Published 27.07.2022

Green Urban Labs – Forschen mit Modellvorhaben

Green Urban Labs – Research With Pilot Projects

Keywords: Transformationsforschung; Ressortforschung; Grüne Infrastruktur; Stadtgrün; transformation research; departmental research; green infrastructure; urban greening

Abstract:

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) arbeitet seit 1987 im Programm des Experimentellen Wohnungs- und Städtebau mit Modellvorhaben. Im Forschungsfeld Green Urban Labs hat das BBSR in zwölf Modellvorhaben innovative Ansätze der Frei- und Grünraumentwicklung entwickelt und erprobt, die die Wohnbedingungen und die Lebensqualität in wachsenden Stadträumen verbessern. Der Beitrag stellt aus den Green Urban Labs drei exemplarische Beispiele vor. Im Beitrag stellt die Autorin auch die Herausforderungen dar, die eine Nachverdichtung der Städte mit sich bringt. Diese sollte nur mit dem Ansatz einer doppelten Innenentwicklung unter der Berücksichtigung des Stadtgrüns umgesetzt werden.

The Federal Institute for Research on Building, Urban Affairs and Spatial Development (BBSR) has been working with pilot projects in the program of experimental housing and urban development since 1987. In the Green Urban Labs research field, the BBSR has developed and tested innovative approaches of green space development in twelve projects that improve living conditions and the quality of life in growing urban areas. The article presents three examples from the Green Urban Labs. In the article, the author also presents the challenges that urban densification entails. This should only be implemented with the approach of a double inner development, taking into account the city green.

Der Forschungsschwerpunkt Grün in der Stadt

Die Bundesregierung hat 2013 einen großen Prozess gestartet und das Thema Grüne Infrastruktur zum ersten Mal als umfassende, ressortübergreifende Frage behandelt. Übergeordnetes Ziel war es, das Thema Grünflächen in der Stadtentwicklung auf die politische Agenda zu setzen und Diskussionsprozesse anzustoßen. Das BBSR richtete dafür prozessorientiert ein Forschungscluster Grün in der Stadt ein. Der Prozess wurde von parallelen Forschungsprojekten und Aktivitäten begleitet wie Gartenstadt 21, Umweltgerechtigkeit in der Sozialen Stadt, Urbane Grünflächen oder Ziele für Stadtgrün. Zudem hat das BBSR 2016 das ExWoSt-Forschungsfeld Green Urban Labs mit zwölf Modellprojekten gestartet, das die Autorin federführend leitete.

Der Beitrag zieht Parallelen zwischen dem Format der Reallabor- und der Modellvorhabenforschung und ordnet diese wissenschaftlich ein. Anhand von drei konkreten Beispielen zeigt er verschiedene Ansätze der Grün- und Freiraumentwicklung auf und geht dabei auch auf die Leitbegriffe der Multicodierung und Umweltgerechtigkeit ein.

Einordnung der Modellvorhabenforschung

Das BBSR benutzt den Begriff der Modellvorhabenforschung schon seit vielen Jahren. Doch was beinhaltet das Forschen mit Modellvorhaben? Ein Blick in die Aufgaben und Statuten des BBSR ist hierbei hilfreich. Das Institut betreibt wissenschaftliche Politikberatung und arbeitet an der Schnittstelle von Politik, Forschung und Praxis. Als nachgeordnete Behörde des jeweiligen Bauministeriums betreibt es Ressortforschung als Instrument einer wissensbasierten Politikberatung. Das BBSR startete 1987 das für die Politikberatung relevante Forschungsprogramm des Experimentellen Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt). Das Programm verfolgt das Ziel, die bundespolitische Rahmensetzung zu verbessern, um die Bedingungen für eine nachhaltige räumliche Entwicklung zu verbessern. „Dies erfolgt durch die praktische Erprobung neuer Wege in bekannten Handlungsfeldern oder durch die Befassung mit neuen Herausforderungen, die in der städtebaulichen Praxis noch nicht ausreichend erkannt worden sind.“ (Fuhrich 2009: 202)

Die in ExWoSt durchgeführten Studien und Forschungsfelder führt das BBSR über einen konkreten Auftrag und immer mit einem ganz speziellem Blickwinkel durch. Dieser Blick richtet sich auf die Überprüfung der aktuellen planungsrechtlichen Instrumentarien und der Förderinstrumente des Bundes. In seiner Ressortforschung hinterfragt das BBSR auch tradierte Prozesse der Stadtentwicklung und versucht neue Wege aufzuzeigen. Seine Forschungsprojekte beziehen sich daher auf möglichst aktuelle politische und fachliche Problemlagen. 2018 hat das BBSR das ExWoSt-Programm und seine Forschungsfelder einer internen Evaluation unterzogen. Ausgangspunkt war die Frage nach der Eigenart und dem Stellenwert des Programms in der wissenschaftlichen Forschungslandschaft. In seinem Ansatz, Innovationen der Stadtentwicklung zu initiieren und gleichzeitig zu untersuchen, war der Experimentelle Wohnungs- und Städtebau lange Zeit eine Besonderheit.

Exkurs Reallabore

Dies änderte sich in den letzten Jahren aufgrund des Forschungsformats der Reallabore, die sowohl in universitären wie auch staatlich initiierten Forschungsprogrammen Anwendung finden. Eine einheitliche Beschreibung dieses Formats erweist sich als komplex, da die Ansätze und Zugänge sehr vielfältig sind. In der Fachwelt kursiert daher ein unterschiedlicher Diskurs zu den Laboren. Im Gutachten des WBGU von 2016 werden diese wie folgt definiert: „Reallabore sind wissenschaftlich konstruierte Räume einer kollaborativen Nachhaltigkeitsforschung mit Interventionscharakter.“ (WBGU 2016: 542) Sie stellen daher eine sinnvolle Forschungsmethode im Rahmen der transformativen Forschung dar. Auch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten (beispielsweise Schneidewind 2014; Schäpke et al. 2017) haben sich intensiv mit konkreten Definitionen von Reallaboren auseinandergesetzt. Forscherinnen und Forscher des Wuppertal Instituts definieren diese wie folgt: „Die spezielle deutschsprachige Debatte rund um Reallabore weist starke Bezüge zu den niederländischen Entwicklungen des „transition managements“ und den „urban transition labs“ auf, verbindet diese aber auch mit Impulsen einer transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung und den langjährigen Ansätzen der Aktionsforschung.“ (Rose et al. 2019: 3)Die Autorinnen und Autoren des WBGU-Gutachtens stellen in ihrem Gutachten von 2016 Bezüge zwischen ExWoSt und den Typus Reallabor her. Sie beschreiben, dass ExWoSt „bereits sehr viele Bausteine und Elemente umgesetzt (habe), die aktuell unter der Leitidee von urbanen Reallaboren aufgegriffen und weiterentwickelt werden.“ (WBGU 2016, 476)

Die Forschungsfelder des ExWoSt können daher als ein vorbereitendes Instrument der praxisorientierten transformativen Forschung betrachtet werden.

Auf der Abbildung sieht man Teile eines alten Industriestandortes. Vor den rostigen Maschinen sind mehrere bunt lackierte Schuhe nebeneinander an einer Leine aufgehängt.
Abbildung 1: Das Modellvorhaben Rabryka in Görlitz im Forschungsfeld Jugend.Stadt.Labor.
Quelle: Stephanie Haury.

Modellvorhaben im ExWoSt

Das ExWoSt-Programm ist ein Instrumentarium, das einem ständigen Wandel unterliegt. Haben sich frühere Forschungsprojekte verstärkt auf Akteure in Verwaltungen und ein staatliches Verwaltungshandeln ausgerichtet, so haben sich Schwerpunkte und Themensetzungen der letzten Jahre stark gewandelt. Dies bestätigt auch die interne Evaluation des BBSR. Vermehrt sind Modellvorhaben (siehe Abbildung 1 und 2) initiiert worden, die „sich an einem koproduktiven Planungsverständnis orientieren, das zivilgesellschaftliche und unternehmerische Akteure als Initiatoren und Umsetzer von Planungsprozessen stärker in den Fokus rückt.“ (Diller und Willinger 2019: 48) Für alle ExWoSt-Forschungsfelder prägend ist, dass die jeweiligen Akteure involviert sind und es zu intensiven Austauschformaten und zu einer kritischen Reflexion der Forschungsergebnisse kommt. Es besteht der Anspruch, die Forschung transdisziplinär unter einem Zusammenwirken mit den Praxisprojekten umzusetzen. Die Modellvorhaben bewegen sich daher zwischen Wissenschaft und Praxis.

Die erprobten neuen Ansätze und das neue Wissen fließen unmittelbar vor Ort in die jeweiligen kommunalen Prozesse ein. Problemlösungen können damit nicht nur generiert, sondern auch parallel erforscht werden. Das Verhältnis zwischen Forschern und Beforschten ist ein ganz besonderes. Wissenschaftler und Praxisakteure arbeiteten auf Grundlage definierter Forschungsfragen eng zusammen. Bei der Erkenntnisgewinnung spielen die Adressaten – wie Kommunen – der Forschungsergebnisse eine große Rolle und werden von Anfang an in den Forschungsprozess als gleichwertige Partner einbezogen. Im Sinne einer Ko-Produktion soll ein gleichzeitiges Lernen und Reflektieren der Ergebnisse entstehen zum Beispiel in gemeinsamen Forschungs- und Erfahrungswerkstätten oder Diskussionen der Ergebnisberichte. Die Modellvorhabenforschung selbst ist offen angelegt und besteht aus Realexperimenten in und mit der Stadt. Der jeweilige Rahmen ist durch die jeweiligen Forschungsfragen festgelegt. Seit 2015 beschäftigt sich das BBSR vertieft mit dem Thema Stadtgrün und hat dazu ein Forschungscluster Grün in der Stadt eingerichtet.

Das Themenfeld Stadtgrün

Grünflächen rücken aufgrund aktueller Herausforderungen wie der Klimakrise und der Schaffung von mehr Wohnraum mehr und mehr in den Vordergrund. Sie haben aufgrund ihrer vielfältigen Funktionen hierbei eine besondere Stellung und Bedeutung. Die Aufwertung oder gar Neuanlage von Stadtgrün ist aufgrund vielfältiger Nutzungsinteressen und Zielkonflikte jedoch nicht einfach. Aktuelle wichtige Arbeitsgrundlage wie zum Beispiel die neue Leipzig Charta betont die Bedeutung grüner Städte mit naturbasierten Ansätzen und qualitätsvollen grünen und blauen Infrastrukturen (BMI 2020: 13). Die Entwicklungen, die sich durch die von der Corona-Pandemie bedingten Shutdowns und temporären Einschränkungen in 2020 und 2021 ergeben haben, veranschaulichen, dass Grünflächen nicht nur in puncto Biodiversität, Ökosystemleistungen und Stadtklima eine wichtige Rolle spielen. Die Corona-Krise hat auch verdeutlicht, wie wichtig Grün- und Freiräume im direkten Wohnumfeld sind. Unter dem Begriff der „15 Minuten-Stadt“ (Paris.fr o. J.), geprägt von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, unter dem alle wichtigen Anlaufstellen für die Bürgerinnen und Bürger innerhalb von 15 Minuten erreichbar sein sollen, wird deutlich, welchen Stellenwert ein begrünter Nahraum zukünftig haben wird.

Dies hat zur Folge, dass nicht nur die Freizeit, Lebens- und Aufenthaltsqualität zentral gelegener Parks und öffentlicher Grünflächen überprüft werden muss, sondern auch private Grünflächen möglichst vielfältig und erreichbar vorhanden sein sollten. Laut einer Forsa-Umfrage haben städtische Grünanlagen für 46 Prozent der Befragten einen Bedeutungsgewinn erfahren (Forsa 2020). Und sie werden von mehr als jedem Vierten seit der Corona-Krise häufiger aufgesucht.

Die nachweislich intensivere Nutzung von Grün- und Parkflächen muss jedoch mit der Entwicklung nachhaltiger Ansätze einhergehen, weil die Kommunen in Bezug auf ihre grünen Freiräume vor großen Herausforderungen stehen.

In den städtischen Grünflächenämtern fehlt es nicht nur an personellen und finanziellen Ressourcen. Hinzu kommt, dass es an öffentlich verfügbaren Flächen mangelt und veränderte Arbeits-, Freizeit- und Wohnformen neue Nutzungsansprüche an grüne Freiräume stellen.

Das Bild zeigt ein Gewerbegebiet mit einer gepflegten Grünfläche. Abgegrenzt wird diese durch alte Ziegelsteinmauern, die in der Mitte des Bildes eine Sitzmöglichkeit bieten.
Abbildung 2: Vielfältige Nutzungen finden sich vor allem in Stadtparks, hier das Beispiel Schlossgarten Stuttgart. Quelle: Stephanie Haury.

Die Modellvorhaben Green Urban Labs

Das Forschungsfeld Green Urban Labs (BBSR o. J.) nimmt die Herausforderungen des Stadtgrüns in den Blick und hat von 2016 bis 2020 in zwölf Modellvorhaben innovative Ansätze der Frei- und Grünraumentwicklung entwickelt. Der Ansatzpunkt bestand aus der Erprobung neuer Wohnbedingungen und der Verbesserung der Lebensqualität in wachsenden Stadträumen. Von vornherein bestand das Ziel nicht in einer Erhöhung des Grünflächenbestandes. Vielmehr ging es darum, diese aufzuwerten, für die breite Bevölkerung zugänglich zu machen und ein attraktives Angebot für mehr Begegnung, Bewegung und Sport anzubieten (siehe Abbildung 2). „In den Modellvorhaben ging es in erster Linie um das Lernen aus der Praxis, dabei war Scheitern explizit erlaubt. Erwünscht war eine möglichst hohe Offenheit für Innovationen, Neues und auch Unvorhergesehenes.“ (Haury et al. 2019: 48)

Das BBSR suchte die Modellvorhaben auf Grundlage eines breit angelegten deutschlandweiten Projektaufrufs aus. Ziel war es, dass die finalen Modellvorhaben eine große Bandbreite an aktuellen Themen der grünen Stadtentwicklung abdeckten. Die Modellvorhaben lagen deutschlandweit verteilt, waren unterschiedlich groß und behandelten lokal spezifische Fragestellungen zum Thema Grüne Infrastruktur. Die finale Auswahl bestand unter anderem aus Projekten mit Kleingartenanlagen im Kontext wachsender Flächenkonkurrenzen, aus grünen Klimaoasen in Innenstädten und aus breit angelegten Ansätzen der Bauwerks- und Fassadenbegrünung. Neben dem Leitbegriff der urbanen grünen Infrastruktur spielten die Begriffe Multicodierung und Umweltgerechtigkeit eine zentrale Rolle, die im Folgenden erläutert werden.

Auf dem Bild sieht man eine große und gepflegte Parkanlage inmitten einer Stadt an einem sonnigen Tag. Im Vordergrund nutzen die Menschen die Grünfläche als Sitzmöglichkeit, während sich an den Wegen Parkbänke befinden die ebenfalls besetzt sind. Im Hintergrund auf der linken Seite sind angrenzend an den stark besuchten Park Häuser zu sehen.
Abbildung 3: Das Green Urban Lab Ludwigsburg behandelte das Thema Grünflächen in
Gewerbegebieten. Quelle: Stephanie Haury

Multicodierung: Überlagerung von Interessen und Rollen

Grünflächen sind nicht nur aufgrund der Begrenzung von Klimarisiken bedeutsam. Die Mehrfachnutzung und Multicodierung von Grünflächen ist für die Resilienz von Städten von großer Bedeutung (Becker 2020: 20–23; BMUB 2017: 15). Diese beinhaltet eine Überlagerung der Interessen und Funktionen von Grünflächen beziehungsweise die Bereitstellung verschiedener Ökosystemleistungen (siehe Abbildung 3). Grünräume dienen damit zum Beispiel gleichzeitig der Wasserbewirtschaftung (Überflutungsgebiete) und sind temporäre Sport- oder Erholungsflächen. Dadurch können auch Aspekte der Baukultur gestärkt werden, wenn Regenrückhaltebecken keine reinen Betonbecken mehr sind, sondern gestaltete Lebensräume. Bei Klimaanpassungsmaßnahmen spielt der Ansatz der No-Regret-Maßnahmen eine zentrale Rolle. Hierbei werden an klimatologisch wirksame Maßnahmen ökonomische, ökologische und soziale Maßnahmen sinnvoll gekoppelt (siehe IPPC 1995: 15). Dazu zählen zum Beispiel die Begrünung der Verkehrs- und Gemeinbedarfsinfrastruktur oder die Entwicklung grünblauer Strukturen.

Mehrfachnutzungen spielen nicht nur in wachsenden Regionen eine große Rolle, sondern sie sind auch in wirtschaftsschwachen Regionen mit Schrumpfungsprozessen sehr wirksam. Nutzungskonkurrenzen wie Erholung, Freizeit, Stadtgestaltung und Naturschutz können so sinnvoll miteinander verknüpft werden. Neben Nutzungs- und Funktionsüberlagerungen stellten die Green Urban Labs die besondere Bedeutung der Akteurinnen und Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen und Rollen heraus. Zu ihnen zählen nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch die verschiedenen Fachämter oder finanzielle Interessen privatwirtschaftlicher Akteurinnen und Akteure. Die Multicodierung bedeutet hierbei, alle bestehenden Interessen in einem Projekt zu sammeln und zusammen in den Planungsprozessen im Sinne einer kooperativen Planungskultur einzuspeisen.

Umweltgerechtigkeit: Grün zugänglich und verfügbar machen

Eine lebenswerte grüne Stadt verfügt nicht nur über quantitativ und qualitativ gut ausgestattete Grünflächen. Die größte Herausforderung besteht daraus, diese für alle sozialen Gruppen nutzbar zu machen (BMUB 2015: 41). Außerdem benötigen besonders sozial benachteiligte Gruppen Möglichkeiten der Gestaltung, Mitwirkung und Aneignung. Denn diese Gruppen sind meist weniger mobil und halten sich häufiger in ihrem direkten Wohnumfeld auf. Gut gestaltete Grünflächen können sich auf ihre gesundheitliche Entwicklung auswirken. Der Begriff der Umweltgerechtigkeit fasst diese Problematik zusammen und rückt das Thema grüne Infrastruktur für benachteiligte Stadtquartiere in den Fokus. Ziel ist es, vorhandene Umweltbelastungen sozial gerecht zu verteilen und die räumliche Konzentration von gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen zu vermindern oder sogar zu vermeiden. Die Modellvorhaben wiesen nach, dass eine gute Bedarfsermittlung und -bewertung Voraussetzung dafür ist, eine umweltgerechte Verteilung anzugehen und die Lebensqualität und Gesundheit vulnerabler Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Kommunen benötigen eine Fülle an Informationen und Daten über die vorhandenen Grünstrukturen, Umweltbelastungen und Sozialräume. Was hierbei ein großes Problem darstellt ist, dass diese Daten in vielen Städten nur zum Teil vorhanden sind oder sind oder man darauf nicht zugreifen kann (BBSR 2021: 17). Bestehende Umwelt- oder Freiraumkonzepte, Landschaftspläne oder umweltbezogene Funktionskarten können zur Ermittlung von Missständen oder ungleicher Verteilung beitragen, können diese jedoch nicht ersetzen. Die Erfassung der sozialräumlichen Aspekte von Umweltgerechtigkeit ist daher eine komplexe Angelegenheit.

Freiräume für Experimente schaffen

Das Problem fehlender Flächen für eine ausgewogene Grünversorgung und Grünentwicklung bezieht sich nicht nur auf sozial benachteiligte Stadtquartiere. Aufgrund der immer knapper werdenden Flächen in zentralen Lagen müssen Städte auch hier nach alternativen Ansätzen und neuen Standorten suchen. „Um diese zu sichern und zu aktivieren, ist es erforderlich, nach neuen Instrumenten und Nutzungsformen Ausschau zu halten. Das Arbeiten damit setzt „Freiraum zum Experimentieren voraus – vor allem innerhalb der kommunalen Grünverwaltungen“ (BBSR 2021: 86).

Reale Experimente können städtische Planungen zielführend vorbereiten, da sie flexibler und schneller eingesetzt werden können als die oftmals starren Instrumente eines Planungsamtes.

Somit können neue Möglichkeiten und Potenziale nicht nur von Orten, sondern auch innerhalb von Strukturen herauskristallisiert werden. Es geht hierbei auch immer um die Produktion neuer Zukunftsbilder (siehe Abbildung 4), die etwas verändern. Diese Zukunftsbilder können bestehende Planungen der Stadt begleiten, beeinflussen oder gar vorbereiten. Im ExWost-Forschungsfeld Green Urban Labs arbeiteten die Modellvorhaben mit verschiedenen Zukunftsbildern und entwickelten Vorschläge zur Aufwertung und Neugestaltung von Grünflächen. Eine Auswahl daraus soll in den folgenden Absätzen nun vorgestellt werden.

In dem Bild erkennt man einen Fluss und direkt angrenzend am Ufer, eine Ansammlung von wenigen Menschen, die an einem selbst gebastelten Aufenthaltsort stehen. Zu sehen ist ein gelber Schiffscontainer, selbst gebaute Tische und errichtete Überdachungen. Die Menschen unterhalten sich und nutzen den Ort als Treffpunkt.
Abbildung 4: Im ExWoSt Projekt Pontonia, erstellten junge Menschen ein Manifest für offene Räume. Quelle: Stephanie Haury.

Vom Kleingarten- zum Naherholungsgebiet

Urbanes Gärtnern hat sich in den letzten Jahren verstärkt als gesellschaftlich relevant erwiesen (BBSR 2018: 15). Es gibt die unterschiedlichsten Erscheinungsbilder und Nutzungsformen. Angefangen vom Grün vor der eigenen Haustür, das viele Bürgerinnen und Bürger in Eigeninitiative umgestalten, machen auch die vielen Beetpatenschaften in Städten deutlich: das Stadtgrün hat für die Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Außerdem ist die Bereitschaft, sich für die Grüngestaltung seiner Städte einzusetzen sehr hoch. Neben dem Gärtnern bilden sich auch wichtige soziale Räume für die Gemeinschaft (BBSR 2018: 15). Für das Gärtnern fehlt in der Stadt jedoch oft der entsprechende Raum oder dieser muss sich von den aktiven Gärtnerinnen und Gärtnern in mühevoller Arbeit erkämpft oder ausgehandelt werden.

Etwas anders sieht die Lage im Bremer Westen aus (siehe Abbildung 5). Seit Jahren befinden sich dort Kleingartengebiete im Umbruch und es gibt einen Überhang. Auf dem 480 Hektar großen Areal haben viele Gärtnerinnen und Gärtner ihre Parzellen aufgegeben. Dies hat zur Folge, dass die Stadt nun mit einem komplexen Transformationsprozess konfrontiert ist: die Pflege und Nachnutzung leerstehender Parzellen muss geregelt werden. Und dies auf Grundlage einer zerklüfteten Eigentumstruktur und fehlenden Verbindungs- und Erschließungswegen (Freie Hansestadt Bremen 2016). Im ExWoSt-Modellvorhaben „Naherholungspark Bremer Westen“ (BBSR 2021: 49–51) konnte Bremen die Konversion des Gebietes erfolgreich vorantreiben. Die Stadtverwaltung kaufte aktiv Parzellen auf und entwickelte diese weiter. Aus baumbestandenen Parzellen wurden Wald und Fitnesstrails. Mittel aus ökologischen Ausgleichsmaßnahmen nutzte die Verwaltung für neue Streuobstwiesen und artenreiche Schmetterlingswiesen. Grundlage hierfür war eine aufwendige Erfassung der vorhandenen Parzellen- und Belegungsstruktur. Die bestehenden Entwicklungspotenziale diskutierten die Bürgerschaft, Vereine aus dem Bereich Kultur, Kleingartenwesen und Umwelt und Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik und Stadtverwaltung auf verschiedenen Zukunftswerkstätten zusammen. Die Ergebnisse sind Grundlage für die weitere Planung des Gebiets. Ein erweitertes Wegenetz verbessert die Mobilität. Entlang der ehemals verlassenen Kleingartenparzellen entsteht nun ein neues Naherholungsangebot für Bremer Bürgerinnen und Bürger. Die Transformation des Gebietes ist aufgrund der Größe des Gebietes, den unterschiedlichen Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern und der vielschichtigen Nutzung sehr komplex. Sie beinhaltet als wichtiges Element daher auch eine Kampagne, für das neue Image des neuen Grünen Bremer Westen.

Die Abbildung zeigt einen langen, grün bewachsenen Gang, der sich entlang vieler Schrebergärten befindet. Im Vordergrund steht eine Parkbank und ein Wegweiser mit 3 Pfeilen die in verschiedene Richtungen zeigen. Beschriftet sind diese mit den Wörtern „Dort“, „Da“, „Hier“.
Abbildung 5: Bremens grüner Westen. Quelle: Urbanizers Neumüllers Langenbrinck GbR.

Klimaoasen gegen Hitze

Die Stadt Jena befindet sich in einem Talkessel der Saale. Diese geografische Situation macht die Stadt besonders anfällig für Hitzestress. Linderung für die Bevölkerung soll ein flächendeckendes Netz grüner lokaler Klimaoasen schaffen, als wohnungsnahe kühle Orte, die zum Aufenthalt einladen. Um die passenden Orte und die hitzebedürftigsten Stadtteile aus dem Stadtgeflecht heraus zu filtern hat die Verwaltung eine konkrete Strategie entwickelt. Im Fokus steht vor allem die Grünversorgung stark belasteter und vulnerabler Bevölkerungsgruppen. In ihrer Grünflächenentwicklung verhalf eine durch Geoinformationssysteme (GIS) gestützte Multikriterienanalyse dazu, das Stadtgebiet hinsichtlich des Bedarfs an urbanen grünen Klimaoasen zu untersuchen. Die Verschränkung sozialer Daten mit naturwissenschaftlichen Werten wie Hitze-, Luft- oder Lärmbelastung, erwies sich dabei als sehr anspruchsvoll, da es Hindernisse des Datenschutzes zu überwinden galt. Im Ergebnis ist ein Netz von geeigneten Orten und ein neuer Typus Grünfläche entstanden. Erste Klimaoasen sollen in wärme- und lärmbelasteten Gebieten entstehen, entweder durch eine Aufwertung vorhandener Flächen oder durch Neuschaffung. Aufgrund knapper Flächen versucht die Stadtverwaltung auch private Eigentümerinnen und Eigentümer zur Kooperation zu bewegen, um ihre Flächen für Klimaoasen zur Verfügung zu stellen. Sie tritt hierbei in Kontakt mit den großen Wohnungsunternehmen in Jena. Die Stadtverwaltung entwickelt Steckbriefe für typische Standardlösungen, die mikroklimatische Effekte erzielen. Diese beispielhaften Musterlösungen sollen private Flächeneigentümer anregen, Freiräume unter mikroklimatischen Aspekten und Aufenthaltsqualität umzugestalten.

Auf dem Bild sieht man zentral eine aus Europaletten gebastelte Sitz- und Liegemöglichkeit inmitten einer Fläche eines Hinterhofs. Das Konstrukt sieht ungepflegt aus und es befinden sich unterschiedliche Decken darauf. Während man rechts auf dem Bild Hochspannungsleitungen für Züge erkennt und errichtete Lärm und Sichtschutzwände, sieht man links auf dem Bild ein Gebäude und vereinzelt Bäume.
Abbildung 6: Das Freifeld in Halle im Bau. Quelle: Stephanie Haury.

Private Brachen werden Stadtgrüninseln

Das Modellvorhaben in Halle, der Bürgerpark FreiFeld (siehe Abbildung 6), zeigt auf sehr anschauliche Weise eine bürgerschaftlich initiierte und getragene Projektentwicklung. Das innerstädtische Quartier Freiimfelde in Halle an der Saale, das sich östlich der Innenstadt befindet, ist seit Jahren von Leerstand und anderen städtebaulichen Defiziten betroffen (BBSR 2021: 77–79). Zahlreiche unzugängliche private Brachen und fehlende nutzbare Grünflächen prägen das Viertel. Die Fassadenmalerei der Freiraumgalerie, einem Zusammenschluss lokaler Künstlerinnen und Künstler konnte das Viertel nur zum Teil aufwerten, verhalf anfangs dem Viertel jedoch zu einem beliebten Ausflugsziel für Touristinnen und Touristen zu werden. Der Stadt fehlen finanzielle Ressourcen, um einen umfassenden Stadtumbau in Gang zu setzen.

Angestoßen durch die Freiraumgalerie und einem lokalen Bürgertreff nahmen sich zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure der Transformation einer Brachfläche zu einem Bürgerpark an. Sie wandelten diese zu einem begrünten zentralen Begegnungsort im Viertel um. Die Stadtverwaltung hat mit dem rechtlichen Instrument der Eingriffsregelung einen Weg gefunden, wie die Brache nicht nur planungsrechtlich als Grünfläche gesichert, sondern die Maßnahmen auch finanziert werden können. Vor Ort entstand über temporäre Aktionen wie Arbeitseinsätze, Räumarbeiten, Veranstaltungen und das Anlegen von Sportflächen, Gemeinschafts- sowie Pachtbeeten sukzessive eine starke Gemeinschaft. Diese hat bewirkt, dass sich ein Verein gründete, der FreiFeld e. V. Mit Unterstützung der Stadtverwaltung und der Montagstiftung konnte dieser ein nachhaltiges Nutzungskonzept und Betreibermodell entwickeln. Inzwischen ist der der FreiFeld e. V. Eigentümer der Fläche und kann die weitere Gestaltung und Entwicklung der Fläche eigenverantwortlich weiter vorantreiben.

Ein neues Leitbild für eine urbane grüne Infrastruktur

Ein Schlüsselfaktor für das Schaffen grüner Städte ist eine Planungskultur, die offen ist für andere Ressorts und andere Themenfelder der integrierten Stadtentwicklung.

Die Green Urban Labs haben gezeigt: Es gibt nicht den Ansatz für eine neue Grünflächenentwicklung. Vielmehr gilt es, sich das in den vergangenen Jahren deutlich erweiterte Repertoire an Ansätzen anzueignen und je nach Kontext und Voraussetzung anzuwenden.

Daraus treten die Umrisse eines neuen Leitbilds für eine urbane grüne Infrastruktur hervor. Eine weitere Innenentwicklung und Nachverdichtung von Städten darf nur unter Berücksichtigung und Aufwertung von Stadtgrün vonstattengehen. Und das nicht durch Stadtverwaltungen allein, sondern durch Zusammenwirken unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure aus der Bürgerschaft. In der Fortsetzung und Teil zwei des ExWoSt-Forschungsfeldes Green Urban Labs untersucht das BBSR ab 2021 die Freiraum- und Grünflächenentwicklung speziell in verdichteten innerstädtischen Lagen. Das Forschungsfeld richtet seinen Blick auf neue Raumpotenziale für mehr Grün, neue Managementstrategien, smarte Technologie und auf die aktuellen Anforderungen urbaner grüner Infrastruktur.An dieser Stelle bleibt daher nur festzuhalten: Balance ist auch eine Haltungsfrage.

About the author(s)

Stephanie Haury, Stadtplanerin und Stadtforscherin im BBSR mit den Schwerpunkten Grün in der Stadt und koproduktive Ansätze in der Stadtentwicklung. Sie leitet verschiedene Forschungsprojekte, darunter die Green Urban Labs und koordiniert den Bundespreis Stadtgrün.

Stephanie Haury, is an urban planner and researcher at BBSR with a focus on green in the city and co-productive approaches in urban development. She is the head of various research projects, including the Green Urban Labs and coordinator of the Federal Award for Urban Greening.

References

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Mehr Informationen zum Forschungsfeld und den drei ausgewählten Beispielen: www.bbsr.bund.de/green-urban-labs.