Published 27.07.2022

Transformationsimmobilien ko-kreativ umwandeln

Fallbericht und Reflexion zum Design Thinking im Projekt Bundle Up

Co-creative Redesign of Transformation Real Estate

Case Report and Reflection on Design Thinking in the Bundle Up Project

Keywords: Design Thinking; Innenstadtentwicklung; Letzte Meile; Logistik; Transformationsimmobilien; Transformative Forschung; Inner city development; last mile logistics; transformation real estate; transformative research

Abstract:

Im Projekt Bundle Up wurden in einem ko-kreativen Denkprozess stadt- und klimagerechte Letzte Meile-Lösungen entwickelt. Die Idee: Sogenannte Bundle Points, die als Kombination von Paketstation und/oder Mikro-Depot mit anderen zentrenrelevanten Nutzungen Alltagswege und Verkehrsströme bündeln und neue Nutzungsoption für untergenutzte Immobilien in den Stadtzentren bieten können. Zentrale Methodik der transdisziplinären Zusammenarbeit ist das in der Stadtplanung bisher nur wenig etablierte, aus der Produktentwicklung bekannte Design Thinking. Basierend auf einer Einordnung des Projekts in aktuelle Trends der Einzelhandels- und Zentrenentwicklung und einer Einführung in die Design Thinking-Methode erfolgt ein Fallbericht über das Projekt, gefolgt von einer Reflexion, welche Impulse die transformative Forschung für die Entwicklung neuer Akteurskonstellationen und Nutzungskonzepte für die Transformation von Schlüsselimmobilien entfalten konnte.

In the Bundle Up project, city- and climate-friendly last mile solutions were developed in a co-creative thought process. The idea: so-called Bundle Points, which, as a combination of parcel station and/or micro-depot with other city centre-relevant uses, bundle everyday routes and traffic flows and can offer new utilisation options for underused properties in city centres. The central methodology of the transdisciplinary collaboration is Design Thinking, which is only little established in urban planning so far and derives from the field of product development. Based on a classification of the project in current trends of retail and city development and an introduction to the design thinking method, a case report on the project is given, followed by a reflection on which impulses the transformative research could unfold for the development of new actor constellations and use concepts for the transformation of key real estate.

Anlass und Ziel der transformativen Forschung

Im Projekt Bundle Up // Stadt- und klimagerechte Letzte Meile-Lösungen im Immobilienbestand – gefördert aus dem Programm Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken des Landes Nordrhein-Westfalen – arbeiten rd. 20 Forschende und Praktiker:innen aus unterschiedlichsten Disziplinen zusammen: Stadtplaner:innen und Stadtentwicklungsforscher:innen, Wirtschaftstreibende und Wirtschaftsfördernde, Händler:innen und Handelsexpert:innen, Immobillienprojektentwickler:innen und Immobilienbetreiber:innen, Logistiker:innen und Intermediäre.

Ausgangspunkt ist das dynamische Wachstum im Onlinehandel, das zu einem stetig steigenden Paketaufkommen, wachsenden Lieferverkehren, zunehmenden Luftschadstoff- und Lärmbelastungen sowie Verkehrsunfällen führt. Gleichzeitig bedingt die Umsatzverlagerung in das Internet einen Rückzug des Einzelhandels aus der Fläche, verringerte Passantenfrequenzen, Leerstände und Funktionsverluste in den Zentren. Das durch das Fachgebiet Stadt- und Regionalplanung der TU Dortmund und die Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiert (IHK) initiierte Projekt Bundle Up bringt diese Herausforderungen zusammen und entwickelt in einem ko-kreativen Prozess Lösungsansätze für die Reorganisation der Letzten Meile, die neue Impulse für die Stadtzentren setzen und Handelsimmobilien neu beleben können.

Strukturelle Veränderungen im Einzelhandel

Das Einkaufsverhalten hat sich in den letzten Jahren tiefgreifend verändert. Mit dem Onlinehandel ist eine dynamisch wachsende Betriebs- bzw. Vertriebsform entstanden, die den Einkauf von den Ladengeschäften entkoppelt und zunehmende Funktionsverluste in den Innenstadtzentren auslöst. Die Covid 19-Pandemie hat diese Entwicklung weiter verschärft: Im Jahr 2020 wurde mit rund 73 Mrd. Euro (netto) 23 Prozent mehr Onlineumsatz erzielt als im Vorjahr, für 2021 wird ein Marktwachstum auf 85 Milliarden Euro prognostiziert (HDE 2021: 6). Vor allem innenstadtrelevante Sortimente werden online eingekauft: Lag der Anteil des Onlinehandels am gesamten Einzelhandelsumsatz im Jahr 2020 bei rund 13 Prozent, umfasste er bei Unterhaltungselektronik, Bekleidung und Schuhen fast 40 Prozent (HDE 2021: 8, 12). 

Mit der Umsatzverlagerung in den Onlinehandel gehen rückläufige Flächenbedarfe, Verkaufsflächenreduzierungen, Filialaufgaben und Marktaustritte im stationären Einzel-handel sowie steigende Leerstände einher. 

Der Einkauf im Internet führt zum Rückgang der Zahl der Innenstadtbesuche und einem Bedeutungs- und Attraktivitätsverlust des Einzelhandels in den Zentren (Hangebruch et al. 2020: 45). Im Zuge der Digitalisierung des Einzelhandels generierte Neuansiedlungen, zum Beispiel stationäre Geschäfte ehemaliger Online Pure Player oder neue Cross-Channel-Konzepte wie Click & Collect oder Showrooming, bedürfen neuer räumlicher Lösungen, werden angesichts weitaus geringerer Flächenbedarfe die vakanten Geschäftsflächen aber nicht füllen können. 

Mit dem Rückzug des Handels bilden die Erdgeschosse – in den Stadtzentren bisher über Jahrzehnte Garant für den wirtschaftlichen Erfolg einer Immobilie und als Kommunikationszone von erheblicher städtebaulicher Relevanz – eine zunehmende Herausforderung für die Umnutzung und Nachvermietung. Neue Nutzungsarten und -kombinationen können dazu beitragen, die vom Handel hinterlassenen Lücken zu füllen, wenn sie die Kriterien „Sichtbarkeit, Transparenz, Erreichbarkeit, Frequenz, Öffnungszeiten und soziale Kontrolle“ erfüllen (Neufeld 2021).

Anstieg des urbanen Lieferverkehrs

Das Wachstum im urbanen Lieferverkehr ist Folge der Umsatzverlagerung vom stationären Einzelhandel auf den Onlinehandel und des damit verbundenen Anstiegs an Paketsendungen. Im Jahr 2020 wurden von den Kurier-, Express- und Paketdiensten (KEP) 4,05 Mrd. Sendungen transportiert, rund 13 Mio. täglich und rund 11 Prozent mehr als im Jahr 2019 sowie 74 Prozent mehr als im Jahr 2010 (BIEK 2021: 6, 17). Angesichts der weiter steigenden Umsatzdynamik im Onlinehandel wird für 2021 ein Wachstum im Sendungsaufkommen von rund 9 Prozent und für das Jahr 2025 ein Anstieg um 23 Prozent auf dann 5,7 Mrd. Sendungen prognostiziert (ebd. 7, 12, 15, 19, 21). 

Mit dem gestiegenen Sendungsaufkommen intensivieren sich die Herausforderungen für die urbane Logistik. Der traditionelle Lieferweg mit großen Diesel-betriebenen Lkw und Zustellung nach Hause stößt angesichts steigender Verkehrs- und Umweltbelastungen und Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer:innen (unter anderem durch in der zweiten Reihe und auf Rad- und Gehwegen parkende Fahrzeuge) zunehmend an seine Grenzen. Auf der Suche nach neuen Lösungen experimentieren die Paketdienste mit der Umstrukturierung auf der Letzten Meile, der Verdichtung der Zahl der Abholpunkte und Mikro Depots zur Umverteilung der Pakete auf emissionsfreie E-Fahrzeuge oder Lastenräder (BIEK 2021: 40). Dabei sind die Flächenpotenziale in den Stadtzentren und Wohnquartieren knapp und Packstationen und Mikro Depots im öffentlichen Raum nicht beliebig skalierbar und aus dem Blickwinkel der Stadtgestaltung nur als Übergangslösung zur Erprobung neuer Konzepte und Standorte akzeptabel. Die unzureichende Kooperation der KEP-Dienstleister verstärkt den Problemdruck: Jedes Unternehmen betreibt die Zustellung an die Endkund:innen mit eigenen Depots und Fahrzeugen, so dass dieselben Zustellgebiete mehrfach täglich von verschiedenen Paketdiensten angefahren werden.

Bundle Up: Herausforderungen und Lösungsansätze bündeln

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Problemlagen ist es Ziel des Projekts Bundle Up, stadt- und klimaverträgliche Letzte Meile-Lösungen im Immobilienbestand zu schaffen. Die Idee: Sogenannte Bundle Points, die verschiedene Nutzungen koppeln, Alltagswege und Verkehrsströme bündeln und neue Nutzungsoptionen schaffen. Leerstehende Ladenlokale in urbanen Räumen können den Ansiedlungsdruck von Paketstationen und Mikro Depots aus dem öffentlichen Raum nehmen und zu Schlüsselimmobilien für eine nachhaltige Paketzustellung werden. Die aktuelle Preisentwicklung auf den Gewerbeimmobilienmarkt eröffnet neue Möglichkeitsräume: Sinkenden Mieten für Handelsimmobilien stehen steigende Mieten und Renditeerwartungen für urbane Logistikflächen gegenüber – insbesondere in den Städten (Dietz 2021: 23).

Im Sinne einer integrierten Betrachtung der beiden Problemstränge fokussiert das Projekt Bundle Up nicht allein das Umladen, Abholen und Versenden von Paketen, sondern bündelt verschiedene etablierte kommerzielle oder öffentliche Nutzungen mit experimentellen, wirtschaftlich weniger tragfähigen Angeboten: Paket-affine Nutzungen wie Paketschränke, Stationen zum Auspacken, Testen und Anprobieren bestellter Produkte, Sammel- und Recyclingstationen für Umverpackungen und Kartonagen sowie Versand- und Retourenterminals sollen um Warenübergabepunkte für stationäre Händler:innen und weitergehende Services (unter anderem Lastenradverleih, Warendepot) ergänzt werden. 

Design Thinking im Projekt Bundle Up

Das Projekt Bundle Up befasst sich mit Lösungsansätzen für verschiedene Standorte der im IHK-Bezirk gelegenen Städte Bochum (363.593 Einwohner), Herne (156.587 Einwohner), Witten (95.529 Einwohner) und Hattingen (54.085 Einwohner) (IT.NRW 2021). Die vier unterschiedlich großen und sozioökomisch sowie geographisch heterogenen Kommunen bilden einen idealen Kreativraum für die Arbeit mit unterschiedlichen Stadt- und Raumtypen. Pandemiebedingt erfolgte der Diskurs jedoch nur eingeschränkt vor Ort, sondern vor allem in den virtuellen Meetingräumen der gängigen Videokonferenzsysteme. 

Zur Organisation und Steuerung des ko-kreativen Denkprozesses wurde das für transdisziplinäre Arbeitsprozesse und innovative Produktentwicklungen konzipierte Design Thinking eingesetzt. 

(Böhme et al. 1974: 290)

Durch ein vielfältiges Methodenset stimulierten die TU Dortmund und die IHK die gemeinsame Arbeit an den für die meisten Beteiligten neuen Themen und die für viele Partner:innen ungewöhnliche Akteurskonstellation. Um das Brainstorming und den Austausch im Team zu erleichtern, eine kreative Arbeitsatmosphäre zu schaffen und erste Ideen greifbar zu machen, wurde für die vier ersten virtuellen Design Thinking-Workshops ein Grafiker engagiert, der die Diskussion und Arbeitsergebnisse mittels Graphical Recording visualisierte (siehe Abbildung 1).

Was ist Design Thinking?

Design Thinking definiert eine Abfolge verschiedener Verfahrensschritte, die zur Entwicklung von Produktinnovationen in unterschiedlichsten Kontexten genutzt werden können und ist insbesondere für den Praxiseinsatz in multidisziplinären Teams geeignet (Plattner et al. 2009: 103). Die Methodik fördert erfinderisches Denken und eine konsequente Kunden- bzw. Nutzerorientierung (Erbeldinger und Ramge 2015: 13). Sie verbindet in einem „strukturierteren, moderierten Iterationsprozess die Haltung der Ergebnisoffenheit mit der Notwendigkeit der Ergebnisorientierung“ (ebd.: 13) und bildet damit eine systematische Methode zur Schaffung kreativer Freiräume zum gemeinsamen „Neu-Erfinden und Machen“ (Kerguenne et al. 2017: 6). 

Abbildung 1: Live Sketches aus den Design Thinking-Workshops. Quelle: Christoph Illigens.

Design Thinking stammt aus den USA und geht auf Terry Winograd, Larry Leifer und David Kelley von der Stanford University zurück. Den Ausgangspunkt bildet die Design-Forschung der 1960er Jahre (Lawson 2005). Parallelen bestehen darüber hinaus zu der bereits 1885 vom Architekten H.H. Richardson erstmals arktikulierten und später maßgeblich durch Louis Sullivan und die Chicagoer Schule der 1920er Jahre verbreiteten Maxime Form follows Funktion (Sandefur 2022: 118). Kernprinzipien des Design Thinking sind die Nutzerzentriertheit, die Multidisziplinarität und das iterative Vorgehen (Kerguenne et al. 2017: 6). 

Design Thinking zielt darauf ab, in einem interdisziplinären Team und in einem strukturierten und iterativen Prozess konsequent an den Bedürfnissen potenzieller Nutzer:innen orientierte, innovative Problemlösungen zu entwickeln. 

Design Thinking erfordert bei den Teilnehmenden integriertes Denken, Empathie, Experimentierfreude, Optimismus und Kooperationsfähigkeit sowie eine offene Fehlerkultur, um innovative, nachhaltige Lösungen zu schaffen (Heller et al. 23; Schallmo und Lang 2020: 22). Der multidisziplinäre Ansatz zielt darauf ab „Schwarmintelligenz zu nutzen“ (Kerguenne et al. 2017: 20) und Perspektiven und Expertisen aus möglichst vielen verschiedenen Disziplinen einzubeziehen, um die für die Lösung komplexer Aufgaben benötigte kreative Kraft zu entwickeln (ebd. 14; Heller et al. 2020: 21; Schallmo und Lang 2020: 21). Die Aufgabendefinition und Lösungssuche basiert auf der Exploration unterschiedlichster Nutzerbedürfnisse und Problemfacetten (Kerguenne et al. 2017:  8–9, 20). 

Das an die PER-Strategie (Probieren – Erkennen – Reagieren) aus der Komplexitätsforschung angelehnte Vorgehen erleichtert die Lösung unsicherer, komplexer und von Ambiguität geprägter Aufgaben, fördert aber auch „Iterationen und Schleifen“, weil die entwickelten Lösungsansätze durch die konsequente und frühzeitige Einbindung der Nutzer:innen einer kontinuierlich Optimierung unterzogen werden (Heller et al. 2020: 20; Kerguenne et al. 2017: 10, 14; Schallmo und Lang 2020: 22). Das „Strukturierungswerkzeug“ Design Thinking unterteilt die einzelnen Arbeitsphasen mit Blick auf ihre Funktionen und Denkmodi, wobei visuelles Denken und graphische Kommunikation („show don’t tell“) prägend für den gesamten Prozess sind (d.school 2010: 3).

Die Arbeitsphasen im Design Thinking

Der Design Thinking-Ansatz ermöglicht ausdrücklich individuelle Adaptionen, so dass im Laufe der Jahrzehnte verschiedene Modelle zur Prozessgestaltung entstanden sind, die in den Grundprinzipien alle gleich sind und die für das Design Thinking typischen Arbeitsphasen umfassen (Kerguenne et al. 2017: 14–15, 195). Die Modelle reichen von vier Arbeitsphasen (Liedtke und Ogilvie 2011) über fünf (d.school 2010), sechs (Heller et al. 2020; Plattner et al. 2009), sieben Phasen (Schallmo & Lang 2020) bis zum sogenannten Complete Design Thinking mit zehn Arbeitsphasen (Kerguenne et al. 2017). 

Abbildung 2: Arbeitsphasen im Design Thinking. Quelle: TU Dortmund/ SRP. 

Besondere Verbreitung hat das im Projekt Bundle Up genutzte sechsphasige Vorgehen gefunden (siehe Abbildung 2), das von einigen Autor:innen zusätzlich in einen Problem- und Lösungsraum aufgeteilt wird (zum Beispiel Heller et al. 2020, Plattner et al. 2009). Der Problemraum dient der Durchdringung des Problems und umfasst die Arbeitsphasen Verständnisaufbau, Beobachtung und Synthese, der Lösungsraum fokussiert die gestalterische Lösung mit den Phasen Ideenentwicklung, Prototyping, Test (Heller et al. 2020: 21). Zur Bearbeitung der einzelnen Phasen stehen diverse Instrumente zur Verfügung, wobei sich der Instrumentenkoffer je nach Autor:in unterscheidet. Ziel, Gegenstand und Ergebnisse der einzelnen Arbeitsphasen werden im Folgenden anhand der Projektarbeit erläutert: 

Phase 1: Verständnisaufbau: Die auch Design Challenge genannte erste Phase des Design Thinking zielt darauf ab, die Aufgabenstellung zu erfassen und zu verstehen. Im Fokus stehen „Wünsche zu nicht vorhandenen Lösungen“ oder Beschwerden über bestehende Lösungen (Schallmo und Lang 2020: 141). 

Die auf das Erfahrungswissen der Antragsteller:innen gestützte und durch eine Literatur- und Datenanalyse vertiefte Erkundung des Problem- bzw. Möglichkeitsfelds im Projekt Bundle Up begann bereits im Zuge der Antragstellung und fokussierte die aktuellen Herausforderungen in den Innenstadtzentren (Umsatzverlagerung in den Onlinehandel, Frequenzverluste und Ladenleerstände, Zustellprozesse auf der Letzten Meile). Zwischenerkenntnisse und Handlungsbedarfe wurden bei der Auftaktveranstaltung mit den Projektpartner:innen diskutiert und für die Design Thinking-Workshops textlich-visuell aufbereitet. Auch die Teamaufstellung, d.h. die Auswahl und Ansprache der für das Projekt relevanten Praxispartner:innen aus den Bereichen Stadtentwicklung, Immobilienwirtschaft, Einzelhandel, Letzte Meile-Logistik erfolgte bereits im Zuge der Antragstellung. Über verschiedene Workshops wurde der Kreis der Akteur:innen gezielt erweitert, um Knowhow zu ergänzen und Partner:innen für die spätere Umsetzung zu sondieren. 

Phase 2: Beobachtung: Im Fokus der zweiten Arbeitsphase steht die Beobachtung, die in den fünfphasigen Design Thinking-Ansätzen mit der ersten Arbeitsphase zusammengefasst wird. Ziel dieser Phase ist es, Fachwissen für die zu lösende Aufgabe aufzubauen und Empathie für die beteiligten Stakeholder zu schaffen, um ihre unterschiedlichen Sichtweisen und Bedürfnisse im Hinblick auf das jeweilige Problem kennenzulernen (Heller et al. 2020: 22; Schallmo und Lang 2020: 49, 55; Plattner et al. 2009). Dazu werden typische Nutzer:innen in relevanten Situationen beobachtet und zu ihren Problemen und Erwartungen befragt, in der Praxis bereits vorhandene Lösungen analysiert und diskutiert und Expert:innen interviewt (Schallmo und Lang 2050: 50). 

Im Fokus der Beobachtung im Projekt Bundle Up stand eine (inter-)nationale Good Practice-Recherche innovativer Ansätze für die Letzte Meile. Die Bedürfnisse der unterschiedlichen Stakeholder wurden mittels Brainstorming in vier, jeweils zweistündigen und online durchgeführten Design Thinking-Workshops identifiziert und über den beauftragten Grafiker visualisiert. Darüber hinaus erfolgten im Zuge von Master-Seminaren mit dem Lehrstuhl Industrial Sales Engeneering an der Ruhr Universität Bochum (RUB) und an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund, die sich ebenfalls mittels Design Thinking der Konzipierung von Bundle Points widmeten, qualitative und quantitative Befragungen potenzieller Nutzer:innen, deren Ergebnisse von den Studierenden im Kreis der Projektpartner:innen präsentiert wurden. 

Phase 3: Synthese: In der dritten Phase des Design Thinking werden die zuvor gewonnenen Erkenntnisse ausgewertet, interpretiert und zur Definition eines Standpunkts synthetisiert. Ein methodisches Instrument, um in die Nutzerperspektive „einzutauchen“ und diese präsent zu machen, sind sogenannte Personas, d.h. typische, fiktive, aber realistisch beschriebene Personen, die auf Basis der verschiedenen Nutzerbedürfnisse entwickelt und mit Namen, Alter, Wohnort, Lebenssituation sowie themenspezifischen Charakterzügen und Bedürfnissen emotionalisiert werden (d.school 2010: 5; Heller et al. 2020: 22; Kerguenne et al. 2017: 117-119; Plattner et al. 2009: 167; Schallmo und Lang 2020: 50, 93–95). 

Im Projekt Bundle Up wurden basierend auf den vorangehenden Nutzerbefragungen verschiedene Personas herausgearbeitet. Sie bilden die Nutzung bestehender Zustell-Lösungen und damit zusammenhängende Herausforderungen sowie funktionale Anforderungen der Nutzer:innen ab (siehe Abbildung 3). 

Abbildung 3: Personas. Quelle: TU Dortmund/ SPR.

Phase 4: Ideenentwicklung: Die vierte Phase des Design Thinking bildet den Übergang vom Problemraum in den Lösungsraum. Sie dient dazu, ein breites Spektrum von Ideen, Möglichkeiten und Ansätzen zur Problemlösung zu sammeln (Heller et al. 2020: 22; d.school 2010: 6; Plattner et al. 2009; Schallmo und Lang 2020: 103). Hierbei ist eine offene Haltung gefragt, um unerwartete Lösungsansätze aufzudecken, Out of the Box und über offensichtliche Lösungen hinaus zu denken und Innovationskraft zu entwickeln (d.school 2010: 6).

Im Projekt Bundle Up kamen für die Ideenentwicklung vor allem Brainstorming- und Kreativitätstechniken zum Einsatz – unter anderem die Kopfstand-Methode von Edward de Bono, die auf einen Perspektivwechsel setzt, bei den vermeintlichen Nachteilen beziehungsweise Schwächen einer Idee beginnt und diese dann ins Positive dreht (De Bono 2010). Die Ideenentwicklung erfolgte im Zuge der Design Thinking-Workshops und einzelner standortbezogener Arbeitstreffen. Die Ergebnisse wurden mittels Graphical Recording, Mindmaps und anderer Visualisierungstechniken aufbereitet.

Phase 5: Prototyping: Die Prototypenentwicklung erleichtert das spätere Testen und Bewerten der entwickelten Lösungen. Prototypen müssen weder teuer noch perfekt und auch keine Vorversion finaler Lösungen sein, wichtig ist vielmehr die visuelle Kommunikation, um komplexe und abstrakte Ideen sowie potenzielle Anwendungssituationen sichtbar und für potenzielle Nutzer:innen verständlich zu machen (Heller et al. 2020: 23; Kerguenne et al. 2017: 140; Schallmo und Lang 2020: 51, 61). Dabei besteht eine große Umsetzungsbandbreite: Am Hasso-Plattner-Institut wurden 36 Arten möglicher Prototypen (unter anderem Papier-, Lego- oder Knetmodelle, Skizzen, Zeichnungen, Filme, Animationen, Foto-Collagen, Stories, Rollenspiele) für den Einsatz im Design Thinking identifiziert (Kerguenne et al. 2017: 139).

Im Projekt Bundle Up wurde auf ein Prototype on Paper gesetzt, wobei Papier und Stift durch Rechner mit CAD- und Grafik-Software ersetzt wurden. Für das Prototyping wurden jeweils drei Online-Workshops (Auftaktworkshop, Zwischendiskussion, Abschlussdiskussion) für vier ausgewählte Standorte in den teilnehmenden Kommunen durchgeführt, um gemeinsam mit den relevanten Stakeholdern (unter anderem Kommunen, Immobilieneigentümer:innen und -betreiber:innen) auf die jeweilige Situation angepasste Lösungen zu entwickeln (siehe Fokus Prototyping).

Phase 6: Test: Die sechste Phase des Design Thinking umfasst das Testen der Prototypen, um Nutzerfeedback zu den Stärken und Schwächen einer Idee zu gewinnen und Optimierungen an den Prototypen vorzunehmen, bevor Projekte realisiert werden und gegebenenfalls Fehlinvestitionen erzeugen (d.school 2010: 8; Heller et al. 2020: 23; Kerguenne 2017: 122; Schallmo und Lang 2020: 118-119). Sollte sich herausstellen, dass der Lösungsansatz noch nicht stimmig ist oder das Problem noch nicht richtig verstanden wurde, werden vorherige Arbeitsphasen wiederholt (d.school 2010: 8). 

Im Projekt Bundle Up wurden in einer vorgezogenen Testphase zunächst die im Rahmen des Master-Seminars an der TU Dortmund erarbeiteten studentischen Entwürfe im Kreis der Projektpartner:innen vorgestellt und diskutiert, um daraus Implikationen für das Prototyping im Projekt abzuleiten. Die Ergebnisse aus der Prototypenentwicklung in den vier Kommunen wurden dann wiederum in zwei Feedback-Schleifen mit den Stakeholdern an den jeweiligen Standorten diskutiert, bevor sie im großen Kreis der Projektpartner:innen beraten wurden. 

Mit dem Abschluss der Testphase endete im Projekt Bundle Up das Design Thinking. In einem nächsten Schritt erarbeitet die IHK zusammen mit Studierenden der RUB Business Cases zur Prüfung der wirtschaftlichen Bedingungen für die Realisierbarkeit der Prototypen.

Fokus Prototyping

Die Prototypenentwicklung soll als zentrales Ergebnis des Design Thinking die abstrakte Idee der Bundle Points greifbar machen und Orientierung für die spätere Umsetzung in die Praxis geben. Da keine Referenzprojekte für die gesuchten Lösungen ermittelt werden konnten, die sich unmittelbar mit der Projektidee deckten, erforderte das Prototyping ein hohes Maß an Innovations- und Vorstellungskraft. In zahlreichen Workshops mit den Praxispartner:innen vor Ort (siehe Phase 5 Prototyping) wurden vier Konzepte für unterschiedliche Standorttypen in Bochum, Herne, Witten und Hattingen ausgearbeitet und von wissenschaftliche Hilfskräften der TU Dortmund mit Skizzen, Plänen und Grafiken visualisiert. 

Pick Up Store

Der Pick Up Store ist als Geschäft zur Abholung und zum Versand von Paketen konzipiert und mit Umkleideräumen, Bestell-, Versand- und Retourenterminals, Recyclingbereich und Helpdesk ausgestattet. Weitere Services und Handelsangebote sowie Warenübergabemöglichkeiten für Händler vor Ort, ein Depot für Einkäufe sowie ein Café, eine öffentliche Toilette oder Wickel- und Stillräume können das Angebot ergänzen.

Abbildung 4: Prototyp Pick Up Store Bochum. Quelle: TU Dortmund/SPR.

Das Konzept wurde exemplarisch auf ein 230m² großes Ladenlokal in der Bochumer Innenstadt übertragen, das zur Fußgängerzone ausgerichtet und rückwärtig anfahrbar ist. Konzipiert wurde eine Paketstation mit der oben beschriebenen Ausstattung, die mit dem Bochum Service Point (unter anderem Regenschirm- und Bollerwagenverleih für Innenstadtbesucher:innen sowie Sammelstelle für den Lieferservice Bochum bringt’s) zusammengeführt wird. Der Prototyp sieht vor, den Pick Up Store mit Verkaufsflächen für regional hergestellte, nachhaltige Produkte und einem kleinen Café zu kombinieren (siehe Abbildung 4).

Das Konzept wurde zudem auf ein Shopping Center in der Wittener Innenstadt übertragen. Für die ausgewählten Flächen wurde ein Pick up Store mit Paktschränken, Helpdesk, Test-, Versand- und Retourenbereich sowie Umkleiden konzipiert, der die im Center bereits vorhandenen DHL- und Amazon-Paketschränke und Schließfächer der Deutschen Post integriert. Das Konzept für den Pick Up Store wird durch eine Änderungsschneiderei sowie ein räumlich weitgehend abgetrenntes Bistro ergänzt (siehe Abbildung 5). 

Abbildung 5: Prototyp Pick Up Store Witten. Quelle: TU Dortmund/SPR.

Pick Up Depot

Das Konzept für das Pick Up Depot ist als Kombination von Pick Up Store und Mikro Depot angedacht und umfasst sowohl die Abholung und den Versand von Paketen für Endkund:innen, als auch die Konsolidierung von Lieferungen für die Zustellung auf der Letzten Meile mittels E-Fahrzeug oder Lastenrad. Gleichzeitig soll das Depot als Sammelstelle für Pakete aus dem stationären Handels fungieren. 

Das Konzept wurde exemplarisch auf ein Ladenlokal in einer ehemaligen Warenhausimmobilie in der Herner Innenstadt übertragen, die kürzlich für eine Drittverwendung umgebaut wurde. Die ausgewählte Fläche grenzt unmittelbar an das Parkhaus an und kann von vorne und hinten (eingeschränkt) angedient werden. Als ergänzende Nutzung wird ein Fahrradgeschäft mit umfangreichen Mobilitätsservices vorgeschlagen: Verkauf und Verleih sowie der Reparatur von E-(Lasten-)Fahrrädern und E-Rollern, Ladestationen für Lithium-Ionen-Akkus ecetera (siehe Abbildung 6). 

Abbildung 6: Prototyp Pick Up Depot Herne. Quelle: TU Dortmund/SPR.

Pick Up Trailer

Der Pick Up Trailer ist als mobile Abholstation konzipiert und geht über den Gedanken einer Transformationsimmobilie hinaus. Angedacht ist ein Anhänger mit Paketschränken und Versand- und Retourenterminal, der mit einer Zugmaschine an wechselnden Standorten platziert werden und neue Impulse für Stadtteilzentren, Nahversorgungsstandorte und Wochenmärkte setzen kann. Durch das flexible Konzept können sowohl verschiedene Standorte als auch unterschiedlich genutzte Zugfahrzeuge erprobt werden.

Das Konzept wurde auf einen Nahversorgungsstandort in der teils ländlich geprägten Stadt Hattingen übertragen. Hier sind gerade die kleineren Ortsteile durch ein eingeschränktes Einzelhandels- und Dienstleistungsangebot geprägt, einzige Magnetbetriebe sind die Nahversorger. Während DHL-Packstationen vereinzelt verfügbar sind, sind die Wege zu den Paketshops der anderen Anbieter weit. Der Pick Up Trailer könnte tageweise auf Wochenmärkten und vor Supermärkten aufgestellt und von den Kund:innen selbständig bedient werden. Als Zugmaschine kommen Food-Trucks oder mobile Filialen von Apotheken, Banken, Blumenläden et cetera in Betracht (siehe Abbildung. 7). 

Abbildung 7: Prototyp Pick Up Trailer Hattingen. Quelle: TU Dortmund/SPR.

Reflexion der Projektarbeit

Mit der Diskussion der Prototypen endete das Design Thinking im Projekt Bundle Up. Aus dem methodischen Vorgehen lässt sich folgendes Fazit ziehen:

Design Thinking ist ein zielführender Ansatz zur Organisation transdisziplinärer, ko-kreativer Arbeitsprozesse: Der Design Thinking-Ansatz war für die meisten Projektpartner:innen neu, lediglich die IHK verfügte über Vorwissen in der Anwendung. Alle Praxispartner:innen standen der innovativen Vorgehensweise offen gegenüber, auch wenn ihre heterogenen Fachkulturen und Arbeitsstrukturen sowie unterschiedliche Haltungen und Erwartungen mit Blick auf die Bereitschaft zum (Mit-)Machen, die Prozessstrukturen und die Umsetzungsreife der Prototypen spürbar waren. 

Über das Design Thinking konnten das hohe Maß an Inter- und Transdisziplinarität und die unterschiedlichen Sichtweisen der Partner:innen zielführend in die ko-kreative Konzeptentwicklung eingebracht werden. 

Die konkrete Praxisrelevanz ist maßgeblich für die Mitarbeit in transformativen Denkprojekten: Die TU Dortmund war gemeinsam mit der IHK Initiatorin und wesentliche Treiberin des Projekts. Der Aufbau neuer Netzwerke und transdisziplinärer Arbeitsstrukturen gestaltete sich durch die gute Vernetzung der IHK unkompliziert. Obwohl ein reines Denkprojekt ohne unmittelbaren Interventionsanspruch für die Praxispartner:innen zunächst ungewöhnlich war, zeigten sie angesichts der Dringlichkeit des Projektthemas eine hohe Motivation für das Projekt. Die Diskussion in den verschiedenen Workshops und Gesprächsrunden gestaltete sich durch die heterogene Gruppenzusammensetzung und die Praxisrelevanz des Projekts lebendig und vielschichtig, auch wenn sie überwiegend online geführt wurde. Etwa zwei Drittel der rd. 20 Praxispartner:innen arbeiteten aktiv und auch über die regelmäßigen Treffen im Plenum hinaus mit, nur eine:r Beteiligte:r ist aufgrund eines Marktaustritts vorzeitig aus dem Projekt ausgeschieden. 

Mit Design Thinking können neue Themen platziert werden, für die Bearbeitung braucht es aber Verantwortliche, die auch jenseits von Workshops aktiv sind: Die spezielle Projektkonstellation bot den Praxispartner:innen eine unkomplizierte Möglichkeit zur Annäherung an ein relativ neues, komplexes Thema. Durch die finanzielle Förderung des Personaleinsatzes seitens der IHK und der TU Dortmund konnten die Praxispartner:innen maßgeblich entlastet werden, weil Inhalte jenseits der Treffen im Plenum und in Workshops vertieft, Arbeitsprozesse strukturiert und vorangetrieben und ein Netzwerk mit umsetzungsrelevanten Akteur:innen gebildet wurde. 

Auch reine Denkprojekte können transformative Wirkung entfalten: Durch die transdisziplinäre Akteurskonstellation, das Design Thinking als für fast alle Partner:innen neuartige Methode der Prozessgestaltung sowie die gemeinsame Arbeit an innovativen Lösungsstrategien und Konzepten hat das Denkprojekt auch ohne unmittelbare Umsetzung eine transformative Wirkung und wertvolle Impulse für den Praxiseinsatz entfaltet. Bei vielen Praxispartner:innen ist das Projektthema unmittelbar auf die Agenda gerückt. Zudem hat das unkonventionelle Projekt  – in unterschiedlicher Ausprägung – eine Offenheit zum Experimentieren geschaffen: Einige Immobilieneigentümer:innen haben sich nicht nur aktiv in die Konzipierung der Prototypen eingebracht, sondern auch avisiert, Flächen zum Testen neuartiger Konzepte und Nutzungskonstellationen zu vergünstigten Konditionen zur Verfügung zu stellen. 

Transformative Forschungsmethoden können Lehre und Praxis verbinden: Durch die Einbindung in die Lehre an der TU Dortmund und der RUB konnten die Studierenden ihre Methodenkompetenz erweitern. Die angehenden Raumplaner:innen machten im Sommersemesters 2021 in Kleingruppen jeweils alle sechs Phasen des bisher in die Lehre nicht integrierten Design Thinking durch und entwickelten im Rahmen des forschenden Lernens für selbst ausgewählte Standorte Prototypen, die sie im großen Kreis der Projektpartner:innen diskutierten. Später konnten einige Studierende im Rahmen von kleinen Werkverträgen in den Projektverbund einsteigen. 

Design Thinking weist eine hohe Eignung für transformative Forschungsprojekte auf: Nach den Erfahrungen im Projekt Bundle Up ist Design Thinking als Methode für die transformative Forschung in multidisziplinären Akteurskontexten vielfältig einsetzbar. Gemeinsam mit den Praxispartner:innen ist es gelungen, über Visionen und Prototypen Zielwissen zu entwickeln und konkretes Transformationswissen für nachhaltige Letzte Meile-Lösungen und neue Nutzungskonzepte für Transformationsimmobilien aufzubauen. 

Auch Stadtentwicklungsprozesse können von Design Thinking profitieren: Die sorgfältige Beobachtung und Analyse von Veränderungsprozessen, die transdisziplinäre Herangehensweise unter Einbindung der relevanten Stakeholder, die konsequente Nutzerzentriertheit, das visuelle Denken und grafische Kommunizieren führen zu einem hohes Maß an Übertragbarkeit des Design Thinking-Ansatzes in Stadtentwicklungsprozesse. 

Die Grenzen des Design Thinking sind dem Projektansatz immanent, sie liegen dort, wo der Denkprozess endet und die Umsetzung beginnt.

Realisierung der Bundle Points in der Praxis

Die Resonanz der beteiligten Praxispartner:innen zeigt, dass Bundle Points als neue Nutzungsoptionen für Transformationsimmobilien für Kommunen, Immobilieneigentümer:innen und Centerbetreiber:innen interessant sind. Entsprechende Konzepte lassen sich sowohl räumlich als auch rechtlich und technisch gut organisieren. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der KEP-Dienstleister untereinander stellt derzeit noch eines der größten Hemmnisse für die Umsetzung neuer Letzte Meile-Konzepte dar. Rein technologisch betrachtet stehen marktgängige, intelligente Software-Applikationen der Realisierung integrierter Lösungen nicht entgegen.

Ob auf das ko-kreative Denkprojekt auch eine ko-produktive Umsetzung folgt, hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, Betreiber:innen für die Bundle Points zu gewinnen. Da aus dem Kreis der Projektpartner:innen bisher nur sehr eingeschränkt Bereitschaft besteht, diese Aufgabe zu übernehmen, konzipieren die IHK und die TU Dortmund Vorlagen für Betreibermodelle und einen Betreiberaufruf sowie ein niedrigschwelliges, praxisnahes und kostenfrei über die Website der TU Dortmund verfügbares Informationsangebot mit kurzen Texten, vielen Grafiken und einem Erklärfilm. Die Materialien sollen die Umsetzung in die Praxis unterstützen, die konkrete Konzeptentwicklung erfordert aber jeweils individuelle Lösungen mit Blick auf den konkreten Standort, das verfolgte Geschäftsmodell sowie die Ziele der Betreiber:innen. 

Dabei zeigt sich, dass experimentelle Nutzungen wie Bundle Points als eigenständiges Geschäftsmodell absehbar wirtschaftlich nicht tragfähig sein werden und entweder einer Co-Finanzierung durch Immobilieneigentümer:innen, Centerbetreiber:innen, Werbegemeinschaften, Kommunen und öffentliche Fördergeber:innen bedürfen oder in etablierte kommerzielle oder öffentliche Nutzungen integriert werden müssen. Ein Café oder Co-Working-Space, städtische Angebote und Nutzungen wie eine Stadtinformation oder das Stadtmarketingbüro, ein Rückgabeterminal für Bücher aus der Stadtbibliothek oder ein Depot für die Abholung offizieller Dokumente könnten das Konzept ebenso erweitern wie neuartige Click & Collect- und Showrooming-Angebote, ein Logistik-Hub für urbane Lieferdienste, Schließfächer und Self Storage-Boxen oder Ladeschränke für E-Batterien. Mit Blick auf die besondere Relevanz der Transformationsimmobilien für den Stadtraum kommt es vor allem darauf an, transparente, öffentlich zugängliche und frequenzstarke Geschäftskonzepte zu schaffen, die Synergien für Besucher:innen und Händler:innen in den Zentren bieten. 

Letztlich werden Bundle Points nur dann am Markt bestehen können, wenn sie hinreichend Akzeptanz bei den Endkund:innen finden. 

Wesentliche Voraussetzungen dazu sind neben dem Nutzungsmix anbieterneutrale Einlieferungsmöglichkeiten für Paketdienste und lokale Handels- und Dienstleistungsunternehmen, ein gutes Marketing, in die Alltagswege der Bürger:innen integrierte Standorte und eine anwenderfreundliche IT. Rechtliche und fiskalische Reglementierungen (Steuerung des Lkw-Verkehrs in den Städten, mögliche Einführung einer Kostenpflicht für die Haustürzustellung et cetera) könnten die Einführung und Marktdurchdringung neuer Konzepte für die Letzte Meile ebenso erleichtern wie Anschubfinanzierungen für die Realisierung und längerfristige Erprobung der entwickelten Lösungsansätze.

About the author(s)

Nina Hangebruch, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund und im ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung. Sie befasst sich in Forschung, Lehre, Praxis und Beratung mit Fragen der Transformation urbaner Zentren.

Nina Hangebruch, is a research associate at the Faculty of Spatial Planning at TU Dortmund University and at the ILS – Research Institute for Regional and Urban Development. In research, teaching, planning practice and consulting, she works on issues related to the transformation of inner cities.

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