Published 27.07.2022

Beweg Dein Quartier

Co-kreative Entwicklung von Stadträumen als Game-Changer für die Mobilitätswende

Move Your Hood

Co-creative Development of Urban Spaces as a Game Changer for the Mobility Transition

Keywords: Mobilitätswende; Transformation; Beteiligung; Reallabore; mobility transition; participation; living labs

Abstract:

Beweg Dein Quartier erprobt zusammen mit den Städten Essen und Offenbach zwei co-kreative Beteiligungsprozesse zur gemeinsamen Gestaltung der Mobilitätswende. In einem Mix aus dialog-orientierten Beteiligungsformaten sowie co-kreativen Reallabor-Elementen setzt das Projekt in der Phase 0 an und entwickelt Visionen und konkrete Umsetzungsprojekte für nachhaltige Mobilität und mehr Lebensqualität vor Ort. In kollaborativen Prozessen gemeinsam mit Bürger:innen, Stakeholder:innen, Verwaltung und Expert:innen entwickelt das Projektteam bestehend aus Beteiligungsforscher:innen der Ruhr-Universität Bochum und dem Stadtentwicklungsbüro urbanista aus Hamburg Maßnahmen für die Mobilität in zwei Quartieren in Essen und Offenbach. Der Beitrag stellt das Prozessdesign vor, geht auf Erfahrungen und Rollenbeschreibungen der beteiligten Akteur:innen ein und ordnet die Ergebnisse für die praktische Umsetzung an der Schnittstelle transformativer Forschung und Stadtentwicklung ein.

Together with the cities of Essen and Offenbach, the project Move Your Hood is testing two co-creative participation processes to jointly shape the mobility transition. In a mix of dialog-oriented participation formats as well as co-creative experimental elements, the project starts in phase 0 and develops visions and concrete implementation projects for sustainable mobility and more quality of life. In collaborative processes together with citizens, stakeholders, administration and experts, the project team consisting of participation researchers from the Ruhr University Bochum and the urban development office urbanista from Hamburg develops measures for mobility in two neighborhoods in Essen and Offenbach. The article presents the process design, discusses experiences and different role descriptions of the actors involved and classifies the results for practical implementation at the interface of transformative research and urban development.

Gemeinsam Mobilität neu denken und Stadträume entwickeln

Die Mobilität von morgen ist in aller Munde. Schließlich spielt sie eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung unserer zukünftigen Herausforderungen – Lebensqualität, Umweltqualität, Klimaschutz, soziale Teilhabe, der wirtschaftliche Erfolg und damit die Zukunftsfähigkeit unserer Städte und Quartiere hängen maßgeblich von ihr ab. Doch auch wenn es, besonders im städtischen Raum, vielerorts eine Zielvision gibt - kompakte, mobile, grüne, durchmischte, lebenswerte, barrierefreie und emissionsarme Quartiere der Zukunft mit Platz für Begegnung und Miteinander (BMI 2020) – gestaltet sich der Weg dahin schwierig.

Die Mobilitätswende stellt eine der großen aktuellen Transformationen in der Stadtentwicklung dar, für deren Gestaltung die etablierten Praktiken nicht ausreichen und reine Top-down-Strategien nicht nachhaltig erfolgreich sein werden.

Hier setzt Beweg Dein Quartier an. Der Beitrag stellt das Prozessdesign vor, geht auf Erfahrungen und Rollenbeschreibungen der beteiligten Akteur:innen und ihrer vielfältigen Schnittstellen miteinander ein und identifiziert Erkenntnisse im Hinblick auf transformative Forschung als Chance für die Stadtentwicklung.

Das Projekt Beweg Dein Quartier

Das Projekt will die Visionen für die Zukunft der Mobilität verhandeln – im Dialog und beim Ausprobieren gemeinsam mit den Menschen vor Ort in den Quartieren zweier deutscher Städte. Hier will Beweg Dein Quartier Mobilität neu denken, Möglichkeitsräume eröffnen, neue Gewohnheiten etablieren und gemeinsam mit vielen Partner:innen Projekte für eine bessere Mobilität der Zukunft und mehr Lebensqualität vor Ort entwickeln.

Das Thema Mobilität wird dabei nicht isoliert, sondern als integraler Bestandteil des Alltags betrachtet, um gemeinsam getragene Lösungen zu entwickeln. Es geht also weniger um große Infrastrukturvorhaben, sondern um den Dialog über Mobilität und mögliche Veränderungen – für eine nachhaltige, nutzergenerierte Transformation.

Der Beweg Dein Quartier-Prozess setzt dabei in der „Phase 0“ (Köddermann 2020) an, das heißt bevor städtische Planungsabteilungen tätig werden. Der Prozess besteht aus verschiedenen aufeinander abgestimmten Formaten, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: Die Mobilität im Quartier zu fördern und die Qualität des öffentlichen Raumes für alle zu verbessern. Das gemeinsame Entwickeln von Projektansätzen, das Ausprobieren von alternativen Mobilitätsoptionen und neuen Gestaltungsansätzen im öffentlichen Raum stehen im Vordergrund. Dabei liefen die Prozesse in beiden Städten mit ähnlichen Bausteinen und Formaten ab, die mithilfe gewonnener Erkenntnisse stets angepasst sowie auf das jeweilige Quartier zugeschnitten wurden.

Aufgrund der Covid-19-Pandemie musste das Projekt im Sinne seiner ursprünglichen Projektskizze verändert und entsprechend der neuen Situation angepasst werden. Die eigentlich geplante starke Vor-Ort-Präsenz musste an vielen Stellen reduziert oder durch Online-Formate ergänzt beziehungsweise ersetzt werden.

Beweg Dein Quartier erstreckt sich über einen Zeitraum von drei Jahren und wird im Rahmen des Programms Nationale Klimaschutzinitiative (NKI) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) umgesetzt und finanziert. Koordiniert wird das Projekt vom Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) mit Expert:innen für Partizipation in Klima- und Infrastrukturfragen sowie dem Hamburger Büro urbanista, das auf langjährige Erfahrung bei der Umsetzung partizipativer Stadtentwicklungsprojekte blicken kann. Zwei Städte sind Praxispartnerinnen des Projekts: Im ersten Jahr stand das Essener Nordviertel und Umgebung im Fokus des Prozesses und im zweiten Jahr das Offenbacher Nordend, dessen Prozess exemplarisch im Fokus dieses Artikels stehen wird. Um den Transfer der Ergebnisse in andere Städte zu stärken, findet im Jahr 2022 ein Erfahrungsaustausch in Form einer Transferkonferenz statt.

Beweg Dein Quartier im Offenbacher Nordend und Hafen

Das Offenbacher Nordend ist ein kompaktes, gemischtes, innerstädtisches Quartier, geprägt von kultureller Vielfalt, Kreativität und Veränderungen - eine Nachbarschaft in Bewegung und Heimat für 13.000 Menschen. Das Hafengelände und die Hafeninsel, die sich nördlich anschließen, wurden in den letzten Jahren zu einem neuen Wohn- und Bürogebiet entwickelt.

Grafische Darstellung des Projektablaufs in Offenbach und seiner einzelnen Elemente.
Abbildung 1: Projektverlauf Offenbach. Quelle: urbanista.

Basis des Beweg Dein Quartier-Projekts in Offenbach (wie in Essen) war eine kartenbasierte Online-Umfrage zu den täglichen Wegen im Projektgebiet - ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV (siehe Abbildung 2). Wo läuft’s gut? Wo hakt’s? Woran fehlt’s? Was braucht Deine Nachbarschaft, damit Du besser vorankommst und der Raum für alle lebenswert ist? Diese und weitere Fragen waren Startpunkt der Umfrage, die sowohl online als auch analog ausfüllbar war. Die Ergebnisse wurden als Ausstellung mit Kommentaroption sowohl vor Ort als auch online präsentiert. Der Umfrage ging eine intensive Phase der Akteur:innen-Aktivierung voraus, um vorhandene Kräfte innerhalb des Quartiers zu mobilisieren und bereits existierendes Wissen und Grundlagen mit einfließen zu lassen.

Exemplarische Ansicht der Ergebnisse der Online-Umfrage mithilfe der kartenbasierten Software Maptionnaire
Abbildung 2: Exemplarische Ergebnisse der Online-Umfrage. Quelle: urbanista.

Auf Basis der Umfrage wurden in einem Online-Workshop – gemeinsam mit Bürger:innen, Vertreter:innen der Verwaltung und weiteren Akteur:innen der Stadt – 36 erste Projektansätze für das Quartier entwickelt, die die aktive Mobilität fördern und die Qualität des öffentlichen Raumes für alle verbessern sollen. Im Anschluss wurde daraus mithilfe einer zweiwöchigen öffentlichen Online-Abstimmung eine Top-16 ermittelt, die in einem zweiten Online-Workshop vorgestellt und gemeinsam mit Bewohner:innen und Expert:innen aus dem Bereich der Stadt- und Interventionsplanung auf ihre Möglichkeiten für temporäre Umsetzung im Quartier überprüft wurden.

Umgesetzt und erprobt wurden einige der temporären Projektansätze schließlich im Realexperiment 1 Monat Zukunft im September. Gemeinsam testen, ausprobieren, anders machen lautete das Motto. Dabei wurden Straßensperrungen, Spielstraßen, drei Car-Sharing-Stationen und eine Fußgängerachse temporär eingerichtet, um die Chancen einer nachhaltigen Mobilitäts- und Quartiersentwicklung sichtbar und erlebbar zu machen (siehe Abbildung 3–5). Ein weiteres Element von 1 Monat Zukunft waren die sogenannten Mobilitätsheld:innen, die einen Monat lang mithilfe eines kostenlosen Mobilitätspakets nachhaltige Mobilität erprobten und über ihre Erfahrungen berichteten.

Mit den hieraus gewonnenen Erfahrungen wurden im finalen Workshop des Beweg Dein Quartier-Prozesses in Offenbach die Schlüsselprojekte gemeinsam mit schon vorher im Prozess beteiligten Bürger:innen, weiteren zufällig ausgewählten Bürger:innen, Vertreter:innen der Verwaltung sowie externen Fachberater:innen aus dem Bereich Verkehrs- und Mobilitätsplanung gemeinsam weiter diskutiert und ausgearbeitet. Alle Teilnehmenden brachten dabei ihre jeweiligen Expertisen ein. Die Ergebnisse werden in einer Agenda Map aufbereitet.

Agenda Map

Die Schlüsselprojekte stehen im Fokus der Agenda Maps, den qualifizierten Ideen- und Konzeptsammlungen als Ergebnisse der Beteiligungsprozesse für das Offenbacher Nordend und das Essener Nordviertel (Beweg Dein Quartier/ Stadt Essen 2021). Sowohl strategische Ansätze als auch umfangreiche Neuplanungen großer Verkehrsknotenpunkte und kleine, punktuelle Vorschläge wie mobile Blühinseln oder Trinkbrunnen werden in den Agenda Maps dargestellt (siehe Abbildung 6 und 7). Projektideen wie eine multifunktionale Quartiersgarage bündeln verschiedene Mobilitätsangebote und schaffen Alternativen für den ruhenden Verkehr. So spannen die Schlüsselprojekte den Bogen von Verbesserungen für den Rad- und Fußverkehr über die Erhöhung der Aufenthaltsqualität bis hin zur Erweiterung öffentlicher Mobilitätsangebote.

Die Agenda Map wird nach Fertigstellung veröffentlicht und als qualifizierte Ideen- und Konzeptsammlung jeweils dem Stadtrat und der Verwaltung übergeben. Diese haben zuvor in einem Beteiligungsversprechen festgelegt, wie mit den Ergebnissen verfahren wird. Eine klare Kommunikation und ein Erwartungsmanagement zum Umgang mit den Ergebnissen sind wichtig, um falsche Erwartungen zu vermeiden und die Zufriedenheit mit dem Prozess zu stärken. Die Agenda Map ist als inhaltlich verhandelbare Willensbekundung zu verstehen. Die Verbindlichkeit oder die Realisierungsmöglichkeiten der im Prozess eingegangenen Ideen und Konzepte ist eine Frage späterer politischer Entscheidungen und Beschlusslagen.

Die Akteur:innen und ihre Rollen

Das Projekt Beweg Dein Quartier wird im Kern von urbanista und CURE getragen, entfaltet aber ein großes Netzwerk unterschiedlichster Akteur:innen – von Einzelpersonen in einem Quartier bis hin zum Bundesumweltministerium (Abbildung 8). Sie alle tragen in unterschiedlichen Rollen zur Umsetzung des Vorhabens bei und werden zum besseren Verständnis der sich ergebenden Schnittstellen hier kurz vorgestellt. Für urbanista, CURE und die Stadt Offenbach können die Autor:innen die Innenperspektive einnehmen, während die anderen Akteur:innen eher von außen beschrieben werden.

CURE: Der Forschungspartner des Konsortiums, das Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE), ansässig an der Ruhr-Universität Bochum (RUB), hat die Projektleitung inne und ist für die Koordination und das Berichtswesen gegenüber dem Fördergeber verantwortlich.

Als transformativ Forschende zwischen Wissenschaft und Praxis führt das Forschungsteam eine Vielzahl unterschiedlicher Rollen im Projektkontext aus, neben der Vermittlung gegenüber dem Projektträger fallen darunter die Organisation und Moderation von Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Mobilisierung von Akteuren, sowie die Durchführung wissenschaftlicher Erhebungen und Veröffentlichungen.

Ringförmige Grafik zur Übersicht über beteiligte Akteur:innen und ihre Rollen im Projekt Beweg Dein Quartier.
Abbildung 8: Übersicht der Akteur:innen im Projekt Beweg Dein Quartier. Quelle: Astrid Großmann.

Wie in vielen vergleichbaren Reallaboren entsteht so auch hier ein Spannungsfeld zwischen der aktiven Initiierung und Gestaltung und der wissenschaftlichen Reflexion und Evaluation (Schäpke et al. 2017: 12; Kamlage et al. 2021: 256). Die Gleichzeitigkeit dieser Anforderungen, in Kombination mit der begrenzten Projektdauer und dem hohen organisatorischen Aufwand, bringen die Forschungspartner:innen fortlaufend in einen durch zeitliche Beschränkungen bedingten Abwägungsprozess zwischen der Bearbeitung beider Ziele.

Darüber hinaus konnten einige klassische wissenschaftliche Methoden wie zum Beispiel teilnehmende Beobachtungen im Hintergrund des Geschehens im Rahmen des Realexperiments nur in beschränktem Maße durchgeführt werden, da die Forschenden im Beteiligungsprozess häufig eine aktive Rolle gegenüber der Öffentlichkeit einnahmen. Dadurch wurden eher zeitlich nachgelagerte Befragungen als Erhebungsmethode gewählt. Das Format 1 Monat Zukunft erforderte eine fortlaufende Organisation und Ansprechbarkeit vor Ort. Hier wurden zu dafür geeigneten Zeitpunkten spontane Interviews mit Passant:innen und Akteur:innen durchgeführt, um die Wahrnehmung von und die Wirkung auf Unbeteiligte einzufangen.

Urbanista: Das Projekt wird zudem vom Büro urbanista geleitet, das seinen Schwerpunkt im Bereich Stadtentwicklung und urbane Zukunftsstrategien hat. Urbanista ist federführend zuständig für die Konzeption, Koordination und Durchführung des Beweg Dein Quartier-Prozesses und seiner Formate. Als Stadtentwicklungsbüro mit langjähriger Erfahrung in der Begleitung und Umsetzung partizipativer Stadtentwicklungsprojekte ist urbanista im Beweg Dein Quartier-Prozess zuständig für die Konzeption der verschiedenen co-kreativen Formate (ob online oder vor Ort), ihrem Zusammenspiel sowie ihrer Koordination und Durchführung. Dabei übernimmt es auch die Konzeption und Gestaltung des kommunikativen Rahmens, wie des Projekt-Erscheinungsbildes, der Projektwebseite oder Social Media.

Mit seiner Raumplanungsexpertise nimmt urbanista zum einen die Rolle der Übersetzerin von Bürger:innen-Ideen in den Raum ein und begleitet beim gemeinsamen Zeichnen von Zukunftsbildern. Zum anderen bedient es die Rolle der Vermittlerin und Übersetzerin zwischen Verwaltung, externen Expert:innen und Bürger:innen. Somit besetzt es eine neuralgische Scharnierfunktion zwischen Forschungsteam und Stadtverwaltung und den Akteur:innen des Quartiers. Eine Funktion, die ein gewisses Spannungsfeld vor allem an der Schnittstelle Bürger:innen und Stadtverwaltung mit sich bringt – zwischen der Advokat:innen-Rolle gegenüber den Bürger:innen-Ideen und dem Wissen um Rahmenbedingungen und Herausforderungen bei der Umsetzung.

Stadt Offenbach: Die Stadt Offenbach war neben der Stadt Essen als Praxispartner im Projekt beteiligt. Verbunden mit dieser Rolle war die Vorauswahl eines Quartiers, die Unterstützung des Projekts in der Vorbereitung und Umsetzung der einzelnen Veranstaltungen vor Ort sowie die Zusicherung der Absicht, sich mit den Ergebnissen des Beteiligungsprozesses ernsthaft und transparent auseinanderzusetzen. Aufgrund der Einbindung des Nordends in das Städtebauförderprogramm Sozialer Zusammenhalt wurde auch die Projektbegleitung für Beweg Dein Quartier im Referat Stadtentwicklung angesiedelt, mit Unterstützung durch das Amt für Umwelt, Energie und Klimaschutz sowie das Referat Verkehrsplanung. Das Projekt wurde zudem bereits in der Bewerbungsphase durch einen Letter of Intent und später über das Beteiligungsversprechen auf politischer Ebene verankert.

Aus Sicht der Verwaltung brachte das Projekt die besondere Konstellation, dass nicht die Stadt selbst eine Planung und damit verbunden einen Beteiligungsprozess initiiert, sondern dass dieser von Seiten eines externen Projektteams angestoßen, strukturiert und umgesetzt wurde. Die Stadt musste dadurch ein Stück weit Kompetenzen abgeben und sich auf einen Prozess einlassen, der nicht vollständig durch sie gesteuert werden konnte und entsprechend auch unerwartete Ergebnisse hervorbringen konnte. Zugleich hat sie sich aber dazu verpflichtet, den Prozess nach Möglichkeit zu unterstützen. Diese Ausgangslage machte für die verwaltungsseitige Projektbegleitung einen gewissen Spagat notwendig, da einerseits um Wohlwollen innerhalb der Verwaltung geworben werden musste, das Projekt in der Öffentlichkeit als städtisches Vorhaben wahrgenommen wurde, zugleich aber nicht zu viel Einfluss auf den Verlauf genommen werden sollte.

Hier spielt es sicher auch eine Rolle, dass ein ergebnisoffenes Realexperiment aus wissenschaftlicher Sicht auch scheitern kann und so einen Lernprozess ermöglicht (Meyer et al. 2021: 376), was für städtische Planungsprozesse nur eingeschränkt gilt.

Quartiersmanagement Offenbach: Im Offenbacher Nordend besteht seit vielen Jahren ein Quartiersmanagement, welches seit 2019 auch das Städtebauförderprogramm Sozialer Zusammenhalt begleitet. Mit seinen vorhandenen personellen, organisatorischen und technischen Ressourcen sowie seinem Netzwerk vor Ort hat es das Projekt in der Vorbereitung und Umsetzung unterstützt und beraten.

Bürger:innen: Das Projektgebiet in Offenbach ist gekennzeichnet durch eine heterogene Bevölkerungsstruktur im Hinblick auf Aspekte wie Alter, Einkommen oder Migrationshintergrund. Hier möglichst viele Menschen im Quartier zu erreichen, war eine der zentralen Herausforderungen des Beteiligungsprozesses.

Das Projekt Beweg Dein Quartier gibt den Bürger:innen eine wesentliche Rolle bei der Ausgestaltung der Verkehrswende in ihrem eigenen Lebensumfeld, als Expert:innen für die Beurteilung der bestehenden Verhältnisse und als aktive Partner:innen bei der Gestaltung des Wandels. Entsprechend wurde eine Vielfalt an Beteiligungsmöglichkeiten eingesetzt, von eher konsultierenden Formaten wie der Umfrage oder der Kommentierung der Ergebnisse bis hin zu deliberativen Formaten, wie mehreren Workshops. Im Fokus stand dabei ein co-kreativer Ansatz: Als Expert:innen des Quartiers konnten Bürger:innen auf Augenhöhe mit anderen Expert:innen diskutieren, beraten, entwerfen und als Mobilitätsheld:innen aktiv neue Mobilitätsformen testen und im Rahmen von 1 Monat Zukunft Aktionen auf der Straße mitgestalten.

Multiplikator:innen und Wissensträger:innen: Bereits in der Antragsphase wurden lokale Gruppen aus dem Quartier und/oder mit Mobilitätsbezug angesprochen, die zum Teil als LOI (Letter of Intent)-Partner:innen und damit als grundsätzliche Unterstützer:innen für das Projekt gewonnen werden konnten (wie der Fuss e.V. oder der VCD). Zum Start des Projekts wurden zum einen Schlüsselpersonen und Gruppen angesprochen, die bereits in Projekte zum Thema Mobilität und öffentlicher Raum vor Ort involviert waren, um bereits vorhandenes Wissen in das Projekt von Beginn an einzuspeisen. Zum anderen wurden potenzielle Multiplikator:innen aktiviert, die Informationen zum Projekt und Einladungen zur Beteiligung weitergeben konnten, vor allem auch an Gruppen, die sich mit anderen Methoden nur schwer erreichen lassen (wie Kinder und Jugendliche). Zudem haben sie sich teilweise auch aktiv eingebracht und das Projekt in ihrer Advokaten-Rolle durch lokales Wissen und Netzwerke unterstützt.

Externe Akteur:innen und Berater:innen: Zusätzlich zu den genannten Akteur:innen wurden strategisch weitere Expert:innen an einigen Stellen des Prozesses eingebunden: Expert:innen aus dem Bereich Intervention und Stadtentwicklung sowie Verkehrs- und Mobilitätsplanung berieten Teilnehmende der Workshops bei der Konzeption von Projekten. Sie inspirierten mit kurzen Vorträgen und Beispielprojekten und bereicherten so den Prozess und die Qualität der Projekte mit zusätzlichen Expertisen. Außerdem wurden im Rahmen des Reallabors 1 Monat Zukunft lokale Künstler:innen und Forschende aus dem Projektgebiet damit beauftragt, Interventionen zu konzipieren und umzusetzen. Auch Student:innen der HfG produzierten in einem dazugehörigen Seminar Analysen und Designentwürfe zum Projektgebiet.

Fördermittelgeber BMU: Das Projektteam bringt die Ziele der NKI in den Prozess ein und spiegelt diese gegenüber der Öffentlichkeit wider. In der Berichterstattung gegenüber dem Fördergeber sind die potenziellen beziehungsweise erreichten Treibhausgas-Einsparungen (THG-Einsparungen) durch die umgesetzten Maßnahmen zentral. Das Projekt wird als sogenanntes innovatives Klimaschutzprojekt gefördert und zielt damit darauf ab, innovative Ansätze zu entwickeln und pilothaft zu erproben – verfügt aber nicht selbst über investive Mittel und kann so nur die Erprobungsphase, nicht jedoch die Umsetzung der entwickelten Ideen leisten. Die Umsetzung liegt bei der Kommune.

Schnittstellen und Herausforderungen im Prozess

Die Vielzahl an Akteur:innen in einen geordneten, zielgerichteten, zugleich aber kreativen und ergebnisoffenen Prozess zu führen, war eine der zentralen Herausforderungen des Projekts. Da alle Beteiligten sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen mitbrachten, entstanden vielfältige Schnittstellen, mit je eigenen Vermittlungsaufgaben: Sowohl innerhalb des Projektteams aus Universität und Planungsbüro als auch außerhalb zwischen Projektteam und Öffentlichkeit, zwischen Forschung und Verwaltung aber auch zwischen einer partizipativen Herangehensweise und den Rahmenbedingungen von Förderprogrammen.

Co-kreativ Mobilitätswende gestalten

Das gemeinsame Diskutieren und Entwerfen auf Augenhöhe ist Grundprinzip von Beweg Dein Quartier. So entstehen innerhalb des Projekts Schnittstellen zwischen fast allen teilnehmenden Akteur:innen des Quartiers sowie den Projektleitenden und externen Expert:innen. Besonders in den gemeinsamen Workshops, in denen mit dem Wissen und der Expertise der Vielen Projektideen entwickelt und diskutiert werden, werden so Veränderungen angestoßen und gestaltet.

Dabei ist der Beitrag der verschiedenen Akteur:innen konsultativ-deliberativ – passend zum jeweiligen Prozessbaustein und dessen Erfordernissen und Möglichkeiten. So erfolgte beispielsweise die Umfrage zu den alltäglichen Wegen vor allem über ein Online-Tool, in das die Bürger:innen ihre Daten selbstständig eingaben. Deren Ergebnisse wurden vom Projektteam ausgewertet und in einer Ausstellung dokumentiert, die vor Ort diskutiert und online kommentiert und ergänzt werden konnte. Die Entwicklung von Projektideen fand unter Einbindung aller Akteur:innen in der gemeinsamen, moderierten Diskussion statt. Dabei hatte auch die Rolle der Planer:innen und technischen Expert:innen immer Gewicht im Prozess und ergänzte das Wissen und die Idee der Bewohner:innen um ihre Expertise und half zu vermitteln und zu übersetzen.

Das Los der Advokat:innen

Durch eine frühzeitige, thematisch offene und inklusive Beteiligung mit Zivilgesellschaft und Stadtverwaltung erfolgte bei Beweg Dein Quartier die Bündelung lokaler Wissensbestände. Dabei hatte das Projektteam das Ziel, die vielfältigen Interessen in dem jeweiligen Quartier strukturiert in einem unparteilichen und fairen Beteiligungsprozess zusammenzubringen. Gemeinsam wurden konkrete Ziele und eine Vielzahl an unterschiedlichen Projekten erarbeitet, die den Ansprüchen und Wünschen der Bewohner:innen, aber auch den gesetzten Zielen des BMU entsprechen. Schließlich werden die Projektideen aufbereitet an die Stadtverwaltung und die politischen Gremien der Kommune sowie die Öffentlichkeit übergeben, auf Grundlage der demokratischen Entscheidungsprozesse in Planungen der Kommune aufgenommen und je nach deren Ergebnissen verworfen oder realisiert.

Durch die Advokaten-Rolle mit verschiedenen Zielen ergibt sich für das Projektteam immer wieder ein Spannungsfeld, in dem die verschiedenen Zielsetzungen austariert werden müssen.

Wer verfolgt welche Ziele, ist wem gegenüber rechenschaftspflichtig? Die Projektgruppe als Advokatin der ambitionierten Ziele der Nationalen Klimaschutzinitiative und der Bürger:innen-Beiträge muss diese an der Schnittstelle zur Verwaltung einbringen und dort mit deren legitimen Anforderungen aushandeln. Schließlich muss der Fortgang der Projektentwicklung und des Beteiligungsprozesses nachvollziehbar den Menschen vor Ort vermittelt werden.

Grenzen der Messbarkeit der Treibhausgas-Reduktion

Wie eingangs erwähnt, wird das vom BMU geförderte Projekt (auch) an seinem Potenzial zur Treibhausgas-Einsparung gemessen. Anhand von Wirkketten soll beurteilt werden, inwiefern die Maßnahmen eine eingetretene Wirkung erreichen. Im Projekt Beweg Dein Quartier können diese Einsparwirkungen vor allem auf der Ebene der Veränderungen von Nutzungsroutinen betrachtet werden, beispielsweise Verhaltensänderungen hin zu einer klimafreundlicheren Verkehrsmittelwahl. Die Herausforderung hierbei besteht darin, dass innerhalb der kurzen Projektlaufzeit keine fundamentalen Veränderungen bei einer großen Menge von Menschen zu erwarten sind beziehungsweise nicht erhoben werden können. Der Ansatz der Mobilitätsheld:innen, deren Verhaltensänderungen in einer Vorher-Nachher-Umfrage erhoben wurden, konnte hierzu in begrenztem Rahmen Erkenntnisse beitragen, die jedoch unter dem starken Einfluss des durch die Corona-Pandemie ausgelösten Ausnahmezustands standen und sich vor diesem Hintergrund schwer in potentielle Einsparwirkungen gegenüber des Ausgangszustands übersetzen lassen.

Zudem zielen viele der entwickelten Projektideen auf eine langfristige Veränderung im Stadtraum ab und erfordern entsprechende Planungshorizonte. Bauliche Veränderungen können wiederum nur indirekt auf eine Verhaltensänderung einwirken, insofern sie zunächst ein potenzielles Angebot schaffen, dessen tatsächliche Nutzung durch die Zielgruppe dadurch noch nicht garantiert ist. Die Akzeptanz kann sich erst über lange Zeiträume hinweg zeigen, die im Rahmen der Projektdauer nicht abbildbar sind. Um hierüber eine Aussage treffen zu können, wäre eine Erhebung messbarer Effekte nach mehreren Jahren nach der Projektphase erforderlich. Es können allerdings zu den entwickelten Schlüsselprojekten THG-Einsparpotenziale ermittelt werden.

Ergebnisoffener Forschungsprozess und Verwaltungshandeln

Der Projektbegleitung auf Verwaltungsseite kam im Projekt die Aufgabe zu, zwischen den Projektpartnern und weiteren Beteiligten aus der Stadtverwaltung zu vermitteln und parallel zum öffentlichen Beteiligungsprozess einen stadtinternen Kommunikationsprozess zu installieren, um alle, die potentiell einen Beitrag leisten sollten, kontinuierlich auf dem Laufenden zu halten.

Durch die Ergebnisoffenheit des Projekts war es zu Beginn schwer greifbar, in welche Richtung sich das Projekt entwickeln würde und welche Anforderungen an städtisches Handeln daraus erwachsen könnten. Aus Sicht der Verwaltung war es im Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Forschungsprojekts wichtig, darauf zu achten, keine unrealistische Sammlung von Projekten zu generieren, sondern möglichst frühzeitig Synergien zu vorhandenen Planungen etwa aus dem ISEK oder anderen Konzepten und Projekten zu identifizieren und diese ins Projekt einzuspeisen.

Im Zuge der Projektumsetzung wurde zunehmend deutlich, dass der Testlauf 1 Monat Zukunft eine sehr zentrale Rolle für das Projekt spielen würde. Es war der Moment, in dem das Forschungsprojekt vor Ort sichtbar werden konnte. Zur Vorbereitung dieses Testlaufs mussten verschiedene städtische Stellen beteiligt werden, wie zum Beispiel das Ordnungsamt für Sondernutzungen im öffentlichen Raum, die Straßenverkehrsbehörde, für Straßensperrungen und Beschilderungen oder auch das Referat für Stadtgestaltung und Stadtgrün für die Nutzung städtischer Grünflächen und Einbauten im öffentlichen Raum. Dabei klärte sich oftmals erst Schritt für Schritt, wer einzubeziehen war, wer ggf. Erlaubnisse oder Genehmigungen erteilen musste und welche Voraussetzungen dafür zu erfüllen wären. Die Herausforderung bestand insbesondere darin, dass die Aktionen erst relativ kurz vor der Umsetzung konkretisiert werden konnten und nur wenig Zeit zur Abstimmung sowie für formale Genehmigungsprozesse verblieb. Vor allem für die Aktionen im Straßenraum wurden daher bereits ohne konkrete Planung Sperrungen beantragt, in der Hoffnung und mit der Maßgabe, dass das finale Vorhaben sich in diesen Rahmen einfügen würde. Dieses Vorgehen hat gut funktioniert und der direkte und sehr konkrete Austausch zwischen den verschiedenen städtischen Stellen hat einen gegenseitigen Lernprozess angestoßen. Diese Form der pauschalen Vorabklärung funktionierte jedoch nicht für alle Genehmigungsprozesse. Aus Sicht der Verwaltung war dies die intensivste Projektphase, da hier sehr viele nicht-standardisierte Vorgehensweisen zu finden waren und manche Themen nicht zur vollständigen Zufriedenheit aller Beteiligten geklärt werden konnten. Die für Stadtentwicklungsprojekte sehr kurze Umsetzungszeit wird jedoch voraussichtlich immer ein konfliktreicher Punkt bei ähnlichen Projekten bleiben.

Erkenntnisse für transformative Forschung in Kommunen

Das Forschungsprojekt hat Lernprozesse auf allen Ebenen und bei allen Beteiligten angestoßen. Diese umfassen die Kernthemen Mobilität und Partizipation, insbesondere aber auch die ganz konkreten Schritte der Projektumsetzung sowie die notwendigen Rahmenbedingungen, die zum Gelingen transformativer Forschungsprojekte beitragen und ihre nachhaltige Wirkung sicherstellen.

Impulse von Einwohner:innen und Zivilgesellschaft

Die große Stärke des Ansatzes besteht in der gemeinsamen co-kreativen Projektideenentwicklung in der Phase 0. Das heißt bevor offizielle Planungen beginnen, werden mit Bürger:innen bedarfsorientiert und durch lokales Wissen in dialog-orientierten Workshops Projektideen entwickelt und temporär erprobt. Die gemachten Erfahrungen fließen dann wiederum in die finale Ausformulierung der Projektideen ein. Solche frühzeitigen und experimentellen Beteiligungsformate besitzen das Potenzial, die Planungskultur hin zu einer bedarfsorientierteren Planung zu verändern, die durch die Erprobung Impulse in die Stadtgesellschaft geben und Erkenntnisse aus der temporären Erprobung für die finale Umsetzung berücksichtigen kann.

Die Projektideen dienen als Legitimationsgrundlage. Als Beispiel kann hier die Superblock-Idee in Offenbach genannt werden, die einen umfangreichen Ansatz zur Verkehrsberuhigung und Umnutzung des Straßenraums des Nordends vorsieht. Diese Idee kam einerseits aus der Bürgerschaft, zum anderen gab es auch bereits in der Stadtverwaltung Überlegungen dazu. Die Bearbeitung der Idee im Rahmen des Beteiligungsprozesses von Beweg Dein Quartier kann als Anstoß und Legitimation dienen, diese Idee weiterzuverfolgen.

Einbettung des Projekts

Die Quartiersauswahl sollte bei einem solchen Projekt gemeinsam erfolgen zwischen Partnerkommune und Projektteam, mit einem Schwerpunkt auf Seiten der Kommune, mit ihrem lokalen Wissen um laufende Prozesse und Bedarfe. Wie so oft werden Projektideen nicht alle komplett neu erfunden und im Rahmen der Projektarbeit auch nicht vollständig abgeschlossen. Im Rahmen des Beteiligungsprozesses von Beweg Dein Quartier wurden teilweise vorhandene Ideen aufgegriffen und weiterentwickelt, das Eisen weitergeschmiedet. So ist in Essen zum Beispiel die Idee einer verbesserten Fußgängerquerung zur Verbindung zweier Abschnitte der Fußgängerzone mit Vorrang für den Fußverkehr durch die Beteiligung konkretisiert worden und befindet sich nun in der Planung zur Umsetzung. Wichtig ist insofern den Beteiligungsprozess in laufende Verkehrs- und Stadtentwicklungsprozesse einzubinden. In Essen ist das Projekt im größeren Kontext der Entwicklung eines Mobilitätsplans zu sehen, der mit einem breiten Beteiligungsprozess entwickelt wird und zum Ziel hat, das städtische Modal-Split-Ziel von 75 Prozent der zurückgelegten Wege beim Umweltverbund bis 2035 zu erreichen. Konkreter räumlich schlägt sich das in der Quartiersauswahl mit hohen Entwicklungsbedarfen und -dynamiken nieder. In Essen beinhaltet der Kontext unter anderem ein neues Innenstadt-Konzept, die Realisierung des Radschnellwegs Ruhr und der Citybahn bis 2025 sowie die erfolgte Schaffung einer Umweltspur am Cityring. In Offenbach wurde mit dem Nordend ein Quartier gewählt, das seit einigen Jahren im Rahmen der Städtebauförderung im Fokus steht, mit Projekten zur Verbesserung der Bedingungen für Fuß- und Radverkehr sowie zur besseren Anbindung an die direkten Nachbarstadtteile und an die Region.

Nachhaltigkeit und Weiterverfolgung der Projekte

Durch das Beteiligungsversprechen wurde die Mandatierung mit den beteiligten Städten auf Ebene der Dezernent:innen vereinbart. Die Städte haben sich verpflichtet, einen Teil der entwickelten Projektideen unter Einbindung der kommunalpolitischen Gremien aktiv weiterzuverfolgen. Im Fall von Offenbach sind das mindestens fünf der 16 Schlüsselprojekte. Nach dem Abschluss der Entwicklung des Maßnahmenpaketes und dem Ende der Projektlaufzeit stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit. Fühlt sich jemand verantwortlich, regelmäßig nachzufragen, ob an der Umsetzung der Projektideen gearbeitet wird? Welche Rolle haben die Menschen im Quartier, die beteiligt waren? Zusammen mit Kommunalpolitik, Quartiersmanagement, Runden Tischen (Interessengemeinschaften aus Stadtteil-Akteuren oder ähnliche Netzwerke) ist es wichtig, dass auch aus der Bürgerschaft gewünschte Projekte weiterverfolgt und durch Öffentlichkeitsarbeit im Bewusstsein gehalten werden. So besteht die Chance, nicht nur die Verwaltung als Kümmerin damit zu beauftragen und das Thema auf der Agenda zu halten. Seitens der Verwaltungen ist es wichtig, die Projekte in die Vorhabens- bzw. Jahresplanungen aufzunehmen: wenn die Projekte dort verankert und mit Jahreszahl versehen sind, kann sichergestellt werden, dass die Projekte weiterverfolgt und umgesetzt werden. Schließlich ist klar, dass die politische Agenda der jeweiligen Kommune mitentscheidet. Im Bereich der Mobilität lässt sich festhalten, dass die Mobilitätswende vielerorts hohe Priorität besitzt. In beiden Projektkommunen werden in den Projektgebieten wichtige Verkehrsprojekte verfolgt. Es erscheint daher sinnvoll, Quartiere auszuwählen, in denen Transformationsprozesse stattfinden und konkrete Planungen verfolgt und umgesetzt werden.

Beschleunigung des Umsetzungsprozesses

Häufig ist eine Herausforderung für Beteiligungsprozesse, dass bei den Bürger:innen nach einer intensiven Phase des Austauschs über einen längeren Zeitraum nicht viel von dem ankommt, was hinter den Kulissen geschieht. Um Umsetzungsprozesse vor dem Hintergrund begrenzter Personal- und Finanzkapazitäten in Stadtverwaltungen zu beschleunigen, könnte eine Möglichkeit darin bestehen, auch für die weitere Umsetzung Projektmittel einzuplanen und damit Agenturen einzusetzen, die auch über investive Mittel verfügen können. Auf Seiten der Stadt bleibt dabei nur die Aufgabe der Kontrolle, während die Arbeit für die weitere Planung und Umsetzung abgegeben werden kann. Entsprechend ausgerichtete Förderprogramme können dabei hilfreich sein. Weitere Vorteile bei diesem Vorgehen bestehen darin, dass dadurch Stadtplanungsbüros als zusätzliche Akteurinnen mit technischer Expertise eingebunden werden, die vermitteln, übersetzen, in den Raum denken.

Weiterführende Informationen:

Beweg Dein Quartier – Projekt-Website https://bewegdeinquartier.de/
Beweg Dein Quartier – Agenda Map Essener Nordviertel und Umgebung (2021) https://www.essen.de/leben/umwelt/nachhaltigkeit/beweg_dein_quartier.de.html

About the author(s)

Björn Ahaus ist Sozialwissenschaftler und war als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projektteam von Beweg Dein Quartier tätig. Er arbeitet nun bei der Grüne Hauptstadt Agentur der Stadt Essen im transformativen Forschungsprojekt Be-MoVe an co-kreativen Reallaboren für die Mobilitätswende.

Dr. Björn Ahaus is a social scientist and works as a project manager at the Green Capital Agency of the City of Essen. He previously worked as a researcher in the project team at the Ruhr-Uni-Bochum and continues to work on co-creative real-world laboratories for the mobility transition.

Tobias Kurtz studierte Stadt- und Regionalplanung und war als Fachreferent im Amt für Stadtplanung, Verkehrs- und Baumanagement der Stadt Offenbach als Projektleiter für die Umsetzung des Städtebauförderprogramms Sozialer Zusammenhalt im Offenbacher Nordend zuständig. 

Tobias Kurtz studied urban and regional planning and has worked at the Offenbach City Planning Department as project manager for the implementation of an urban renewal program in Offenbach's Nordend district.

Jana Wegener hat Übersetzungswissenschaft in Heidelberg und Urbane Systeme an der Universität Duisburg-Essen studiert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) der Ruhr-Universität Bochum im Projekt Beweg Dein Quartier.

Jana Wegener studied translation in Heidelberg and urban systems at the University of Duisburg-Essen. She works as a research assistant at the Center for Environmental Management, Resources and Energy (CURE) at Ruhr University Bochum in the project Move Your Hood.

Astrid Großmann verantwortete das Projekt Beweg Dein Quartier bei urbanista. Dort war sie langjährige Projektleiterin mit den Schwerpunkten Stadtentwicklung und Mobilität. Sie studierte Stadtplanung und ist seit kurzem Städtebaureferendarin bei der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Hamburg.

Astrid Großmann was responsible for Move Your Hood at urbanista, where she was a longstanding project manager focusing on co-creation and mobility. She studied urban planning and is currently completing a post-graduate programme in urban design at the Hamburg Ministry of Urban Development and Housing.

References

BMI (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) (2020): Die Neue Leipzig Charta. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/eu-rp/gemeinsame-erklaerungen/neue-leipzig-charta-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (PDF), Zugriff am 21.01.2022.

Kamlage, Jan-Hendrik; Knobbe, Sonja; Goerke, Ute und Mengede, Anna (2021): Transformative Forschung im Rheinischen Revier – Aufbau einer partizipativen Governance zur nachhaltigen Bioökonomie. In: Herberg, Jeremias; Staemmler, Johannes und Nanz, Patrizia (Hg.): Wissenschaft im Strukturwandel. Die paradoxe Praxis engagierter Transformationsforschung. München: oekom verlag, 239–266. DOI: 10.14512/9783962388256. https://publications.iass-potsdam.de/rest/items/item_6000851_3/component/file_6000856/content (PDF), Zugriff am 14.01.2022.

Köddermann, Peter (2020): Phase 0 – Wann beginnt Stadtplanung? In: Phase Null: Theaterplatz Aachen. Aachen: Baukultur Nordrhein-Westfalen. https://baukultur.nrw/projekte/phase-0/, Zugriff am 21.01.2022.

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