Published 2.07.2025

Gebäudetyp und Handlungsweisen

Migrantisch getriebene Aufwertungsprozesse in Aachener Stadthäusern

Building Type and Lines of Action

Migrant-Driven Upgrading in Aachen Stadthäusern

Keywords: Typologie; Quartiersaufwertung; postmigrantische Perspektive; Stadthaus; typology; neighbourhood upgrading; post-migrant perspective; Stadthaus

Abstract:

Der Artikel untersucht, die Beziehung von Gebäudetyp, Umbauprozess und Lebensentwurf mit dem Fokus auf der Agency migrantischer Bewohner:innen. Hierfür werden Arbeiten aus der Kulturgeografie und der Gebäudelehre, die bislang eher getrennt voneinander diskutiert wurden, miteinander in Dialog gebracht. Im Zentrum stehen die Dissertation zu Investitions- und Aufwertungsprozesse in ethnischen Quartieren von acht Großstädten in Deutschland des Kulturgeographen Dr. Mehmet Çelik sowie die Forschungsergebnisse des Lehrstuhls für Gebäudelehre der RWTH Aachen aus dem Projekt ACademie für kollaborative Stadtentwicklung (2021–2023). Die Verknüpfung zeigt, dass die von Çelik beschriebenen Prozesse auf konkreten architektonischen Voraussetzungen beruhen, die planbar sind.

Engagement im Bestand

Der vorliegende Artikel bespricht Umbauprozesse, die auf der Grundlage eines spezifischen Gebäudetyps und einer ähnlichen migrantischen Ausgangssituation der Eigentümer:innen entstehen. Die sowohl baulichen als auch gesellschaftlichen geteilten Voraussetzungen führen zu Abläufen, die prinzipiell beschreibbar werden und in ihrer Gemeinsamkeit als lokale Umbaukultur bezeichnet werden können.

In seiner Dissertation beschreibt der Kulturgeograph Mehmet Çelik Investitions- undAufwertungsprozesse in ethnischen Quartieren von acht Großstädten in Deutschland. Detaillierter betrachtet er diese Prozesse auf der Elsassstraße in Aachen (Abbildung 1) und die sich daraus ergebenden Umbauten und Umnutzungen an einzelnen Bestandsgebäuden. Dabei hat er sowohl bauliche Aufwertungsmaßnahmen, wie energetische Sanierung, Fassadeninstandsetzungen oder das Verlegen von Toiletten und Bädern aus der Treppenhauszone in Wohnungen hinein im Blick, wie auch Quartiersaufwertungen durch das Schaffen sozialer Infrastrukturen oder das Betreiben von engagierten Vereinen wie Nachbarschaftstreffs. Das Ausmaß der baulichen Maßnahmen ist meist genehmigungsbedürftig (Çelik Interview 2025).

Zu sehen ist das Cover der Dissertation von Dr. Mehmet Çelik.
Abbildung 1: Cover der Dissertation von Dr. Mehmet Çelik. 2020. Foto: Mehmet Celik.

Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf den Aktivitäten türkeistämmiger Bewohner:innen, die mithilfe des Gebäudebestandes auf der Elsassstraße ihre Lebensentwürfe entwickeln, umsetzen und zur gleichen Zeit einen Straßenzug und seinen Gebäudebestand materiell und programmatisch aufwerten. Thematisch beinhalten die Maßnahmen Wohnen, Mehrgenerationenwohnen, Vermieten und Wohnen mit Arbeiten. Dabei beschreibt er Prozesse, die sich bei mehreren Akteur:innen ähnlich beobachten lassen. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein – zu einem gewissen Grad – verallgemeinerbares und als Prinzip beschreibbares Phänomen (Çelik 2020).

Ein Wissenskörper entsteht

Das Fallbeispiel der Elsassstraße in Aachen aus Çeliks Arbeit zeigt, dass ein Gebäudetyp zu einer spezifischen Zeit besonders gut die Bedürfnisse nicht nur einer Einzelperson, sondern einer größeren gesellschaftlichen Gruppierung zu erfüllen vermag. Stadtspezifische Gebäudetypen lassen sich für gewisse Prozesse in dieser Stadt operationalisieren (Bijlsma 2020), in diesem Fall in Aachen für eine Gruppierung von Bewohnenden, die sich zuvorderst über ihre Nachbarschaft konstituiert. Wichtig für den vorliegenden Fall ist, dass unterschiedliche Eigentümer:innen sich mit anderen in der Nachbarschaft über die geplanten Umbauvorhaben austauschen konnten. Umbauten an anderen Exemplaren des gleichen Typs wurden zu Lernobjekten für weitere Projekte (Celik 2020: 243). In der Nachbarschaft auf der Elsassstraße und mit allen an den Projekten beteiligten Planer:innen und Fachplaner:innen entstand ein Wissenskörper zu einem spezifischen Gebäudetyp in einem spezifischen Kontext.

Da dieser Gebäudetyp in der Stadt Aachen sowie anderen Städten des Rheinlands häufig vorkommt, stellt sich die Frage, inwiefern die Erfahrungen systematisiert werden und als übertragbares Wissen Grundlage für zukünftige Umbauprojekte als Teil von Quartiersaufwertungen darstellen können. Eine weitere Auseinandersetzung mit beteiligten Architekt:innen, sowie Fachplaner:innen ist notwendig.

Ein Typ, kein Zufall

Dass es sich hier um ein wiederkehrendes Muster handelt, wird umso deutlicher, als Çelik in seiner Dissertation acht Stadträume in unterschiedlichen Städten untersucht. (Çelik 2020: 130–161) Drei der untersuchten Städte liegen im Rheinland und weisen eine ähnliche Parzellen- und Gebäudestruktur auf. Es sind diejenigen Fallstudien, bei denen Gebäude von den untersuchten Personengruppierungen am flächendeckendsten aufgekauft und aufgewertet werden. Sie sind ausreichend klein und gleichzeitig ausreichend flexibel, was sie sowohl erschwinglich als auch vielseitig nutzbar macht. Die Gebäude der anderen Fallstudien sind häufig größer, ein Kauf ist erst im Zusammenschluss mehrerer Einzelpersonen möglich, dies setzt eine besondere Abspracheleistung voraus und geschieht seltener (Çelik Interview 2025).

Das Aachener Stadthaus im typologischen Blick

„Die gebaute Umwelt hängt unmittelbar mit den Sozialstrukturen des Menschen zusammen. Die Elsassstraße hat gezeigt, dass der Typ Stadthaus ein Teil davon sein kann, wie sich Menschen wirtschaftlich als auch gesellschaftlich entwickeln, Möglichkeiten zur Absicherung und Selbstentfaltung schaffen und sich auch von unterdrückenden und diskriminierenden Fesseln selbst befreien können.“

(Çelik Interview 2025)

Es herrscht Einigkeit in der Gebäudelehre, dass Gebäudetypen unter dem Einfluss kontextueller Faktoren entstehen und sich weiterentwickeln, was man als Typogenese bezeichnet. Aymonino (1978) nennt ökonomische, politische und soziale Faktoren, für das Stadthaus muss diese Liste vor allem um einen morphologischen Faktor ergänzt werden. Betrachtet man die ökonomischen, politischen und sozialen Faktoren, unter denen das Stadthaus entsteht, sind es das Bürgertum mit Kleingewerbe und Handel in Einzeleigentümerschaft (Arnold 1930: 75), die den Typ des Stadthauses maßgeblich mit entstehen lassen. Die räumliche Struktur des Stadthauses und seine Eigenschaften ermöglichen es ihren Besitzer:innen, mit ihrer Familie zu wohnen und sich über die Ausübung eines kleinen Handels oder Gewerbes in das Stadtleben einzubringen und damit ihr Auskommen zu sichern. Die einzelnen Angebote, auch eines „ethnischen Quartiers“ (Celik 2020: 14) wie auf der Elsassstraße, adressieren programmatisch und räumlich nicht ausschließlich die vermeintlich „eigene“ Gruppierung, sondern differenzierte Gruppierungen einer pluralen Stadtgesellschaft (Weber 2020: 241).

Die Typologie als Disziplin ist in der Lage, je unterschiedliche Themenhorizonte zu öffnen. Sie führt diese Themenkomplexe zusammen und setzt den Gebäudetyp zu diesen Themenkomplexen in Beziehung. Arnold (1930) beschreibt einzelne Gebäude in einem großen Umgriff als Teile einer mehrere Jahrhunderte umfassenden Stadtgeschichte Aachens. Er zeigt Veränderungen und sich schrittweise vollziehende Transformationen, ebenso wie längere Kontinuitäten. Besonders eindrücklich zeigt sich eine Kontinuitätsbestrebung nach dem Stadtbrand von 1656, der einen Großteil des existierenden Gebäudebestandes in Fachwerkbauweise zerstörte und nach dem größtenteils auf den noch vorhandenen Fundamenten in Massivbauweise wiederaufgebaut wurde. Die Stadt als räumliches und soziales Gefüge von Einzelbauwerken spielt eine prägende Rolle für Gebäude, ebenso, wie einzelne Gebäude eine beschreibbare Funktion in der Stadt übernehmen. Schild (2003) dagegen legt in ihrer Beschreibung einen größeren Schwerpunkt auf den Grundriss von Bauwerken, sowie das Konstruktionsprinzip des Dreifensterhauses und behandelt so einen Abschnitt aus Arnolds großem Umgriff vertiefter, nämlich das Bürgerhaus im 18. Jahrhundert. Im Rahmen der ACademie für kollaborative Stadtentwicklung wurde zu innerstädtischen Typologien innerhalb des Grabenrings in der Innenstadt Aachen geforscht (2022–2023). Die Beschreibung der Aachener Typen der ACademie (Förster et. al. forthcoming) arbeitet eher im Arnoldschen Sinne und betrachtet Gebäudetypen stärker mit Blick auf ihre architektonischen Eigenschaften in Zusammenhang mit der sie umgebenden Stadt.

Eigenschaften des Aachener Stadthauses

Çelik beschreibt den von ihm betrachteten Gebäudebestand als innenstadtnahen, gründerzeitlichen Altbau. Aus architektur-typologischer Perspektive handelt es sich bei einem Großteil der Gebäude im von Çelik untersuchten Bereich der Elsassstraße um das Aachener Stadthaus in der 3-Fenster Variante. Das Stadthaus entstand im Rahmen der Entwicklung der Stadt Aachen aus einer mittelalterlichen Stadt auf einer recht schmalen, langen Parzelle, die typischerweise nur zwischen fünf und sieben Metern (Arnold 1930: 56) breit ist und bildet einen Großteil der geschlossenen Bebauung im städtischen Gefüge der Innenstadt und ihrer näheren Umgebung (Abbildung 2). Als besonders deutlicher Zweig entwickelt sich das Rheinische Dreifensterhaus, in dem das Stadthaus auf seinem spezifischen Parzellenzuschnitt und ein halbiertes Stadtpalais zusammengebracht werden (Schild 2003: 31, siehe Abbildung 2).

Die Abbildung zeigt alte Zeichnungen von der Entwicklung des Dreifensterhauses.
Abbildung 2: Links: Die schrittweise Entwicklung des Dreifensterhauses. Quelle: Arnold 1930: 160. Rechts: Das Aachener Dreifensterhaus und sein Grundrissvorbild. Quelle: Schild 2003: 30-31.

Das Stadthaus prägt seit Langem deutlich die Gestalt der Innenstadt Aachens und beeinflusst maßgeblich ihre Atmosphäre. Es besitzt häufig eine ruhige, sorgsam dekorierte Fassade, die dem öffentlichen Raum gegenüber Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Es gibt leichte Vor- und Rücksprünge und eine Hierarchisierung der Geschosse in der Bearbeitung der Ziergiebel über Fenstern. Das Material unterscheidet häufig zwischen Erd- und Obergeschossen, wie in Abbildung 3 zu sehen ist. Das Stadthaus basiert auf einer schmalen Parzelle und ist sowohl widerstandsfähig gegenüber als auch anpassungsfähig an Veränderungen. Die einfache Struktur des Stadthauses lässt sich auf vielfältige Weise nutzen, weiternutzen und umnutzen. Stapenhorst bezeichnet diese Eigenschaft als „robust“ und führt dafür mehrere Voraussetzungen an, insbesondere eine kluge Erschließung, ausreichende Befensterung, großzügige Raumhöhen und eine gewisse Modularität (Stapenhorst 2017: 155). Im Vergleich zu anderen Gebäudetypen herrschte im Stadthaus sogar während und direkt nach der Coronapandemie wenig Leerstand (Förster et. al. forthcoming).

„Allein die Möglichkeit, die Nutzung bereits in drei, vier oder fünf andere Formate zu wandeln, ist eine hohe Qualität. Eine solche Qualität der flexiblen Architektur sollte in Zukunft mehr Berücksichtigung finden.“

Die Abbildung zeigt eine nachgezeichnete Fassade eines Hauses in der Elsassstraße.
Abbildung 3: Fassade Elsassstraße 55, ehemals Kennedygrill. Zeichnung: Laura Erdmann.

Eine Befragung von Eigentümer:innen zeigte, dass die vorhandenen Möglichkeiten des Umbaus eines Stadthauses für unterschiedliche Konstellationen des Wohnens oder Gewerbe kleiner bis mittlerer Größe grundsätzlich bekannt ist. Ob es aber tatsächlich zu einer Umnutzung oder Anpassung kommt, hängt immer auch mit der Bereitschaft der Eigentümer:innen zusammen, Zeit und Geld in einen ergebnisoffenen Planungsprozess zu investieren (Förster et. al. forthcoming).

Es sind die Eigentümer:innen, die die vorhandenen Möglichkeiten des Stadthauses zum Leben erwecken.

Die Abbildung zeigt Schnitte und Grundrisse von Aachener Stadthäusern.
Abbildung 4: Erschließung, Fensterachsen, Spannrichtung. Zeichnung: David Herrmann, Anna Schwab, erweitert durch Laura Erdmann.

Struktur, Erschließung, Konstruktion, Erweiterbarkeit

Aus der Analyse des Typus Stadthaus ergeben sich fünf Subtypen. Mit wachsender Breite ändert sich die Organisation im Grundriss, die Art und Lage der Treppe, die Lage der Flure sowie die damit einhergehende Spannrichtung der Decken. Das Dreifensterhaus kann sich beider Deckenspannrichtungen bedienen, was Firstrichtung und Grundrissorganisation mit beeinflusst (Abbildung 4). Es ist der mit Abstand am häufigsten vorkommende Subtyp. Von insgesamt 606 gezählten Stadthäusern innerhalb des Grabenrings besitzen 38 Prozent der Gebäude drei Fensterachsen, 24 Prozent vier, 13 Prozent fünf, 12 Prozent zwei, 4 Prozent sechs und 8 Prozent mehr als sechs Fensterachsen. Im Laufe der Entwicklung des Stadthauses hat sich aus dem Zusammenspiel von vorhandener Morphologie, Konstruktionsmöglichkeiten und -wissen, entwerferischen Leitbildern, Planungserfahrung und Gebrauchsweisen ein definierter und reproduzierbarer Gebäudetyp für die “gebrauchte Stadt” (Frank et al. 2017: 11) entwickelt. Aus der in Abbildung 4 gezeigten Systematik aller scheint die Variante mit drei Fenstern diejenige zu sein, die allen Voraussetzungen am besten begegnet.

Zuwanderung und Wohnungsmarkt

Die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt für zugewanderte Wohnungssuchende und potentielle Käufer:innen, sowie vorhandene Wohnwünsche, wird fortlaufend aktualisiert und dokumentiert (Hallenberg 2008; Liebig et al. 2022). „Dass gerade bei Bewohnern mit Migrationshintergrund die Wohnrealität noch weit von den Wunschvorstellungen entfernt ist, wird in der vorliegenden Befragung eindrücklich bestätigt.” (Hallenberg 2008: 296). Während Hallenberg dadurch nicht automatisch und pauschal auf ein Veränderungspotential schließt, zeigt die vorliegende Auseinandersetzung, dass es unter spezifischen, unter anderem architektur-typologischen Voraussetzungen möglich ist, dass sich eine Aufwertungsdynamik im Quartier entwickelt. Es scheint Gebäudetypen zu geben, die eine Erwirtschaftung von Kapital für Einzeleigentümer:innen begünstigen und es den betreffenden Personen so ermöglichen, die Lücke zwischen aktueller Situation und Wunschsituation zu verkleinern oder sogar aufzuheben.

Das Verständnis eines Gebäudetyps innerhalb der oben genannten Untersuchungen liegt in der Regel auf städtebaulich volumetrischer Ebene: lockere, niedrige Bebauung; lockere Mehrfamilienhaus Bebauung; dichte Mehrfamilienhaus Bebauung; Hochhaussiedlung (Hallenberg 2008). Es ist naheliegend, dass eine deutschlandweite Untersuchung, wie die von Hallenberg, auf eine Vereinfachung angewiesen ist. Die vorliegende Arbeit deutet darauf hin, dass es innerhalb dieser umfassenderen Kategorien relevante Unterschiede im Gebäudetyp geben kann.

Die vorliegende Untersuchung schließt auf dem Maßstab der Gebäudeebene an vorhandenen Arbeiten an und fragt, welche Potentiale eine spezifischer Gebäudetyp im vorhandenen Kontext hat und wie seine Eigentümer:innen mit
diesem umzugehen wissen.

Aufwertungsprozesse auf der Elsassstraße

Celik blickt in seiner Dissertation auf Aufwertungsprozess in einen Zeitraum von circa vierzig Jahren zurück. Die Gebäude sind zum Zeitpunkt des von Çelik beschriebenen Kaufs oft in einem schlechten Zustand, die Nachbarschaft in den 1980er Jahren nicht attraktiv. Die Entscheidung der Käufer:innen für die Immobilie ist nicht immer völlig frei – Diskriminierungserfahrungen, wie beschränktes Angebot, erschwerte Kreditnahme oder die Suche nach einem wertschätzenden Umfeld beeinflussen die Entscheidung (Çelik 2020: 240). Dabei ist der kritischen Migrationsforschung bekannt, dass Zuwanderer ihre Nachbarschaft oft mit großem Engagement und trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen immer wieder stark aufwerten (Yildiz und Mattausch 2009: 13). Çelik beschreibt, wie Investitions- und Aufwertungsprozesse auf der Elsassstraße in mehreren – oft addierbaren – Schritten verlaufen. Sie lassen sich mit den strukturellen Eigenschaften des Stadthauses, die seine Robustheit ausmachen, direkt zusammenlesen:

Zuerst wird das Erdgeschoss gemietet und intensiv als kleines Gewerbe genutzt, um ein gewisses Startkapital zu generieren. Das Erdgeschoss ist unterschiedlich nutzbar und lässt sich für etwas größere Eingriffe in den Hinterhof der schmalen Parzelle noch erweitern. Im nächsten Schritt werden die Obergeschosse dazu gekauft, ein bis zwei Etagen werden selbst oder von der nahen Familie bewohnt und eine weitere Etage wird vermietet (Abbildung 5). Die Lage des Treppenhauses ermöglicht dies. Es liegt seitlich und wird durch einen separaten Eingang oder einen mit dem Gewerbe geteilten Windfang betreten. Es sticht im Erdgeschoss bis in den Hinterhof durch und erlaubt in den Obergeschossen einen zur Straße belichteten Raum. Es erhält Tageslicht, die Treppe ist meist einläufig und angenehm breit.

Die Abbildung zeigt verschiedene Entwicklungsstufen in der Eigentumsbildung.
Abbildung 5: Entwicklungsstufen der Eigentumsbildung. Zeichnung Laura Erdmann nach Mehmet Çelik 2020.

Die einzelnen Geschosse funktionieren als jeweils abgeschlossene Einheiten, vor allem das zweite Obergeschoss und das Dachgeschoss aber können einfach zusammengelegt werden, um eine größere Wohneinheit für die eigene Familie zu erzeugen. Je nachdem, wie nah sich die einzelnen Wohnparteien sind, ist das Treppenhaus gemeinsamer Wohnraum und beziehungsweise oder Erschließung. Die Befensterung ist großzügig, ebenso die Raumhöhen. Zu jeder Fassade liegen jeweils ein bis zwei Räume mit angenehmen Proportionen. Eine tragende Wand läuft mittig parallel zur Straßenfassade, sodass bei Bedarf auch temporär kleinere Zimmer eingerichtet werden können, indem senkrecht zur tragenden Wand leichte Trennwände eingezogen werden. In manchen Fällen wohnen die Eigentümer:innen schließlich an einem anderen Ort, zum Beispiel in einem Einfamilienhaus mit Garten am Stadtrand oder in einem Vorort, und vermieten alle Einheiten des Stadthauses. Die meisten bewohnen das Stadthaus selbst.

Das Stadthaus – ein spezifisches Mehrfamilienhaus

Der 3. Aachener Sozialentwicklungsplan (SEP) (Der Oberbürgermeister 2020) zeigt demographische und sozialplanerisch relevante Entwicklungen anhand kleinräumiger Daten und Visualisierungen und gibt einen sehr guten Überblick über die dynamischen Entwicklungen in den Stadtquartieren Aachens, die hier in 60 Lebensräume untergliedert werden. Der 3. SEP zeigt, dass die Elsassstraße nur ein migrantisch geprägtes Quartier von mehreren in Aachen ist. Andere Quartiere, wie Driescher Hof, Preusswald oder die Siedlung Panneschopp, weisen kaum Möglichkeiten zur Einzeleigentümerschaft von Mehrfamilienhäusern, andere Gebäudetypen und eine andere Bewohnendenstruktur auf. Die hier untersuchten Prozesse können in den anderen teils stark migrantisch geprägten Quartieren nicht beobachtet werden. Die ähnlichste Gebäudestruktur findet sich auf der Promenadenstraße, die genauer untersucht werden müsste.

Gebäudetyp und Handlungsmöglichkeiten

„Die Migrant*innen leben vor, wie das (Umbauen) kostengünstig, in Eigenregie und zum Wohl des Individuums, der Familie, aber auch des Quartiers und der Allgemeinheit gelingen kann“

Aus den konkreten räumlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten entwickelt sich im ethnischen Quartier auf der Elsassstraße eine dynamische, stark zivilgesellschaftlich getriebene Umbaukultur. Eine lockere Gruppierung von Personen handelt im Laufe eines gewissen Zeitraums ähnlich in, anhand und mit Hilfe eines häufig vorkommenden Gebäudetyps. Der Gebäudetyp ist flexibel, nicht zu klein und nicht zu groß, die Räume meist gut proportioniert. Die Erschließung liegt gut, die Fassade besitzt stadträumliche Qualitäten. Akteur:innen sind (jeweils unterschiedlich) risikobereit und engagiert, sie tauschen sich über Erfahrungswerte und Lösungsmöglichkeiten für bauliche, finanzielle und bürokratische Themen aus. Es entsteht ein Fundus an lokalem Wissen, auf das von Beteiligten zugegriffen werden kann. Um es übertragen zu können, müssten an einem anderen Ort diese Gelingensvoraussetzungen sehr ähnlich sein. Die Untersuchung von Çelik legt nahe, dass dies möglich ist, wie anhand der Betrachtungsräume in Düsseldorf und Köln geschlossen werden kann. So vielschichtig wie die Gelingensvoraussetzungen persönliches Engagement, räumliche und ökonomische Voraussetzungen, gesellschaftliche Ressourcen, sind die angestrebten Ziele: persönlicher finanzieller Aufstieg, eigene soziale Integration, Aufstiegschancen für Kinder, Aufstiegschancen der peer-group, zivilgesellschaftliches Engagement. Im Zusammentreffen beider - Voraussetzungen und Ziele - entsteht die beschriebene Dynamik.

Ein Gebäudetyp entwickelt sich in einem spezifischen gesellschaftlichen und räumlichen Kontext als Aushandlungsprozess unterschiedlicher Einflussgrößen, Habraken bezeichnet einen Gebäudetyp als “social agreement” (Habraken 1988), als Einigung. Blickt man auf die dauerhafte Wirksamkeit der Eigenschaften des Stadthauses, kommen wir zu dem Schluss, dass diese Einigung, anhält. Durch die Linse des Stadthauses betrachtet, erscheint die von Çelik beforschte Gruppe der Zugewanderten zuvorderst als zivilgesellschaftliche Akteur:innen eines Stadtteils der Stadt Aachen. Dies nimmt ihnen nicht die spezifischen Herausforderungen, wie erschwerter Krediterhalt, unter denen sie als Zugewanderte oder Kinder und Enkelkinder von Zugewanderten operieren (mussten). Während Arnold den Einfluss von Zuwanderung auf die Bautätigkeit in Aachen immer wieder erwähnt (Arnold 1930: 156, 159), findet sie beim Stadthaus keine Erwähnung. Es lässt sich als Haus für Kleinhandel und Handwerk verstehen, später als Bürgerhaus (Schild 2003). Es wird nicht nur die Rolle des Gebäudes im gebauten Kontext der Stadt beschrieben, sondern auch die seiner Bewohner:innen innerhalb der Stadtgesellschaft. Es wird eine Verbindung zwischen Milieu und Gebäudetyp hergestellt, die die Zuschreibung „migrantisch“ als Beschreibungsmerkmal in den Hintergrund rückt. Dies deckt sich mit der Beschreibung von Carstean und Niesse. “Die Qualifikationen und Ansprüche der Migranten lassen sich (…) nicht über ihren Kulturkreis herleiten, sondern stehen vielmehr in einem engen Zusammenhang zum Milieu, dem sich ein Migrant zugehörig fühlt” (Carstean und Niesse 2013: 417). Dies lässt sich als postmigrantische Perspektive verstehen, die eine materialisierte Voraussetzung für plurale Demokratie (Foroutan 2018: 25) beschreibt. Während die Auseinandersetzung mit migrantisch getriebenen urbanen Aufwertungsprozessen seit etwas längerem existiert (Cachola Schmal und Elser Scheuermann 2006; Mattausch, Yildiz 2009; Hillmann 2011; Hall 2015), erlaubt die architekturnahe Arbeit von Mehmet Çelik ein einfaches Anknüpfen an die Gebäudelehre und eine interdisziplinäre Auseinandersetzung, die beim vorliegenden Themenkomplex von großer Relevanz ist und in diesem Fall ein Umschlagen aus der Analyse in einen Handlungsvorschlag anbietet. Die prozessbegünstigenden Eigenschaften des Stadthauses sind beschreibbar und planbar. Es unterstützt im vorliegenden Fall die wünschenswerte Systemintegration der untersuchten Gruppierung in der Stadt Aachen.

About the author(s)

Anna Marijke Weber, Dr.-Ing. Architektin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Gebäudelehre, wo sie forscht, lehrt und studentische Selbstbauprojekte bearbeitet. Sie erhielt 2018 den Landespreis für junge Künstler des Landes Nordrhein-Westfalen im Bereich Architektur.

Anna Marijke Weber, Dr.-Ing. Architect, is a researcher at the Chair of Building Typologies where she teaches, does research and carries out design-build projects. In 2018 she received the North Rhine-Westphalia State Prize for Young Artists in the field of architecture.

Jantje Engels, Architektin, Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Gebäudetypologien der RWTH Aachen und Vertretungsprofessorin an der NAS Siegen. Seit 2018 ist sie Teil der Redaktion der Zeitschrift OASE.

Jantje Engels, architect, docent and researcher at the chair of building typologies, RWTH Aachen and visiting professor at the NAS Siegen. Since 2018 she has been part of the editorial board of OASE journal for architecture.

References

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