkmälern und Solaranlagen: Hiermit erreichen einzelne Kommunen wie zum Beispiel die Städte Köln (Stadt Köln 2022) und Berlin (Stadt Berlin 2023) mit Handreichungen in erster Linie Eigentümer:innen; zusätzlich haben etliche Landesministerien und Landesverbände Handreichungen, Checklisten oder zumindest Entscheidungsleitlinien für die genehmigenden Behörden veröffentlicht. Die Handreichungen zu den Solaranlagen geben eine gute Orientierung, sind allerdings oftmals nur bedingt auf die kleinteilige (Eigentümer-)Struktur von Einfamilienhaus-Reihensiedlungen übertragbar.

Sinnvoll erscheint nach der Analyse der unterschiedlichen Betrachtungsebenen der bauteil-differenzierte Ansatz mit einem bautyp- und baualtersspezifischen Kompendium, das konkrete ausgehandelte Lösungsvorschläge bereitstellt.

Integrierter Prozess – Fachgremium

In Vorbereitung des Projektes fand sich ein Team von Prozessbeteiligten zusammen, dass den integrierten Ansatz des Projektes fundiert und folgende Kompetenzen zusammenführt: Eigentümer:innen, sanierungsbezogene Initialberatung für Eigentümer:innen, Förderberatung, amtliche Denkmalpflege der Stadt Aachen, Städtebaulicher Denkmalschutz NRW, Dokumentation, Planen und Bauen im Bestand, nachhaltiges Planen und Bauen, Bauphysik, Energieberatung und Handwerk. In insgesamt sechs Workshops diskutiert und schärft das Fachgremium die Ansätze mit dem Ziel, eine möglichst große Vereinbarkeit der relevanten Anforderungen zu erarbeiten. Die Phasen zwischen den Workshops dienen der Überprüfung der erfolgten Anregungen, der weiteren Recherche und einer Vorabstimmung mit den einzelnen Fachdisziplinen sowie der Ausarbeitung und Verfeinerung der Diskussionsgrundlagen. Dieser iterative Aushandlungsprozess hat sich bereits in einem Vorgängerprojekt im Rahmen des Zukunft Bau Pop-Up-Campus (2022, Abbildung 10) bewährt.

Neun Personen diskutieren im Rahmen einer Podiumsdiskussion
Abbildung 10: Podiumsdiskussion am 30.08.2022 mit dem Fachgremium im Rahmen des Pop-Up Campus. Foto: LFG Denkmalpflege RWTH.

Vorausgehandelte Lösungsszenarien

Im Rahmen eines Vorgängerprojekts bot sich die Möglichkeit, die zuvor beschriebene Projektidee zunächst nur für das Bauteil Dachgaube exemplarisch durchzuarbeiten (Abbildung 11). Die Gaube erscheint zunächst unwichtig, vereint dabei aber beinahe alle genannten Problemstellungen: energetische, bauphysikalische und konstruktive Schwachpunkte sowie einen Nutzungsdruck durch Ausbau unter der Beachtung einer häufig problematischen Raumhöhe und Belichtungssituation. Gleichzeitig ist die straßenzugewandte Dachflächenlandschaft mit dem Gestaltungselement der Gauben in der Regel konstitutiv für die denkmalpflegerische Bewertung. Unter Beteiligung des Fachgremiums fand ein erster Workshop mit dem Ziel statt, die einzelnen Bewertungsparameter für die geplanten Ertüchtigungen der Gaube zu definieren. Die spezifischen Anforderungen der Ökonomie, der Ökologie, der Konstruktion und der Denkmalpflege wurden benannt und im Hinblick auf mögliche Interventionsstrategien gewichtet.

Modellfoto einer Dachgaube
Abbildung 11: Modell der Dachgaube im Maßstab 1:5, stellt zwei Optionen zur energetischen Ertüchtigung gegenüber. Foto: LFG Denkmalpflege RWTH.

Auf dieser Basis entstand eine vereinbarte Bewertungsmatrix, die als Grundlage für die Entwicklung zweier Lösungsvarianten diente. Die Dokumentation des Projekts umfasste drei Bausteine, die das Erarbeitete auf differenzierte Weise erfahrbar machten:

  • Die räumliche Wahrnehmung und die visuellen Konsequenzen der konkreten Interventionen ließen sich anhand eines Modells der Dachgaube im Maßstab 1:5 eindeutig nachvollziehen.
  • Eine Materialbibliothek dokumentierte die unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften sowie die Qualitäten in Bezug auf Nachhaltigkeit und Kosten der infrage kommenden Dämmstoffe.
  • Als drittes Angebot ermöglichte die filmischen Dokumentationen einen Einblick in die Entwicklung des Diskurses. Sie thematisieren die gewünschten Anforderungen und die Evaluation der unterschiedlichen Parameter in der Diskussion im Fachgremium.

Ein Fahrradschuppen für die Heimgärten

Der Veränderungsdruck im Hinblick auf zeitgemäße Wohnanforderungen wurde im Rahmen der Akteneinsicht und der Bewohner:innenbefragung sehr deutlich. Mit dem aktuellen Generationenwechsel innerhalb der Bewohner:innenstruktur halten nicht zuletzt auch Lastenräder und Elektroautos Einzug in die Siedlung. Weder die über eine steile Treppe erschlossenen Keller noch der rückwärtige, oftmals nur durch das Haus erreichbare Garten bieten hier eine ausreichende Stellfläche. Auch in den für heutige Ansprüche beengten Wohnräumen im Erdgeschoss können Kinderwagen und Co. nur schlecht untergebracht werden. Bereits seit längerer Zeit lässt sich daher beobachten, dass die Bewohner:innen der Siedlung nach Lösungen suchen, um in ihren Vorgärten E-Bikes und Lastenräder, aber auch Mülltonnen, einbruchsicher und trocken unterzubringen. Ein Stegreifentwurf mit 16 Studierenden beschäftigt sich im Sommersemester 2023 daher mit denkmalgerechten, innovativen und pragmatischen Lösungsansätzen für eine zunächst trivial erscheinende Thematik. Aus der Bandbreite an unterschiedlichen Lösungen wählten Monika Krücken als zuständige Stadtkonservatorin sowie beteiligte Bewohner:innen der Siedlung zwei Optionen aus, die neben der Praktikabilität auch den denkmalpflegerischen Anforderungen entsprechen und sich in Proportion und Materialität gestalterisch den denkmalgeschützten Häusern mit ihren weißen Putzfassaden und den schmalen Klinkerbändern unterordnen. Diese Optionen sollen veröffentlicht und den Bewohner:innen als Gestaltungsvorschlag an die Hand gegeben werden.

Fotocollage und Planausschnitt mit der Idee für einen begrünbaren Fahrradschuppen.
Abbildung 12: Entwurfsidee für einen Fahrradschuppen im Vorgarten eines Siedlungshauses. Quelle: Maximilian Lesch im Rahmen eines Stegreifentwurf am LFG Denkmalpflege RWTH.

Sowohl der Vorschlag zur denkmalgerechten energetischen Ertüchtigung der Dachgaube als auch die Ideen für die Unterbringung von Lastenrädern und Mülltonnen in den Vorgärten sind allererste kleine Beispiele für die vorausgehandelten Lösungsszenarien, die im Rahmen des Forschungsprojekts in einem umfassenden Kompendium zusammengetragen werden. Neben bauteil- und grundrissbasierten Vorschlägen soll die Sammlung darüber hinaus konkrete Handlungsempfehlungen für Nutzer:innen, beispielsweise zum richtigen Lüftungsverhalten, etappenweise Sanierungsstrategien und Fördermöglichkeiten sowie die Prozessdokumentation enthalten.

Dokumentation der Entscheidungsfindung

Alle erarbeiteten Bauteillösungen entstammen der gleichsam vorweggenommen Abstimmung im Fachgremium. Dabei werden die Ansätze nach einer festgelegten Matrix im Hinblick auf ökologische, ökonomische und denkmalpflegerische Anforderungen über ein Ampelsystem transparent beurteilt.

Ampel-Bewertungs-System zur Beurteilung im Hinblick auf ökologische, ökonomische und denkmalpflegerische Belange
Abbildung 13: Matrix zur Beurteilung der Interventionen. Quelle: LFG Denkmalpflege RWTH.

Die Entscheidung für die Aufnahme einer Detaillösung in das Kompendium erfolgt über die Bewertung innerhalb dieser Matrix. Dabei sind immer mindestens drei Optionen zu betrachten:

  • Eine Option, die den Bestand möglichst in seiner Originalsubstanz erhält und kaum verändert.
  • Eine zweite Option, die die maximale energetische Sanierungsstrategie abbildet (Effizienzhaus 100).
  • Die dritte machbare und ausgehandelte Option, die einen denkmalpflegerisch verträglichen und ökologisch sowie ökonomisch sinnvollen Vorschlag bietet (in Bezug auf energetische Anforderungen: KFW Effizienzhaus Denkmal).

Alle im Rahmen der Entscheidungsfindungen im Fachgremium diskutierten Fragestellungen werden protokoliert, sodass am Ende nicht nur beispielhaften ausgehandelte Lösungsszenarien, sondern auch die relevanten Entscheidungskriterien der unterschiedlichen Fachbeteiligten dokumentiert sind. Damit bleiben die Entscheidungsprozesse nachvollziehbar und auch im Hinblick auf die Übertragbarkeit auf andere Siedlungen und/oder Baualtersklassen reproduzierbar.

Optimierung der Genehmigungsprozesse

Das Kompendium dient darüber hinaus auch den Genehmigungsbehörden als Handreichung um Änderungsanträge, die sich im Rahmen der vorausgehandelten Lösungsszenarien bewegen, einfach und ohne besondere Prüfung im Einzelfall bewilligen zu können. Dadurch erhalten die Antragsteller:innen Planungssicherheit und die Prozesse werden sowohl für die Eigentümer:innen als auch für die Behörden transparent und nachvollziehbar. Damit wird es möglich sein, einerseits bauherrenseitige Hemmschwellen bezüglich der Umsetzung sinnvoller Maßnahmen deutlich zu reduzieren und andererseits möglicherweise die Akzeptanz und Wertschätzung für die Anforderungen und Auflagen im Denkmalkontext zu verbessern.

Übertragbarkeit des Konzepts

Abschließend stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der zuvor beschriebenen ausgehandelten Lösungsszenarien und die Relevanz dieser Arbeit für den gesamten Einfamilienhaus-Siedlungsbestand der 1920er Jahre. Eine mögliche Skalierung ist von folgenden Parametern abhängig:

  • Von dem baulich-konstruktiven Zustand der Objekte, auch in Abhängigkeit der bauzeitlich lokal verfügbaren Materialien. Dies kann über einen Vergleich von Baubeschreibungen oder konstruktiven Zeichnungen von baualtersgleichen Siedlungshäusern oder allgemeinen in der Literatur verfügbaren Baubeschreibungen überprüft werden (Faber 1918; Schulze-Naumburg 1917).
  • Von den Nutzer:innengruppen, für die die Siedlungshäuser ursprünglich errichtet wurden.
  • Von den spezifischen Grundrissanlagen und der Anzahl der Geschossigkeit, was in direktem Zusammenhang mit den zuvor genannten Nutzer:innengruppen zu betrachten ist.
  • Von der städtebaulichen Figur sowie der Varianz der Grundstückszuschnitte und -größen.

Die letztgenannten drei Parameter sind zurzeit Thema einer studentischen Arbeit. Hierzu werden 15 bundesweit verteilte Siedlungen der 1920er Jahre analysiert und anhand der genannten Aspekte vergleichend gegenübergestellt. Die Frage, inwiefern das Konzept auch auf andere Gebäudetypologien oder andere Baualtersklassen übertragbar ist, soll darüber hinaus Gegenstand eines Projektes in Kooperation mit der Stadt Köln sein, das die Volksparksiedlung in Köln-Raderthal aus den 1950er Jahren untersucht.

About the author(s)

Christian Raabe, Prof. Dr.-Ing. Architekt, Leiter des Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege und historische Bauforschung an der RWTH Aachen University und Partner im Büro ABRI+RAABE, Berlin.

Christian Raabe, Prof. Dr.-Ing. architect, head of the Department of Historic Building Conservation and Research at RWTH Aachen University and partner at ABRI+RAABE Architekten, Berlin.

Stefanie Kerner, Architektin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege und historische Bauforschung an der RWTH Aachen University und Projektleiterin in einem Aachener Architekturbüro.

Stefanie Kerner, architect, is research assistant at the Department of Historic Building Conservation and Research at RWTH Aachen University and project manager in an Aachen architectural office.

References

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Faber, Manfred (1918): Billige Kleinwohnungen. Flugschrift. Köln/Leipzig: deutsche Bücherei.

Forst, Ludwina (2022): Siedlungsleben: Von der Siedlung „Branderhof“ zum Denkmalbereich „In den Heimgärten“. Aachen: Verlag Mainz GmbH.

Howard, Ebenezer (1898): Garden Cities of To-morrow. London: Swan Sonnenschein & Co.

LVR (Landesverband Rheinland) (2000): Gutachten zum Denkmalbereich In den Heimgärten/Branderhof im Stadtgebiet von Aachen (unveröffentlicht, aber einsehbar).

Schulze-Naumburg, Paul (1917): Der Bau des Wohnhauses. München: Callway.

Stadt Aachen, Planungsamt (Hg.): Gestaltungsvorgaben der Stadt Aachen zur Erhaltung und Entwicklung der Siedlung „In den Heimgärten“. https://www.aachen.de/de/stadt_buerger/planen_bauen/_materialien_planen_bauen/stadtentwicklung/stadtviertel/heimgaerten/SiedlungIndenHeimgaerten.pdf, Zugriff am 14.08.2024.

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Stadt Köln (2022) (Hg.): Energetische Ertüchtigung von denkmalgeschützten Gebäuden. https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/25405/index.html, Zugriff am 14.08.2024.

Stadt Nürnberg (Hg.) (2020): Energieeffizienz, Sanieren und Bauen, So wird’s gemacht. https://www.nuernberg.de/internet/klimaschutz/bauen_sanieren.html, Zugriff am 14.08.2024.

Stadt Wiesbaden (Hg.) (2019): Leitfaden Energetisches Sanieren denkmalgeschützter Gebäude in Wiesbaden. https://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/umwelt/stadtklima/sanierungs-rechner.php, Zugriff am 14.08.2024.

VdL (Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern) (Hg.) (2022): Energetische Ertüchtigung am Baudenkmal, Hinweise zur Denkmalgerechten Umsetzung 03. https://www.vdl-denkmalpflege.de/1/aktuelles/artikel?tx_news_pi1%5Bnews%5D=219, Zugriff am 14.08.2024.

Teile dieses Artikels wurden beziehungsweise werden in den folgenden beiden Publikationen veröffentlicht:

Kerner, Stefanie und Raabe, Christian (2024): Beitrag zur Sanierung von Siedlungsbauten der 1920er Jahre, In: BBSR (Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBR) (Hg.) (2024): Bauwende, Zukunft Bau Kongress 2023, Bonn, 216–219.

Kerner, Stefanie und Raabe, Christian (2023): In den Heimgärten. In: BBSR (Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBR) (Hg.) (2023): Zukunft Bau Pop-up Campus Aachen, Bonn, 184–189.

Kerner, Stefanie und Raabe, Christian (2025): Sanierung von Siedlungsbauten der 1920iger Jahre. In: Im Auftrag des Rektors der RWTH Aachen, Dezernat 3.0 (Hg.): RWTH Themen, Forschungsmagazin, Profilbereich „Build and Lived Environment“ Aachen, 42–7.