Published 2.05.2024

Wer repräsentiert den BOB CAMPUS?

Teilhabe und Diversität in einem gemeinwohlorientierten Stadtteilentwicklungsprojekt

Who represents the BOB CAMPUS?

Participation and Diversity in an Urban Development Project Geared Towards the Common Good

Keywords: Initialkapital-Prinzip; Diversität; Empowerment; Repräsentanz; Gemeinschaftsbildung; Principle of initial investment; diversity; empowerment; representation; community building

Abstract:

Der BOB CAMPUS ist ein integriertes und gemeinwohlorientiertes Immobilien- und Stadtteilentwicklungsprojekt nach dem Initialkapital-Prinzip der Montag Stiftung Urbane Räume. Es ist im Wuppertaler Stadtteil Oberbarmen verortet, der durch eine große Diversität geprägt ist. Ziel der Projektinitiator:innen war es, dieser Diversität bereits in der Entwicklung des BOB CAMPUS Raum zu geben, indem durch verschiedene Möglichkeiten der Teilhabe und Mitgestaltung möglichst viele Bevölkerungsgruppen angesprochen und insbesondere Menschen ohne Vorerfahrung in Beteiligungsprozessen aktiv eingebunden werden. Herauszuheben ist dabei der Ansatz der BOB Botschafter:innen, durch den die verschiedenen Communitys im Stadtteil sich selbst ermächtigen und zu Repräsentant:innen des BOB CAMPUS werden konnten. Warum der Ansatz nur teilweise aufgegangen ist, versucht dieser als Erfahrungsbericht verfasste Beitrag zu eruieren.

The BOB CAMPUS is an integrated real estate and urban development project geared towards the common good following the Montag Foundation’s Principle of Initial Investment. It is located in the Wuppertal district of Oberbarmen, which is characterized strongly by diversity. The project initiators’ aim was to give space to this diversity early on in the development of the BOB CAMPUS by addressing as many demographic groups as possible through a variety of participation and co-creation opportunities, and especially by actively involving people without prior experience in (public) participatory processes. Of particular note is the BOB Ambassadors approach through which the diverse communities in the district were able to empower themselves and become representatives of the BOB CAMPUS. Why this approach succeeded only in part is what this article seeks to explore in the form of a field report.

Chancen schaffen nach dem Initialkapital-Prinzip  

Die Montag Stiftung Urbane Räume setzt sich für eine gemeinwohlorientierte und chancengerechte Stadtteilentwicklung ein. Sie will dort Chancen schaffen, wo diese fehlen. Dies tut sie mit Projekten nach dem Initialkapital-Prinzip. Räumlicher Bezugspunkt sind Stadtteile und Nachbarschaften, die in besonderem Maße sozialen und ökonomischen Herausforderungen gegenüberstehen. Ausgangspunkt einer Projektentwicklung nach dem Initialkapital-Prinzip ist stets eine Bestandsimmobilie vor Ort, die kooperativ entwickelt und bedarfsgerecht umgebaut wird. Der notwendige Finanzierungsmix für die Projektentwicklung kennzeichnet das Initialkapital-Prinzip: Die Montag Stiftungen steuern Eigenkapital für die bauliche Investition sowie Zuwendungen für die kooperative Entwicklung bei. Beides verbleibt im Projekt und fließt nicht zurück. Fremdmittel in Form von Bankkrediten und, sofern passend, öffentlichen Förderprogrammen wie zum Beispiel Städtebau-, Wohnraum- oder Denkmalförderung komplementieren das Initialkapital. Die Sicherung des Bodens erfolgt, wo immer möglich, über das Erbbaurecht. Der Erbbaurechtsvertrag hält die Gemeinnützigkeit der Projekte über einen Zeitraum zwischen 60 und 99 Jahren fest. Die Erbbaurechtsgeber:innen verzichten zugunsten der Gemeinwohlrendite auf die Erhebung des jährlichen Erbbauzinses.

Für jedes Projekt gründen die Montag Stiftungen eine gemeinnützige Projektgesellschaft (gGmbH), die Eigentümerin, federführende Projektentwicklerin, Bauherrin und Betreiberin ist. Mit den Einnahmen aus der Vermietung muss die Projektgesellschaft die Immobilie verwalten, Kredite tilgen und Zinsen zahlen. Darüber hinaus erwirtschaftet die Immobilie Überschüsse, die ausschließlich gemeinnützigen Aktivitäten und Maßnahmen vor Ort dienen, und stellt einen Teil der Nutzflächen der Nachbarschaft zum Selbstkostenpreis oder kostenfrei zur Verfügung. Überschüsse und Gemeinwohlflächen bilden die Gemeinwohlrendite.

Die Initialkapital-Projekte der Stiftung lassen in doppeltem Sinne neue Chancen entstehen: in Form von physischen Räumen für Begegnung und Engagement, zum Lernen, Wohnen und Arbeiten sowie in Form von Möglichkeitsräumen für Gemeinschaftsbildung, Teilhabe und Selbstwirksamkeit. Für die Projekte gibt es fünf übergeordnete Ziele, die projektspezifisch ergänzt und konkretisiert werden können:

  • Rund um das Projekt existiert eine solidarische, inklusive Gemeinschaft;
  • In der Gemeinschaft gibt es Personen, die Verantwortung übernehmen, um das Projekt stetig gemeinnützig weiterzuentwickeln und langfristig zu tragen;
  • Alle im Stadtteil haben bessere Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe, Bildung und Lebenszufriedenheit;
  • Die Projektimmobilie ist durch eine hohe ästhetische und funktionale Qualität ein belebter und identitätsstiftender Ort im Stadtteil;
  • Das Projekt trägt sich selbst und stellt Geld und Raum für bürgerschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement zur Verfügung. 

Eines von bisher sechs nach dem Initialkapital-Prinzip entwickelten Projekten ist der BOB CAMPUS in Wuppertal-Oberbarmen. Geplant und gebaut von 2017 bis 2023 steht er beispielhaft für die Erfahrungen der Montag Stiftung Urbane Räume in der kooperativen Projektentwicklung. Der Artikel beschreibt diese Erfahrungen und nimmt dabei eine für den BOB CAMPUS zentrale Fragestellung unter die Lupe: Wie manifestiert sich die grundlegende Haltung der Stiftung, die eine inklusive und diverse Gesellschaft anstrebt, konkret in der Entwicklung des BOB CAMPUS und im Kontext des Stadtteils Oberbarmen? 

Dies beleuchten und hinterfragen die Autor:innen insbesondere anhand des Ansatzes der BOB Botschafter*innen (Eigenname, nachfolgend BOB Botschafter:innen), der Menschen aus mehreren Communitys als Mitmacher:innen und Repräsentant:innen des BOB CAMPUS zusammengebracht hat. Er liefert wertvolle Erkenntnisse über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Teilhabe, die aus zwei Perspektiven betrachtet werden: einerseits aus Sicht des Gemeinwohlmanagers als Vertreter der Projektgesellschaft Urbane Nachbarschaft BOB gGmbH beziehungsweise der Montag Stiftung Urbane Räume und andererseits aus Sicht einer BOB Botschafterin und engagierten Bewohnerin aus dem Stadtteil. Da die Perspektiven persönliche Aussagen enthalten, nutzt der Beitrag in diesem Abschnitt bewusst auch die Ich- und Wir-Form.

Diversität prägt Wuppertal-Oberbarmen

Im Stadtbezirk Oberbarmen im Osten Wuppertals befinden sich die Stadtteile Oberbarmen-Schwarzbach und Wichlinghausen-Süd mit zusammen circa 26.000 Einwohner:innen (alle statistischen Daten in diesem Abschnitt: Stadt Wuppertal 2022). Die Grenze zwischen den Stadtteilen bildet die Nordbahntrasse, eine ehemalige Bahnstrecke, die heute ein wichtiger Fuß- und Radweg für ganz Wuppertal ist. Beide Stadtteile sind typische ehemalige Arbeiterviertel mit dichter Bebauung und alten, historisch gewachsenen Fabriken inmitten von Wohnhäusern. Viele der Straßen in Hügellage säumen Gründerzeithäuser, die teils gut erhalten, teils sanierungsbedürftig sind. Nachkriegsbebauung findet sich vor allem entlang der Hauptverkehrsstraße in der Talachse; ferner ist das große, 1977 fertiggestellte Schulzentrum Ost mit Realschule und Gymnasium zu nennen.

Zuwanderung und Diversität prägen seit Jahrzehnten beide Stadtteile. Die hier lebenden Menschen haben familiäre Wurzeln in über 100 Ländern: 70 Prozent der Bewohner:innen in Oberbarmen-Schwarzbach haben eine internationale Familiengeschichte, in Wichlinghausen-Süd sind es 55 Prozent. Neben großen griechisch-, türkisch- und italienischstämmigen Gemeinschaften sind in den vergangenen Jahren vor allem Menschen aus Südosteuropa, viele von ihnen Rom:nja, und Syrien nach Oberbarmen gezogen. Zudem leben hier im städtischen Vergleich überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche, was im Straßenbild deutlich zu erkennen ist. 

Für viele Menschen gehören Armut, Erwerbslosigkeit, Ausgrenzung und Diskriminierung zum Alltag. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund zwölf Prozent. Im Jahr 2022 erhält knapp ein Drittel der Einwohner:innen zwischen null Jahren und der Regelaltersgrenze (2022 bei 65 Jahren und 11 Monaten liegend) Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld (ab 2023 Bürgergeld). Um den Strukturwandel zu meistern und neue Perspektiven für den Wuppertaler Osten zu eröffnen, ist ein Großteil des Bezirks Oberbarmen seit 2011 Fördergebiet im Rahmen des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt beziehungsweise Sozialer Zusammenhalt.

Gemeinschaftlich entsteht ein offener Campus 

Genau an der Schnittstelle der beiden Stadtteile, angrenzend an die Nordbahntrasse und in direkter Nachbarschaft zum Schulzentrum Ost, eröffnete das Gelände einer stillgelegten Textilfabrik einen großen Möglichkeitsraum für eine Projektentwicklung nach dem Initialkapital-Prinzip. Frühzeitig in der Projektuntersuchung war den Projektbeteiligten – Vertreter:innen von Stiftung, Stadt Wuppertal und lokaler Zivilgesellschaft sowie Anwohner:innen – klar, dass hier ein Ort entstehen soll, an dem Lernen und Arbeiten ein Leitmotiv ist. Der Bedarf war groß: Schulen, Kitas und Ganztagsträger im Umfeld beklagten einen Mangel an Bildungsräumen; Arbeitsplätze in der Industrie waren weggefallen. Das Nutzungskonzept für die ehemalige Fabrik setzte bei den Bedarfen an und ging noch viel weiter: Der transformierte Industriestandort sollte – in Kombination mit einer gewerblichen Standortentwicklung – ein generationsübergreifender Lernort werden, ein offener Campus im natürlichen Zusammenspiel formaler, non-formaler und informeller Bildung (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation o. J.). 

Der Stadtteil Wuppertal-Oberbarmen aus der Luft. Im Zentrum ist der BOB CAMPUS mit dem Nachbarschaftspark zu sehen, daneben das Schulzentrum Ost. Das Hauptgebäude des Campus aus den 1970er Jahren sticht durch die lichtdurchlässige Fassade aus Polycarbonat und den gelben Erschließungsbügel hervor. Foto: Michel Wenzel
Abbildung 1: Luftbild vom Stadtteil, im Zentrum der BOB CAMPUS, links daneben das Schulzentrum Ost. Quelle: Michel Wenzel.

So befindet sich heute, nach der baulichen Fertigstellung, ein besonderer Nutzungsmix auf dem BOB CAMPUS: Es gibt eine Kita, Fachräume für Kunst, Technik und Textiles Gestalten der benachbarten Realschule, Räume für den Offenen Ganztag der nahegelegenen Grundschule, Büro- und Gewerbeeinheiten, eine nutzungsoffene Nachbarschaftsetage, eine Stadtteilbibliothek, eine Fläche für einen gastronomischen Betrieb, elf Wohnungen in zwei Wohnhäusern samt Nachbarschaftswohnzimmer sowie einen Nachbarschaftspark mit Terrassen zum gemeinschaftlichen Gärtnern. Architektur und Nutzungskonzept schaffen Offenheit und setzen bewusst auf das temporäre Teilen von Räumen und Ausstattungen. Damit eröffnen sie Möglichkeiten für Begegnung, Austausch und Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen und Nutzer:innen.   

Den BOB CAMPUS im Stadtteil verankern

Das heutige Bild des BOB CAMPUS in Bezug auf die Vielfalt der Nutzungen und Nutzer:innen ist das Ergebnis eines mehrjährigen, von vornherein breit und gemeinschaftlich angelegten Entwicklungsprozesses. Die Basis bildete das Projektbüro der Projektgesellschaft, ein ehemaliges Ladenlokal gegenüber dem Baugrundstück, das während der Planungs- und Bauphase als Planungswerkstatt, Begegnungsort und Raum für kleinere Veranstaltungen von Projektbeteiligten und Kooperationspartner:innen diente.

Beteiligungsverfahren in der Stadt- und Stadtteilentwicklung bleiben häufig exklusiv und erreichen nur bestimmte Personen und Akteursgruppen (Böhm 2016; Gebhardt und König 2021: 338). Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Menschen nicht partizipieren, zum Beispiel Zugangsbarrieren oder abstrakte Planungen, die an der Lebensrealität oder dem Interesse vieler vorbeigehen. Ernstgemeinte Teilhabe erfordert darüber hinaus entsprechende Ressourcen auf Seiten der Projektträgerschaft insbesondere in Form von Zeit für Beziehungsarbeit und Prozessbegleitung sowie Mitteln für Kommunikation und die Durchführung von Formaten der Mitgestaltung. In den Teams der Projektgesellschaften, die die Initialkapital-Projekte umsetzen, gibt es daher grundsätzlich auch eine:n Gemeinwohlmanager:in.

Mit dem Bewusstsein für die Grenzen von Beteiligung und dem ausdrücklichen Ziel, viele Menschen, Gruppen und Perspektiven aktiv in die Entwicklung des BOB CAMPUS einzubeziehen, entstand bereits in einer frühen Phase der Projektentwicklung die Idee der BOB Botschafter:innen. Die Fragen hinter der Idee lauteten: Wie erfahren möglichst viele Menschen aus dem Stadtteil, dass sie mitmachen und ihre Belange einbringen können? Und wie können die unterschiedlichen Bedürfnisse und das spezifische Wissen dieser Menschen in den Prozess einfließen? BOB Botschafter:innen sollten Personen sein, die das Projekt in ihre jeweilige Community, ihren Familien- und Freundeskreis tragen und gleichzeitig Anregungen und Belange aus ihrem Umfeld in die Projektentwicklung einbringen.

Gemeinschaft stärken und selbstermächtigen

Das Projekt der BOB Botschafter:innen berührte auch Themen wie Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus. Die Notwendigkeit eines sensiblen Umgangs damit bewog die Projektgesellschaft dazu, die Projektidee mit Unterstützung von Selly Wane weiterzuentwickeln und umzusetzen. Die Wuppertaler Unternehmerin und Aktivistin brachte viele Erfahrungen in der interkulturellen Arbeit und ein großes Netzwerk mit ins Projekt. Gleichzeitig waren sich die Projektverantwortlichen ihrer eigenen gesellschaftlichen Stellung bewusst: Die seinerzeit vier Mitarbeiter:innen der Projektgesellschaft waren weiße Menschen, Akademiker:innen, verfügten über ein gesichertes Einkommen. Nur eine Mitarbeiterin hatte familiäre Wurzeln im Ausland. Im weiteren Verlauf kamen, vor allem durch die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst im Projekt zu absolvieren, Schwarze und People of Color (BPoC) ins Projektteam, die selbst Rassismus und Diskriminierung erfahren (hatten).

Das Konzept sah einen Katalog verschiedener Teilhabemöglichkeiten vor, mithilfe derer die BOB Botschafter:innen stetig mehr werden und als Gemeinschaft zusammenwachsen konnten. Zudem verfolgte das Projekt einen Empowerment-orientierten Ansatz: Die Botschafter:innen sollten einen Rahmen vorfinden, der die Selbstermächtigung der Gruppe als Ganzes sowie der einzelnen Mitglieder unterstützt – in Bezug auf die mittel- bis langfristige Rolle auf dem BOB CAMPUS, aber auch auf weitere Möglichkeiten der Mitgestaltung über den Projektkontext hinaus.

Je mehr BOB Botschafter:innen, desto besser! Es gab daher bewusst nur wenige Bedingungen: Viele verschiedene Communitys sollten vertreten, aber keine einzelne Gruppe zu groß und dadurch gegebenenfalls zu (meinungs-)prägend sein. Zudem sollten die Botschafter:innen mehrheitlich im Stadtteil leben. Schon früh zeigte sich, dass Personen aus anderen Stadtteilen Wuppertals in der stillgelegten Textilfabrik einen Möglichkeitsraum für die Verwirklichung eigener Projektideen sahen. Dieses Phänomen ist in der Stadtentwicklung bekannt: Leerstehende Fabrikgebäude ziehen in besonderem Maße Kreative, Künstler:innen und Kulturschaffende an. Sie sind auch in den Initialkapital-Projekten wichtige Projektbeteiligte. Die Erfahrungen zeigen aber, dass es schnell passieren kann, dass bestimmte Personen und Gruppen Projekte und Projektideen für sich vereinnahmen. Damit nehmen sie anderen zum Teil und häufig ungewollt die Möglichkeit, sich einzubringen. Wo es viel um Gestaltung geht, rücken gestaltungsaffine Menschen nahezu automatisch in den Vordergrund. 

Das Initialkapital-Prinzip hat demgegenüber einen klaren Quartiersbezug. Es wirkt im Stadtteil und möchte vor allem Menschen aus dem Stadtteil zu Mitwirkenden der Projektentwicklung machen. 

Das Botschafter:innen-Projekt spitzt dies zu, indem es als geschützter Raum zu verstehen ist, der vorrangig Menschen zur Verfügung steht, die keine Beteiligungsprofis sind. In diesem Spagat aus größtmöglicher Offenheit und einigen – im Rahmen der Zielsetzung notwendigen – Einschränkungen steckte eine Schwierigkeit, die das Projekt durchgehend begleitete.

Zwischen Aufbruch, Pandemie und Verstetigung

Die Umsetzung des Botschafter:innen-Projekts begann Anfang 2019 und war bis zur Inbetriebnahme des Campus geplant. Ziel war es, dass bis zur Eröffnung des BOB CAMPUS viele Menschen aus möglichst vielen Stadtteil-Communitys das Projekt und den Ort mindestens kennen und sich untereinander für nachbarschaftliche Aktivitäten vernetzen.

Die Gruppe bestand zunächst aus gut zehn Personen, die über die Netzwerke von Selly Wane und der Projektgesellschaft gewonnen werden konnten, und traf sich anfangs ungefähr einmal im Monat in lockerer Atmosphäre im Projektbüro. Die Gruppengröße veränderte sich im ersten halben Jahr kaum, einige verließen den Kreis nach den ersten Treffen wieder, andere kamen hinzu. Abgesehen von der aktiven Mitwirkung einiger Botschafter:innen beim sogenannten Restaurant Day fehlte noch der Anlass, der das Selbstverständnis der Gruppe definierte. Zu diesem Zeitpunkt war der BOB CAMPUS noch eine Vision, zwar weitgehend geplant, jedoch vor dem Umbau der leerstehenden, unwirtlichen Textilfabrik. Umso schwerer war es in dieser Phase für die Botschafter:innen, ihre Rolle im Gesamtprojekt zu finden, geschweige denn zu erklären. Und so fragten sich die BOB Botschafter:innen in der Anfangszeit, was eigentlich ihre Aufgabe sei: Welche Botschaften wollten sie übermitteln und an wen?

Das änderte sich mit dem BOB LAB im September 2019, einer einwöchigen Veranstaltung, mit der die Projektgesellschaft den Stadtteil vor den Umbaumaßnahmen in die leerstehende Fabrik einlud zu 20 offenen Workshops mit Themen wie Repair, Recycling, Nähen, Möbelbau, 3D-Druck, Programmieren oder Bewerbungscoaching. Die Workshops fanden in der späteren Büroetage statt; die planenden und ausführenden Architekt:innen von raumwerk.architekten errichteten eigens für das BOB LAB provisorische Wände aus Paletten, um die geplante räumliche Unterteilung der Etage erfahrbar zu machen. In der künftigen Nachbarschaftsetage kam die mobile Viertelsküche erstmalig zum Einsatz; zur Mittagszeit trafen sich dort alle an einer großen Tafel zum gemeinsamen Essen. Das BOB LAB bot den Teilnehmenden viel Raum zum Ausprobieren und Selbermachen und vermittelte eine greifbare Vorstellung davon, wie das Leben auf dem Campus in Zukunft aussehen könnte. Es wirkte wie ein Türöffner für die Öffentlichkeit aus dem Stadtteil und der Stadt. Viele erfuhren während der Werkstattwoche zum ersten Mal, was mit dem Gelände passiert, und, dass sie Teil dieser Entwicklung sein können. Entsprechend groß war bei einigen Teilnehmer:innen das Interesse, weiter mitzumachen und BOB Botschafter:in zu werden. 

Beginnend mit dem BOB LAB nahm das Botschafter:innen-Projekt an Fahrt auf. Die bereits zuvor in der Gruppe formulierte Idee gemeinsamer Kulturabende wurde nun von den Botschafter:innen ausgearbeitet und mit Unterstützung des Gemeinwohlmanagements der Projektgesellschaft umgesetzt. Zwei Kulturabende fanden Ende 2019 und Anfang 2020 statt und brachten die bestehende Gruppe näher zusammen und neue Interessierte dazu. Weitere Ideen wurden gesammelt und konkretisiert; die Projektgesellschaft stellte der Gruppe ab 2020 ein freies Budget in Höhe von 5.000 Euro jährlich für gemeinnützige Projekte und Aktivitäten zur Verfügung.

Im Februar 2020 nahmen vier Botschafter:innen am Bundeskongress der neuen deutschen organisationen (ndo) teil, einem bundesweiten, postmigrantischen Netzwerk aus rund 200 Initiativen und Organisationen, die sich unter dem Motto „We.Present Democracy“ in Berlin trafen. Die Teilnahme und anschließende Reflexion in der Runde der Botschafter:innen wirkten nach und bestärkten die Gruppe darin, etwas bewegen zu können. Mittlerweile bestanden die BOB Botschafter:innen aus rund 30 Interessierten, die Hälfte davon bildete den engeren Kreis der Aktiven. 

Teilnehmer:innen der Werkstattwoche BOB LAB sitzen an einer langen Tafel und machen gemeinsam Mittagspause. Die Tafel befindet sich in der Nachbarschaftsetage vor ihrem Umbau. Foto: Simon Veith
Abbildung 2: Lange Tafel während des BOB LAB in der künftigen Nachbarschaftsetage. Quelle: Simon Veith.

Dann kam die COVID-19-Pandemie, die auch für das Botschafter:innen-Projekt eine echte Zäsur darstellte. Aus persönlichen Treffen wurden Videocalls, bereits geplante Aktivitäten bis auf Weiteres auf Eis gelegt. In dieser Zeit stand das Projekt nicht still, doch fehlten die Anlässe, um neue Mitstreiter:innen zu gewinnen. Der engere Kreis blieb weitgehend konstant über die Phasen der Lockdowns bestehen. Das freie Verfügungsbudget verwendete die Gruppe nicht für unmittelbare Aktionen, sondern mit Blick in die Zukunft: Für den künftigen gemeinnützigen Betrieb der Nachbarschaftsetage kaufte sie unter anderem Nähmaschinen, eine Soundanlage und eine Siebdruckmaschine. Von den BOB Botschafter:innen ging außerdem der Impuls aus, einen Lernförderkurs für Grundschulkinder anzubieten, die in besonderem Maße unter den Corona-Einschränkungen gelitten und zudem keinen Platz im Offenen Ganztag hatten. Der Kurs, durchgeführt von einer pädagogisch ausgebildeten BOB Botschafterin, startete im Frühjahr 2021, traf auf eine positive Resonanz und läuft 2024 bereits im vierten Jahr, seit 2022 erweitert und unterstützt durch städtische Mittel. 

In allen Initialkapital-Projekten besteht die Möglichkeit, dass sich Menschen aus der Nutzer- und Nachbarschaft zusammentun, um eine gemeinnützige Organisation zu gründen, die die Gemeinwohlarbeit perspektivisch trägt und dafür zum Beispiel die Gemeinwohlrendite und/oder die Gemeinwohlflächen nutzen kann. Die Art der Zusammenarbeit und die Form der Zuwendungen sind in einer Kooperationsvereinbarung zwischen Projektgesellschaft und Trägerorganisation festgelegt. Diese Entwicklungsmöglichkeit für den BOB CAMPUS trug die Projektgesellschaft ab Ende 2021 in den Kreis der BOB Botschafter:innen, verbunden mit moderierten Exkursionen zu den Projekten in Krefeld und Bochum Anfang 2022. Im Initialkapital-Pilotprojekt Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld ist eine Nachbarschaftsstiftung entstanden, in der KoFabrik in Bochum ein Verein. Neben Erfahrungsberichten aus erster Hand dienten beide Besuche rückwirkend betrachtet auch der Selbstvergewisserung der Gruppe, gut und divers aufgestellt zu sein.

BOB Botschafter:innen, die sich während des Besuchs in der KoFabrik in Bochum austauschen und miteinander diskutieren. Foto: Arne Pöhnert
Abbildung 3: Austausch und Diskussion beim Besuch der BOB Botschafter:innen in der KoFabrik in Bochum. Quelle: Arne Pöhnert.

Trotz des unmittelbaren Auftriebs durch die Exkursionen konnte sich die Gruppe im Anschluss jedoch nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen. Die Gründe dafür werden nachfolgend beschrieben. Mit der Inbetriebnahme des BOB CAMPUS im Spätsommer 2022 ist das Botschafter:innen-Projekt gemäß seiner ursprünglichen Ausrichtung faktisch beendet worden. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Kreis der Aktiven noch aus zehn Personen.  

Die Ideen, Impulse und Perspektiven der BOB Botschafter:innen haben die Entwicklung des BOB CAMPUS mitgeprägt. Mehrere Botschafter:innen sind weiterhin präsent auf dem Campus: Sie bieten kreative Ferienkurse und Lernförderung an, stehen bei Events als Musiker:innen auf der Bühne oder sind mit ihren Familien in eine der sanierten Wohnungen gezogen. Auch die Idee zur Gründung eines Vereins ist nicht vom Tisch und wird von einigen aktiv vorangebracht.

Perspektive einer BOB Botschafterin

Die Mitarbeit bei den BOB Botschafter:innen brachte viele Vorteile mit sich – besonders für jene Mitglieder, die zum ersten Mal ehrenamtlich in einem Projekt dieser Größenordnung tätig waren. Auch ich gehörte dazu. Mich interessierte das Projekt von Anfang an und gab mir das Gefühl, dass endlich etwas für die Nachbarschaft in unserem Quartier getan wird. 

Ich mochte die Diversität in der Gruppe, die sich durch die vielfältigen kulturellen Hintergründe ihrer Mitglieder, aber auch durch verschiedene Religionszugehörigkeiten, Geschlechter, Altersgruppen und die Teilnahme von Menschen mit Behinderungen auszeichnete. Jede Person hatte ihren Platz in der Gruppe. 

Wir dürfen nicht unterschätzen, dass wir über einen langen Zeitraum während des Projekts mitten in der Coronakrise steckten und es eine große Herausforderung für alle Beteiligten war, keine persönlichen Treffen organisieren zu können. Präsenzveranstaltungen fanden zeitweilig nicht statt, um uns wieder zu formieren und neue Botschafter:innen zu aktivieren. Im Gegenteil, durch die Distanz haben wir Interessierte aus der Nachbarschaft verloren. Wir blieben aber optimistisch und der Kern der Gruppe brachte sich weiterhin aktiv ein. Dieser konnte sich mit dem BOB CAMPUS identifizieren und leistete einen großen Beitrag zum Erhalt der Gruppe, um weiterhin neue Mitstreiter:innen aus verschiedenen Communitys zum Mitmachen zu motivieren.

Ich möchte von einigen Ereignissen berichten, die das Projekt und mich persönlich geprägt haben: Die Teilnahme an einer Exkursion nach Berlin zu einer Tagung der ndo ermöglichte es mir, gemeinsam mit drei weiteren Botschafter:innen, neue Impulse zur Teilhabe und zum Mitspracherecht bei der Gestaltung des BOB CAMPUS zu sammeln. Wir erkannten dabei, dass unsere Potenziale, die wir für die Nachbarschaft einbringen können und sollten, gerecht verteilt sein müssen. Wir kehrten als Gruppe motiviert und empowert nach Wuppertal zurück.

Interessant für mich zu beobachten war, dass sich einige frühe Mitglieder von der Teilnahme im Botschafter:innen-Projekt berufliche Weiterentwicklung oder einen neuen Job erhofften. Da dies nicht das Hauptziel des Projekts war, verließen einige dieser Personen daraufhin die Gruppe. Das veränderte auch die Struktur der Gruppe zugunsten der erfahrenen Akteur:innen. Ideen oder Vorschläge von motivierten Mitgliedern oder neuen interessierten Nachbar:innen wurden hin und wieder von den Etablierten in der Gruppe kritisiert und ausgebremst. Es gab in diesem Zusammenhang kein echtes Powersharing innerhalb der Gruppe. Ich persönlich habe gelernt, die Erfahrungen anderer anzunehmen, unabhängig davon, ob sie positive oder negative Auswirkungen auf die einzelnen Personen und mich hatten.

Vier BOB Botschafter:innen stehen vor der roten Social Media Wall beim Bundeskongress der neuen deutschen organisationen 2020 in Berlin. Foto: Urbane Nachbarschaft BOB gGmbH
Abbildung 4: BOB Botschafter:innen beim ndo-Bundeskongress in Berlin.
Quelle: Urbane Nachbarschaft BOB gGmbH.

Als wir anfingen, uns mit einer Vereinsgründung zu beschäftigen, wühlte das die Gruppe auf. Wir diskutierten erste Ansätze zur Gründung eines Vereins oder einer ähnlichen Organisation, doch uns fehlte ein genaues Konzept dafür im Zusammenhang mit dem Botschafter:innen-Projekt. Es wurde deutlich, dass wir weitere externe Unterstützung benötigten, um Struktur und einen Leitfaden für den Prozess zu erhalten. Deshalb beschlossen wir, gemeinsam mit der Projektgesellschaft die Projekte Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld und KoFabrik in Bochum zu besichtigen. Der Einblick in diese Projekte brachte viele Erkenntnisse mit sich: Sie waren zeitlich weiter fortgeschritten als unser Projekt. Die Baumaßnahmen waren abgeschlossen und insbesondere das Projekt in Bochum wies viele Gemeinsamkeiten zu unserem Vorhaben in Bezug auf die verschiedenen Communitys sowie die Motivation der Beteiligten auf. Dieser Austausch half uns schließlich bei der Festlegung unserer Ziele als Gruppe. In Bochum war bereits ein Verein gegründet worden, von dem wir lernen konnten. Dies motivierte uns zusätzlich. Außerdem wurde uns gespiegelt, wie vielfältig wir aufgestellt sind, und dass unsere Verschiedenheit die Botschafter:innen-Gruppe im positiven Sinne ausmacht.

Wir fühlten uns gestärkt nach den Projektbesichtigungen, die von der Projektgesellschaft organisiert und sehr gut durch eine externe Moderatorin begleitet wurden. Gemeinsam begannen wir nach den Austauschbesuchen, intensiv an einer geeigneten Rechtsform zu arbeiten. Die Baufertigstellung des BOB CAMPUS rückte näher und wir gerieten unter zeitlichen Druck, der jedoch von der Projektgesellschaft genommen wurde: Für die Gründung eines Trägers gab es so viel Zeit, wie benötigt würde. Wir sollten uns den Raum nehmen, die Rahmenbedingungen und das Maß an Verantwortung auszuhandeln. In diesem Prozess spaltete sich unsere Gruppe leider. Es kamen verschiedene Ansichten und Vorstellungen über die Nutzung der Nachbarschaftsetage zur Sprache und vor allem der Konflikt über den Grad der Unabhängigkeit des Vereins von der Projektgesellschaft führte zu einer angespannten Atmosphäre. Einige, dazu gehörte auch ich, wollten den Weg gemeinsam und im stetigen Austausch mit ihr gehen, andere möglichst unabhängig bleiben. Der Dialog zwischen uns blieb zwar bestehen, trotzdem verließen einige Botschafter:innen die Gruppe. 

Mir war der Erhalt der Gruppe eine Herzensangelegenheit. Deshalb nutzte ich jeden Workshop und andere Anlässe, Interessierte aus dem Stadtteil zu motivieren und ihnen zu verdeutlichen, dass sie mit ihren Potenzialen im Kreis der Gruppe zur besseren Gestaltung des BOB CAMPUS im Interesse ihrer Familien und der Nachbarschaft beitragen können.

Die BOB Botschafter:innen brachten viele Menschen aus dem Stadtteil zusammen, die jahrelang in Oberbarmen lebten und sich trotzdem bisher nicht kannten. Sie haben sich gegenseitig gestärkt, motiviert und einige Steine ins Rollen gebracht. 

Gemeinsam wurden sie aktiv, zeigten Interesse und hatten das Gefühl, wahrgenommen zu werden, etwas zu verändern und den Stadtteil mitzuprägen. Zu Recht! Der BOB CAMPUS und die Botschafter:innen-Gruppe gaben ihnen Möglichkeiten, Zukunft gemeinsam zu gestalten.

Mit dem eröffneten BOB CAMPUS wurde eine neue Zeit im Projekt eingeläutet. Neue Interessens- und Arbeitsgemeinschaften sind entstanden: zum Beispiel eine Kochgruppe, eine Schach-AG und eine Garten-AG. Fortlaufend findet Austausch zwischen den Nutzer:innen der Nachbarschaftsetage und den Mieter:innen des BOB CAMPUS statt. Es sind einige der erfahrenen Botschafter:innen dabei, aber auch viele neue. Die gemeinsame Nutzung der Etage verbindet und stärkt uns emotional und mental. Die sich so entwickelnde Struktur kann die Basis für eine mögliche Vereinsgründung sein. Wir haben Zeit.

Perspektive des Gemeinwohlmanagers

Mit dem Projekt der BOB Botschafter:innen beabsichtigten wir, dass die sehr diverse Stadtteilgesellschaft in Wuppertal-Oberbarmen auf dem BOB CAMPUS repräsentiert ist und dafür breitgefächerte und inklusive Möglichkeiten der Teilhabe und Mitgestaltung vorfindet. Wir wollten einen offenen und zugleich geschützten Raum schaffen, in dem die Mitwirkung vieler Menschen aus dem Stadtteil situativ, kultursensibel, bedürfnisorientiert und ungezwungen erfolgen kann. Dieser Raum war und ist auch für uns, die Projektgesellschaft Urbane Nachbarschaft BOB und die Montag Stiftung Urbane Räume, ein Ort des Voneinander-Lernens.

Einige projektspezifische Beobachtungen und Erkenntnisse möchte ich gerne teilen und durch, aus meiner Sicht, übertragbare Schlussfolgerungen ergänzen: Anders als in anderen Initialkapital-Projekten, in denen es entweder Bestandsmieter:innen gibt oder Gebäudeteile schnell ertüchtigt und in Betrieb genommen werden können, musste das gesamte Gelände der ehemaligen Textilfabrik aufwändig saniert werden. Der BOB CAMPUS stand daher über mehrere Jahre nur punktuell offen. Eine Selbstaneignung durch erste Mieter:innen und Nutzer:innen fand nicht statt und war aus sicherheitsrechtlichen Gründen auch gar nicht möglich; der Zugang wurde von der Projektgesellschaft gesteuert. Wie sehr die Möglichkeit, den Ort selbst zu erfahren und zu erkunden, zur Identifikation beiträgt, hat das BOB LAB gezeigt. Solche Formate halten wir im Sinne einer möglichst breiten Teilhabe für unentbehrlich. 

So sehr die Dynamik in dem halben Jahr zwischen September 2019 und Februar 2020 zunahm, so plötzlich wurde sie durch die COVID-19-Pandemie ausgebremst, soweit, dass das ursprüngliche Ziel des Mehrwerdens an Kraft einbüßte. Die Gruppe blieb zwar bestehen, was zu dieser Zeit nicht selbstverständlich war, doch durch fehlende Momente der Öffnung und Anlässe zum Mitmachen wurde sie ungewollt zu einem exklusiven Zirkel. Für die Gemeinschaftsbildung innerhalb einer Gruppe mag das von Vorteil sein, für ein maximal offen angelegtes Projekt ist jedoch eine permanente Durchlässigkeit notwendig.

In der nicht mehr wachsenden Gruppe zeigte sich ein weiterer Punkt: Wir hatten bei der Suche nach möglichen Botschafter:innen insbesondere auf bestehende Netzwerke und etablierte Akteur:innen als Multiplikator:innen gesetzt. Multiplikation ist wichtig! So fanden wir beispielsweise über einige Botschafter:innen Zugänge zu arabischsprachigen Communitys; ein anderer Botschafter konnte auf sein großes Netzwerk französischsprachiger, afrodiasporischer Menschen zurückgreifen. Menschen aus diesen Gruppen gehören heute zu den aktiven Nutzer:innen des BOB CAMPUS – als Teilnehmende und mit eigenen Angeboten. Dass die Multiplikator:innen eventuell auch Rollenkonflikte aus ihren anderen Funktionen mit in die Gruppe tragen, war uns bewusst und kein Ausschlusskriterium. BOB Botschafter:in zu sein, bedeutete ja explizit, die eigene Identität zeigen zu können. Für die Gruppendynamik hatte es dann allerdings doch Auswirkungen, dass mehr oder weniger die Hälfte der gut zehn aktiven Botschafter:innen aus vereinserfahrenen Menschen bestand, teilweise in Vorsitz oder Geschäftsführung von etablierten Trägern im Quartier. Ebenso verschafften sich einige Angehörige der weißen Mehrheitsbevölkerung mehr Raum innerhalb der Gruppe, indem sie ihren gewohnten Anspruch auf Einfluss geltend machten. Hier zeigte sich, dass Empowerment nur dort funktioniert, wo es gleichzeitig auch Powersharing gibt. Das gilt nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb von Gruppen. Zudem wurde deutlich, dass wir für das Mehrwerden der BOB Botschafter:innen noch stärker eigene Beziehungsarbeit im Stadtteil hätten leisten sollen. Das ist eine Frage von Ressourcen, aber auch einer bei Bedarf anzupassenden Prioritätensetzung oder, anders ausgedrückt, kein Entweder-oder zwischen Multiplikation und eigener, aufsuchender Beziehungsarbeit, sondern stets ein Sowohl, als auch (dazu auch: Scholten et al. 2023: 37-55).

Als Gemeinwohlmanager koordinierte, begleitete und unterstützte ich die Gruppe; die Geschäftsführerin der Projektgesellschaft war fortlaufend in den Prozess eingebunden und nahm an vielen Treffen persönlich teil. Die Botschafter:innen wurden wichtige Partner:innen für uns, ihre Anregungen und Hinweise hatten Gewicht. In partizipativen Verfahren wird in diesem Zusammenhang oft der Begriff der Augenhöhe bemüht, um eine Gleichstellung von Projektbeteiligten zu suggerieren. Doch „echte Kooperation auf Augenhöhe mit gleichen Zugangsvoraussetzungen [ist] schwer bis nie zu erreichen“ (Tribble 2023: 6). Wir stellen finanzielle Mittel und hauptamtliches Personal, setzen den Rahmen für Beteiligung und das Prozessdesign. Die Projektgesellschaft hat in Bezug auf die Projektentwicklung immer einen Wissensvorsprung. Es ist wichtig, offen und ehrlich damit umzugehen. 

Das Botschafter:innen-Projekt hat uns noch mehr dahingehend sensibilisiert, dass ein Teilhabeprozess stets unterschiedliche Geschwindigkeiten hat. 

Der Moment, um von Seiten der Projektverantwortlichen einen Impuls zu setzen oder eine Intervention vorzunehmen, sollte stets gut durchdacht sein. Hier hilft keine Zeitplanung nach Schema F, sondern nur eine regelmäßige (Selbst-)Reflexion. Zu keinem Zeitpunkt im Prozess sollte den Beteiligten, dazu gehören auch wir, Druck gemacht werden.

In der Nachbartschaftsetage sitzen Teilnehmer:innen eines Yoga-Kurses auf ihren Yogamatten. Durch die großen Fenster der Nachbarschaftsetage sichtbar befindet sich im Hintergrund der Nachbarschaftspark in der Abendsonne. Foto: Simon Veith
Abbildung 5. Beispiel für die Nutzung der Nachbarschaftsetage nach der Fertigstellung. Quelle: Simon Veith.

Vielfalt ist Alltag auf dem BOB CAMPUS: Viele unterschiedliche Menschen und Gruppen nutzen ihn, immer mehr identifizieren sich mit ihm. Die Gemeinwohlflächen – Nachbarschaftsetage und Nachbarschaftspark – sind Bühnen für den Stadtteil. Gruppen und Initiativen nutzen sie aktiv und aus Eigeninitiative, unter anderem als Möglichkeit, sich auszudrücken und zu präsentieren. Auch wenn wir, rein quantitativ betrachtet, weniger BOB Botschafter:innen gewinnen konnten und damit weniger Stadtteil-Communitys direkt erreicht habt, als wir uns ursprünglich vorgenommen hatten, so ist der Campus heute ein Ort der gelebten Diversität und Inklusion, der alle willkommen heißt und niemanden ausschließt. Diese Selbstverständlichkeit ist in großem Maße ein Verdienst der Botschafter:innen und ihres Projekts. Alte und neue Mitstreiter:innen können auf diesem Fundament aufbauen, den Campus weiterprägen und nach ihren Bedürfnissen gemeinschaftlich gestalten. Sie haben Zeit.

About the author(s)

Robert Ambrée ist Referent Gemeinwohl bei der Montag Stiftung Urbane Räume und hat die Entwicklung des BOB CAMPUS von 2018 bis 2022 als Gemeinwohlmanager vor Ort begleitet.

Robert Ambrée is a Common Good Advisor at Montag Stiftung Urbane Räume. From 2018 to 2022, he accompanied the development of the BOB CAMPUS as on-site Common Good Manager.

Samar Arar-Al-Refaei lebt und arbeitet als Lehrkraft für Deutsch als Zweitsprache in Wuppertal-Oberbarmen und ist seit Anfang 2019 ehrenamtlich als BOB Botschafterin sowie seit 2021 auch freiberuflich als Kursleiterin im Projekt aktiv.

Samar Arar-Al-Refaei lives and works as a professional teacher of German as a foreign language in Wuppertal-Oberbarmen. Since early 2019, she has been an active voluntary BOB Ambassador and has also been working on the project as a freelance course instructor since 2021.

References

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