Published 26.04.2023

Big Mix 

Nutzungsgemischte Großstrukturen für städtische Randzonen 

Big Mix  

Mixed Use Large-Scale Structures for the Outskirts 

Keywords: Nutzungsmischung; Großstruktur; städtische Randzone; urbane Qualitäten; research-by-design; Mixed use; large-scale structure; urban outskirt; urban qualities; research-by-design

Abstract:

Eingebettet in die anhaltende Debatte zum Thema Urbane Produktion rückt die nachhaltige Transformation von städtischen Randzonen – insbesondere den Gewerbegebieten – in den Fokus der Stadtentwicklung. Anhand eines Referenzraums in Aachen Nord wurden in dieser Studie Großstrukturen für gemischte, urbane Gebiete am Stadtrand entwickelt. Sie sollen beispielhaft zeigen, wie durch intelligente Nutzungsmischung und eine höhere Dichte dringend benötigter, attraktiver Wohnraum in Kombination mit bestehenden und neuen Gewerbenutzungen geschaffen werden und zugleich eine Aufwertung als integrierter, urbaner Orte stattfinden kann. Ergebnis der Studie sind sieben Gesamtlösungen in Form von Testentwürfen, in deren Entstehung baulich-räumliche Spannungsfelder identifiziert und übertragbare Lösungsansätze als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung von Randzonen überprüft wurden. 

Embedded in the ongoing debate on the topic of urban production, the sustainable transformation of the outskirts – especially the light-industrial and commercial zones – is moving into the focus of urban development. Based on a reference area in Aachen North, this study developed large-scale structures for mixed-use, urban areas on the outskirts of the city. They are intended to exemplify how an intelligent mix of uses and higher density can create much-needed, attractive dwellings in combination with existing and new commercial uses, while at the same time upgrading the area as an integrated, urban place. The study resulted in seven overall solutions in the form of test designs, in the creation of which structural-spatial areas of tension were identified and transferable approaches to solutions were examined as a contribution to the sustainable development of the outskirts. 

Die Zukunft städtischer Randzonen

Die nachhaltige Gewerbeflächenentwicklung rückt langsam in den Fokus der Stadtentwicklung. Sie beschäftigt sich mit Fragen der sozialen, ökologischen und baulich-funktionalen Aufwertung dieser heute noch meist monofunktionalen, in ihrer stadträumlichen und architektonischen Qualität unterdurchschnittlichen Gebiete (BBSR 2020: 8; Betker 2021: 105; Förster 2017: 4). Exemplarisch für diese Entwicklung steht das Gewerbegebiet Aachen-Nord, das den derzeitigen Wandel der Stadt Aachen eindrücklich illustriert: Traditionelle Industrieunternehmen werden ergänzt durch innovative Kleinunternehmen und Start-Ups. Dabei soll ein Defizit an gewerblichen Immobilienflächen über die Aktivierung von Flächenpotenzialen ausgeglichen und gleichzeitig ein Schritt in Richtung einer nachhaltigen Stadtentwicklung getan werden (Haensch et al. 2020: 6, 16). Eingebettet ist die nachhaltige Gewerbeflächenentwicklung in die anhaltende Debatte in der Stadtplanung und Architektur zum Thema Urbane Produktion, welche die Wichtigkeit der Sicherung und Ausweitung von Gewerbe – insbesondere produzierendem Gewerbe – im städtischen Kontext zum Gegenstand hat. Zahlreiche Potentiale werden in diesem Ansatz gesehen (Läpple 2016; Gärtner und Meyer 2021; Bathen et al. 2019; Brandt et al. 2017). Oft genannt wird die Stärkung der wirtschaftlichen Resilienz einer Stadt durch lokale Wirtschaftskreisläufe, das Angebot vielfältiger Beschäftigungsmöglichkeit für verschiedene Qualifikationsgrade, die Belebung von Quartieren durch Nutzungsmischung und Begegnungsräume, der Gewinn neuer Identitätsstifter in der Nachbarschaft sowie Synergien durch Agglomerationsvorteile (Bathen et al. 2019: 30-31; Erbstößer 2016: 27). 

In den Fokus der Stadtentwicklung gerückt sind die urbanen Gewerbeflächen wegen eines drängenden Problems: Das städtische Gewerbe konkurriert heute mit anderen urbanen Nutzungen, insbesondere dem Wohnen, um die knappe Ressource Boden. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass der enorme Bedarf an Wohnraum allein durch Nachverdichtung in den Kernbereichen der Städte nicht gedeckt werden kann. Zugleich erschweren planungsrechtliche Hürden, geringe Erträge auf dem Immobilienmarkt und ökologische Einschränkung der Bodennutzung eine nachhaltige Innenentwicklung im engen Nebeneinander der Funktionen (BBSR 2020: 4-6; Bonny 2021: 131; Erbstößer 2016: 20). So ist eine Verdrängung von Gewerbe und Produktion aus den Kernstädten vielerorts in vollem Gange. Dies erhöht den Druck auf die städtischen Randzonen – die Gewerbe- und Industriegebiete. Deren Transformation könnte einen wichtigen Teil der nachgefragten Gewerbe-und Wohnflächen generieren. Diffuse Gemengelagen sind in den Übergangsbereichen bereits heute verbreitet. Der Wohnraum dort ist in der Regel günstig und wenig qualitätsvoll (Schmitt und Klanten 2019: 57-58). Eine Wechselwirkung mit dem Gewerbe und der Kernstadt ist meist gering, sodass neben der Flächenaktivierung auch die Nutzungsmischung und Aufwertung der Randzonen für die nachhaltige Entwicklung entscheidend sind. 

Die Gebiete für Gewerbe und Produktion weisen in den deutschen Städten sowie in vielen anderen industriell geprägten Städten Westeuropas ähnliche Standort- und Entwicklungsbedingungen auf (Eckmann et al. 2021: 195): Trotz ihrer typischen Lage am Stadtrand werden sie selten als urbane Orte wahrgenommen. Häufig zeigen sie sich als isolierte Einheiten, die der eigentlichen Stadt vorgelagert sind und eigenen gestalterischen, infrastrukturellen und baulichen Logiken zu folgen scheinen. Dies zeigt sich beispielsweise in dem hohen Grad an Versiegelung, der Monofunktionalität und dem Fehlen von Aufenthaltsflächen. Nicht zuletzt wegen der hinter diesen Logiken verborgen liegenden Flächenpotenziale für dringend nachgefragte Gewerbe- und Wohnflächen lohnt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage der Transformation dieser Gebiete und dem damit verbundenen Potenzial der Quartiersaufwertung (ebd.: 201). Eine Aufwertung der Gebiete ist ansonsten eher nicht in Sicht, da planerische Ziele sich bislang meist auf die individuelle funktionale und wirtschaftliche Optimierung der Gebäude konzentrieren. Anstelle einer Aufwertung ist daher eher eine Tendenz zur Stagnation oder zum Downgrading der Gebiete zu erkennen (Eckmann et al. 2020: 45-46). Typische in den Randzonen angesiedelte Nutzungen sind der großflächige Einzelhandel (Möbelhäuser, Baumärkte), Dienstleister, produzierendes Gewerbe (Clean Tech, Elektrotechnik, Handwerk) und Gastronomie (Fast Food Ketten). 

Im Sinne einer nachhaltigen Innenentwicklung, die Dichte, Nutzungsmischung und kurze Wege in der Stadt zum Ziel hat, und vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Energiewende ist ein Überdenken der starren stadtplanerischen Funktionstrennung notwendig. Als neue Aufgabe für Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung leitet sich eine strategische Transformation der urbanen Randzonen und damit eine stadtverträgliche Integration von großmaßstäblichen gewerblichen Nutzungen in Verbindung mit dem Wohnen ab (Bathen et al. 2021: 30; Läpple 2016: 24; Erbstößer 2016: 8). 

Eine Studie zur Nutzungsmischung in Großstrukturen am Stadtrand 

Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse einer Studie dar, in der Großstrukturen für gemischte, urbane Gebiete am Stadtrand entwickelt wurden. Sie sollen zeigen, wie durch intelligente Nutzungsmischung und eine höhere Dichte dringend benötigter, attraktiver Wohnraum in Kombination mit bestehenden Gewerbenutzungen geschaffen werden kann. Die bislang aufgrund städtebaulicher Leitbilder und deren Umsetzungen in Flächennutzungenplänen meist separierten Nutzungen werden zusammengeführt und in passenden Gebäudestrukturen untergebracht. Damit wird der Versuch gewagt, durch die Stapelung von Nutzungen in mehrgeschossigen Gebäuden, den Flächenbedarf insgesamt zu verringern, zu einer besseren Ausprägung von Straßenräumen zu gelangen, die Freiraumqualitäten zu erhöhen, ebenso wie durch Nutzungsmischung zu einer Belebung und Anbindung des Quartiers an die Kernstadt beizutragen. Ihr städtebauliches Potenzial als integrierter, urbaner Ort soll beispielhaft gezeigt werden. Das Ziel der Studie ist es dabei, Gesamtlösungen in Form von Testentwürfen zu entwickeln, in deren Entstehung baulich-räumliche Spannungsfelder identifiziert und übertragbare Lösungsansätze überprüft werden. Der Entwurfsprozess dieser noch zu entwickelnden Gebäudetypologie soll durch die Strukturierung und Handhabbarmachung von Hilfsmitteln unterstützt und ein Beitrag zu einer strategischen nachhaltigen Innenentwicklung, die die Transformation zur baukulturellen Frage macht, geleistet werden. 

Die Studie verfolgt die Entwicklung von innovativen, baulichen Konzepten für nutzungsgemischte Gewerbestrukturen in urbanen Randzonen. Dabei besteht eine Unsicherheit mit dem planerischen Umgang mit den Nutzungskonflikten zwischen Wohnen und Gewerbe (Schoppengerd 2020: 10). Um dem Ziel der Innovation und Kreativität bei der Lösungsentwicklung gerecht zu werden, arbeitet die Studie teilweise auch losgelöst vom gültigen Planungsrecht. Methodisch beruht sie auf einem Research by Design-Ansatz (Prominski und Seggern 2019). Gemeinsam mit einer Gruppe Studierender im Masterstudiengang Architektur wurden in der Zeitdauer eines Jahres sieben Testentwürfe für nutzungsgemischte Großstrukturen in einem Aachener Referenzraum entwickelt. Aufbauend auf Vorstudien und einer Ist-Analyse des Referenzraums wurden die Entwürfe auf zwei beispielhaften Grundstücken iterativ und im Austausch mit Fachplaner:innen, externen Architekt:innen, einer internationalen Expertin und Vertreter:innen der Stadt Aachen erarbeitet. Startpunkt für die Entwürfe waren die auf den beiden Grundstücken bereits vorhandenen Gewerbenutzungen (Grundstück 1: Möbelhaus Poco und Grundstück 2: Baumarkt Bauhaus). Diese wurden mit den Funktionen Produktion, Dienstleistungen, Wohnen und sozialer Infrastruktur gemischt. 

Der Referenzraum liegt zwischen der Krefelder Straße, dem Prager Ring und der Gut- Dämme-Straße in Aachen Nord (Abbildung 1). Das Gebiet weist auf eine lange Industriegeschichte hin, welche sich in einer Bebauung mit großen, flächigen Volumen, widerspiegelt. Als Nutzungen befinden sich dort ein Baumarkt, ein Schuhcenter, mehrere Einrichtungs-/ Möbelhändler, Fitnessstudios sowie verschiedene Betriebe der Schnellgastronomie. Die Stadt Aachen widmet ihre Aufmerksamkeit seit einigen Jahren der Entwicklung des Gebiets, wie sich anhand zahlreicher Veranstaltungen und erster Transformations-Projekte zeigt (Stadt Aachen o. J.). Fraglos ist ein Transformationsbedarf für diese städtische Randzone erkannt, was sie zum geeigneten Referenzraum für diese Studie macht. 

Im Luftbild ist der Referenzraum markiert. Auffällig sind unterschiedliche Körnungsgrößen der Bebauung, welche von kleinteiliger Wohnbebauung im Süden, über große Hallenstrukturen bis hin zum Stadion Tivoli reicht. Die Hauptverkehrsachsen Krefelder Straße und Prager Ring lassen sich deutlich erkennen.
Abbildung 1: Luftbild mit Referenzraum und zwei entwurflich untersuchten Grundstücken. Quelle: Autoren, Luftbild des GIS Geoinformationssystem, Aachen.

Das Thema der Transformation der Gewerbegebiete wird bislang meist im Zusammenhang mit der Verringerung der Neuinanspruchnahme von Flächen besprochen. Trotz ihres hohen Anteils an städtischer Siedlungsfläche besteht ein niedriges Niveau an analytischem und empirischem Wissen hierüber (Eckmann et al. 2020: 45). Die Aufmerksamkeit und die Erfahrung in der Planungspraxis, den Kommunen und der Forschung sind gering (Erbstößer 2016: 49; Klanten und Schmitt 2019: 119). Bestehende Literatur zum Thema hebt die Notwendigkeit der Kooperation und Koordination der Akteure sowie des Gebietsmanagements hervor und illustriert diese anhand von Beispielen (Betker 2021; Eckmann et al. 2020; Bathen et al. 2021). Was noch aussteht, ist eine umfassende Auseinandersetzung mit den baulich-räumlichen Implikationen einer nachhaltigen Entwicklung und Integration der Randzonen, die den Fokus auf architektonische Aspekte auf der Gebäudeebene sowie auf Gestalt- und Freiraumqualität auf Quartiersebene legen. Aktuelle Themen wie die Wandelbarkeit, das Erscheinungsbild, die Stadtverträglichkeit von Gebäuden müssen noch zum Grundbestandteil der Diskussion werden (Hees et al. 2019; VDI 2018). Auch hierfür sind innovative Konzeptansätze in Form von Beispielen als wissenschaftliche Basis notwendig, um komplexe Zusammenhänge zu erkennen und Lösungsansätze zu entwickeln. Heutige Beispiele veranschaulichen meist schematisch allgemeine Eigenschaften zukünftiger, gemischter Gewerbestrukturen in der Stadt (zum Beispiel Flexibilität, Kreislaufwirtschaft), untersuchen kritische Einzelaspekte (zum Beispiel Logistik, Modularität) oder sind spezifische Lösungen (zum Beispiel Wittenstein bastian GmbH, Joseph Manner & Comp AG, Tech Cluster Zug) (Rappaport 2020; Betker 2021; Smolka 2021). Die entwurfliche Komplexität, die sich aus der Nutzungsmischung, der städtischen Lage und den hohen individuellen Nutzungsanforderungen ergibt, wird jedoch selten in einem architektonischen Ganzen erfasst und in ihren Teilaspekten, den zahlreichen Spannungsfeldern sich wechselseitig beeinflussender, architektonischer Anforderungen, wissenschaftlich analysiert. 

Neue Qualitäten in den städtischen Randzonen 

Ausgangspunkt der Untersuchung war das von den städtischen Randzonen ausgehende Flächenpotenzial als städtische Gewerbe- und Wohnfläche, verbunden mit einer Aufwertung im Sinne der nachhaltigen Stadtentwicklung zu einem urbanen Ort. Der vielfältig verwendete Begriff Urbanität wird im Fachdiskurs wiederkehrend mit drei Eigenschaften (baulich-räumliche Struktur, Organisationsmuster und menschliches Verhalten) verbunden (Neumann 2002). In einer planerischen Annäherung von Kretz und Kueng (2016) wird Urbanität in sechs urbane Qualitäten eingeteilt (Zentralität, Diversität, Interaktion, Zugänglichkeit, Adaptierbarkeit, Aneignung). 

Sie erlauben verschiedene Ausprägungen von Urbanität festhalten zu können, ohne sie eindeutig steuerbar oder messbar zu machen. Die Studie betrachtet zugleich die seitens der Entwurfsverfasser:Innen der Testentwürfe wahrgenommenen Eigenschaften und baulich-räumlichen Merkmale urbaner Orte, die ihre Perspektive als Entwerfende und potentielle Nutzende wiedergeben. Diese bilden ebenfalls die drei oben genannten Eigenschaften ab und umfassen messbare sowie eher intuitive Qualitäten (Tabelle 1). Sie dienen in der weiteren Untersuchung als urbane Qualitäten einer nachhaltigen Entwicklung und werden als Zielvorgabe für die Transformation der Randzonen grundsätzlich und konkret für die zu entwickelnden Testentwürfe herausgestellt. 

Die Tabelle zeigt eine Auflistung von einerseits „Wahrgenommenen Eigenschaften“ und andererseits „Baulich-räumlichen Merkmalen“.
Tabelle 1: Ergebnis der Vorstudie „Urbane Qualitäten“. Grundlage für die Entwicklung der Testentwürfe basierend auf der Fachliteratur und der persönlichen Wahrnehmung der Entwurfsverfasser:innen. Quelle: Eigene Darstellung.

Entwicklungspotenziale für die Konzeption der nutzungsgemischten Großstruktur 

Eine detaillierte Analyse des Referenzraums an der Krefelder Straße unterstreicht den Transformationsbedarf des Gebiets und zeigt Entwicklungspotenzial zur sozialen, ökologischen, architektonischen und stadträumlichen Aufwertung als Startpunkt für die Testentwürfe in folgenden Bereichen auf: 

  • architektonische Qualität: Überprüfung von fremdartigem Erscheinungsbild als funktionaler Zweckbau (Materialität, Introvertiertheit, Typologie, Freiraumgestalt, etc.), sensibler Umgang mit Maßstabssprüngen (Gebietsdichte/-körnung), vorrausschauende Planung als Grundlage für eine lange Nutzbarkeit, Gestaltungsalternativen zur grellen Farbigkeit als Mittel der Identitätsbildung, Vermeidung von Rückseiten zum öffentlichen Raum, Überprüfung von Logistikzonen und ruhendem Verkehr als gestaltprägende Freiflächen (Abbildung 2). 
  • stadträumlichen Qualität: Überprüfung von untergenutzten Flächen und geringen Dichtekennwerten, Nutzen der hohen Sichtbarkeit, Ausbildung eines attraktiven Stadteingangs (Raumkanten, Hochpunkt, Orientierung, Lage von Öffnungen), Anbindung an unmittelbar angrenzende Quartiere, um Inselbildung zu vermeiden (Durchwegung, grüne Infrastruktur), Erhöhung der Qualität und Quantität der Freiräume, Anlegen von attraktiven Aufenthaltsflächen/ Treffpunkten. 
  • infrastrukturelle Qualität: Überprüfung der Fokussierung auf motorisierten Verkehr zu Gunsten andere Verkehrsteilnehmenden, Straßenräume mit stadträumlicher Qualität versehen (Begrünung, weniger ruhender Verkehr, Straßenbreiten). 
  • Funktionsmischung: Aktivierung des Gebiets zu toten Zeiten über diverses Nutzungsangebot, Verbesserung des bislang begrenzten, teils informellen Angebots an Nahversorgung und sozialen Dienstleistungen für Erwerbstätige.

Das erste von vier Fotos zeigt das Gebäude des „Schuh Centre“, das durch seine auffällig gelbe Farbe, seine große Maßstäblichkeit und einige Fahnen im Vordergrund gekennzeichnet ist.
Das zweite Foto zeigt ein zweigeschossiges Gebäude mit Flachdach und teils Dachbegrünung. Es gibt einen Balkon und die Werbeschrift eines Restaurants fällt auf. Das Gebäude erscheint leerstehend. Die Freifläche im Vordergrund ist versiegelt und wird ausschließlich als Verkehrs- und Parkfläche genutzt. 
Das dritte Foto zeigt im Hintergrund die Rückseite einer großen Gewerbehalle und die sich dort befindende Ladezone. Im Vordergrund sind verschiedene Flurfördermittel und gelagerte Waren zu erkennen. Die Freifläche ist versiegelt und grau.
Das vierte und letzte Foto zeigt das Lager und die Ladezone eines Möbelhauses. Die großzügige, versiegelte Freifläche wird an den Seiten zum Parken genutzt.
Abbildung 2: Farbigkeit, Versiegelung, Maßstabssprung, ruhender Verkehr und Andienung im Referenzraum. Fotos: Fabian Jäger, Felix Piel.

Aufbauend auf der Ist-Analyse wurden Vorstudien zur Überprüfung einer geeigneten Quartiersdichte und Körnung sowie zu grundsätzlichen Typen der Nutzungsmischung mittels Zeichnungen und Modellen durchgeführt. Die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit den Qualitäten urbaner Randzonen, der Ist-Analyse und den Vorstudien wurden in einem Workshop zu einer groben Rahmenplanung verdichtet, welche als Werkzeug zur Fixierung von Zielgrößen für die Konzeption nutzungsgemischter Großstrukturen dient. Sie gibt Hinweise zu den Themen: Baugrenzen, bauliche Dichte, Grün, Verkehr, Ruhender Verkehr, Urbane Qualitäten. 

Konzeption nutzungsgemischter Großstrukturen in städtischen Randzonen 

Im Entwurfsprozess gilt es mit verschiedenen Zielgrößen und baulich-räumlichen Anforderungen sinnvoll umzugehen. Bei der Transformation der Randzonen stellt sich dies beispielsweise anhand der unbebauten Flächen der Gewerbestrukturen dar, die aktuell den logistischen Prozessen und dem Parken gewidmet sind, zugleich aber auch zu einem attraktiven öffentlichen Raum beitragen sollten. Diese entwurflichen Spannungsfelder verdeutlichen die Komplexität der Entwurfsaufgabe, bei der das Gebäude als Sinngefüge ganzheitlich betrachtet und Entscheidungen behutsam abgewogen werden sollten. Im Rahmen dieses Beitrags werden zwei ausgewählte Spannungsfelder zu den Aspekten Programm und Erschließung skizziert (Tabelle 2). Es folgen jeweils übertragbare Lösungsprinzipien, die durch Testentwürfe im Referenzraum veranschaulicht werden. Die verschiedenen Lösungsprinzipien zeigen dabei eine Varianz auf, welche weder umfassend sein kann noch eine spezifische architektonische Entwurfsfrage in seiner Komplexität vollständig lösen kann. Viel mehr sind die Lösungsprinzipien als Ausgangspunkte für weitere Untersuchungen zu verstehen. 

Die Tabelle zeigt eine Auflistung von dem Spannungsfeld 1, also den Typen der Mischung. Als Lösungsprinzipien dazu zählt man: Das Stapeln, das Reihen, das Ummanteln und das Doppeln.
Als Lösungsprinzipien im Spannungsfeld zwei, also dem Andienen und Ankommen zählt man die Werkstraße, die innere Ladezone und den Shared Space.
Tabelle 2: Spannungsfelder und Lösungsprinzipien nutzungsgemischter Großstrukturen. Quelle: Eigene Darstellung.

Spannungsfeld 1: Typen der Mischung 

Die unterschiedlichen Funktionen – Produktion, Einzelhandel, Dienstleistung, Wohnen – sollen sinnvoll in einem Gebäude angeordnet und die Gebäudemasse auf dem Grundstück verteilt werden. Dabei ist allein im Bereich des Gewerbes eine diverse Gruppe an Nutzenden – von der Manufaktur und dem Bäcker bis hin zum Möbelhaus – zu bedenken. Dies ist für den Entwerfenden anspruchsvoll, weil er oder sie unzählige räumliche und funktionale Anforderungen der verschiedenen Nutzenden harmonisieren und deren bauliche Implikationen bestenfalls vorhersehen können sollte. Da das Gebäude nie nur für sich betrachtet funktioniert, ist es bei der Konzeption wichtig, auch die Schnittstelle zwischen außen und innen und somit zwischen privatem und öffentlichem Raum zu berücksichtigen. So ist dieses Abwägen zwischen den Anforderungen der Funktionen und das Austesten von unterschiedlichen Anordnungen und Verteilung des Programms ein hochgradig iterativer Prozess ist, der zu verschiedenen Lösungen – also Typen der Mischung – führen kann. Konkret muss eine Bandbreite an gewerblichen Nutzungseinheiten mit variierenden Qualitäten (zum Beispiel Größe, natürliche Belichtung, Raumproportionen, Erschließung) in der Großstruktur untergebracht werden können. Die geeignete Lage der Funktionen und einzelnen Nutzenden im Gebäude ist hinsichtlich der Prominenz im öffentlichen Raum, der geforderten Privatsphäre und dem Aufkommen an Laufkundschaft zu überprüfen. Gleichzeitig sollte bei der Verteilung der Gebäudemasse berücksichtigt werden, dass sie den Stadtraum und die Wahrnehmung der baulichen Dichte prägt sowie das Entstehen von öffentlichen und privaten Freiräumen ermöglicht. Nachfolgend werden drei ausgewählte Lösungsprinzipien als Typen der Mischung vorgestellt. Sie generieren urbane Qualitäten auf unterschiedliche Weise. 

Stapeln: 

Durch das geschossweise Stapeln der Funktionen ergibt sich ein Gebäude mit klaren Freiflächen, vielfältigen Möglichkeiten der Gebäudeorientierung und der Anbindung an den öffentlichen Raum. Die innere Gebäudelogik ergibt sich vor allem aus dem Grad der Öffentlichkeit der jeweiligen Flächen, gepaart mit der Qualität der Belichtung, der Erschließung und der Arbeitsabläufe. Sinnvoll erscheint eine Unterbringung von Gewerbe in den unteren Geschossen. Hierbei stellt das Erdgeschoss die prominenteste Lage im Gebäude dar. Es eignet sich insbesondere für Einrichtungen der Nahversorgung oder von Gewerbe mit viel Laufkund:innenschaft. 

Darüber könnten Büro- und Produktionsflächen für Gewerbetreibende mit weniger Kund:innenverkehr untergebracht werden. Die oberen Geschosse wären dem Wohnen vorbehalten, wo man nicht nur dem Lärm und der Bewegung des Gewerbes ausweicht, sondern zugleich die Möglichkeit eines Ausblicks und einer natürlichen Belichtung ausnutzen kann. Interessant ist hier die Möglichkeit eine eigene, mitunter introvertierte Wohnwelt mit gemeinschaftlichen (Frei-)Flächen für die Bewohnerschaft zu schaffen (Abbildung 3). 

Die Schnittperspektive zeigt den Querschnitt durch ein sechsgeschossiges Gebäude. Die unteren drei Geschosse gehen über die komplette Gebäudetiefe, haben eine hohe Geschosshöhe und sind als Einzelhandels- und Produktionsfläche möbliert. Die oberen drei Geschosse teilen sich auf zwei Wohnriegel auf, die durch einen inneren Dachgarten getrennt sind. Die Wohngeschosse sind niedriger und haben zu beiden Seiten Balkone.
Abbildung 3: Schnittperspektive – Stapeln im Testentwurf, Grundstück 1: Mit der Höhe nimmt die Privatheit der Nutzungen und die Feingliedrigkeit der Struktur zu. Quelle: Felix Piel, Fabian Jäger. 

Reihen:

Das zweite Lösungsprinzip beschreibt die horizontale Reihung der Funktionen. Anders als im Lösungsprinzip der Stapelung können die Funktionen durchaus auf mehrere nebeneinander liegende Baukörper auf einem Grundstück verteilt werden. Um deren Zusammengehörigkeit zu zeigen, erscheint das Erreichen einer architektonischen und räumlichen Verwandtschaft sinnvoll. Das Lösungsprinzip unterstützt die individuelle Optimierung der jeweiligen baulich-räumlichen Anforderungen. Gleichzeitig kann eine differenzierte Freiflächengestaltung zwischen, um und in den Gebäuden in private und öffentliche Flächen geschehen, wodurch ein eher zugänglicher, einladender Charakter vermittelt werden kann (Abbildung 4).

Die Isometrie zeigt einen Testentwurf eingebettet in den städtebaulichen Kontext. Es sind zwei gleiche Baukörper zu erkennen, wovon einer an drei Seiten von Straßen umgeben ist. Der zweite Baukörper liegt dahinter in geschützter Lage. Er unterscheidet sich außerdem dadurch, dass die große Kubatur durch drei sehr große Höfe aufgelockert ist. Die geringere Gebäudetiefe verweist auf die Wohnnutzung, während der erste Baukörper mit seinen großen, tiefen Flächen als Gewerbebau erkennbar wird.
Abbildung 4: Isometrie – Reihen im Testentwurf, Grundstück 2: Zwischen den Gebäuden befindet sich ein durch Gastronomie und Bäume bespielter Boulevard. In den Wohnhöfen gibt es private Grünflächen. Quelle: Lukas Wüllenweber, Michael Nunnemann. 

Ummanteln:

Das Lösungsprinzip Ummanteln eignet sich insbesondere bei sehr großen Gewerbeflächen in Erdgeschoss-Lage, wie es bei einem Baumarkt der Fall ist. Durch eine Ummantelung der großen Gewerbeflächen mit kleineren Nutzungseinheiten – sowohl Gewerbe als auch Wohnen ist hier vorstellbar – soll bei diesem Lösungsprinzip das Erdgeschoss aktiviert sowie eine Wechselwirkung mit dem Kontext aufgebaut werden. Lange geschlossene Fassaden, welche die Qualität des urbanen Freiraumes mindern, werden vermieden, ohne dass die sehr große Gewerbeeinheit ihren funktional begründeten introvertierten Charakter aufgeben muss (Abbildung 5). 

Die Schnittperspektive zeigt einen sehr breiten Baukörper, welcher lediglich im Erdgeschoss die ganze Fläche belegt. Die Möblierung zeigt an dieser Stelle große Regale, was kombiniert mit sehr großen Geschosshöhen eine Gewerbenutzung vermuten lässt. Außerdem ist ein zentraler Lichthof zu erkennen. Auffällig sind auch die Ränder im Erdgeschoss, wo die Geschosshöhe halbiert und auf zwei niedrigere Geschosse aufgeteilt wird. Während sich im unteren ebenfalls Regale erkennen lassen, sind in dem darüberliegenden  Autos und Fahrräder zu erkennen. Dies verweist auf eine Park-Geschoss. Über dem Gewerbesockel ist ein Ring aus vier Wohngeschossen abzulesen, welche auf dem Dach der im Erdgeschoss liegenden Gewerbefläche einen großzügigen Garten ausbilden.
Abbildung 5: Schnittperspektive – Ummanteln im Testentwurf, Grundstück 2: Der Baumarkt ist an zwei Seiten von Mantelnutzungen (unter anderem Fahrradladen, Atelier) umschlossen. An der dritten Seite ist der Eingang beziehungsweise die Logistikzone. Quelle: Ole Linne, Mathis Osing.

Spannungsfeld 2: Andienen und Ankommen 

Findet eine Nutzungsmischung von Gewerbe und Wohnen in einem Gebäude statt, betrifft dies bereits die Gestaltung der Freifläche, auf der vielfältige Nutzergruppen (Bewohner-, Kundschaft, Mitarbeitende) und Waren ankommen und weiter verteilt werden müssen. Ihre qualitätsvolle, offene Gestalt soll einen Mehrwert im Quartier und eine größere Akzeptanz generieren. Traditionell ist ein öffentlicher Freiraum im Sinne eines attraktiven, urbanen Aufenthaltsorts in den heutigen Randzonen kaum zu finden. Stattdessen ist der Übergang vom Stadtraum auf das Fabrikgelände bis ins Gebäude hinsichtlich fabrikplanerischer Gesichtspunkte optimiert. Dies zeigt sich zum Beispiel durch die gestaltprägenden Einfriedungen, die das Gelände gegenüber der Öffentlichkeit im großen Umfang versperren sowie den für zukünftige Erweiterungen, den ruhenden Verkehr und die Ladezonen vorbehaltenen versiegelten Flächen um das Gebäude. Eine über die eigene Grundstücksgrenze hinweg gedachte Freiraumplanung ist nicht erkennbar. Dabei sind die (logistischen) Abläufe der nutzungsgemischten Großstruktur nochmals komplexer: Sie umfassen die externe und interne Gebäudeerschließung (Wegeführung im Außenraum, Eingänge, Ladezonen, Flure, Aufzüge und Treppen im Gebäude) für Waren (Andienung) und müssen konfliktfrei kombiniert werden mit der entsprechenden Personenerschließung (Ankommen) im Außen- und Innenraum. Inwieweit Erschließungswege und -elemente dabei synergetisch genutzt werden können, hängt einerseits von der intelligenten Lösung selbst und andererseits von der Offenheit gegenüber innovativen Lösungen seitens der Betreibenden, Nutzenden und Investorinnen ab. Diese hohen Anforderungen an ein reibungsloses, effizientes, qualitätsvolles Erschließungssystem macht die Erschließung zu einer der zentralen Themen im Entwurfsprozess der nutzungsgemischten Großstruktur. Um den hohen Anforderungen an Funktionalität und Einbindung in den Kontext gerecht zu werden, stellen die Lade- und Anlieferzonen eine entscheidende planerische Herausforderung bei der Konzeption der Großstrukturen dar. Nachfolgend soll eine Auswahl an innovativen Lösungsprinzipien, die Qualitäten im Freiraum und in der gemeinschaftlichen Nutzung von Flächen bei gleichzeitigen Funktionalität anstreben, gezeigt werden: 

Werkstraße: 

Als sichtbares Zeichen der gewerblichen Tätigkeit wird beim Lösungsprinzip Werkstraße die Andienung über eine interne, dem Lieferverkehr gewidmete Straße abgewickelt. Die Werkstraße soll eine effiziente Andienung der einzelnen Nutzungseinheiten unterstützen. Daher ist eine zentrale Lage sinnvoll. Von hier aus können mehrere angrenzende Nutzungseinheiten parallel versorgt werden, sodass die räumliche Zentrierung der logistischen Prozesse entzerrt wird. Jedoch ist das Lösungsprinzip auf seine hohe Flächeninanspruchnahme und die Gefahr einer geringen Freiflächenqualität hin zu prüfen. Zusätzliche Funktionen (zum Beispiel Kantine) und die konkrete Gestaltung der Fläche (zum Beispiel Straßenbreite, Witterungsschutz, Helligkeit, Möblierung) könnten hier eine mehrdimensionale Flächennutzung zur Aufwertung der Werkstraße als qualitätsvollen Ort befördern. Entwurflich zu klären sind außerdem potenzielle Konflikte mit dem Wohnen durch die Lärmemissionen des Lieferverkehrs sowie Gefahrenstellen durch die räumliche Nähe der Erschließungswege. Eine klare Trennung der Nutzergruppen und Wege könnte letzteres lösen (Abbildung 6).

Der Grundriss zeigt einen in zwei Teile gegliederten rechteckigen Baukörper, der asymmetrisch durch eine Straße getrennt wird. Die Straße wird von LKWs, Transportern und einem Gabelstapler genutzt. Es ist zu erkennen, dass beide Gebäudeteile von dieser Straße – der Werkstraße – erschlossen werden und sich in eine Vielzahl an kleineren und größeren Gewerbeeinheiten unterteilen lässt. Um das Gebäude sind Grün und Sonnenschirme zu erkennen. Im Norden gibt es außerdem drei Treppentürme, welche die oberen Wohngeschosse erschließen.
Abbildung 6: Grundriss Erdgeschoss – Werkstraße im Testentwurf, Grundstück 1: Die dem Gewerbe zugeordneten Personengruppen nutzen die Werkstraße (auch als Kommunikations-/ Aufenthaltsort), während die Bewohnerschaft das Gebäude über Treppentürme im Norden betreten und dort eine Adresse bilden (maßstabslos). Quelle: Jonathan Burkard, Yannic Kohnen. 

Innere Ladezone: 

Im zweiten Lösungsprinzip verschwinden die logistischen Prozesse aus dem Sicht- und Hörfeld der Öffentlichkeit, indem sie in das Gebäudeinnere verlagert werden. Die Ausbildung kann sowohl als Durchfahrt als auch als Ladebucht geschehen. Anders als beim Lösungsprinzip Werkstraße geht es hier ausschließlich um die Abwicklung logistischer Prozesse, was eine kompakte räumliche Ausdehnung und eine eingeschränkte Zugänglichkeit zur Folge hat. Im Zusammenspiel mit dem Außenraum bietet das Lösungsprinzip den Vorteil, diesen kaum zu beeinflussen. Die Gestaltung der Freiflächen kann aus der inneren Gebäudelogik und dem Zusammenspiel mit dem Kontext entstehen, was gestalterische Freiheiten bringt. So ist beispielsweise die Gebäudeorientierung sowie das äußere Erscheinungsbild nahezu losgelöst voneinander entwickelt worden, ohne durch die Lage und Ausbildung der Ladezone (mit Witterungsschutz, Rampe, großen Toren, etc.) determiniert zu werden. Ebenso frei ist der Entwerfende bei der Personenerschließung (zum Beispiel Kombination einzelner Personengruppen, Erschließungsseite). Die genannten Vorteile machen die innere Ladezone zu einem in einigen Großstädten heute bereits verbreiteten Lösungsprinzip, was insbesondere in der Mischung mit Wohnen besticht (Abbildung 7). Die Identität als Gewerbehaus – dies soll kritisch angemerkt sein – wird durch die beinahe vollständige Eliminierung der Logistikprozesse aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit jedoch verschleiert.

Der Grundriss zeigt einen kompakten rechteckigen Körper, der durch zwei innere Ladezonen in Längsrichtung gleichmäßig in drei Teile geteilt wird. Alle Flächen lassen sich aufgrund ihrer Möblierung als Gewerbeflächen erkennen, die sich zu allen vier Seiten orientieren. Entsprechend gibt es Freiflächen um das ganze Gebäude, welche mit Grün und Sitzmöglichkeiten bespielt sind. Es lässt sich außerdem erkennen, dass Fahrrad- und Autostellplätze auf der unversiegelten Fläche um das Gebäude verteilt sind.
Abbildung 7: Grundriss Erdgeschoss – Innere Ladezone im Testentwurf, Grundstück 1: Das Gebäude nutzt die Freiheiten durch die interne Durchfahrt in seiner allseitigen Freiraum- und Fassadengestaltung. Die Lärmentwicklung findet kontrolliert im Gebäudeinneren statt (maßstabslos). Quelle: Felix Piel, Fabian Jäger.
Der Grundriss zeigt zwei rechteckige Körper, die leicht versetzt und mit Abstand zu einander stehen. In dem Zwischenraum sind ein LKW, ein Transporter und ein Hubwagen zur Andienung zu erkennen. Die dem Zwischenraum zugewiesen Gebäudeseiten beinhalten zunächst eine schmale Erschließungszone, an die sich eine Schiene mit dienenden Räumen und der vertikalen Erschließung anschließt. Dahinter sind großflächige Gewerbeeinheiten zu erkennen. Ein einheitlicher Bodenbelag zieht sich um die Gebäude und durch den Zwischenraum. Dabei integriert er einen Sportplatz an der einen und einen Spielplatz und Außengastronomie an der anderen Gebäudeseite.
Abbildung 8: Grundriss Erdgeschoss – Shared Space im Testentwurf, Grundstück 1: Die Freifläche umspielt die Gebäude, dabei entstehen zwei Plätze als Sportfläche und Spielplatz sowie eine Gasse mit Ladebuchten. Bespielt werden die Plätze durch die angrenzenden Gewerbeflächen und die Wegeführung (maßstabslos). Quelle: Lara Wittfeld, Moritz Mennenöh.

Shared Space: 

Im dritten Lösungsprinzip wird die Freifläche um das Gebäude als gemeinschaftlich genutzte Fläche für alle Nutzenden interpretiert. Dies erinnert an eine Liefersituation in einer Einkaufsstraße, wo Personen und Lieferverkehr sich – unter Einhaltung von zeitlichen oder räumlichen Einschränkungen, großzügige Freiflächen teilen. Um die Sicherheit aller Nutzenden und störungsfreie Abläufe zu gewährleisten, sind Regeln (zum Beispiel ausgewiesene Ladestellen, Zonierung) sinnvoll. Das Lösungsprinzip bietet einen hohen Grad an Offenheit und Teilhabe am Geschehen im Gebäude, der sich im umgebenden Freiraum weiterführt. Das Miteinander der Nutzergruppen wird gefördert. Der Lösungsansatz könnte die Rolle einer Quartiersmitte übernehmen (Abbildung 8). 

Auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung der Randzonen… 

Dieser Beitrag stellt nur einen Teil der Ergebnisse der Studie dar. Weitere Spannungsfelder beschreiben die Bereiche Ort, Tragwerk, Fassade, Ausbau und Installationen. Sie bietet Anknüpfungspunkte für die ganzheitliche, systematische Betrachtung von nutzungsgemischten Großstrukturen in urbanen Randzonen. Dabei wird klar, 

  • dass eine qualitätsvolle Nutzungsmischung als wesentliche Voraussetzung für die Entstehung von Urbanität in den Randzonen komplex ist und sich in allen Spannungsfeldern der Gesamtkonzeption und über die Maßstäbe hinweg darstellt 
  • dass eine Notwendigkeit innovative Investoren und Betreiber zu gewinnen besteht, um die Gebäudetypologie zu erproben und somit die Transformation voranzutreiben. Entscheidend sind attraktive Rahmenbedingungen durch die Kommunen und Anreize einen höheren Planungsaufwand und Investitionskosten mit längeren Lebenszyklusbetrachtungen und der Quartiersaufwertung abzuwiegen. 
  • dass die Transformation auch als architektonische Aufgabe erkannt wird, die sich mit vielfältigen Anforderungen (insbesondere im Bereich der Nutzungsmischung, der Verdichtung, den urbanen Qualitäten) auf der Gebäudeebene beschäftigt und eine Diskussion über die Qualitäten von Freiraum und Architektur im Zentrum hat (BBSR 2020: 24; Möllers et al. 2020: 26). 

Die konzeptionelle Untersuchung kann durch weitere Studien vorangetrieben und mit Fragestellungen der Stadtentwicklung verknüpft werden. Als wichtig erscheinen: 

  • die Frage der Körnung der Gebäude sowie der Nutzungsmischung; 
  • die Frage nach der Bewohnerschaft und geeigneten Wohnformen; 
  • die Frage des ruhenden Verkehrs und qualitätsvoller Außenräume; 
  • die Frage zum Umgang mit Emissionen (Schoppengerd 2020: 10 ff).

In der Studie wurden anhand der Testentwürfe übertragbare Spannungsfelder unterschiedlicher baulich-räumlicher Strategien für die Transformation der Randzonen durch nutzungsgemischte Großstrukturen getestet. Dabei sollen die zwei bearbeiteten Grundstücke beispielhaft für die Transformation zu einer gemischten, urbanen Nachbarschaft im gesamten Plangebiet stehen. Wenngleich die präsentierten Lösungsansätze damit Grenzen für die tatsächliche Umsetzbarkeit innerhalb des gültigen Planungsrechts überschreiten und mitunter Spezifika des Ortes berücksichtigen, können sie die Diskussion zu realen planungsrechtlichen und prozessualen Fragen anregen und damit die aktuellen Entwicklungen der Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung in den Randzonen fördern. Bei einem weiteren Anstieg der Bevölkerung in den Städten und dem Ziel der Sicherung des städtischen Gewerbes wäre eine Transformation der Randzonen zu nutzungsgemischten, städtischen Quartieren ein relevanter Beitrag zur qualitätsvollen Weiterentwicklung unserer Städte. 

About the author(s)

Carolin Harland ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Baukonstruktion an der RWTH Aachen University, seit 2021 studio bauko architekten in Aachen. Im Rahmen ihrer Forschung zu urbanen Produktionsstätten verknüpft sie die Transformation von städtischen Randzonen auf der Gebäudeebene mit dem Thema Urbane Produktion.  

Carolin Harland is a research associate at the Chair of Building Construction at RWTH Aachen University, since 2021 studio bauko architekten in Aachen. In the context of her research on urban production sites, she links the transformation of urban fringe zones at the building level with the topic of urban production. 

Hartwig Schneider, Dipl.-Ing. Architekt BDA, Studium an der Universität Stuttgart und am IIT Chicago, seit 1999 Universitätsprofessor und Leiter des Lehrstuhls Baukonstruktion an der RWTH Aachen University, 1989 bis 2019 eigenes Büro in Stuttgart, seit 2020 studio bauko architekten in Aachen.

Hartwig Schneider, Dipl. -Ing. Architekt BDA, studied at the University of Stuttgart and at IITChicago. Since 1999 he is university professor and the head of the chair of building construction at RWTH Aachen University. From 1989 to 2019 he owned an office in Stuttgart and since 2020 the studio bauko architekten in Aachen.

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Teilnehmende der Lehrverantstaltung M2-Projekt (WiSe 2021/2022 und SoSe 2022): Valerie Boeckel, Jonathan Burkard, Fabian Jäger, Yannic Kohnen, Ole Linne, Moritz Mennenöh, Arber Morina, Michael Nunnemann, Mathis Osing, Felix Piel, Fernando Caballero Sansano, Anna Schmidt, Lara Wittfeld, Lukas Wüllenweber, Hartwig Schneider, Christian Schätzke, Carolin Harland