Published 2.05.2024

Flüchtlingsunterkünfte und sozialräumliche Konflikte

Möglichkeiten und Grenzen dialogischer Beteiligungsprozesse

Refugee Accommodations and Socio-Spatial Conflicts

Opportunities and Limits of Dialogic Participation Processes

Keywords: Flüchtlingsunterkünfte; sozialräumliche Konflikte; Beteiligungsprozesse; Milieus ; Refugee accommodations; socio-spatial conflicts; participation processes; milieus

Abstract:

Zivilgesellschaftliche Aktivitäten und Teilhabe an Stadtentwicklungsprozessen entfalten sich oft entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien, die sozialräumlich sichtbar sind. Die Unterbringung und Integration von Geflüchteten stellt eine solche Herausforderung für die Stadtgesellschaft dar. Betrieb und Neubau von Flüchtlingsunterkünften werden oft von komplexen Konflikten begleitet. Es stellen sich Fragen zur Beteiligung der Öffentlichkeit, Gerechtigkeit und sozialen Nachhaltigkeit. Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hat das Integrationsmanagement BENN – Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften eingerichtet, um das Miteinander und den Dialog zu fördern. Der Beitrag diskutiert unter Einbeziehung von Expert:inneninterviews die Grenzen und Möglichkeiten solcher Beteiligungsprozesse und betont die Herausforderung, weniger beteiligungsaffine Milieus zu erreichen. Handlungsmöglichkeiten für künftige Vorhaben sollen abgeleitet werden.

Civil society’s activities and social participation in urban development processes unfold along social conflicts that are socio-spatially visible. The accommodation and integration of refugees represents such a challenge for urban society. The operation and construction of refugee accommodation is often accompanied by complex conflicts. Questions arise about public participation, justice and social sustainability. The Berlin Senate Department for Urban Development and Housing has set up the integration management BENN – “Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften” to promote cooperation and dialogue. The article discusses limits and opportunities of such participation processes using expert interviews and emphasizes the challenge of reaching milieus that are less interested in participation. Opportunities for action should be derived for future projects.

Zentrale Herausforderungen für die Stadtgesellschaft 

Bürgerschaftliche Teilhabe an Stadtentwicklungsprozessen entfaltet sich häufig entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien (vgl. Grande 2020), insbesondere dann, wenn sich Konflikte sozialräumlich niederschlagen. Eine solche Herausforderung für die Stadtgesellschaft stellt die Unterbringung und Integration geflüchteter Menschen dar. Betrieb und Neubau von Flüchtlingsunterkünften werden häufig von Auseinandersetzungen mit stark polarisierten Einstellungen begleitet, auch aufgrund der unmittelbaren lokalen Betroffenheit. 

In Annäherung daran erörtern wir in diesem Beitrag zunächst die Notwendigkeit des Betriebs und der Errichtung von Unterkünften für Geflüchtete und thematisieren die Polarisierung zwischen den Einstellungen verschiedener stadtgesellschaftlicher Milieus beim Thema Zuwanderung. Dabei unterstreichen wir die Bedeutung von dialogischen Beteiligungsprozessen auf Augenhöhe. Im Anschluss werden wir unter Einbeziehung einschlägiger Expert:inneninterviews zunächst auf die Grenzen und danach auf die Möglichkeiten einer erfolgreichen Beteiligung eingehen. 

Die Erkenntnisse basieren in erster Linie auf den Erfahrungen, die im Programm des Berliner Integrationsmanagements BENN – Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften gemacht wurden und hier diskutiert werden. Aufgabe des Integrationsmanagements ist es, in den Unterkünften und Nachbarschaften das Miteinander und den Dialog zu fördern sowie Prozesse der Bürger:innenbeteiligung zu initiieren. Die in der Praxis bewährten Möglichkeiten, trotz aller Herausforderungen zu erfolgreichen dialogischen Beteiligungsprozessen zu gelangen, bilden den Abschluss des Beitrages. 

Errichtung und Betrieb von Unterkünften für Geflüchtete

Nachdem in den Jahren 2015 und 2016 große Anstrengungen bei der Unterbringung und Integration von mehr als einer Million Flüchtlinge in Deutschland (BMI 2016) unternommen wurden, sehen sich Städte und Kommunen seit 2022 erneut mit einer großen Anzahl an schutzsuchenden Menschen konfrontiert. In Deutschland steigt die Anzahl an Asylsuchenden stetig an. Hinzu kommen mehr als eine Million Zuflucht suchende Menschen aus der Ukraine. 

Insbesondere die Unterbringung der Flüchtlinge stellt die zuständigen Kommunen vor große Herausforderungen (WBGU 2016: 49), denn Wohnraum ist in Deutschland knapp. Die Unterbringungsmöglichkeiten stießen bereits in den Jahren 2015 und 2016 an Grenzen, weshalb damals zahlreiche Notunterkünfte errichtet wurden (unter anderem in Turnhallen, Containerdörfern bis hin zu Zeltstädten). Im Zuge des Ukraine-Kriegs seit 2022 und anhaltenden Fluchtbewegungen aus anderen Kriegs- und Krisenregionen geraten viele Städte und Kommunen erneut an ihre Kapazitätsgrenzen – Sammelunterkünfte sind vielerorts überfüllt und Unterbringungsmöglichkeiten werden dringend gesucht. Hinzu kommt der zeitliche Handlungsdruck – langwierige Verfahren der Bebauungsplanung, Baugenehmigung und Errichtung stehen einem akuten Mangel an neuen Unterkünften gegenüber.

Auf diese Entwicklung hat der Gesetzgeber bereits 2014/15 mit Änderungen im Bau- und Planungsrecht (BauGB) beziehungsweise einer Baurechtsnovelle für Flüchtlingsunterkünfte reagiert, die insbesondere § 246 Abs. 8 bis 14 BauGB betreffen. Hiermit sollten Bauplanungsverfahren beschleunigt und weitere Möglichkeiten eröffnet werden (vgl. Krautzberger und Stüer 2015), flexibler und schneller auf die Anforderungen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerber:innen reagieren zu können. So wurden zum Beispiel mobile Unterkünfte von den Festsetzungen im Bebauungsplan befreit und Nutzungsänderungen erleichtert (vgl. Gliemann und Rüdiger 2018). Allerdings sieht die Novelle teilweise, und das ist an dieser Stelle von besonderer Bedeutung, erhebliche Einschränkungen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung vor, wie es an späterer Stelle zu zeigen gilt. Zunächst befristet bis Ende 2019 (vgl. Bundesrat Gesetzesentwurf), ist die Regelung inzwischen bis Ende 2027 verlängert worden.

Die verschiedenen Konfliktkonstellationen und Akteure bei der Errichtung und dem Betrieb von Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbewerber:innen verweisen  auf eine komplexe Gemengelage, da eine Vielzahl von Interessens-, Nutzungs- und Zielkonflikten miteinander auf der lokalen Ebene abgewogen und in Einklang gebracht werden müssen: Ein immenser kommunaler Handlungsdruck, Sachzwänge und eingeschränkte Beteiligungsrechte stehen somit dem konstatierten Kommunikations- und Aushandlungsbedarf in der Stadtgesellschaft gegenüber. Es stellen sich somit dauerhaft Fragen zur Beteiligung von Anwohnenden, von Gerechtigkeit und Prioritätensetzungen. Im Rückblick zeigt sich, dass die Entwicklung der Fluchtmigration in immer kürzer werdenden Zyklen verläuft und kein kurzzeitiges Krisenphänomen darstellt – im Gegenteil wird diese anhaltende Herausforderung für die Kommunen bleiben. Eine ausgewogene Bewertung der unterschiedlichen Belange, die Einbeziehung der Menschen sowie die stadtgesellschaftliche Akzeptanz wird damit zu einer langfristigen Frage einer sozial nachhaltigen Stadtentwicklung. 

Die Debatte über die Baurechtsnovelle für die Erleichterungen der Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylsuchende wird vorwiegend in juristischen Abhandlungen über baurechtliche Fragestellungen geführt. Darüber hinaus findet sich im sozialwissenschaftlichen Kontext unter anderem eine Debatte zu Konflikten um Flüchtlingsunterkünfte. Allerdings wurden bislang fast ausschließlich Einzelfallstudien durchgeführt, systematische Analysen zu Konfliktkonstellationen stehen aus (vgl. Bauer 2017). 

Fragen der Stadtplanung und der Bürger:innenbeteiligung im Kontext des Neubaus und Betriebs von Unterkünften werden in aktuellen Studien nur vereinzelt adressiert. Die Autoren Wiedemann und Claus (2017) erfragten mithilfe einer quantitativen Erhebung, welche Beteiligungsformen sich die Befragten bei der Flüchtlingsunterbringung wünschten. Die statistischen Analysen zeigen, dass dem Anwohnerentscheid und dem Runden Tisch positive Effekte gegenüber Verwaltungsentscheidungen zugesprochen werden: „Sie werden als geeignet angesehen, Entscheidungen verständlich zu machen“ (ebd.: 70). Die Studie wurde allerdings mit einer kleinen Stichprobe (N=880) und regional begrenzt in NRW durchgeführt (vgl. ebd.: 65). 

In der Diskussion der Studienergebnisse wird deutlich, dass ein großer Forschungsbedarf zu Fragen der (Un-)Möglichkeiten der Beteiligung verschiedener sozialer Milieus besteht. So führen Wiedemann und Claus (2017) in ihrem Fazit weiter aus: „Von besonderer Bedeutung ist der Befund, dass die Wirkung der Beteiligungsverfahren vom Grad der Besorgnis abhängt. Deshalb ist der Umgang mit den Sorgen und Ängsten der stark besorgten Gruppe wesentlich. Hier könnte angesetzt werden, um Dialog und Beteiligung bei der Flüchtlingspolitik vor Ort zum Erfolg zu bringen“ (ebd.: 71). Menschen mit starken Sorgen und Ängsten ist jedoch eine recht unscharfe Definition, die es vor allem mit Blick auf die Variablen Alter, Geschlecht, Bildung und soziale Lage auszudifferenzieren gilt. Denn offen bleibt die Frage, wie die gesellschaftlichen Teilgruppen und Milieus erreicht werden können. Im Folgenden wird daher die Polarisierung zwischen den Milieus beim Thema Zuwanderung betrachtet.

Starke Polarisierung beim Thema Zuwanderung

Es gibt aktuell in Europa kein Thema, dass bei den Bürger:innen stärker polarisiert, als das Thema Zuwanderung; so die Studie der Stiftung Mercator zur Polarisierung in zehn EU-Staaten: “Hier tendieren die Befragten im Schnitt am stärksten dazu, Personen mit ähnlichen Ansichten „wohlgesonnen und positiv“, Personen mit abweichenden Meinungen hingegen „kühl und negativ“ zu beurteilen“ (Herold et al. 2023: 6f.).

Abbildung 1: Einstellungen zur Zuwanderung. Quelle: vhw Trendstudie 2015.

Zwei Aussagen aus den repräsentativen vhw – Trendstudien der Jahre 2015 und 2022 (eigene Erhebungen; vgl. zur Einführung in die vhw-Trendstudie 2015: Hallenberg 2016; vgl. zur Einführung in die vhw-Trendstudie 2022: Borgstedt und Stockmann 2023: 18 ff.) mögen das Auseinanderklaffen der Einstellungen in Deutschland verdeutlichen und anhand der SINUS-Milieus weiter konkretisieren. Die Milieu-Typologie des SINUS-Instituts hat sich – trotz der berechtigten wissenschaftlichen Kritik an Transparenz und inhaltlicher Nachprüfbarkeit der Clusteranalysen (vgl. Sachweh 2021: 482) – in der Praxis vielfach bewährt, beispielsweise in Workshops zum Milieuwissen für Verwaltungen und Quartiersmanagement, die Bürger:innenbeteiligung an stadtgesellschaftlicher Inklusion ausrichten wollen. Zudem konnte das wissenschaftliche Modell für die Bildung der SINUS-Milieus in verschiedenen Publikationen gründlich beschrieben werden (vgl. Barth 2021: 472). 

In der Trendstudie 2015, inmitten der Fluchtbewegungen aufgrund des syrischen Bürgerkriegs, wurde bewusst provokant die Frage nach einem Zuviel an Zuwanderung durch Menschen, die nicht zu uns passen gestellt (eigene Erhebungen). Ziel war es, die Unterschiede in den Wertvorstellungen der Menschen zwischen den Milieus zu untersuchen und deutlich zu machen.

Abbildung 2: Prägung des Quartiers durch Zuwanderung. Quelle: vhw Trendstudie 2022.

Die Abbildung der Gesellschaft in Form einer Kartoffelgrafik, mit lebensweltlich, sozial und demografisch differenzierten Milieus zeigt, dass sich viele Menschen der älteren und sozial schwächeren, aber auch der bürgerlichen Milieus mit der Zuwanderung, die sie mehrheitlich als zu viel empfinden, deutlich schwerer tun, als dies bei sozial besser gestellten und jüngeren Milieus der Fall ist. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Frage aus der Trendstudie 2022 danach, wem es im Kontext von Flucht und Migration sehr gut beziehungsweise eher gut gefällt, dass das eigene Wohnquartier durch Zuwanderung geprägt wird (vhw-eigene Erhebung). Auch hier zeigt sich in einem aktualisierten Milieumodell (SINUS 2020), dass dieser Aspekt vor allem von Befragten der jüngeren, sozial besser gestellten Milieus geschätzt wird – ganz im Gegenteil zu den Antworten der Menschen aus sozial schwächeren, zunehmend aber auch aus jüngeren bürgerlichen Milieus.

Generell, so die Studie der Mercator-Stiftung (vgl. Herold et al. 2023), wird das Thema Zuwanderung gegenüber anderen Themen, wie zum Beispiel Klimawandel oder Gleichstellung der Frau, als deutlich weniger relevant eingeschätzt. Je wichtiger das Thema Zuwanderung von Menschen aber erachtet wird, desto stärker ist auch die Polarisierung bei den Einstellungen (vgl. ebd.: 34ff.). Es handelt sich somit, einfach ausgedrückt, nicht um das wichtigste, aber das umstrittenste gesellschaftspolitische Thema.

Die Daten zeigen auf, welche Wichtigkeit den Fragen der (Un-)Möglichkeit der dialogischen Teilhabe im Kontext der polarisierten Wahrnehmung von Zuwanderung sowie der Errichtung und des Betriebs von Flüchtlingsunterkünften zukommen. 

Geht es doch um nicht weniger als darum, Polarisierungs- und Spaltungstendenzen in der Gesellschaft zu bewältigen und die soziale Kohäsion zu stärken. Zugleich wirft diese Herausforderung die Frage auf, welche Einstellungen die Milieus gegenüber Engagement, Teilhabe und Bürger:innenbeteiligung haben. Zu deren Erörterung greifen wir erneut auf die vhw – Trendstudie 2022 zurück. Gefragt wurde, ob sich die Bürger:innen mit ihren Anliegen ernstgenommen und in engagierten Kreisen willkommen fühlen.

Abbildung 3: Einstellungen zum eigenen Einfluss im Rahmen von Bürger:innenbeteiligung. Quelle: vhw Trendstudie 2022.

Die Kartoffelgrafiken zeigen, dass viele Menschen aus den sozial schwächeren und den bürgerlichen Milieus sich mit ihren Anliegen in der Gesellschaft nicht ernstgenommen und in engagierten Kreisen nicht willkommen fühlen. Dies sind zugleich auch jene Milieus, in denen viele Menschen Vorbehalte gegenüber dem Thema Zuwanderung äußern. 

Abbildung 4: Einstellungen zur Atmosphäre im Rahmen von Bürger:innenbeteiligung. Quelle: vhw Trendstudie 2022.

Die beiden Einblicke in die Empfindlichkeiten der Milieus gegenüber Zuwanderung zum einen und Teilhabe sowie Bürger:innenbeteiligung zum anderen verdeutlichen die Herausforderung, der sich dialogische Beteiligungsprozesse in diesem Zusammenhang gegenübergestellt sehen. Diese besteht insbesondere darin, dialogische Teilhabeprozesse auf Augenhöhe für Menschen zu bewerkstelligen, die den Themen Zuwanderung und Teilhabe polarisiert gegenüberstehen.

Grenzen der Beteiligung

Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hat in den Jahren 2017 und 2018 aufgrund der verstärkten Zuwanderung von Geflüchteten ein zeitlich befristetes Integrationsmanagement eingerichtet. Dieses Programm namens BENN– Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften wurde zunächst an 20 Standorten großer Flüchtlingsunterkünfte in Berlin durchgeführt. Es wird aus Mitteln der Städtebauförderung und aus dem Investitionspakt Soziale Integration im Quartier finanziert. Heute gibt es 23 BENN-Teams, die verteilt über nahezu alle zwölf Bezirke der Stadt arbeiten (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen).

Die BENN-Teams haben die Aufgabe, in den Nachbarschaften, die sich durch die Errichtung und den Betrieb von Unterkünften erheblich verändern, als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen und in den Nachbarschaften und in den Einrichtungen für Geflüchtete das lokale Miteinander sowie den Dialog zu fördern. Insbesondere sollen sie demokratische Beteiligungsprozesse initiieren, für die sie geeignete Beteiligungsformate entwickeln und gemeinsam mit den Nachbarschaften und Bewohner:innen der Einrichtungen umsetzen. 

Zu den Aufgaben der BENN-Teams gehört es zudem, bürgerschaftliches Engagement und gemeinwohlorientiertes Handeln zu fördern und neue Kooperationen und Netzwerke mit den Menschen vor Ort aufzubauen. Dabei helfen die BENN-Teams den neuen Nachbar:innen, die Zugänge in Einrichtungen und Vereine der Stadtgesellschaft für ein inklusives gesellschaftliches Miteinander zu ebnen. 

Im Folgenden werden die Konfliktthemen sowie die Grenzen und Möglichkeiten solcher Beteiligungsprozesse diskutiert. Dies geschieht unter Einbeziehung von Expert:inneninterviews mit Stadtverwaltungen und Mitarbeitenden im Bereich der Flüchtlingskoordination beziehungsweise des Integrationsmanagements aus der Praxis sowie Erkenntnissen aus vor-Ort-Begehungen. Ergänzend wurden auch Expert:inneninterviews mit Mitarbeitenden der Stadtverwaltung Potsdam im Kontext eines Neubauvorhabens für eine Flüchtlingsunterkunft geführt. Hierbei soll in den Blick genommen werden, welche Ansätze sich mit Blick auf Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten verschiedener Milieus bei Fragen der Unterbringung von Geflüchteten in der Praxis bewährt haben und inwiefern sich Un-Möglichkeiten der Beteiligungen ergeben können.

Konflikte im Kontext von Flüchtlingsunterkünften

Der Neubau von Unterbringungsmöglichkeiten oder die Umnutzung von Bestandsgebäuden für geflüchtete Menschen führt nach Aussage der befragten Expert:innen in Berlin und Potsdam zu Auseinandersetzungen mit der Bewohnerschaft betroffener Sozialräume:„Wir haben immer Konflikte, wenn Unterkünfte gebaut werden.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). Doch nicht nur die Neuerrichtung von Flüchtlingsunterkünften verläuft konflikthaft in den Nachbarschaften, sondern auch der Weiterbetrieb bestehender Einrichtungen: „Wir haben sehr, sehr starke Konflikte vor Ort, weil teilweise der Nachbarschaft ja auch vermittelt worden ist, die und die Unterkunft, die schließt 2023 oder 2022. Das ist nicht geschehen. Und das löst massive Konflikte aus.“ (ebd.).

Die Konfliktthemen umfassen insbesondere Ängste vor Kriminalität und Unsicherheit im Quartier, aber auch Anliegen wie Lärm oder Sauberkeit und damit normale nachbarschaftliche Konflikte. Während die Befürchtungen der Anwohnerschaft über eine zunehmende Kriminalität und Unsicherheit durch Asylbewerber:innen mit Blick auf Erfahrungen und Kriminalstatistiken als in der Regel unbegründet eingeschätzt werden (vgl. Dehos 2018), ordnen die befragten Expert:innen die konkreten Nachbarschaftskonflikte als nachvollziehbar ein. „[E]s ist teilweise auch eine Belastung, es ist teilweise auch laut in Unterkünften. Es handelt sich ja nicht immer um Rechtsextreme oder von Rechtsextremismus gefährdete Menschen, sondern es sind auch manchmal einfach genervte Menschen von Lärm und Müll und so.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). Darüber hinaus gebe es auch Konflikte der Flüchtlinge und Asylsuchenden untereinander. Denn in den Sammelunterkünften träfen auch Menschen aufeinander, die in ihrem Herkunftsland miteinander in Konflikt stünden. Ansonsten handele es sich bei den geflüchteten Menschen um die gleichen Konflikte „wie [bei] alle[n] anderen Menschen auch“ (ebd.).

Während die Konfliktthemen und -anlässe über verschiedene Stadtquartiere hinweg nach Meinung der Befragten viele Gemeinsamkeiten aufweisen, werden die Art und Weise, wie Beschwerden von den Anwohnenden formuliert werden, als sehr unterschiedlich eingeschätzt. Insbesondere die Frage, ob es sich um ein ökonomisch bessergestelltes oder benachteiligtes Stadtquartier handele, in dem eine Flüchtlingsunterkunft gebaut oder weiter betrieben werde, und welche sozialen Milieus dort lebten, spiele hierbei eine zentrale Rolle. „In […] sind das Anwälte, die dann Klagen einreichen. In […] ist dann lautstarker Protest und dann werden da Initiativen gegründet.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). Die Adressaten, an die sich die Proteste und Klagen richteten, seien einerseits Stadtverwaltungen und Lokalpolitik, anderseits würden  sich diese zunehmend auch in einer feindlichen Atmosphäre vor Ort äußern und direkt gegen die geflüchteten Menschen wenden. In den Stadtquartieren sei es „schon sehr präsent, dass es immer mehr Geflüchtete werden. Und die Anfeindungen sind auch nicht weniger geworden.“ 

Dahinter steht eine Entwicklung, die deutschlandweit zu beobachten ist: Verbale Ausfälle, bis hin zu körperlichen Angriffen gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerber:innen sind stark ausgeprägt, wie die Ergebnisse einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen. So geben mehr als die Hälfte der befragten geflüchteten Menschen an, Beleidigungen und Beschimpfungen oder Anfeindungen im Alltag erlebt zu haben (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2016: 24). 

Das Dilemma der erleichterten Wohnraumversorgung für Flüchtlinge

Das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen (2014, verlängert bis 2027) und das damit verbundene beschleunigte Bauplanungsverfahren nach § 13 BauGB stellen wichtige rechtliche Änderungen dar, um den Städten und Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt die Möglichkeit einzuräumen, ohne Verzögerungen weitere Unterbringungsmöglichkeiten für geflüchtete Menschen zu schaffen. Denn viele Städte und Kommunen sind zu der Einschätzung gelangt, dass bestehende Standorte nicht ausreichen, planungsrechtliche Vorschriften dem Neubau oder der Umnutzung bestehender Gebäude entgegenstehen und komplexe Bauplanungsverfahren den zeitlich drängenden Erfordernissen nicht gerecht werden (vgl. DStGB 2015). Die Neuregelungen in § 246, Abs. 8–14 BauGB reagieren somit auf einen dringenden Bedarf für die Unterbringung einer steigenden Anzahl von Flüchtlingen und Asylbewerber:innen.

Allerdings ergeben sich aus den weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten der höheren Verwaltungsbehörden (§ 246, Abs. 14), den Befreiungen und Vereinfachungen (§ 246, Abs. 8–13 BauGB) und der Beschleunigung der Bauplanungsverfahren (§ 13 BauGB) verschiedene, zum Teil drastische Beschränkungen für die Beteiligung der Anwohnerschaft betroffener Quartiere und die Öffentlichkeitsmitwirkung. Diese reichen von der beibehaltenen „Würdigung nachbarschaftlicher Interessen“, über den Wegfall der frühzeitigen Bürger:innenbeteiligung im beschleunigten Bauplanungsverfahren, gegebenenfalls bis hin zum vollständigen Entfallen individueller Beteiligungsmöglichkeiten bei Standortentscheidungen der höheren Verwaltungsbehörden nach § 246, Abs. 14 BauGB.

Im Sinne eines Zwischenfazits lässt sich somit das Dilemma zusammenfassen, welches mit der notwendigen erleichterten Unterbringung von geflüchteten Menschen einhergeht: 

Auf der einen Seite haben es Städte und Gemeinden mit einem hochpolarisierten, in der Stadtgesellschaft mitunter heftig umstrittenen Planungs-, Nutzungs- und Baubedarf zu tun. Auf der anderen Seite werden durch gesetzliche Vorgaben im Zuge der Erleichterung für die Errichtung von Unterkünften die Kommunikations- und Beteiligungsformate für stadtgesellschliche Aushandlungsprozesse deutlich eingeschränkt.

Das Foto zeigt eine Flüchtlingsunterkunft in Form von bunten, gestapelten Containern.
Abbildung 5: Flüchtlingsunterkunft Container. Foto: ©fottoo – stock.adobe.com.

Noch bestehen allerdings zu diesem Themenfeld größere Forschungslücken, so dass hier nur anhand von ersten Expert:inneninterviews und Vor-Ort-Begehungen in zwei Fallbeispielen eine exemplarische Annäherung an die Problematik erfolgen kann. Zukünftig wird es notwendig sein, die Untersuchungen empirisch auszuweiten und die Folgewirkungen der einschlägigen Gesetzesänderungen in den Blick zu nehmen.

Zentrale Informationsveranstaltungen und (selektive) Bürger:innenbeteiligung

Trotz der benannten Beschränkungen der Beteiligungsmöglichkeiten wurde in beiden Beispielstädten der Versuch unternommen, mit diesem Dilemma konstruktiv umzugehen. Dies geschah beispielsweise durch Einbezug von Bürgerräten oder zentrale Informationsveranstaltungen, die die Anwohnerschaft über geplante Vorhaben informieren und als Möglichkeit dienen sollten, Fragen und Bedenken gegenüber der Stadtverwaltung und Lokalpolitik zu äußern.

Allerdings kann sich, wie uns berichtet wurde, die Stimmung in der Bevölkerung bereits im Vorfeld solcher Informationsveranstaltungen aufheizen. Ein Schutz durch Polizei/ Sicherheitsdienste und eine scharfe Abgrenzung gegen Rechtsextreme erweist sich dann als notwendig – was solchen Veranstaltungen bereits im Vorfeld eine erhebliche Brisanz verleiht. Ein relevantes Akzeptanzproblem kann sich zudem ergeben, wenn im Zuge von reinen Informationsveranstaltungen der Eindruck entsteht, es gebe keine Beteiligungsmöglichkeit, sondern es sei bereits im Vorfeld alles beschlossen worden.

Erschwerend kommt hinzu, dass in zentralen Informationsveranstaltungen nicht alle Bürger:innen betroffener Stadtquartiere teilnehmen wollen, können oder erreicht werden. Im Gegenteil kommen die von uns Befragten zu dem Schluss, es gäbe zwar kein Thema mit größerer Reichweite als der Betrieb und die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften, zu klassischen Veranstaltungsformaten würden jedoch stets die gleichen Personen kommen. Zwischen Männern und Frauen gebe es keine Unterschiede und auch der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund entspreche deren Anteil im Quartier. Erreicht würden aber „meistens Menschen mit höherem Bildungsabschluss […], also häufig auch Studierte und Menschen, die sehr geschult sind darin, sich zu artikulieren.“

Die Grenzen der Beteiligung zentraler Veranstaltungsformate zeigen sich jedoch nicht nur in der selektiven Erreichbarkeit verschiedener Milieus, sondern auch in der Verschränkung verschiedener Konfliktlinien. 

Hierbei wird das eigentliche Thema um wichtige Kontexte erweitert, aber auch verkompliziert, beispielsweise bei Konflikten um die soziale Infrastruktur wie Kitaplätze, Schulen, Verkehr, ärztliche Versorgung oder Freizeitangebote. So kann die Errichtung von Unterkünften für Flüchtlinge und damit die Erhöhung der Bewohner:innenanzahl die soziale Infrastruktur im Quartier zusätzlich unter Druck setzen. Den Beteiligungsmöglichkeiten der Anwohnenden kommt dann eine große Bedeutung zu.

Nachlassendes Demokratie- und Politikvertrauen und gesellschaftliche Polarisierung

Die Verschränkung verschiedener Konfliktlinien kann sich nach Ansicht der Befragten durch eine wahrgenommene Spaltung der Gesellschaft weiter verschärfen, wenn „sich Leute aus der Demokratie verabschieden. Und das ist natürlich ein Riesenproblem.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). Zunehmend werde eine gesellschaftliche Polarisierung wahrgenommen, die sich in einer feindlichen Gesinnung zwischen verschiedenen Communities zeige (vgl. Aring 2019). So würden die BENN-Integrationsmanager:innen wohlwollende zivilgesellschaftliche Unterstützung erfahren, aber auch die vollständige Ablehnung der Fluchtzuwanderung: „Also die erleben, dass es auf der einen Seite Menschen gibt, die das als Bereicherung empfinden, die Zuwanderung, und [dass es] auf der anderen Seite Menschen gibt, die absolut ablehnend sind – und aus unterschiedlichen Gründen übrigens.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). Die Ablehnung durch Menschen mit starken Ängsten reiche „bis hin zum Rechtsextremismus.“ Sie äußere sich auch in schwer erreichbaren Kommunikationskanälen wie Blogs und Social Media, und in der Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien. Die BENN-Teams würden intensiv daran arbeiten, „die schwer Erreichbaren [zu] erreichen“, jedoch eine klare Grenze der Beteiligung gegenüber Rechtsextremist:innen ziehen: „Gefestigte Rechtsextreme haben wir auch teilweise in den Quartieren. Gerade in […] haben wir da eine ganz aktive NPD zum Beispiel, die einmal die Woche immer um die Unterkunft rummarschiert. Die sind keine Zielgruppe für uns.“ (ebd.).

Möglichkeiten der Beteiligung

Zum Abschluss des Beitrages werden die von den Expert:innen benannten Möglichkeiten für eine erfolgreiche Beteiligung skizziert und zur Diskussion gestellt.

Politisch-administrative Rückendeckung, Vernetzung mit Zivilgesellschaft

Die Grundlage jeglicher Bemühungen um eine erfolgreiche Beteiligung ist die politisch-administrative Rückendeckung und Unterstützung bei der Zusammenarbeit sowie die engmaschige Vernetzung der Akteure. Hierbei sei, so die Expert:innen, insbesondere die Unterstützung der Kommune von Bedeutung, jedoch auch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteure, wie den Stadtteilzentren, mobilen Beratungsteams zum Thema Rechtsextremismus, Integrationslots:innen und Ehrenamtskoordinator:innen sowie den Betreiber:innen der Unterkünfte.

Analysen und Strategien: Milieu- und Sozialdaten

Als analytisch hilfreich hat sich des Weiteren erwiesen, sich von Beginn an mit den jeweiligen Sozial- und Milieudaten der Menschen in den Quartieren und  der Teilnehmenden an Beteiligungsformaten zu befassen, auch „weil uns das sehr, sehr stark geholfen hat, einzuschätzen, wer kommt eigentlich zu solchen Veranstaltungsformaten.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). Auf der Grundlage dieser Analysen können dann strategisch geeignete Beteiligungsformate aufgesetzt werden, um heterogenen Gruppen passfähige Angebote zu machen.

Frühzeitige und dauerhafte Beteiligung, Aufbau von Vertrauen

Eine Beteiligung sollte möglichst frühzeitig ansetzen und langfristig ausgerichtet werden: „Wir haben gute Erfahrungen mit frühzeitiger Beteiligung gemacht. Das ist nicht immer möglich, weil es teils aufgrund der Dynamik kurzfristige Entscheidungen gibt. Aber wenn es langfristige gibt, dann kann man langfristig anfangen, Beteiligungen zu machen.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). 

Besondere Bedeutung messen die BENN-Teams dabei der Beziehungsarbeit bei. 

„Man muss Vertrauen und Beziehungen aufbauen, um beteiligen zu können. Hat man das, dann kommunizieren diese Personen wieder mit anderen, die dann die Kommunikatoren ins Quartier, in ihre Häuser und zu den Nachbarn sind und den einen oder anderen wieder mitbringen.“ (ebd.). Dies könne nur gelingen, wenn der Vertrauens- und Beziehungsaufbau in einem andauernden Prozess gestaltet werde. „Deswegen ist es total wichtig, dass man nicht für zwei Wochen in ein Quartier kommt und ein Beteiligungsverfahren macht, sondern das ist eine Sache, die über Jahre geht, um erfolgreich zu sein.“ (ebd.).

Information und Transparenz

Die Grundlage für gute Beteiligung bildet insbesondere eine umfassende Aufklärung, Transparenz und Information über die Errichtung oder den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften. Hierfür könne auch eine Vorab-Besichtigung der Unterkunft durch die Anwohnenden hilfreich sein. „Wir haben auch schon Informationen an Bauzäune geklebt. Transparenz in Bezug auf Neubau von Unterkünften oder wenn eine Unterkunft irgendwo entsteht. Transparenz und Information sind das A und O.“ (Befragte Person aus dem Integrationsmanagement).

Zentrale Veranstaltungen

Professionell vorbereitete, zentrale Veranstaltungen mit einer neutralen, sensiblen Moderation sind nach wie vor unverzichtbar, auch wenn immer nur die Gleichen kommen sollten. Ein Austausch im Quartier über zentrale Veranstaltungen ist wichtig, denn sie bilden das demokratische Forum, auf dem auch Ergebnisse aus dezentralen Beteiligungsformaten zusammengebracht und öffentlich verhandelt werden (vgl. Kuder 2016; 2019). Sie ermöglichen – ebenso wie dezentrale Beteiligungsformate - nachbarschaftliche Begegnung (vgl. Wiesemann 2019), zudem Aufklärung, Transparenz und Information sowie ein Gegensteuern im Hinblick auf Falschinformationen und Verschwörungstheorien.

Niedrigschwellige, dezentrale Angebote für verschiedene Gruppen

Für Menschen, die über zentrale Veranstaltungen nicht erreicht werden oder keinen Zugang dazu finden, werden von den BENN-Teams sehr niedrigschwellige, dezentrale Angebote gemacht: „Tolle Erfahrungen haben wir gemacht, dort hinzugehen, wo die Menschen sind, Einkaufsläden usw. Wenn man diese erstmal angesprochen hat, dann kommen sie auch zu einem Café oder Stammtisch und sind engagiert, Hindernisse, die sich überwinden lassen.“ (Befragte Person aus dem Integrationsmanagement). Auch aufsuchende Formate sowie „Angebote für verschiedene Gruppen im kleinen, geschützten Raum ermöglichen es, dass die Menschen dort ihre Interessen artikulieren können und dann die[se] mit aufgenommen werden können in einer Strategie für eine Quartiersentwicklung“ (ebd.).

Das sind Angebote wie „mit Menschen auf der Straße ins Gespräch zu kommen, aber auch Stammtische, gemeinsames Kochen, Malkurse. Übers Essen kann man ganz viel machen, Cafés, […] auch gerade mit den Geflüchteten.“ (Befragte Person aus der Stadtverwaltung). Insbesondere mit Blick auf die sehr heterogene Gruppe der Geflüchteten gilt es zudem, die sprachlichen Anteile zu reduzieren (vgl. Voss et al. 2017). 

Zusammenhalt und Kommunikation

„Der Zusammenhalt ist für uns keine Floskel, wir sehen eine Spaltung der Gesellschaft, und dass sich Leute aus der Demokratie verabschieden. Und das ist ein Riesenproblem. Da versuchen wir gegenzusteuern durch Dialog in der Nachbarschaft. Wir haben ein Handlungsfeld Kommunikation und Dialog, das hat genau dieses Ziel.“ In den Gesprächen mit Menschen gebe es allerdings große Unterschiede in der Art und Weise, wie kommuniziert werde. Als hilfreich habe sich dabei eine einfache Sprache erwiesen, zu der möglichst viele Menschen gleichermaßen Zugang hätten. 

Beschleunigung erfordert einen hohen Preis

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorliegenden positiven Erfahrungen mit Bürger:innenbeteiligung im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb von Unterkünften für Geflüchtete für eine deutliche Stärkung von frühzeitiger und langfristiger Beteiligung sprechen. Denn sie stärken die Möglichkeiten gegenüber den Unmöglichkeiten der Beteiligung von allen Teilen und Gruppen der Bevölkerung auf Augenhöhe. Insbesondere stärken sie  eine gemeinwohlverträgliche Aushandlung komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen – und tragen damit zum Zusammenhalt im Kontext einer stark polarisierten, konfliktbehafteten gesellschaftlichen Herausforderung bei. Diese Erkenntnisse stehen allerdings den bauplanungsrechtlich novellierten Einschränkungen von Beteiligung im BauGB zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung diametral entgegen. 

Weitere Forschungsarbeiten werden zeigen müssen, ob dieser eingeschlagene Weg der Begrenzung von Beteiligung zu den erhofften Erfolgen bei der Versorgung von Geflüchteten mit Unterkünften beitragen kann, ob die Kommunen mit den gegebenenfalls resultierenden Polarisierungen und Konflikten dadurch nicht allein gelassen werden und sich der eingeschlagene Weg letztlich als ein Eigentor herausstellen wird, wie manche aktuellen Wahlergebnisse ja durchaus befürchten lassen.

Der Text erscheint in einer Langfassung als vhw-werkSTADT.

About the author(s)

Kristina Seidelsohn, Dr. phil., Stadtsoziologin, mehrjährige Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin der FU Berlin und des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung. Seniorwissenschaftlerin und Koordinatorin des Forschungsclusters „Lokale Demokratie“ beim vhw – Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung.

Kristina Seidelsohn, Dr. phil., Urban sociologist, worked for several years as a research assistant at the FU Berlin and the German Center for Integration and Migration Research. Senior researcher and coordinator of the research cluster “Lokale Demokratie” at the vhw –  Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung. 

Thomas Kuder, Dr.-Ing., Stadtplaner, mehrjährige Tätigkeiten in der Berliner Verwaltung sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Berlin und des Leibnitz-Instituts IRS. Seniorwissenschaftler im Forschungscluster „Lokale Demokratie“ beim vhw – Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung. 

Thomas Kuder, Dr.-Ing., Urban planner, worked for several years in the Berlin administration and as a research assistant at the TU Berlin and the Leibnitz Institute IRS. Senior researcher of the research cluster “Lokale Demokratie” at the vhw – Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung. 

References

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2016): Diskriminierungsrisiken für Geflüchtete in Deutschland. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/diskriminierungsrisiken_fuer_gefluechtete_in_deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Zugriff am 16.01.2024.

Aring, Jürgen (2019): Risse in der Gesellschaft? Ein Essay über die Demokratiedistanz sozialer Milieus und ihre regionalen Ausprägungen. vhw werkSTADT Nr. 31.

Barth, Bertram (2021): Die Sinus Milieus in der Gesellschaftswissenschaft. In: Leviathan, 49(4), 470–479.

Bauer, Isabella (2017): Unterbringung von Flüchtlingen in deutschen Kommunen: Konfliktmediation und lokale Beteiligung. Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, IMIS.

BMI (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) (2016): Migrationsbericht der Bundesregierung. Migrationsbericht 2016/2017.

Borgstedt, Sike und Stockmann, Frauke (2023): Gesellschaftliche Trends im urbanen Wandel. Wohnen, Zusammenleben und Partizipation in den Sinus-Milieus. Vhw-Schriftenreihe Nr. 44, Berlin.

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