Published 31.05.2022

Zwischen Sprachen und Logiken

Übersetzungsleistungen in der Stadtentwicklung

Between Languages and Logics

Translation in Urban Development

Keywords: Übersetzen; Reallabore; Beteiligung; Stadtentwicklung; Design; Interkultur; translation; real-world labs; participation; urban development; design; interculture

Abstract:

Angeregt durch die transdisziplinären und transformativen Forschungsformate Reallabor und Social Living Lab zeigen wir in diesem Beitrag, welche Rolle Übersetzungsleistungen in der Realisierung von interkultureller Beteiligung einnehmen können. Durch eine Kombination aus erzählenden und gestalterischen Ansätzen wird die Bedeutung des Übersetzens zwischen Alltags-, Fach- und Fremdsprachen herausgearbeitet und anhand zweier Reallabore des Forschungsprojekts INTERPART interkulturelle Räume der Partizipation in Wiesbaden und Berlin reflektiert. Wie Übersetzungsleistungen öffentliche Interventionen in der Stadtentwicklung prägen, wird durch Erfahrungen mit einem hybriden Beteiligungsartefakt in Form einer interaktiven Klingelinstallation gezeigt sowie durch die permanente Notwendigkeit der Übersetzung in transdisziplinären Projektteams. Abschließend wird diskutiert, wie interkulturelle Beteiligung zwischen Verwaltungen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen inklusiver gestaltet werden kann.

Inspired by transdisciplinary and transformative research in real-world labs and social living labs, we show which role translation services can play in the realization of intercultural participation. Through a combination of narrative and design approaches, we elaborate the importance of translating between every day, technical, and foreign languages. The research is based on two real-world labs within the research project INTERPART - intercultural spaces of participation – one in Wiesbaden and one in Berlin. How translation services shape public interventions in urban development is shown by experiences with a hybrid participation artifact in the form of a doorbell as well as by the permanent necessity of translation in transdisciplinary project teams. Finally, we discuss, how intercultural participation between administrations and civil society actors can be made more inclusive.

Beteiligen – Übersetzen – Verändern: Einführung und methodische Rahmung

Die Babylonische Sprachverwirrung sorgte dafür, dass der Turmbau zu Babel nicht vollendet werden konnte, da die Arbeitenden nicht mehr dieselbe Sprache sprechen konnten und sich nicht mehr verstanden. Vielfalt der Sprachen ist bei weitem keine Gottesstrafe mehr, sondern sprachliche Differenz Alltag und wichtige Grundlage einer Einwanderungsgesellschaft (Foroutan 2019). Übersetzungsleitungen zwischen Alltags-, Fach- oder Fremdsprachen werden daher zu einer gesellschaftlichen Kernaufgabe für die Beteiligung in der Stadtentwicklung, damit Worte nicht als pure Vokabeln einfach verhallen. In diesem Beitrag wollen wir zeigen, wie Übersetzungsleistungen einen zentralen Punkt in der Realisierung von interkultureller Beteiligung einnehmen und wie sie die Arbeit in transformativen, transdisziplinären und partizipativen Forschungsprojekten beeinflussen. Wir folgen dabei einem Verständnis von Interkultur (Terkessidis 2018), das Kultur als Organisationsweise des Alltags versteht, die nicht ausschließlich entlang starrer Grenzen von Ethnie oder Nationalität definiert wird, sondern auch durch Alter, Lebensstil, Gender und weitere Kategorien beschrieben werden kann. Übersetzungsleitungen in der Beteiligung spielen demnach nicht nur zwischen der Amtssprache Deutsch und zum Beispiel Türkisch oder Polnisch eine Rolle, sondern auch zwischen den situativen und veränderbaren Alltagskulturen bestimmter sozialer Milieus oder Fachkulturen.

Als Fallbeispiel dient dabei das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsvorhaben INTERPART – interkulturelle Räume der Partizipation. Ziel von INTERPART war es, herauszufinden, was interkulturelle Beteiligungsräume ausmacht, welche Zugangsbarrieren zu solchen Räumen bestehen und wie institutioneller Wandel für eine inklusivere Beteiligungspraxis angestoßen werden kann (Autor*innen-Kollektiv INTERPART 2021). In Reallaboren in Berlin-Moabit und Wiesbaden-Biebrich haben wir als Ko-Forscher:innen zwischen 2018 und 2021 hybride und digitale Beteiligungsformate entwickelt und ausprobiert, um Interkultur in der Beteiligung zu befördern und Teilhabe an Stadtentwicklung zu verbessern.

Die angewandte Forschungsinfrastruktur Reallabor möchte gesellschaftlichen Wandel durch transdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis initiieren (Schäpke et al. 2018; Schneidewind 2014). Zentral für Reallabore sind der experimentelle und zyklische Charakter, wodurch temporäre Veränderungen in begrenzten Bereichen des Alltags erprobt werden und Praxisergebnisse sowie wissenschaftliche Reflexion wiederkehrend zum Erkenntnisgewinn beitragen (Wanner et al. 2018).

Das transdisziplinäre Ko-Forschen zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und zwischen Wissenschaft und Praxis wurde in INTERPART durch die Zusammenarbeit von Planer:innen und Designer:innen (TU Dortmund, Fakultät Raumplanung und Universität der Künste Berlin, Design Research Lab), Verwaltungsangestellten der Landeshauptstadt Wiesbaden und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin sowie Mitarbeiter:innen der Agentur für crossmediale Bürgerbeteiligung Zebralog und des Büros UP19 Stadtforschung und Beratung GmbH umgesetzt.

Neben der gemeinsamen Erarbeitung von Forschungsfragen in der Antragsphase, waren Vor-Ort-Interventionen die zentralen Formate für die experimentelle Ko-Forschung zu interkultureller Beteiligung. Über wiederkehrende Fachworkshops wurden Ergebnisse mit verwaltungsinternen Projektgruppen reflektiert, um breitere Kreise der Verwaltungen in Wiesbaden und Berlin in die Ko-Forschung einbinden zu können (Abbildung 1). In einem iterativen Prozess wurden die in den Vor-Ort-Interventionen partizipativ gewonnenen Erkenntnisse im Projektteam und in Fachworkshops mit verwaltungsinternen Projektgruppen reflektiert. Das daraus gewonnene Wissen floss wiederum in die Konzeption und Durchführung weiterer Forschungsschritte ein.

Die Graphik 1 zeigt den Prozess der INTERPART Reallabore in Berlin und Wiesbaden. Zentral sind die 3 Vor-Ort-Interventionen mit deren Hilfe in iterativen Prozessen neues Wissen generiert wird.
Abbildung 1: Prozessgraphik INTERPART. Quelle INTERPART.

Während der Reallabore und zu ihrer Vorbereitung wurden Expert:inneninterviews (Helfferich 2019), narrative Formate (Seydel et al. 2021), teilnehmende Beobachtungen (Baur und Hering 2017) sowie Workshop-Dokumentationen durchgeführt, um wissenschaftlich fundiert Erkenntnisse formulieren zu können. Welche Erfahrungen mit Übersetzungsleistungen wir innerhalb unseres transdisziplinären Teams und während des partizipativen Forschens gemachten haben, soll im Folgenden erläutert werden.

Transformativ – transdisziplinär – partizipativ: Forschen in Reallaboren

Reallabore haben wir im Projekt INTERPART in erster Linie als Forschungsmethode betrachtet, bei der gesellschaftliche Veränderungen in realweltlichen Kontexten im Mittelpunkt stehen. Im Reallabor kommen, zeitlich und örtlich begrenzt, Engagierte aus Wissenschaft und Praxis zusammen. Sie widmen sich gemeinsam Problemen, die das Zusammenleben in sozialer, ökologischer oder politischer Hinsicht direkt betreffen (Bergmann et al. 2021). Dabei verknüpfen sie theoretisch-wissenschaftliches Wissen und Erfahrungswissen aus der Praxis (transdisziplinär). In Reallaboren geht es darum, möglichst viele Perspektiven und Akteur:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft in den Forschungsprozess einzubinden und insbesondere Menschen Gehör zu verschaffen, die sonst eher selten zu Wort kommen (partizipativ). Das geteilte Wissen, das im Reallabor entsteht, hilft dabei, gesellschaftsrelevante Lösungsstrategien zu entwickeln und auch umzusetzen (transformativ). Die Beteiligten greifen die Erkenntnisse auf und entwickeln sie in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen weiter (Schäpke et al. 2018; Autor*innen-Kollektiv INTERPART 2021).

Die Graphik 2 zeigt, dass Reallabore ein transformativer, transdisziplinärer und partizipativer Charakter ausmacht.
Abbildung 2: Das Reallabor: transdisziplinär, partizipativ, transformativ. Quelle: INTERPART.

Gerade in der praxisorientierten Forschung kommt Reallaboren ein immer größerer Stellenwert zu. Sie werden als offene Forschungsumgebungen betrachtet, die experimentelles Vorgehen ermöglichen und einen engen Austausch mit beteiligten Stadtnutzer:innen verfolgen. Idealtypisch passiert dies in einem Prozess des Ko-Produzierens und Ko-Forschens.

Reallabore verstehen wir als methodische Infrastruktur, um unterschiedliche Perspektiven, Interessen und Bedürfnisse aufzuzeigen, zu diskutieren und in der Produktion neuen Wissens zusammenzuführen.

In Reallaboren findet eine Verdichtung von Aushandlungsprozessen statt. In Workshops, partizipativen Formaten und öffentlichen Interventionen interagieren die beteiligten Personen eng miteinander wie auch mit bestimmten räumlichen Anordnungen, Objekten und digitalen Artefakten. Dadurch engagieren sie sich in einem Prozess der Zusammenarbeit, in dem die Art und Weise, wie man sich ausdrückt, wie man auftritt, erzählt, sich einbringt und einander versteht zentral ist.

Dabei stehen Fragen nach Interessen und Erwartungen im Vordergrund: Wie werden Probleme bisher gelöst? Was ist für wen wie relevant? Was wäre eine konkrete, geteilte Vision für eine Weiterentwicklung oder Verbesserung des Ist-Zustands? Wie stehen die Beteiligten zueinander in Beziehung? Um diese Fragen überhaupt in einem kollaborativen Prozess adressieren zu können, bedarf es der Übersetzung zwischen den einzelnen Sprachen, Logiken, Arbeits- und Alltagspraktiken.

Übersetzungsleistungen in der Beteiligung

Übersetzung spielt in der Beteiligung als Planungspraxis zwischen Verwaltungen und Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle. Verwaltungen sind dafür zuständig, dass Beteiligungsverfahren in „Abwägungs-, Planungs- und Entscheidungsprozesse übersetzt werden“ (Selle 2019: 22) und die jeweilige Gestaltung der Übersetzung beeinflusst, wie Beteiligungsergebnisse entstehen. Neben dem Transport von Inhalten in administrative Planungslogiken und Arbeitsschritte sorgt die Übersetzung auch für eine performative Produktion von Beteiligungsergebnissen. Dies zeigt den explizit politischen Charakter, den Übersetzungsleistungen in der Beteiligung besitzen (ebd.). Laut Fugmann et al. (2019: 147) ist ein Problembewusstsein für die Reflexion und Anwendung von Übersetzungsstrategien in der partizipativen Planung bereits vorhanden, um komplexe Inhalte zwischen Verwaltungen und Zivilgesellschaft zu erörtern. Methoden wie Fachworkshop, Stadtspaziergänge, kritische Einführungen von Fachleuten oder transparente Wettbewerbe dienen dazu, um Übersetzung operationalisieren zu können. An detaillierten empirischen Fallstudien, die Übersetzungsleistungen gezielt untersuchen, fehlt es jedoch weitestgehend. Tribble und Wedler (2019) zeigen am Beispiel des Planungsprozesses der Esso-Häuser auf St. Pauli durch die PlanBude, wie das Ermitteln, Übersetzen und Verhandeln von Interessen, die erfolgreiche Beteiligung eines Stadtteils gegenüber dominanten wirtschaftlichen (Eigentümerin) und staatlichen Interessen (Bezirk Hamburg-Mitte) ermöglicht. Übersetzungsleistungen im informellen Beteiligungsprozess der PlanBude waren vor allem zwischen verschiedenen zivilgesellschaftlichen Stimmen innerhalb des Stadtteils nötig, um Wünsche für den Stadtteil zu produzieren und festzuhalten – sowie Ideen gemeinsam diskutieren und entwickeln zu können, die dann mit Eigentümerin und Bezirk verhandelt wurden.

Übersetzungsleistungen in der Beteiligung fokussieren nicht nur auf verschiedene Fach- und Alltagskulturen, sondern auch auf die Übersetzung zwischen Sprachen (Amtssprache – Fremdsprache) oder unterschiedlichen Medien (digital – analog).

Insbesondere das Feld der e-Partizipation oder digitalen Beteiligung verlangt nach Übersetzungsleistungen, da digitale und analoge Beteiligungsformate unterschiedliche Ergebnisse produzieren und diese Übersetzung verlangen, um ganzheitliche Beteiligungsergebnisse zu erzielen (Grüger et al. 2021; Klemme et al. 2017). Auf die Bedeutung von Mehrsprachigkeit für die erfolgreiche Realisierung von Beteiligungsprozessen und die damit einhergehende Übersetzung zwischen Sprachen wird in der Beteiligungsforschung bereits aufmerksam gemacht (Friesecke 2017; Hammer 2018; Kaßner und Kersting 2021). Wir möchten hinzufügen, dass die Übersetzung neben der Übertragung von Inhalten in einen anderen sprachlichen Kontext auch noch eine konzeptuelle Ebene besitzt, die mitgedacht werden muss, da immer auch Ideen und Eigenschaften, die hinter Begriffen wie Kultur oder Stadtentwicklung stehen, mit übersetzt werden. Die Übersetzung an sich nimmt im Kontext von Mehrsprachigkeit daher immer auch eine wichtige Rolle für die Produktion von Beteiligungsergebnissen ein und hat so einen wichtigen Einfluss auf die transformative Stadtentwicklung.

Erzählen und Übersetzen

Nachdem wir das Reallaborsetting in INTERPART für unsere Erfahrungen mit Übersetzungsleistungen erläutert haben und erste Ansätze des Übersetzens in der Beteiligungsforschung dargestellt haben, gehen wir nun auf zwei zentrale Arbeitsweisen in INTERPART ein: das Erzählen und das Arbeiten mit Artefakten, die beide die Übersetzungsleistungen beeinflusst haben. Darauf folgt eine Reflexion, wie das Übersetzen die Arbeit in Reallaborteams beeinflusst und ein abschließendes Plädoyer für das Übersetzen.

Erzählsituationen bieten vielversprechende Anknüpfungspunkte an kommunikative Herausforderungen im Reallabor. Durch das Erzählen können beteiligte Stadtnutzer:innen persönliche Erfahrungen einbringen und austauschen. Im Unterschied zur klassischen Erhebung entsteht im Erzählen eine gegenseitige Bezugnahme, in der auch implizites Wissen (Polanyi 1985) explizit gemacht wird. Damit entsteht ein für den Forschungsprozess vielschichtiges Wissen. Im Reallaboransatz spielen Erzählungen daher eine wichtige Rolle, weil sie Menschen ermöglichen, ihr Erfahrungswissen über das Leben in der Stadt in der eigenen Sprache beziehungsweise Ausdrucksweise einzubringen. Im Austausch mit
Wissenschaftler:innen kommt darüber hinaus auch die Relevanz ihrer Alltagserfahrungen zur Geltung und Handlungsmöglichkeiten werden verdeutlicht, was das Potential birgt, sich auf die Transformation ihrer Alltagspraktiken positiv auszuwirken.

Die Rolle von Erzählungen in der Planung wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder untersucht (Sandercock 2003; Altrock et al. 2006; Seydel et al. 2021). Nach Sandercock produzieren Geschichten wichtiges Wissen über Städte: Im Sinne einer partizipativen Planung kann Erzählen eine Methode sein, die Menschen einlädt, Geschichten über ihre Stadt zu erzählen. Dadurch kommt eine Vielstimmigkeit zustande, die es erlaubt, verschiedene Perspektiven in den Prozess einzubinden. Im Reallabor ist das Erzählen auch deshalb von besonderem Interesse, da die beteiligten Gruppen über unterschiedliche Bezugssysteme, Logiken und Sprachkompetenzen verfügen (Unger 2014). Eine gemeinsame Sprachebene fehlt, weshalb Übersetzungsleistungen in den Fokus der Bemühungen rücken. Für eine transformative Forschung und nachhaltige Stadtentwicklung spielen dabei Faktoren wie Haltung, Auftritt, Art der Ansprache – also das kommunikative System – eine entscheidende Rolle, damit Dialogmöglichkeiten überhaupt erst entstehen und durch Übersetzungsleistungen fruchtbar werden können. Die meisten dieser Faktoren können nicht anhand festgelegter Formeln berücksichtigt werden, jedoch können Situationen für bessere Übersetzungsmöglichkeiten im Kontext von Beteiligung und Interkultur bewusst gestaltet werden.

Da in partizipativen Design- und Planungsprozessen diejenigen, die sich beteiligen, nicht über identische Ressourcen verfügen, können sie ihre Perspektiven nicht gleich gut vertreten. Gerade wenn es um Menschen mit unterschiedlichem sozialen oder kulturellen Kapital (Bourdieu 2018) geht, wirken sich Machtstrukturen auch auf Planung und Gestaltung aus. Diesen Machtasymmetrien kann mit partizipativen Formaten, die Dialog ermöglichen und Übersetzungen leisten, entgegengewirkt werden.

In der partizipatorischen Gestaltung sind Überlegungen, wie Design unterrepräsentierte oder ressourcenschwache Gruppen unterstützen kann, zentral. Sie zielen darauf ab, Möglichkeiten zu gestalten, damit Menschen implizites Wissen (nonverbal) ausdrücken und kommunizieren können (Ehn 2013). Fragen nach der Inklusion der Beteiligten, also nach der Einbindung von Menschen mit unterschiedlichen, meist unterrepräsentierten Interessen und Bedürfnissen, beziehen sich dabei direkt auf die Gestaltung von Objekten, Bezugssystemen und Prozessen: Diese bestimmen maßgeblich die Möglichkeitsräume medialer und damit auch sozialer Interaktionen mit (Suchman 2009). Denn gerade die soziomaterielle Anordnung (Latour 1999; Ehn 2013), also die Zusammensetzung und das Zusammenspiel zwischen Menschen und ihrer materiellen Umgebung, beeinflussen die realweltlichen Kontexte und damit die Art und Weise zu handeln und eben zu erzählen. Denn nicht-menschliche Akteur:innen sind aktiv an der Gestaltung sozialer Ordnungen und Interaktionen beteiligt (Latour 1999). Dabei kann der Bruch mit gewohnten Konstellationen zu soziomateriellen Rekonfigurationen (Suchman 2009) führen, und gewohnte Rollenzuweisungen aufbrechen sowie eine Selbstpositionierung der Beteiligten fördern. Interkulturelle Erzählsituationen können demnach so gestaltet werden, dass sie Machtgefällen und sozialen Privilegien möglichst entgegenwirken, wenn die Gestaltungselemente Offenheit, Mehrsprachigkeit und Bereitschaft zuzuhören signalisieren – und damit eine Haltung des gegenseitigen Respekts und die Möglichkeit einer Begegnung auf Augenhöhe kommunizieren. Erzählformate allein können sicherlich weder Machtungleichgewichte umkehren noch soziale Privilegien ausblenden. Sie bieten aber die Chance, den bisher übergangenen und überhörten Stimmen einen Zugang zu Beteiligung zu verschaffen. Die Sprachebene ist dabei nicht die einzig relevante: Designleistungen ist inhärent, dass sie Darstellungsstrategien entwickeln, um Informationen zu visualisieren, Zusammenhänge zu veranschaulichen, mithilfe von Material und Stofflichkeit Konzepte (be-)greifbar zu machen und somit Inhalte zu übersetzen. Sie vermitteln zwischen Fachsprache und Alltagsprache, zwischen Text- und Bildsprache, wobei sich Erzählen dann auch auf die Darstellung von Inhalten bezieht und darauf, andere Sichtweisen und Lebenswelten zu verstehen und in Erfahrung zu bringen.

In der partizipativen Designforschung wird mit Erzählen als methodischem Zugriff bereits seit längerem experimentiert, um Alltagswissen der Teilnehmer:innen und biografische Erfahrungen möglichst früh in den Entwurfs- und Forschungsprozess einzubinden (Herlo et al. 2020; Rössig et al. 2018; Unteidig et al. 2017).

Alltagspraktisches Erzählen als Vorstufe des Ko-Designs wird dafür eingesetzt, eine Vertrauensbasis zu schaffen und das Community-Building für die Teilnehmer:innen am partizipativen Forschungs- und Entwicklungsprozess zu unterstützen.

Auch in INTERPART waren diese Aspekte zentral: Um Möglichkeitsräume für einen Perspektivwechsel und den Dialog zwischen verschiedenen Sichtweisen zu initiieren, entwickelten wir im Laufe des Forschungsprojekts experimentelle Dialogsituationen und Erzählräume, in denen wir mit Stadtnutzer:innen, Mitgliedern von lokalen Initiativen und Verwaltungsangestellten in unterschiedlichen Konstellationen ins Gespräch kamen. Auf einige dieser Situationen und Artefakte wollen wir nun genauer eingehen.

Artefakte und Übersetzen im partizipativen Forschen

Um die Bedeutung von Übersetzungsleistungen in den Fokus von Beteiligung zu nehmen und die Chancen aufzuzeigen, die transformatives Forschen dabei bietet, zeigen wir im folgenden Abschnitt, wie mit Hilfe von Artefakten Beteiligung interkulturell gestaltet werden kann.

Vorbereitend auf die experimentellen Formate in den INTERPART-Reallaboren Berlin-Moabit und Wiesbaden-Biebrich wurden mittels 44 teilstrukturierter Expert:inneninterviews (Helfferich 2019) allgemeine Beteiligungserfahrungen in den lokalen Verwaltungen und der Zivilgesellschaft untersucht. Die Interviews zeigten, dass Sprache oft eine Beteiligungsbarriere darstellt, die migrantische Communities und Geflüchtete, aber auch People of Color – durch exkludierende Lesarten etwa – einschränkt. Die Ausgrenzung von Personengruppen, die nicht die Sprache einer imaginierten (weißen und akademisch geprägten) homogenen Mehrheitsgesellschaft sprechen, bezog sich nicht nur auf den Gebrauch der Amtssprache Deutsch, sondern auch auf die Anwendung von Fach- und Alltagssprachen.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse und als Startpunkt für das Experimentieren in den Reallaboren entwickelten wir in unserem transdisziplinären Team eine multilinguale interaktive Klingelinstallation als boundary object (Leigh Star 2010) (Abbildung 3). Diese Klingelinstallation wurde auf einem öffentlichen Platz in Moabit und Biebrich aufgestellt, um auszuprobieren, wie durch Übersetzungsleistungen eine inklusivere Partizipationspraxis auf Stadtteilebene ermöglicht werden kann. Die Klingelinstallation besteht aus einem großen Torbogen und einem Klingelschild-Interface, welches über einen Raspberry Pi Mini-Computer mit einer KI-basierten Übersetzungssoftware verbunden wurde (Abbildung 4). Das Klingelschild diente so als analoge Benutzerschnittstelle, über die die Teilnehmer:innen durch das Drücken eines Klingelknopfes – der jeweils in verschiedenen Sprachen beschriftet war – eine Eingabe an den Mini-Computer durchführen und damit einen Dialog mit der Klingel starten konnten. Die Teilnehmer:innen wurden nach der Aktivierung in der gewählten Sprache gebeten, ihre Nachbarschaft kurz zu beschreiben. Anschließend konnten sie den Torbogen durchschreiten und ihre in fünf Sprachen ausgedruckten Antworten entgegennehmen, prüfen und an die Pinnwand anbringen (Abbildung 5).

Die Graphik 3 zeigt einen öffentlichen Platz auf dem ein Torbogen aus Holz aufgestellt ist, der durch Übersetzungen Beteiligung in verschiedenen Sprachen ermöglicht.
Abbildung 3: Torbogen mit interaktiver Klingelinstallation, Pinnwand mit Antworten in mehreren
Sprachen, im Hintergrund die Erzählecke. Foto: Micha Shenbrot.

Während der öffentlichen Interventionen diente die Klingelinstallation als weithin sichtbarer Blickfang und Anziehungspunkt, als Aktivierungsinstrument und durch ihre mehrsprachige Konzeption als Gesprächsanlass für die Teilnehmer:innen untereinander sowie mit den Veranstalter:innen des INTERPART Projektteams. Nach der Aktivierung erfolgte eine vertiefende Beteiligung hinter dem Torbogen in einer ebenfalls aus Holz konstruierten Erzählecke, mittels eines Storytelling-Ansatzes (Seydel et al. 2021) (Abbildung 6). In der Erzählecke wurden die Personen gebeten, über ihr Leben in der Nachbarschaft zu erzählen und hatten die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Erzählschwerpunkten auszuwählen. Während des Erzählens kam den Übersetzungsleistungen durch Sprachmittler:innen eine große Bedeutung zu, da sie dafür sorgten, dass sehr persönliche Erfahrungen in vertrauten Sprachen geteilt werden konnten.

Die Graphik 5 zeigt die Erzählecke, in der sich zwei Personen mit Hilfe eines Sprachmittlers austauschen.
Abbildung 6: Interaktion und Übersetzung in der Erzählecke. Foto: Micha Shenbrot.

An dieser Stelle legen wir den Schwerpunkt jedoch auf die beobachteten Interaktionen in Bezug auf Übersetzungsleistungen, die die Teilnehmer:innen und das Projektteam an der Klingelinstallation vollzogen haben. Die KI-basierte Übersetzung der Klingelinstallation sorgte für einen niedrigschwelligen Einstieg in die Beteiligungsexperimente, da Teilnehmer:innen durch die Neugier an den unterschiedlichen Sprachen und die Übersetzungsfehler der Übersetzungssoftware ins Gespräch kamen. Über die verschiedenen Beschreibungen des Stadtteiles kamen die Teilnehmenden in einen Austausch und verweilten dadurch auf den öffentlichen Plätzen, auf denen die Experimente stattfanden. Dadurch konnten zahlreiche Menschen für die tiefergehende und stärker inhaltlich ausgerichtete Beteiligung in der Erzählecke interessiert werden.

Die Interaktionen mit der Klingelinstallation verliefen häufig gemeinsam mit Freund:innen oder Familienmitgliedern. Ein Mädchen probierte die Klingelinstallation aus, holte ihre Mutter dazu und sagte zu ihr: „Mach auf Deutsch Mama, mach auf Deutsch.“ (Beobachtung XII). Beide besprachen dann auf Farsi, welche Sprache sie am Klingelschild nutzen wollen, ein Mitglied des INTERPART-Teams – der ihnen zuvor auf Farsi das Projekt erläutert hatte – stand daneben und die Mutter entschied schließlich: „Das machen wir auf Deutsch.“ (Beobachtung XII). Für uns zeigten sich in dieser Situation zwei gegensätzliche Tendenzen, wie Übersetzungen im Kontext von interkultureller Beteiligung wirken können. Zum einen ist Mehrsprachigkeit ein alltäglicher Bestandteil von gesellschaftlicher Normalität, und Aushandlungen von Differenz werden über verschiedene Sprachen hinweg bis in Familien- und Sorgearrangements sichtbar. Die Möglichkeit der Übersetzung hilft also dabei, interkulturelle Beteiligung inklusiver zu gestalten. Zum anderen kann sprachliche Differenz auch negative Empfindungen produzieren, wenn ein unterschwelliges Bekenntnis zur Amtssprache besteht. Im gerade vorgestellten Beispiel fühlte sich die Mutter eventuell dazu verpflichtet, das Klingelschild auf Deutsch zu nutzen, da Projektverantwortliche neben ihr standen und sie im Rahmen eines öffentlichen Beteiligungsprozesses interagierte. Damit deutet sich die Wirkmächtigkeit von Übersetzungsleistungen als Chance für eine inklusivere Beteiligung an, aber auch als subtiler Zwang, die öffentlich akzeptierte Amtssprache zu nutzen, auch wenn diese beispielsweise nicht die bevorzugte Familiensprache ist.

Übersetzungsleistungen haben neben der Mehrsprachigkeit auch eine besondere Bedeutung für unterschiedliche Alltags- und Fachsprachen. Die Übersetzung moderiert dadurch Aspekte von klassen- alters- oder lebensstilbezogener Differenz in der interkulturellen Beteiligung, die sowohl zivilgesellschaftliche Akteur:innen als auch Verwaltungen betreffen. Dabei versucht Übersetzung Wünsche und Anliegen in mögliche Handlungen für die Stadtentwicklung zu übersetzen. Durch das Zusammenspiel aus Klingelinstallation und Erzählecke konnten die Beteiligungsexperimente in INTERPART ein Setting anbieten, mit dem die Übersetzung von Fach- und Alltagssprachen initiiert werden konnte. Die kurzlebige, spielerische und lebendige Aktivierung mit Hilfe der Klingelinstallation weckte die Aufmerksamkeit von Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen, Alter und Klassenzugehörigkeit. In der Erzählecke konnte dann mit einem kleineren Teil dieser Teilnehmer:innen intensiver gesprochen werden. Übersetzung als ein gemeinsamer Akt der Aushandlung von Verständnis über die Nachbarschaft spielte dabei insbesondere eine Rolle, als Verwaltungsangestellte aus den verwaltungsinternen Projektgruppen mit Teilnehmer:innen in der Erzählecke sprachen. Das Einüben von Übersetzung in einem solchen Setting erleichtert das Verständnis verschiedener Alltags- und Fachsprachen und hilft, Ideen festzuhalten, die in politisch und rechtlich codierbare Handlungswege der Stadtentwicklung überführt werden können. In konkreten Beteiligungsverfahren muss sich dieses räumliche Setting und die damit zusammenhängende Praxis jedoch erst noch bewähren und über den experimentellen Charakter hinausgehen.

Der lebendige Gebrauch der Klingelinstallation zeigte, wie wichtig es ist, Menschen die Möglichkeit zu geben, zu wählen, in welcher Sprache sie sich beteiligen möchten. Auch signalisierte die Klingelinstallation eine einladende wie auch respektvolle Haltung gegenüber Mehrsprachigkeit, indem sie die Möglichkeit bot, die präferierte Erstsprache zu wählen. Sie berührte viele Teilnehmer:innen emotional und bereitete ihnen Freude, in der gewählten Sprache mit der Installation zu kommunizieren. Durch die Möglichkeit der Verwendung der Amtssprache Deutsch konnten die Teilnehmer:innen eine inklusive Beteiligung wahrnehmen, die die Teilhabe an einer normalisierenden Beteiligungspraxis ermöglicht. Inklusion als Normalisierung bezeichnet Mai-Anh Boger in ihrer Theorie der trilemmatischen Inklusion (2017) als Form gesellschaftlicher Teilhabe, die marginalisierten Teilnehmer:innen einen Weg in privilegierte Sprecher:innenpositionen und Institutionen der Stadtentwicklung weist und so eine Normalisierung von diskriminierten Personengruppen anstrebt. Eine normalisierende Beteiligung kann als wenig strukturiert charakterisiert werden und zeigt sich offen für alle Menschen, alle, die die Amtssprache beherrschen. Machtverhältnisse zwischen den Teilnehmer:innen oder eine Reflexion über Ausgrenzungsmechanismen aufgrund von Race, Klasse oder Gender in Bezug auf Sprache oder Übersetzungsbedarf werden jedoch nicht im Voraus verhandelt. In einer solchen Situation artikulieren sich die Teilnehmer:innen in gesellschaftlich gewünschten Amts- oder Fachsprachen und verwenden keine Sprachen, in denen sie sich vielleicht besser ausdrücken können. Damit vermeiden Teilnehmer:innen ein Othering (Ahmed 2012), die Ausgrenzung als Person mit anderen Interessen, gegenüber einer imaginierten, normalen Mehrheitsgesellschaft und werden so ein selbstbestimmter Teil dieser.

Gleichzeitig ermöglicht die KI-basierte Übersetzungsleistung der Klingelinstallation den Teilnehmer:innen weitere Sprachen für die Beteiligung zu verwenden, mit denen sie sich eventuell wohler fühlen oder besser ihr Interesse artikulieren können. Durch Mehrsprachigkeit besteht die Möglichkeit, Teilhabe durch eine empowernde Beteiligungspraxis auszuüben. Diese Inklusion als Empowerment (Boger 2017) ist gesellschaftliche Teilhabe, die von Ausgrenzung betroffene Personengruppen einfordern, in dem sie diskriminierende gesellschaftliche Zustände aufdecken und öffentlich kritisieren. Menschen, die durch Sprachbarrieren in Beteiligungsprozessen marginalisiert werden, erhalten durch Übersetzung die Chance, sich in mehreren Sprachen in Stadtentwicklung einzubringen und ihre eigene Stimme in einem Beteiligungsprozess zu artikulieren. Inklusion als Empowerment wird dadurch erreicht, dass Normalisierung verweigert und Othering durch die Nutzung anderer Alltags-, Fach- und Fremdsprachen in Kauf genommen wird.

Das experimentelle Setting im Rahmen unseres Reallabor-Projektes konnte eine temporäre Kultur der Mehrsprachigkeit in einem Beteiligungsevent auf einem öffentlichen Platz herstellen. Dies zeigt sich anhand der Möglichkeit Teilnehmer:innen für Beteiligung auf verschiedenen Sprachen durch die Klingelinstallation zu aktivieren, und mit ihnen in der Erzählecke tiefergehend über die Nachbarschaft in einen Austausch zu treten. Der gewählte narrative Ansatz ist der Ausgangspunkt, um Ideen und Wünsche aus der Nachbarschaft in konkretere Instrumente der Stadtentwicklung zu übersetzen.

Als weiteres Ergebnis aus unseren Reallabor-Erfahrungen leiten wir ab, dass sich inklusive Beteiligungsevents durch Elemente einer weniger strukturierten Beteiligung für alle und einer empowernden Beteiligung für durch Sprache marginalisierte Personengruppen auszeichnen.

Durch die Gestaltung der Beteiligungsexperimente konnten wir Erfahrungen sammeln, wie Zugangsbarrieren in der Beteiligung in Bezug auf Sprache wirken und durch einen Fokus auf das Übersetzen abgebaut werden können. Dadurch konnte Beteiligung für Personen, die aufgrund ihrer Sprachkenntnisse rassistischer Ausgrenzung – in Form von Othering – ausgesetzt sind, inklusiver gestaltet werden.

Bereits in dem schon erwähnten Aufsatz von 1946 stellt Lewin fest: Die Ergebnisse unserer Reallabore diskutierten wir in verschiedenen analogen und digitalen Workshop- und Dialogformaten mit Mitarbeiter:innen der lokalen Verwaltungen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, um transformatives Wissen, in den Verwaltungen zu verankern. So wurde beispielsweise gemeinsam mit Expert:innen aus Planungs- und Integrationsbehörden eine Strategie zur Verknüpfung bestehender Partizipations- und Integrationsrichtlinien entwickelt. In Leitlinien für Bürgerbeteiligung wurden Kriterien zur interkulturellen Öffnung aufgenommen, zum Beispiel die systematische Verankerung einer barrierefreien Beteiligung für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, die Bereitstellung entsprechender finanzieller und personeller Ressourcen sowie die systematische Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen.

Mit Wem für Wen übersetzen? Die Rolle von Übersetzungen im Projektteam

Im Rahmen des transdisziplinären Forschens spielte zuerst die gegenseitige Übersetzungsleistung innerhalb des Projektteams eine wichtige Rolle, damit in der Konzeption und Planung ebenso wie in Analysen und Ergebnissen eine gemeinsame Sprache zwischen Beteiligungspraxis und Wissenschaft gefunden werden konnte. Denn in einem Reallabor-Kernteam kommen jeweils eigene wissenschaftliche oder fachspezifische Kulturen, Sprachen und Methoden zum Ausdruck. Fachliche Ergebnisse werden an unterschiedlichen Orten angewandt oder veröffentlicht beziehungsweise in separaten Foren diskutiert. Die Kommunikationsbarrieren sind umso höher, wenn sich die Interaktion nicht auf benachbarte oder bekannte Arbeitsweisen und Methoden beschränkt (Autor*innenkollektiv INTERPART 2021). Mediator:innen und Übersetzer:innen, die die gemeinsame Wissensproduktion über epistemische Grenzen hinweg organisieren, werden in der Reallaborforschung idealtypisch als Knowledge Broker bezeichnet (Huning et al. 2021).

Zweifelsohne ist dabei eine der größten Herausforderungen die Kommunikation, denn es müssen permanent Abstimmungs- und Übersetzungsleistungen erbracht werden (Autor*innen-Kollektiv INTERPART 2021).

In Reallaboren bestimmt die Kommunikation die Arbeitskultur und das Arbeitsklima innerhalb des Projekts, die externe Projektwahrnehmung und das Verständnis der Aufgabenstellung. Sie betrifft darüber hinaus die partizipative Einbindung und die Selbstpositionierung der Ko-Forscher:innen aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die sich am Prozess beteiligen.

Kommunikation und Übersetzung sind die Basis für gelungenen Austausch und haben damit erheblichen Einfluss auf das transformative Potenzial des Forschungsprozesses, sprich: ob die Erfahrungen und Erkenntnisse für Wissenschaft, Stadtgesellschaft und Verwaltung nutzbar gemacht werden können. Reallabore setzen damit die Fähigkeit zur Übersetzungsleistung und zum Perspektivwechsel ebenso voraus wie die Bereitschaft, das Potenzial beziehungsweise die Ergebnisse nicht nur in ihrer Relevanz für das eigene Tätigkeitsfeld, sondern auch mit Blick auf das gesamte Team zu erkennen. Diese Schnittstellen bieten gerade eine besondere Chance, innovative und transformative Erkenntnisse zu gewinnen.

Ein Plädoyer für das Übersetzen

In INTERPART war es bereits zu Beginn des Forschungsprozesses wichtig zu verstehen, wie die Bewohner:innen ihre Nachbarschaft wahrnehmen, warum sich viele Menschen nicht an Diskussionen über Stadtentwicklung beteiligen und mit welchen Beteiligungsbarrieren sie sich konfrontiert sehen. In Forschungsprojekten, die den Ansatz des Reallabors verfolgen, eignet sich das Erzählen, um Beteiligungsbarrieren in der Stadtentwicklung abzubauen. Geschichten über Orte zu sammeln ermöglicht Ko-Forscher:innen, persönlichen Bezügen zu diesen Orten auf die Spur zu kommen und Stadtnutzer:innen bei der Entwicklung eigener Ideen und Veränderungswünsche zur Seite zu stehen.

Im Laufe des Prozesses hat sich herausgestellt, dass Übersetzungsleistungen einen zentralen Aspekt einnehmen:

Die unterschiedlichen Logiken der beteiligten akademischen Disziplinen wie auch der Praxispartner:innen aufeinander beziehen zu können, ist Grundvoraussetzung, um gemeinsam neues, gesellschaftsrelevantes Wissen zu generieren.

Permanente Abstimmungs- und Übersetzungsleistungen im Reallabor sind daher unumgänglich für die Realisierung transformativer Forschung zwischen Wissenschaft, Stadtgesellschaft und Verwaltung (Autor*innen-Kollektiv INTERPART 2021).

Kommunikation und Aushandlung bestimmen die Arbeitskultur innerhalb des Projekts, die externe Projektwahrnehmung und das Verständnis der Aufgabenstellung. Außerdem wird sowohl die partizipative Einbindung von Stadtnutzer:innen als auch die Selbstpositionierung der Ko-Forscher:innen aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die sich am Prozess beteiligen, moderiert. Übersetzung findet dabei auf mehreren Ebenen statt: Geht es um die Einbindung von diversen Stadtnutzer:innen und migrantischen Perspektiven, sind Möglichkeiten der Übersetzung erforderlich – insbesondere dort, wo mangelnde Sprachkenntnisse zur Beteiligungsbarriere werden. Dies ist zum Beispiel durch mehrsprachiges Personal, Sprachmittler:innen oder interaktive Systeme, die durch künstliche Intelligenz gestützt sind, realisierbar. Darüber hinaus sollten Veranstalter:innen in der Lage sein, fachspezifische und komplexe Zusammenhänge sowohl für Menschen mit unterschiedlichen Bildungstiteln als auch für Menschen mit weniger ausgeprägter Eloquenz aufzubereiten. Hilfreich können dabei Visualisierungen von Informationen sein und das Arbeiten mit Symbolen, Illustrationen sowie Objekten und Materialien in spielerischen und experimentellen Formaten.

Die Sensibilisierung für das Potential von Übersetzungen, die Reflexion über und die Anwendung von Übersetzungen hilft dabei, interkulturelle Beteiligung in der Stadtentwicklung inklusiver zu gestalten. Worte werden nicht einfach als leere Vokabeln gesammelt, sondern Ideen, Wünsche, Wertvorstellungen und Wissensbestände von Stadtnutzer:innen sichtbargemacht und mit Wissenschaftler:innen sowie Verwaltungsangestellten geteilt. Die Klingelinstallation und die Erzählecke zeigen, dass durch Artefakte und die Arbeit mit Sprachmittler:innen beziehungsweise verschiedenen Interviewer:innen Übersetzungsleistungen die gemeinsame Aushandlung von Verständnis über eine Nachbarschaft anstoßen, die als Grundlage für transformative Stadtentwicklung dienen kann. Außerdem wird die Übersetzung zwischen verschiedenen Projektbeteiligten über eine rein sprachliche Dimensionen hinaus befördert, In dem auch Konzepte und Ideen erklärt und verhandelt werden.

Reallabore erzeugen einen permanenten Übersetzungsbedarf, sowohl in den transdisziplinären Projektteams als auch im partizipativen Forschen. Eine transparente Übersetzung von Logiken, Zeitschienen, Ressourcen, Interessen und Erwartungen ist daher wichtig, aber nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Es braucht Offenheit, Geduld und Flexibilität. Im Anschluss an experimentelle Formate besteht der Bedarf, gemeinsam mit Praxispartner:innen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft Strategien zu finden, um Beteiligungspraktiken, die in experimentellen Settings erfolgreich waren auf konkrete informelle Beteiligungsprojekte zu übertragen. Dies bedeutet auch, Lernprozesse für Planer:innen zu ermöglichen, die – neben einem stärkeren Fokus auf die räumliche Gestaltung von Beteiligung – für ein Verständnis von Übersetzungsleistungen und die Anwendung von Erzählformaten sensibilisieren. Damit einher geht, dass für die Konzeption und Durchführung interkultureller Beteiligung mehr Zeit und Ressourcen für Übersetzungsleistungen eingeplant werden.

About the author(s)

Robert Barbarino arbeitet am Fachbereich International Planning Studies der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund. Er promoviert zum Thema Migration und partizipative Stadtentwicklung in der Arbeitsgruppe für Angewandte Geographie und Raumplanung der Humboldt-Universität zu Berlin.

Robert Barbarino is part of the Research Group International Planning Studies at the Department of Spatial Planning, TU Dortmund University. He is doing his PhD on migration and participatory urban development at the Working Group Applied Geography and Spatial Planning at Humboldt University of Berlin.

Bianca Herlo, Dr., ist Designforscherin an der Universität der Künste Berlin und leitet die Forschungsgruppe Ungleichheit und digitale Souveränität am Berliner Weizenbaum-Institut. Seit 2021 ist sie Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF).

Bianca Herlo, Dr., is a designer, researcher and lecturer at the Berlin University of the Arts and leads the research group Inequality and Digital Sovereignty at the Berlin Weizenbaum Institute. She has been chair of the German Society for Design Theory and Research (DGTF) since 2021.

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