Published 2.07.2025
Umbau erleben
Anpassungsprozesse zwischen räumlichen Verhältnissen und menschlichem Verhalten
Experience of Urban Redevelopment
Adaptation Processes Between Spatial Conditions and Human Behaviour
Keywords: Anpassung; Stadt-Umbauprozesse; urbane Affordanzen; Felderleben; adaptation; urban remodelling processes; urban affordances; field theory
Abstract:
Umbau bedeutet Veränderung: Zum einen kann sich die gebaute Gestalt verändern, zum anderen bedeuten Umbauprozesse meist auch einen Eingriff in den Alltag der Nutzer:innen. Diese Eingriffe können hoch invasiv sein und offensichtliche Strukturen verändern oder sie können nur latent spürbar sein. In jedem Fall muss der Mensch sich anpassen, wird in Bewegung gebracht oder initiiert selbst Veränderungen. Ziel dieses Beitrags ist es, in Bewegung bringen als eine Form der Anpassungsleistung zu diskutieren und damit einen Beitrag zur Umbaudebatte zu leisten. Es werden erste konzeptionelle Überlegungen vorgestellt, die das Wechselspiel von Anpassung als soziales Verhalten im Kontext der gebauten Umwelt beleuchten. Der Artikel integriert raum- und planungstheoretische sowie sozialpsychologische Aspekte und zielt darauf ab, ein tieferes Verständnis des Zusammenspiels von gelebter und gebauter Umwelt in Planungs- und Gestaltungsprozessen zu vermitteln.
Remodelling means change: on the one hand, the built form can change, on the other hand, remodelling processes usually involve an intervention in the everyday lives of users. These interventions can be highly invasive, changing obvious structures, or they can be latent. In any case, people have to adapt, are set in motion or initiate changes themselves. The aim of this article is to discuss setting things in motion as a form of adaptation and thus to contribute to the debate on reorganisation. Initial conceptual considerations are presented that shed light on the interplay between adaptation as social behaviour in the context of the built environment. The article integrates aspects of spatial and planning theory as well as social psychology and aims to provide a deeper understanding of the interplay between the lived and built environment in planning and design processes.
Soziale und räumliche Anpassung
Im Alltag ist der Mensch kontinuierlich gefordert, sich an verschiedene und sich wandelnde Lebenssituationen, Umweltfaktoren oder Stressoren anzupassen. Diese Anpassungsfähigkeit gehört zum normalen Repertoire menschlichen Handelns und ist entscheidend für das individuelle Wohlbefinden in der Gesellschaft. Ob es um Veränderungen insozialen Beziehungen, in der Arbeitswelt oder in physischen Lebensräumen geht – die Fähigkeit, flexibel auf neue Situationen zu reagieren, prägt den Alltag des Menschen.
Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen, wie beispielsweise dem Klimawandel, werden die unterschiedlichen Formen der Anpassung – von individuellen Verhaltensweisen hin zu grundlegenden Fragen der Ressourcenschonung – zunehmend diskutiert. Anpassungen an die „bereits eingetretenen unerwarteten Veränderungen“ (BBSR 2023) zu ermöglichen und zu begleiten, gehört zu den zentralen Aufgaben jeder Kommune. Hinter dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit von Anpassung als zu fördernde Eigenschaft verbergen sich zahlreiche Fragen, die im Wandel oft unbeachtet bleiben und gerade für Planende, Gestaltende und am Umbau beteiligte Akteure relevant sind: Wie können die Bewohnenden dazu angeregt und dabei unterstützt werden, Anpassungen vorzunehmen? Wie können Räume so gestaltet werden, dass sie flexibel genug sind für Veränderungen und diverse Anpassungsoptionen und Neugierde wecken, sich auf neue Handlungsmuster einzulassen? Während also individuelle Anpassungsstrategien eine wichtige Rolle spielen, stellt sich Frage, wie diese (individuelle) Anpassung durch die Gestaltung urbaner Räume beeinflusst wird und umgekehrt.
In diesem Beitrag wird die Chance des Umbauens von Stadtraum mit der Fähigkeit und Bereitschaft zur Anpassung des Menschen verknüpft. Dabei ist die These leitend, dass die gebauten Verhältnisse und das soziale Verhalten sich gegenseitig bedingen und beeinflussen.
Veränderungen in der gebauten Welt wirken sich auf das (Nutzungs)-Verhalten des Menschen aus, genauso können Verhaltensweisen die Nutzung und Wahrnehmung des gebauten Raums verändern. Ziel dieses Beitrags ist es, Umbau als Anlass zu nutzen, soziale und räumliche Aspekte stärker miteinander zu verbinden und die so wichtige Fähigkeit zur Anpassung inhärent mitzudenken. Das Wechselspiel aus dem sozialen Verhalten und den gebauten Verhältnissen wird dabei im Kontext eines Felderlebens betrachtet.
Mit Felderleben wird sich in diesem Beitrag auf die Feldtheorie von Kurt Lewin (1942) bezogen, dem zufolge das Verhalten von Individuen nicht isoliert, sondern immer in Wechselwirkung mit ihrer Umgebung verstanden werden muss. Lewins Feldtheorie bezieht sowohl interne als auch externe Kräfte mit ein, die auf das Individuum einwirken und dessen Handeln beeinflussen. Mit der Betrachtung des Wechselspiels von Verhalten und Verhältnissen im Kontext des Felderlebens soll – und so ist auch der konzeptionelle Impuls dieses Beitrags zu verstehen – das Verständnis dafür, wie Menschen sich an veränderte räumliche und soziale Gegebenheiten anpassen und welche Rolle dabei der Umbau von Lebensräumen spielen kann, erweitert werden.
Besonders hervorzuheben ist der konzeptionelle Charakter dieses Beitrags, der darauf abzielt, einen theoretischen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen unterschiedlichen Dimensionen der Anpassung des menschlichen Verhaltens in der Reaktion auf seine Umwelt veranschaulicht werden. Der Beitrag soll dazu anzuregen, weitere Fragen und Forschungsansätze – insbesondere hinsichtlich einer geeigneten Research Agenda für Themen rund um Anpassungsprozesse im Stadt-Umbau-Raum – zu identifizieren und ist wie folgt gegliedert: Nach einer Annäherung an den vieldeutigen Begriff der Anpassung insbesondere vor dem Hintergrund sozial- und umweltpsychologischer Überlegungen sowie einer Eingrenzung des Phänomens der Anpassung im Kontext von Stadt-Umbau werden Planungs- und Gestaltungsperspektiven für Umbauprozesse vorgestellt, die verschiedene Möglichkeiten zur Anpassung mitdenken.
Perspektiven auf das Phänomen der Anpassung
Die Anpassungsfähigkeit des Menschen an seine Umwelt und an die damit verbundenen Stressoren sind ein zentrales Thema zahlreicher Forschungsdisziplinen, darunter Medizin, Psychologie, Neurowissenschaften, Soziologie, Architektur und Stadtplanung. Die einzelnen Perspektiven auf Anpassung variieren dabei je nach Fachrichtung. Die Psychologie beispielsweise fokussiert kognitive Anpassungsprozesse, die Stadtplanung Raumqualitäten oder die Soziologie soziale Möglichkeitsräume. Jede dieser Disziplinen trägt zu Erkenntnissen bei, wie einerseits der Mensch – sowohl physisch als auch psychisch – als auch die gebaute Umwelt auf stetig wandelnde Umweltbedingungen reagieren und welche Mechanismen zur Stressbewältigung eingesetzt werden können.
Innerhalb der disziplinären Ausrichtung lassen sich Gemeinsamkeiten und interdisziplinäre Verbindungslinien identifizieren. Forschungsfelder, wie beispielsweise der Neurourbanismus, die Medizinsoziologie oder Umweltpsychologie sowie die sozial-ökologische Forschung, verweisen auf die Betrachtung von Anpassung als Querschnittsthema. Ohne ein vollständiges Bild der unterschiedlichen Debatten und Kontexte um Anpassung aufzuzeigen, werden im Folgenden zentrale Gemeinsamkeiten aus unterschiedlichen (inter-)disziplinären Richtungen vorgestellt. Ziel dieser Bündelung ist es, wesentliche Elemente menschlicher Anpassungsprozesse zusammenzufassen, die im Kontext von Umbauprozessen im Stadtraum eine Rolle spielen können.
Zu betonen ist, dass im Folgenden viele wegweisende Studien und theoretische Ansätze ab den 1950er aufgegriffen werden. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend der Mensch und Raum in seiner relationalen Beziehung zueinander betrachtet wurde. In dieser Zeit gewannen Entwicklungen wie der spatial turn und der cultural turn an Bedeutung, ebenso wie phänomenologische und humanpsychologische Ansätze, die verstärkt der Erforschung der alltäglichen Erfahrung der Menschen sowie der Art und Weise, wie diese ihre Umwelt konstruieren, gewidmet waren (vgl. dazu Dünne et al. 2021).
Medizinsoziologische Perspektiven auf Anpassung
Besonders wegweisend für die Gesundheitsforschung waren Studien ab den 1960er und 1970er Jahren. Zu dieser Zeit begannen Forscher:innen sich zunehmend von einer medizinischen Forschung, die stark auf die Ursachen von Krankheiten fokussierte, abzuwenden und den Blick stärker auf psychosoziale Faktoren als entscheidend für das Wohlbefinden zu erkennen. Zahlreiche gegenwärtige Studien knüpfen an diese Überlegungen an, etwa der Setting Ansatz (vgl. WHO Ottawa- Charta zur Gesundheitsförderung von 1986), das SUHEI-Modell (Köckler et al. 2020) sowie soziologische Arbeiten von Hartmut Rosa zur Resonanz (2024 [2016]).
Die Überlegungen zur Salutogenese vom Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, die in den 1970er Jahren formuliert wurden, sind besonders stark aufgegriffen worden. Antonovsky (1985) beschreibt in seinem Konzept der Salutogenese, dass die Fähigkeit zur Anpassung eine essenziell wichtige Ressource darstellt, um das für die individuelle Gesundheit so entscheidende Kohärenzgefühl zu entwickeln. Mit dem Gefühl der Kohärenz drückt der Mensch seine Verbundenheit zur Welt aus, in der er sein Leben organisieren und handhabbar gestalten kann. Um dieses Kohärenzgefühl zu erlangen oder aufrechtzuerhalten, muss der Mensch stetig Anpassungen vornehmen. Für das individuelle positive Gesundheitsempfinden ist daher die Flexibilität zur Anpassung ein entscheidender Faktor (vgl. auch Malabou und Jeannerod 2009; Rosa 2024).
Inwieweit der Mensch in der Lage ist, Anpassungen aktiv anzugehen, diese zu bewältigen und sie in seinen Organismus als stabile und natürliche Reaktion einzuebnen, hängt von den jeweiligen individuellen Ressourcen sowie biografischen und sozial-ökologischen Ausgangslagen (vgl. Antonovsky 1985; Bourdieu 1979, 1992) ab. Jeder Mensch ist unterschiedlich ausgestattet und verfügt über individuelle Coping-Strategien (Lazarus und Folkman 1984) im Umgang mit Stressoren und externen Umwelteinflüssen. Auch die Offenheit gegenüber Anpassungsprozessen hängt von individuellen Ressourcen der Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugung ab.
Weitere Forscher:innen aus dieser Zeit betonen das Prinzip der Selbstwirksamkeit als zentral, um anpassungsfähig zu sein. Je mehr ein Mensch sich zutraut, selbst etwas bewirken zu können, an seine eigenen Kompetenzen glaubt, auch eigenständig schwierige Situationen meistern zu können, desto höher ist die Selbstwirksamkeit (vgl. Antonovsky 1985; vgl. Bandura 1976, Rotter 1954). Menschen mit einer guten Selbstwirksamkeit sind oftmals anpassungsfähiger, weil sie bereit sind, sich auf neue Situationen einzulassen. Der Locus of control, ein Begriff, der im Kontext der sozialen Lerntheorie von Julian Rotter (1966) entwickelt wurde, sieht die Fähigkeit der Anpassung in Abhängigkeit zur eigenen Kontrollüberzeugung. Je mehr sich der Mensch in der Lage fühlt, Änderungen selbst in die Hand nehmen und umsetzen zu können, desto mehr kann dieser auch aktiv Anpassungen vornehmen, diese bewältigen, sich auf diese einlassen.
Medizinsoziologische Perspektiven betrachten Anpassung also als einen Prozess, der stark von individuellen Ressourcen und Kapazitäten abhängt. Die Selbstwirksamkeit, sprich das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, aktiv Einfluss auf die eigene Situation zu nehmen, spielt eine zentrale Rolle. Zudem ist die Kompetenz, sinnstiftende Beziehungen zur Umwelt aufzubauen und diese im Kontext der eigenen Biografie wahrzunehmen, eng mit der Fähigkeit zur Anpassung verknüpft. Diese Aspekte sind entscheidend für das individuelle Wohlbefinden und die erfolgreiche Bewältigung von Herausforderungen im Leben.
Neuropsychologische Perspektiven auf Anpassung
Die Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich an neue Anforderungen, Erfahrungen und Umwelteinflüsse anzupassen. Dies betrifft sowohl kurzfristige als auch langfristige Anpassungen. Durch äußere Reize wird das Gehirn angeregt neue Verknüpf-ungen herzustellen. Das bedeutet, dass das Gehirn durch Vermeidung von Stressoren nicht trainiert wird, sondern durch die Konfrontation mit bestimmten Stressoren erst die Möglichkeit entsteht, Resilienzen gegenüber den Stressoren aufzubauen – auch wenn diese Anpassungsleistung langfristig negativ sein kann, etwa wenn Menschen sich an Lärm-, Licht- und Luftverschmutzung gewöhnen (vgl. Adli et al. 2017; Lederbogen et al. 2011; Münzel et al. 2018).
Ein weiterer wichtiger Faktor in der Neuropsychologie im Kontext der Anpassung ist der Erhalt der Stabilität des Organismus, genannt Homöostase (vgl. dazu Selye 1950 u. W.) Homöostase bedeutet die Herstellung von Stabilität und Gleichgewicht, „ohne allerdings je in einen statischen Zustand überzugehen“ (Haller et al. 2014: 363). Drohen äußere Einflüsse den Organismus zu stören, versucht der Körper sich durch physiologische Eigenschaften, etwa über die Regulierung der Körpertemperatur, der Anpassung des pH-Werts oder des Glukosespiegels stabil und damit handlungsfähig zu halten. Ähnlich wie in sozialphänomenologischen Ansätzen die Routinen als Stabilitätshandlungsmuster dienen, entwickelt auch der Organismus Mechanismen, um Störungen zu kompensieren und ein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Homöostase also, Stabilität zu erhalten, bedeutet damit eine „permanente Adaptationsleistung“ (vgl. ebd), da sich äußere Verhältnisse, soziale Kontexte und auch innere Empfindungen und Emotionen kontinuierlich ändern.
Das adaptive Verhalten des menschlichen Gehirns in Reaktion auf externe Umweltfaktoren stellt somit eine überlebenswichtige Funktion dar. Nur so ist der Mensch in der Lage, mit wechselnden Einflussfaktoren umzugehen. Gleichzeitig ist Anpassung aber nicht gleichzusetzen mit einer per se für den Menschen positiven Auswirkung. Anpassungen können auch schädlich sein und langfristig negative Auswirkungen haben. Umso wichtiger ist es, gesunde Anpassungsräume zu bieten. Sensorisch anregende oder wechselnde Umgebungen könnten dann beispielsweise dazu beitragen, die Plastizität des Gehirns und damit die Anpassungsfähigkeit des Menschen anzuregen (vgl. Malabou und Jeannerod 2009; Poli 2019).
Alltagssoziologische und phänomenologische Perspektiven auf Anpassung
Menschen verfügen über ein Hohes Maß an Anpassungsfähigkeit, jedoch wird diese oftmals durch das Streben nach Stabilität, Effizienz und das Vermeiden von Unsicherheiten und nicht kalkulierbaren Veränderungen überdeckt. Im Dauerablauf des Alltags und wenn Routinen reibungslos funktionieren, sind Anpassungsmechanismen kaum erkennbar. Meist wird Anpassung erst in Krisen sichtbar, wie beispielsweise durch die Pandemie. Dieses Spannungsfeld zwischen Beharrlichkeit und Anpassungsfähigkeit bestimmt auch die Debatte um Anpassung.
Alltagssoziologische Studien zeigen, dass Menschen ein Rezeptwissen verwenden, dass sich im Laufe ihres Lebens durch Erfahrungen erweitert (vgl. Garfinkel 1967; Schütz und Luckmann 1979; Schütz und Zaner 1971). In der Kindheit ist das Gehirn noch so flexibel, dass es sich schnell anpassen kann. Mit dem Alter kommen immer mehr Erfahrungen und Netzwerke hinzu, die dem Menschen Struktur und Orientierung im Alltag bieten und auf die der Mensch aus Gründen der Effektivität schnell zurückgreift. Sich an strukturierte Rezepte und Wissenswelten zu halten, macht für den Menschen also Sinn, um flexibel und schnell zu reagieren und im Alltag handlungsfähig zu sein bzw. zu bleiben. Diese Aspekte deuten auf ein großes Beharrungsvermögen des Menschen hin, sich an den eignen Erfahrungen und gelernten Strukturen im Alltag zu orientieren. Neues und Unbekanntes wird aus Effektivitätsgründen schon weniger aufgefasst beziehungsweise wahrgenommen. Gleichzeitig erfordert genau das Festhalten und stetige Aufrechterhalten an Stabilität Anpassung.
Insbesondere Studien zum urbanen Zusammenleben in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft haben spezifische Formen urbaner und individualisierter Anpassungsmechanismen aufgedeckt. Sie zeigen, dass der Mensch Mechanismen entwickelt, die es ihm erlauben, sich effizient und stabil durch Orte der Reizüberflutung zu bewegen. Etwa Milgrams Abgestumpftheit (Milgram 1970), die Blasiertheit des Städters (vgl. Simmel 1903), ein ganzes Repertoire urbaner Kompetenzen (vgl. Lofland 1976) oder situationsspezifisches Handeln (Goffman 1980, 1971; Bukow 2001) beschreiben diese Formen der Anpassung an Urbanität und damit das intrinsische Anpassungsverhalten des Menschen.
Anpassung im physischen Raum
Neben Maßnahmen, die die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit des menschlichen Verhaltens fördern, gewinnt auch der räumliche Kontext an Bedeutung in der Diskussion um Gestaltungsmöglichkeiten für Anpassungsprozesse. Räume konstruieren, ermöglichen oder verhindern gar positive Anpassung(-soptionen). Mit diesem Wissen wird Anpassung als zu fördernde Komponente zunehmend in Planungsprozesse und Maßnahmenprogramme integriert. Die bereits erwähnten Entwicklungen hin zu einer relationalen Perspektive auf Räume, schlägt sich in (planungs)-praktischen Handlungen nieder.
Der Raum prägt unser Verhalten und unser Verhalten prägt den Raum (vgl. Feldtkeller 2012; Schroer 2006). Entsprechend hängen die Möglichkeiten der Anpassung auch stark damit zusammen, wie der Raum gestaltet ist.
Raum ist auch nicht bloß die Summe der Beziehungen physischer Gegebenheiten und sozialer Handlungen, sondern „wesentliche Voraussetzung für die kulturelle und symbolische Reproduktion der alltäglichen Praxis“ (Wildner 2003: 59). Um die Dynamiken von Anpassungsprozessen zu verstehen, gezielt darauf einwirken zu können und Impulse zu ihrer Förderung zu setzen, ist ein differenziertes Verständnis von Raum von zentraler Bedeutung.
So gibt es verschiedene Konzepte, die sich damit auseinandersetzen, wie bauliche Strukturen Rhythmen und Bewegungsabläufe vorgeben (vgl. Lefebvre 2004; Lefebvre und Régulier 1985; Wehrheim 2009) oder wie physische Räume, Gegenstände und Artefakte bestimmte Verhaltensweisen und damit verknüpfte Normen und Regeln fördern oder einschränken (vgl. Barker 1968; Norman 2013). Im Rahmen des Konzepts der urban affordance wird sich mit dem Wechselspiel von Verhalten und Objekten, die zur Handlung einladen, auseinandergesetzt. Die Ideen sind besonders vielversprechend für die Stadtplanung und -entwicklung und damit für die Gestaltung von Umbau. Sie zeigen, welche städtischen Strukturen und Räume wie genutzt werden können und welche Interaktionen und Aktivitäten durch diese Nutzung angestoßen oder möglicherweise abgestoßen werden (könnten) (vgl. Burckhardt 1974; Gibson 2015; Tessin 2011).
Forschungsfelder, die sich mit der Bedeutung von Emotionen und sensorischen Impulsen befassen, stellen dar, wie Menschen psychologisch eine Verbindung zu Räumen aufbauen und was ihr Verhalten in und gegenüber diesen Räumen beeinflusst (vgl. Davidson 2017; Hutta 2009; Jensen und Pedersen 2016; Thrift 2004). Raum und die Potenziale zur Anpassung sind in diese genannten Bereiche eingebettet, da das soziale Handeln in Wechselwirkung zur sozialen Umwelt betrachtet wird.
Zwischen individueller Lage und kontextuellen Gegebenheiten
Die obigen Ausführungen zeigen, dass Anpassung eine stetig vorhandene Alltagpraxis ist, die sichtbar und bewusst oder unsichtbar, unbewusst und latent in Routinen einebnend vollzogen werden kann. Die Fähigkeit zur Anpassung trägt jeder Organismus in sich, allerdings bestimmen die unterschiedlichen individuellen Ressourcen die Rahmenbedingungen, inwieweit und mit welchem Einsatz Anpassungen umgesetzt werden können. Nicht alle Menschen haben die gleichen Voraussetzungen, sich an veränderte Umweltbedingungen oder Räume anzupassen. Städtische Ungleichheiten verstärken diese Unterschiede noch (vgl. Bartmann et al. 2023; Bunge und Pohle 2020, Bourdieu 1979, 1992).
Anpassung erfolgt somit in einem Spannungsfeld zwischen (individuellen) Ressourcen und Ausgangslagen einerseits sowie den physischen Gegebenheiten und den damit verbundenen Nutzungsroutinen und -mustern andererseits.
Die identifizierten Eigenschaften, die die Anpassungsfähigkeit beeinflussen – wie Selbstwirksamkeit, Kohärenz sowie der Erhalt von Stabilität und Ordnung in individuellen Routinen – sind stark subjektive Konstrukte, die schwer messbar und damit auch schwierig in einer Planungspraxis aufzugreifen sind. Es stellt sich daher die Frage, über welche Qualitäten und Eigenschaften Räume verfügen müssen, um die genannten Aspekte zu fördern und gezielt anzusprechen. Als Anknüpfung an diese Frage, wird in Folgenden der (um)gebaute Stadtraum als Teil eines dynamischen Feldes betrachtet, das die Möglichkeit bietet, Menschen dazu anzuregen, tradierte Handlungen, Routinen und Funktionen zu hinterfragen und zu verändern. Als Impulsgeber, Hingucker und Erlebnisfaktor, als Spielgeber und Mitspieler kann er neue kreative Interaktionen und Perspektiven zur Anpassung fördern.
Wichtig ist dabei die Auseinandersetzung mit dem Kontext.: Anpassung an was? Menschen leben „in selektiver Zuordnung zu ihrer Umwelt“ (Mitscherlich 1973: 15) und jedes Gebäude, jede Wohnung, jedes Wohnumfeld ist anders. Die jeweilige Stadt und die gebaute Umgebung laden mit der Platzierung von Gegenständen und Objekten zu Handlungen ein. Eine Bushaltestelle regt beispielsweise zu bestimmten Handlungen an: Warten, Einsteigen in den Bus, Aussteigen, Lesen von Informationen, Schutz vor Witterung suchen et cetera. Durch unzureichende Pflege, mangelnde Sitzgelegenheiten oder schlechte Beleuchtung können Menschen wiederum davon abgehalten werden, die Haltestelle als komfortablen Warte- und Verweilort zu nutzen. Der Angebotscharakter des jeweiligen Gegenstandes steht dabei im Kontext zu physischen, kulturell, sozial, symbolischen oder logischen Zusammenhängen (vgl. Gibson 2015; Stevens et al. 2024).
Vor diesem Hintergrund sind bestimmte Gegenstände zwar durch ihre gebaute Gestalt als ein bestimmtes Angebot besetzt, aber teilweise wird der Gebrauch durch die konkrete Nutzung erst deutlich (vgl. Berding 2020). Die Erfahrung und Gewohnheit der Nutzung sind dementsprechend relevant, ob eine Einladung zur Nutzung erfolgt oder nicht. Darüber hinaus können der Kontext und die Umgebung den Angebotscharakter eines Objektes beeinflussen. Eine Sitzbank an einer schnellbefahrenden Straße wird vermutlich als weniger einladend empfunden als eine Sitzbank im Park umgeben von Grün und Wasser (vgl. das Konzept der Prozessbausteine nach Q4 / Förster et al. 2023: 257ff). Es liegt daher in der Verantwortung der Planer:innen und Gestalter:innen, das zu gestaltende Umfeld zu kennen, seine Ressourcen und Herausforderungen zu erfassen und diese Erkenntnisse in die Planungs- und Gestaltungsprozesse einfließen zu lassen (vgl. Burckhardt 1974; Kibel 2023; Reutlinger 2009).
Umbau und Anpassung im Felderleben
Anpassung ist zwar ein fuzzy Phänomen, aber durch verschiedene gestalterische Impulse lassen sich Eigenschaften, die die Fähigkeit zur Anpassung fördern, wie etwa Kohärenz, Selbstwirksamkeit, Handlungssicherheit, Stabilität im Wandel et cetera stärken. In jedem Fall lassen sich durch gestalterische Interventionen Dynamiken in Gang bringen, die Menschen in Bewegung bringen und neue Anpassungsmomente hervorbringen. Die Wechselwirkung aus Verhalten und Verhältnissen – so die These in diesem Beitrag – ist dabei zu berücksichtigen.
Aufbauend auf diesen Überlegungen, wird im Folgenden eine Feldbetrachtung vorgeschlagen, die die Qualitäten des Raums (Verhältnisse) und die Kompetenzen der Menschen (Verhalten) im Rahmen eines dynamischen, zusammenhängenden Felderlebens beschreibt und damit jene Faktoren berücksichtigt, die die Anpassungsfähigkeit der Menschen adressieren. Das Felderleben wird als eine Art Resonanzraum verstanden, der den Menschen ein unmittelbares Feedback gibt. Dieses Feedback stimuliert nicht nur neue Verhaltensweisen und Wahrnehmungen, sondern unterstützt auch die Weiterentwicklung der Fähigkeiten, flexibel auf die Anforderungen der Umwelt mit Anpassungen zu reagieren.

Die Raumqualitäten beziehen sich auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, die die Nutzung, Wahrnehmung und Funktionalität eines Raumes prägen und beeinflussen (vgl. Jacobs 1961; Lynch 1960; Moreno 2024). Mit Kompetenzen sind Mechanismen gemeint, die der Mensch seit jeher entwickelt, um sich an die komplexen städtischen (Alltags-)Strukturen anzupassen und sich mit einer gewissen Handlungssicherheit im alltäglichen Raum fortbewegen zu können. Das Felderleben bezieht sich auf die Wechselbeziehung zwischen dem Subjekt und der Umwelt als ein Grundprinzip für menschliches Wohlbefinden. Der Begriff der Resonanz beschreibt dieses Erleben, welches dann entsteht, wenn Menschen mit ihrer Umgebung in einen Dialog treten können. Welche Formen und Tiefen das Resonanzgefühl annehmen kann, hängt von den individuellen Ressourcen, aber auch von den Rahmenbedingungen ab, die bereitgestellt werden, um resonante Beziehungen aufnehmen zu können (Rosa 2024: 24).
Die Hinwendung vom Raum zum Felderleben knüpft an der Field theory of learning (1942) von Kurt Lewin an. Er betrachtet das Verhalten einer Person als eine Funktion, die in Abhängigkeit zu den Umweltbedingungen und den individuellen Eigenschaften steht. Die gesamte Umwelt und die dynamischen Kräfte in dieser Umwelt, die auf das Individuum wirken, bezeichnet Lewin als Feld. Innerhalb dieses Feldes sind Menschen von anderen Personen und Objekten umgeben, die mit unterschiedlichem Aufforderungscharakter (Valenz), das Handeln der Personen beeinflussen (vgl. Lück 2021: 1). Pierre Bourdieu hat die Feldtheorie um das soziale Feld erweitert (vgl. Bourdieu 1979; Hilgers 2014). Er betrachtet es als einen Aushandlungsraum, in dem Akteure, um Ressourcen und Macht konkurrieren. Dabei sind die Akteure mit unterschiedlichen Kapitalien ausgestattet, die ihnen Zugänge zu Ressourcen erleichtern oder erschweren können.
Die Optionen der Anpassungsleistungen im Feld stehen demzufolge neben anderen Faktoren im Zusammenhang mit dem Aufforderungscharakter der Umgebung, ähnlich wie im Ansatz der urban affordance beschrieben. Innerhalb des Feldes überlagern sich die individuellen Handlungspraktiken zwischen Verhalten und den Verhältnissen. Die Umwelt wirkt dabei nicht als gleichförmige Kraft auf die Person, sondern wird individuell unterschiedlich wahrgenommen. Sie wirkt also „nicht per se, sondern wirkt nur so, wie sie von der Person erlebt wird. Was den Lebensraum bestimmt, kann nur durch die Person geschehen. Mit den Bedürfnissen und Interessen der Person ändert sich deren Umwelt“ (Lück 2021: 1)
Über diese drei Prinzipien lassen sich Räume für Anpassungen gestalten. Sie können als Forschungshypothesen zur weiteren Untersuchung verstanden werden, ergänzen sich wechselseitig und sollen Ansatzpunkte für die Gestaltung städtischer Anpassungsmöglichkeiten bieten. Insgesamt kann an diese drei Prinzipien der Raumqualitäten, Kompetenzen und des Felderlebens durch gestalterische Interventionen angedockt werden, um Räume flexibel für vielgestaltige Formen der Anpassung zu halten. Raumqualitäten können sich beispielsweise aus einer neuen Beziehung zwischen natürlichen und gebauten Elementen heraus ergeben, die plötzlich dazu anregen, neue Wege zu gehen, stehenzubleiben, in Interaktionen zu treten und veränderte Resonanzen zu erfahren.
Möglichkeiten zur Anpassung im (Stadt-)Umbau
Die Einbeziehung der drei Feldprinzipien bei der Gestaltung von Umbauprozessen ermöglicht es, wesentliche Eigenschaften von Anpassungsprozessen gezielt zu adressieren, sodass Menschen in Bewegung gebracht werden oder sich selbst in Bewegung bringen. Die folgenden Visualisierungen zeigen beispielhaft, wie kleine Impulse und Eingriffe in Umbauprozessen – orientiert an den Prinzipien der Kompetenz der Förderung von Raumqualitäten und des Felderlebens insgesamt – eine Welle an Anpassungen in Gang bringen können, die den Raum lebenswerter machen.
Die folgenden zwei Beispiele konzeptioneller Art verdeutlichen, wie die drei Feldprinzipien wirken (können) und wie einzelne Impulse im Wechselspiel mit anderen Situationen im Feld eine veränderte Dynamik im Alltagsgeschehen schaffen können. Einmal sind es die Akteure, die von außen Impulse zum Umbau hineinbringen und gezielt an die drei Feldprinzipien der räumlichen Qualitäten, der Kompetenzen und des Felderlebens andocken. Im anderen Beispiel sind die Nutzer:innen selbst diejenigen, die aktiv werden, umbauen und durch die Sichtbarmachung ihrer Eingriffe andere Nutzer:innen anregen und animieren.

Akteure gestalten Umbau
Felderleben - Menschen gehen unterschiedlich auf die Veränderungen in Ihrem Umfeld ein:
- Multisensorische Eindrücke erleben: Sich angezogen fühlen durch die Begrünung und Belebung des Straßenraums. Neugieriges Beobachten und bewusste Routenanpassung durch animierte Geräuschkulisse (spielende Kinder, musizierende Nachbar:innen, aktive Anwohner:innen im Fußgängerbereich etc…)
- Schutzroutinen entwickeln: Sich während der sommerlichen Hitzeperioden in den kühlen Bereichen des Erdgeschosses aufhalten und auf Bewohner:innen treffen…
- Pflegeroutinen anpassen: Auf geteilte Ressourcen zugreifen (Fläche, Werkzeuge und Wasseranschluss…) und das eigene Fahrrad im Werkraum im EG säubern und reparieren…
- Nachbarschaftliche Routinen entfalten: Nachbarschaftliche Trade-Offs eingehen. Einkäufe für die älteren Nachbar:innen tätigen und für kurze Zeit die Kinder und Haustiere betreuen lassen…
- Neue Wohnroutinen und -zufriedenheit entwickeln: Durch neue, multikodierte Flächenressourcen außerhalb des privaten Wohnraums Platz sparen und bestimmte Wohnroutinen (Hobby, Homeoffice etc.) auslagern. Diese Nutzungen können beispielsweise in den gemeinschaftlichen Werkraum oder Grünanlagen ausgeübt werden…
- Verantwortungsbewusstsein für das Wohnumfeld empfinden durch selbstbestimmtes Handeln: Menschen werden in die Pflege gemeinschaftlicher Flächen integriert und entwickeln so eine besondere Verbundenheit mit dem Wohnumfeld. Bewohner:innen werden zu Kümmer:innen…
- Neue Wegebeziehungen ermöglichen: Durch das Aufbrechen räumlicher Hürden werden bestehende Stücke eines Quartiers neu in Verbindung gebracht. Neue Durchwegungsmöglichkeiten ergeben sich daraus…
!) Achtung: Durch neue wohnungsnahe Angebote können teilweise auch Nutzungskonflikte ausgelöst werden. Mögliche Störungen wie beispielsweise Geräuschkulissen mitdenken und vermeiden.
Bewohnende und Nutzende gestalten Umbau
Felderleben - Menschen gehen unterschiedlich auf die Veränderungen in Ihrem Umfeld ein:
- Spazierroutinen intuitiv nachgehen: Spaziergänge führen unterbewusst an ansprechenden Orten vorbei. So können eine attraktive Erdgeschosszone, grüne Fassadenbereiche, besondere Belichtungssituationen dazu führen, dass die Menschen gerne einen Schlenker machen. Dort, wo man sehen und gesehen werden kann, bummelt man gerne entlang…
- Alltägliche Bewegungsmuster anpassen: Bei den täglichen Spaziergängen kommt es auf klare Bewegungsachsen, effiziente Fortbewegungsmöglichkeiten, aber auch auf reizvolle Momente im Straßenraum an. Die atmosphärische Erfahrung des Kontextes prägt die täglichen Wege…
- Do-it-yourself Gewohnheiten aneignen: Die selbst umgebauten Außenbereiche inspirieren weitere Anwohner:innen, ebenfalls aktiv zu werden. Umbau regt an und motiviert! Auf diese Weise können Lernprozesse angestoßen werden.
- Nachbarschaftliche Aneingnungsmomente im Straßenraum schweißen zusammen: Die vom vorherigen Straßenfest übrig gebliebene Dekorationskette lässt schöne Erinnerungen aufleben und verleiht dem Straßenraum einen besonderen geselligen Charakter sowie ein identitätsstiftendes Image.
- Pflege- und Kultivierungsroutinen aufgreifen: Das Kultivieren von Gärten, Außenbereichen und Fensterbänken kann eine beruhigende Wirkung auf die Bewohner:innen haben und Nachbar:innen dazu inspirieren, diese Praktiken nachzuahmen. Indem Mitmenschen sich um bestimmte Teilräume besonders kümmern, werden weitere Bewohner:innen für mehr Pflege motiviert…
- Neue Austauschformate unbewusst initiieren: Besondere Momente, wie der nachbarschaftliche Austausch in Anlehnung an den Nutzgarten, schaffen eine besondere soziale Verbundenheit wie auch eine räumliche und funktionale Identität für den Straßenraum.

Die vorgestellten konzeptionellen Beispiele zeigen mögliche Optionen der Veränderungen des Stadtraums durch Nutzer:innen oder Akteur:innnen. Die Darstellung der verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten im Kontext des gesamten Felderlebens sollen die vielfältigen Facetten veranschaulichen, die aus einzelnen Impulsen hervorgehen können. Entscheidend ist hierbei die mehrdimensionale und vernetzte Betrachtungsweise im Feld: So können selbst kleine Anpassungen im Außenbereich auf Fensterbänken oder schmalen Flächen im öffentlichen Raum Auslöser für neue sinnliche Erfahrungen, Inspirationsmomente oder Anstoß für weiteren Umbauaktionen im Stadtraum sein.
Vom Felderleben zur sozialräumlichen Gestaltung
Dieser Beitrag vertritt die These, dass Umbauprozesse, die aktuell und zukünftig umgesetzt werden, in einem Feldgeschehen betrachtet werden sollten. Eine solche Betrachtung bietet die Möglichkeit, vielfältige Anpassungskompetenzen der Menschen in Umbauprozesse zu integrieren und Wohnumfelder zugänglicher für unterschiedliche Formen der Anpassung zu gestalten. Es wurden erste konzeptionelle Prinzipien vorgestellt, die Anpassungsprozesse unterstützen und Räume auf verschiedenen Ebenen – sei es baulich, sozial, sensorisch – flexibel für zukünftige Anpassungen halten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es vielfältige Einstiegsmöglichkeiten in Umbauprozesse gibt, um Menschen einzubinden und ihre Anpassungsfähigkeit gezielt zu stimulieren. Während einige unmittelbar aktiv werden, benötigen andere wiederholte und gestalterisch vielfältige Anreize, um in Bewegung zu kommen und Veränderungen vorzunehmen. Dabei zeigt sich, dass Umbau kein eindimensionaler, einseitig umsetzbarer Vorgang ist, sondern vielmehr ein gemeinsames Erleben darstellt. Der Umbau einer eigenen Terrasse, die durch neue Grünelemente plötzlich von außen wahrgenommen wird, kann nicht nur das individuelle Raumerleben verändern, sondern auch soziale Wechselwirkungen erzeugen. Umbau ist daher weit mehr als eine rein bauliche Maßnahme. Er kann als Gelegenheit begriffen werden, soziale Dynamiken anzustoßen, zu gestalten und im Zusammenspiel zu erfahren.
Aus den bisherigen Überlegungen wird deutlich, dass Anpassung aktiv gefördert oder behindert werden kann. Es ist möglich, Menschen bewusst einzuladen, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen, indem sozial-räumliche Impulse gesetzt werden, die Veränderungsprozesse anstoßen und neue Möglichkeiten des Erlebens und Handelns eröffnen. Raum dient auch der Erweiterung der sozialen Kompetenzen. Die Kompetenzbildung in und für Umbauprozesse bleibt eine andauernde Aufgabe, die durch den Austausch und das Miteinander gefördert werden kann.
Dabei geht es nicht nur darum, was Einzelne leisten oder können, sondern vielmehr um den Prozess des gegenseitigen Miteinanders, der das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kohärenz stärken kann.
Die Möglichkeit, eine Verbindung zur Umwelt aufbauen zu können, ähnlich wie die Autorin Herrmann in Anlehnung an Elias (vgl. Elias 1997) die unsichtbare, „nicht sinnlich fassbare, aber doch bestehende Ordnung des Zusammenlebens“ beschreibt (Herrmann 2020: 41), ist entscheidend, um Resonanz zu erleben und Anpassungsfähigkeit zu fördern. Der Umbaudruck, der nun auf den Städten lastet, bietet nicht nur das Potenzial der nachhaltigen Ressourcenschonung, sondern auch das des Überschreibens bestehender Strukturen, Räume und Funktionen. Das Vorhandene kann in einem kreativen Akt re-interpretiert und neu definiert werden.
References
Adli, Manzda; Berger, Maximilian; Brakemeier, Eva-Lotta; Engel, Ludwig; Fingerhut, Joerg; Gomez-Carrillo, Ana; Hehl, Rainer; Heinz, Andreas; Mehran, Nassim; Tolaas, Sissel; Walter, Henrik; Weiland, Ute und Stollmann, Joerg (2017): Neurourbanism: towards a new discipline. The Lancet Psychiatry, 4, 183–185.
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