Published 31.05.2022

Sozialraumgestaltung

Perspektiven auf Souveränitätskonzepte Design- und innovationsorientierte Transformation urbaner Räume

Social Space Design

Design- and Innovation-Oriented Transformation of Urban Spaces

Keywords: Sozialraum; Transformation; Social Design; Innovation; social space; transformation; social design; innovation

Abstract:

Als transformativer Forschungs- und Gestaltungsansatz beschäftigt sich Sozialraumgestaltung mit Segregations- und Exklusionstendenzen im städtischen Miteinander. Dieser rückt die soziale Gestaltbarkeit urbaner Räume in den Mittelpunkt und kombiniert die kollaborative Arbeit mit einer Vielzahl von Akteur:innen mit der kontinuierlichen und multidimensionalen Beobachtung und Reflexion von Veränderungen im sozialen Gefüge. In diesen experimentell angelegten Prozessen kollaborativen Stadtmachens wird auf systemische Transformationen städtischer Raumproduktion hingewirkt. Dabei wird die Intention verfolgt, dass zukünftig Sozialräume koproduktiv und inklusiv gestaltet werden. Der vorliegende Beitrag kombiniert die konzeptionelle Darstellung von Sozialraumgestaltung mit einer theoretischen Kontextualisierung und institutionellen Verortung dieser Arbeit. Anschließend gibt die Darstellung eines exemplarischen Teilprojekts Einblick in die operative Arbeit eines laufenden, umfangreich angelegten Projekts der Sozialraumgestaltung.

As a transformative research and design approach, social space design deals with segregation and exclusion tendencies in urban interaction. It focuses on the social formability of urban spaces and combines collaborative work with a multitude of actors with the continuous and multidimensional observation and reflection of changes in the social fabric. In these experimentally designed processes of collaborative city-making, it is systemic transformations of urban space production that are worked towards. The intention is that social spaces in the future are designed in a coproductive and inclusive way. This article combines the conceptual presentation of social space design with a theoretical contextualization and institutional location of this work. Subsequently, the presentation of an exemplary sub-project provides insight into the operative work of an ongoing, larger-scale project of social space design.

Urbaner Segregation mit kollaborativer Sozialraumgestaltung begegnen

Mit der Sozialraumgestaltung wird forschend und transformativ daran gearbeitet, Segregations- und Exklusionstendenzen im Zusammenleben in der Stadt entgegenzuwirken. Damit soll ein Beitrag dazu geleistet werden, dass Städte offene und inklusive Orte für ihre immer diversere Bewohner:innenschaft bleiben oder werden. Sozialraumgestaltung bezeichnet dabei eine Bearbeitungsstrategie, die das social design lab der Hans Sauer Stiftung gegenwärtig zusammen mit dem Berliner Sozialunternehmen morethanshelters in einem Forschungsprojekt in Stuttgart entwickelt. Diese setzt auf die partizipative Gestaltung von offenen und inklusiven Interaktionsräumen in Stadtquartieren und rückt die Gestaltbarkeit solcher urbanen Räume durch menschliches Handeln und Interagieren in den Mittelpunkt eines transformativen Ansatzes.

Eine kontinuierliche, multidimensionale Beobachtung und Reflexion von Wirkungen und Nebenwirkungen der Arbeit vor Ort eröffnet einen strategischen und produktiven Umgang mit den Komplexitäten, Dynamiken und Kontingenzen solcher Prozesse der sozialen Raumproduktion.

Der vorliegende Beitrag führt zunächst in das Konzept der Sozialraumgestaltung ein und kontextualisiert dieses zwischen Gestaltung, Forschung und Transformationsorientierung. In einem zweiten Teil wird anhand eines Beispiels aus einem Forschungsprojekt in Stuttgart Einblicke in die operative Umsetzung der Sozialraumgestaltung gegeben.

Konzept der Sozialraumgestaltung

Städte bieten ihren Bewohner:innen zahllose Möglichkeiten der Begegnung, der Interaktion, des temporären und/ oder dauerhaften Miteinanders (Rolshoven 2021; Kogler und Hamedinger 2021). Diese Möglichkeiten resultieren aus ihrer hohen Dichte, ihren vielfältigen Angeboten und aus den Räumen, die sie für ein solches Miteinander ihrer Bewohner:innen bieten. In der Sozialraumgestaltung sind es die sozialen Räume, die fortlaufend durch die Praktiken, Handlungen und Aushandlungsprozesse ihrer Bewohner:innen hervorgebracht werden, denen besondere Bedeutung und besonderes Potenzial zugeschrieben wird (Oßenbrügge und Vogelpohl 2014; Berding 2020: 99). Gemeint ist hier der gelebte (Stadt-)Raum, ein relationales, oft nur temporäres und fluides Geflecht von Stadtbewohner:innen und sozialen Gütern.

Dieser Fokus negiert oder vernachlässigt weder andere raumprägende Faktoren wie etwa ökonomische, rechtliche oder kulturelle, noch die überlokalen Verflechtungen von Stadträumen; vielmehr werden in einem multidimensionalen Raumverständnis besondere Akzente auf die raumbildenden Vor-Ort-Interaktionen der Bewohner:innen gelegt. Und das mit einer transformativen Intention: Wenn der soziale Raum der Stadt wesentlich ein „ständig reproduziertes Gewebe sozialer Praktiken“ ist (Kessl und Reutlinger 2010: 12; Kessl und Reutlinger 2019), wie lässt sich dieses Gewebe kollaborativ und gestaltend verändern? Und wie kann es zum Ausgangspunkt und Katalysator von Transformationsprozessen werden, die Sozialräume dauerhaft mit bestimmten Qualitäten und Zugänglichkeiten versehen?

Zur Bearbeitung dieser Fragen setzt die Sozialraumgestaltung auf Methoden der partizipativen Gestaltung über soziale und sektorale Grenzen hinweg sowie eine möglichst breite und systematische Teilhabe städtischer Akteur:innen und Bewohner:innen. Dabei verbindet Sozialraumgestaltung Forschung mit kollaborativer Gestaltung zu Transformationsprozessen. Das heißt, dass in einer experimentellen Herangehensweise neue Formate und Wege sozialräumlicher Gestaltung gesucht, erprobt und wissenschaftlich-analytisch reflektiert werden. Ein besseres Verständnis der Möglichkeiten, aber auch der Herausforderungen dieses Ansatzes soll die Grundlage für die Initiierung langfristiger und systemischer Veränderungsprozesse dienen.

Partizipative Gestaltung inklusiver Interaktionsräume

Das eher konstruktivistische und stark handlungsbasierte Raumverständnis von Sozialraumgestaltung eröffnet Potenziale, Räume als sozial gemacht und damit veränderbar oder sogar machbar zu denken und zu behandeln. Das eröffnet neue Möglichkeiten der Gestaltung. Gleichzeitig ist dieser sozialen Dimension von Raum insbesondere mit Blick auf die Themen Integration und Inklusion hohes transformatives Potenzial zuzuschreiben

In der Forschung und auch in der explorativen Projektarbeit im Quartier wurde der Mangel an inklusiven städtischen (Nah-)Räumen als besonderes Defizit sichtbar.

Darüber hinaus beschränken zunehmende soziale Ungleichheiten sowie eine Ökonomisierung und Kommodifizierung von Stadtentwicklung die Offenheit und Inklusivität von städtischen Räumen weiter, dazu kommen andere Mechanismen der Exklusion und Benachteiligung entlang rassistischer und intersektional diskriminierender Muster (Scambor und Zimmer 2012; Geiden et al. 2017; Krusche et al. 2021). In Konfrontation mit und aus der Erforschung solcher Tendenzen der städtischen Segregation beziehungsweise der anhaltenden Nicht-Integration neu angekommener und neu ankommender Stadtbewohner:innen wurden besondere Transformationsbedarfe sichtbar. Städte bieten zunehmend ungleiche oder auch zu wenige Möglichkeiten der Beteiligung beziehungsweise der Teilhabe am vielfältigen Leben der Stadt: Dem Ideal und Potenzial der Inklusionsmaschine Stadt stehen immer mehr die Realitäten einer Segregationsmaschine entgegen (Benze und Rummel 2020; Bernt 2021).

Neuankommende waren in den migrationsgesellschaftlichen Realitäten der vergangenen Jahrzehnte von solchen Ausschlüssen und limitierten Zugänglichkeiten oft am dramatischsten und unmittelbarsten konfrontiert. In vielen Dimensionen waren und sind sie sogar von Möglichkeiten einer urbanen Vergesellschaftung formal oder aber de facto ausgeschlossen (Farwick 2012; Müller 2012; Helbig und Jähnen 2018; van Haam et al. 2021; Anhorn und Stehr 2021). Solche am Beispiel von Bewohner:innen von Sammelunterkünften drastisch beobachtbaren systemischen Defizite haben das social design lab – als Labor für gesellschaftliche Transformationsprozesse – zu einer Auseinandersetzung mit der anhaltenden Nicht-Integration und Nicht-Teilhabe von Geflüchteten an vielen Dimensionen des städtischen Zusammenlebens veranlasst.

Das heißt, der Weg zur Sozialraumgestaltung als ein Ansatz des social design lab hat über eine anwaltschaftliche Rolle für Gruppen geführt, für die sich in der explorativen Projektarbeit Barrieren und Zugangshürden zu Interaktions- und Möglichkeitsräumen der Stadt offenbart haben (Urban-Stahl 2018). Dadurch rückte immer mehr die alltagsweltliche, nachbarschaftliche und nahräumliche Dimension von Integration in den Blick, die sich im Vergleich zu anderen Integrationsfeldern wie Bildung und Arbeitsmarkt unterentwickelt zeigte. Das hat dazu geführt, Ideen und Konzepte zu entwickeln, wie dieser Teil des städtischen (Zusammen-)Lebens gemacht beziehungsweise aktiv gestaltet werden kann.

In der Folge wurde versucht, solche Ausschlussmechanismen durch partizipative Gestaltungsprozesse zu überwinden. Dabei galt es, Wissen und Erfahrungen zum Beispiel der Inklusionsforschung aufzunehmen. Da sich durch Interaktion Abgrenzung und Behinderungspraxen nicht nur abbauen, sondern auch verstärken, wird in der Sozialraumgestaltung auf die Art und Weise, wie solche Interaktionsräume geschaffen und neu verhandelt werden, besonderes Augenmerk gelegt. Sozialraumgestaltung richtet sich deshalb nicht an eine oder mehrere Zielgruppen, sondern versucht, „unterschiedliche Menschen und Gruppen aus ihren gewohnten Lebensumfeldern herauszulösen und auf Basis gemeinsamer Interessen und Aktivitäten in Kontakt zu bringen“ (Wiesemann 2019: 9). Dieser Ansatz, eng mit dem Communities of Practice-Konzept von Wenger verwandt, ist auch in der Sozialraumgestaltung essenziell, da die Arbeit mit Zielgruppen Zuschreibungen des Andersseins bestätigen, wenn nicht sogar verstärken kann (Wenger et al.; Trescher und Hauck 2020). In der Sozialraumgestaltung liegt der Fokus auf einer interessens- und talentbasierten Gestaltung von Interaktionsräumen. Ziel sind urbane Handlungs- und Praxisgemeinschaften, bei denen sich Teilhabe nicht über Herkunft, Rechtsstatus, Gruppenzugehörigkeit oder andere Zuschreibungen definiert. Der Versuch diese, durchaus geläufigen Muster zu überwinden, bildet in der Praxis allerdings auch immer wieder eine Hürde zum Beispiel beim Aufbau von Kooperationen, aber auch in der Ansprache und Benennung sogenannter Zielgruppen. Darüber hinaus muss im Prozess immer wieder austariert werden, wann und in welchem Umfang marginalisierte Gruppen besondere Unterstützung brauchen, um gleichermaßen an Aktivitäten teilhaben zu können. Diese Vorgehensweisen müssen situativ bewertet und immer wieder neu reflektiert werden.

Mit Blick auf die Inklusionsagenda des Pilotprojekts in Stuttgart ist ein damit verbundener Transformationsanspruch, Barrieren der Sozialraumzugänglichkeit abzubauen und im Prozess gewissermaßen postmigrantische und inklusive Sozialräume zu schaffen. In deren Gestaltung gehen unabdingbar auch die Bedürfnisse, Interessen sowie das Erfahrungs- und Praxiswissen von oft ungenügend beteiligten Gruppen ein. Dabei wird nicht davon ausgegangen, dass eine im Rahmen der Projektarbeit erreichte episodische und temporäre Aufhebung rassistischen oder segregierenden Ausschlusses bereits als Veränderung zu werten ist. Vielmehr ist Sozialraumgestaltung ist als stetiger Prozess der Aushandlung zwischen verschiedenen Interessen und Machtpositionen zu verstehen. Durch kollaborative Arbeitsformen werden allerdings – und das ist eine der Thesen der Sozialraumgestaltung – eine Überwindung soziokultureller Barrieren, sowie die Entstehung neuer Solidaritätsbeziehungen und damit auch neuer Muster urbaner Raumproduktion möglich.

Transformative (Stadt-)Forschung

Sozialraumgestaltung bearbeitet Themen der Stadtentwicklung mit einem transformativen Forschungsanspruch, der sich auf unterschiedliche Art und Weise ausdrückt: Zum einen durch eine multidisziplinäre und multiprofessionelle Referenz auf Wissensbestände verschiedener Disziplinen und Praxisbereiche, reichend von den Sozialwissenschaften über Praxisfelder wie die Soziale Arbeit bis hin zu gestaltenden und planerischen Disziplinen. Damit in Zusammenhang steht der Bezug zu einer transdisziplinären beziehungsweise transformativen Orientierung von Forschung, das heißt einer Verschränkung von Forschung und Praxis, immer mit einer Veränderungsintention an den großen gesellschaftlichen Herausforderungen arbeitend (Wissenschaftsrat 2015; Defila und Di Giulio 2018; Schleicher 2021). Mit Blick auf die Stadt kumulieren diese Tendenzen in einer Interdisziplinären Stadtforschung, die darüber hinaus auf die bedeutende politisch-strategische Rolle von Städten bei der Bewältigung dieser Herausforderungen Bezug nimmt (Kogler und Hamedinger 2021).

Noch mehr als diese Orientierung an einer breiten Palette von Fachwissensbeständen kennzeichnet eine explorative und suchende Haltung den Forschungsanspruch von Sozialraumgestaltung: Ein Modus des ergebnisoffenen und experimentellen Arbeitens, mit dem nicht nur neues Wissen, sondern auch Lösungen sowie überhaupt neue kommunikative und prozessuale Formen des Stadtmachens gefunden und etabliert werden können. Das heißt, es geht um eine transdisziplinäre, Wissenschaft und Praxis integrierende Produktion von Wissen und dessen Anwendung und Erprobung in experimentellen, gleichzeitig realen Settings. Hier gibt es eine konzeptionelle und auch praktische Nähe zum Konzept der Realexperimente und Reallabore, das auch in der Stadtforschung und Stadtentwicklung immer mehr Verbreitung findet (Schneidewind und Scheck 2013; Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur 2018; Libbe und Marg 2021; Parodi und Steglich 2021). Allerdings folgt die Sozialraumgestaltung nicht etablierten Ansätzen zum Beispiel der Projektplanung, sondern geht ergebnisoffen und zyklisch vor und legt einen großen Wert auf Iterationsschleifen. Dadurch gelingt eine fortwährende Anpassung an die Dynamiken des jeweiligen Projektkontextes sowie der direkte Einbezug neu gewonnener Erkenntnisse. Zu dieser Art von Forschen passen auch immer wieder Methoden und Herangehensweisen, die dem Design oder Urban Design entlehnt sind und auf situative und partizipative Formen von Forschung setzen (Stickdorn et al. 2018; Giseke et al. 2020).

Darüber hinaus ist für den Forschungsanspruch eine reflexive-analytische Arbeitsweise von großer Bedeutung.

Die Beobachtung dessen, wie sich das soziale Gefüge verändert und durch die Aktivitäten des social design lab beeinflusst wird, trägt einen Großteil zur Wissensbildung bei.

Hier bewegt sich Sozialraumgestaltung im Bereich des noch jungen Feldes der Wirkungsbeobachtung transformativer Forschungsarbeit und formuliert dazu eigene Ansätze (Schäfer und Lux 2020; Schönfeld 2020). Im social design lab werden somit kontinuierlich Methoden und Werkzeuge (weiter-)entwickelt, die ganz konkret in einer dichten und quasi-realzeitlichen Prozessbeobachtung und Wirkungsanalyse zum Ausdruck kommen. Hierbei werden in der Projektpraxis kontinuierlich qualitative Wirkungsbeobachtungen in sogenannten Wirkungspartikeln festgehalten. Diese werden anhand des Dreiklangs Input, Output und Outcome erfasst und in Bezug zu übergeordneten Kategorien und projektspezifischen Zielformulierungen gesetzt. Ergänzt werden diese Partikel durch Ergebnisse von Umfragen oder partizipativer Formen der Wirkungsbeobachtung. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen im Rahmen zweiwöchiger Reflexionsformate in die taktische Ausrichtung des Projektes ein. In längeren Zyklen werden basierend auf diesen Daten qualitative Rückschlüsse auf Strategien und Ziele gezogen. Dies vollzieht sich im Rahmen einer datenbasierten, strukturierten Reflexion der beobachteten Wirkungen. An der Systematisierung und Verfeinerung dieser Methoden und weiterführenden Auswertungsmustern wird aktuell im social design lab gearbeitet, eine prototypische Erprobung der Vorgehensweise hat sich jedoch bereits als sehr sinnvoll, wenn auch als zeitintensiv erwiesen. Herausfordernd ist zum Beispiel die Erfassung langfristiger Wirkungen, welche sich nicht auf konkrete Situationen beziehen und durch eine Verkettung mehrerer Ereignisse entstehen.

Systemisch orientierter Wandel

Diese Herangehensweisen und Bearbeitungsformen sind durch Projektziele und -ansprüche verknüpft, die über die Durchführung von Einzelprojekten oder die Erarbeitung neuen Wissens hinausgehen: die des gesellschaftlichen Wandels, der Transformation. Aufbauend auf der Projektpraxis ist es das Ziel, systemische Zusammenhänge, die bei der gegenwärtigen Entstehung oder Nichtentstehung von Sozialräumen wirken, gestaltend zu verändern. In einem Zusammenspiel zwischen Machen und Forschen wird auf Transformationen, auf das „Verändern“ hingewirkt. Entsprechend wird der jeweilige Projektkontext als ein systemisches Gefüge verstanden, in das Sozialraumgestaltung transformativ, das heißt systemverändernd, einwirken will. Zwar überlagern sich in diesem Gefüge aus raumprägenden Faktoren lokale, nationale und auch internationale Einflussgrößen und Zuständigkeiten. In der Stadtforschung besteht aber weitgehender Konsens, dass zum Beispiel im politisch-administrativen Mehrebenensystem der kommunalen Ebene so viel eigenes Gewicht zukommt, dass in vielen Handlungsfeldern – etwa der Integrationspolitik – eigene Agenden und Governanceformen verfolgt werden (Gesemann und Roth 2018).

Intention von Sozialraumgestaltung ist, dass sich infolge erfolgreicher Transformationen neue, im Sinne inklusiver Sozialräume positiv wirksame Systemzustände etablieren. Diese zeichnet aus, dass sich Werte, Routinen, Paradigmen, Infrastrukturen, Ressourcenströme und mithin auch Machtverhältnisse verändert und stabilisiert haben. Das kann beispielweise die Form annehmen, dass sich die administrativ-politische Ebene von Raumproduktion transformiert hat. Im Bereich von Stadtpolitik werden solche lokal variierenden, systemischen Gefüge auch als Urban Governance oder Urban Regimes thematisiert und analysiert (Bernt 2019). Im Unterschied zur traditionellen Stadtplanung betonen diese Ansätze eine verstärkte ressortübergreifende Kooperation, eine Fokussierung auf kleinräumliche Gebietseinheiten sowie den verstärkten Einbezug von Bewohner:innen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen in die Planung und Umsetzung von Maßnahmen, so zum Beispiel in der Quartiersentwicklung (Schmidt 2014). Ein Ergebnis von Sozialraumgestaltung kann sein, dass sich solche Governance-Strukturen der urbanen Raumproduktion in Richtung neuer partizipativer und kollaborativer Formen von Stadtentwicklung entwickelt haben, was mit Blick auf die Schaffung inklusiver Sozialräume ein wichtiger Baustein eines veränderten Systemzustands sein kann.

Dabei folgt Sozialraumgestaltung einem Wirkungsansatz, der davon ausgeht, dass für Transformationen dieser Art auf unterschiedlichen Ebenen Veränderungen erreicht werden müssen, damit temporäre Projektkonstellationen sich zu dauerhaften Arrangements, verändertem Regelhandeln und neuen Systemzuständen verfestigen können. Inwieweit sich beispielsweise solche „experimentellen, kollaborativen und ortsbasierten Governance-Ansätze“ durchsetzen (Hölscher und Frantzeskaki 2021:2), inwieweit neuartige lokale Netzwerke, Interaktionsmuster und Handlungsgemeinschaften stabilisiert und zu festen Größen der Stadtentwicklung werden können, ist eine offene, auch von der Sozialraumgestaltung noch zu beantwortende Frage (Diehl 2020).

Solche über den lokalen Projektkontext hinausgehenden Transformationsintentionen werden in der Sozialraumgestaltung im Prozess angelegt, indem ein sektor-, ressort- und gruppenübergreifendes Arbeiten im Feld nicht nur praktiziert, sondern über eine auch strategische Beteiligungs- und Prozessstruktur transformativ angelegt wird. Das heißt, dass in der Feldarbeit vorgelagert explorative Forschungsphasen Systemwissen über Akteur:innen, Institutionen, Regulierung und prägende (Fach-)Diskurse recherchiert und gesammelt wird. Auf dieser Grundlage fließen strategische Überlegungen wie die Einbindung von Schlüsselakteur:innen und Multiplikator:innen in die Prozessgestaltung und das Beteiligungsdesign mit ein.

Sozialraumgestaltung im social design lab

Die Hans Sauer Stiftung fördert Innovationen mit gesellschaftlichem Nutzen sowie die Entwicklung dafür notwendigen Wissens und entsprechender Kompetenzen. Dazu ist die Stiftung in der jüngsten Zeit verstärkt dazu übergegangen, eigene operative Forschungsprojekte zu initiieren, zusammen mit Partner:innen neue Ansätze zu entwickeln und zu erproben und die Erfahrungen und Erkenntnisse daraus allgemein verfügbar zu machen. Für diese verstärkt operative Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforderungen hat die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Berliner Sozialunternehmen morethanshelters eine eigene, agenturähnliche Struktur, das social design lab geschaffen. Unter dem Dach dieses Laboratoriums für gesellschaftliche Transformationsprozesse arbeiten verschiedene, multidisziplinäre Projektteams an der Initiierung und Gestaltung von Projekten unterschiedlicher thematischer Ausrichtung, so auch zum Themenschwerpunkt Sozialraumgestaltung.

Durch seine gemeinnützige und nicht an sektorale Logiken gebundene Position kann das social design lab die Rolle eines Intermediärs einnehmen und durch neue Kollaborationen die Handlungs- und Wirkungsspielräume etablierter Akteur:innen aus Stadtentwicklung, Politik, Verwaltung und Wirtschaft erweitern. Nach Beck (2021a) können Intermediäre Impulse für Innovationen geben, die die dafür notwendige vermittelnde Rolle einnehmen und über Netzwerke, Debatten und Projekte zur Koproduktion von Stadträumen beitragen. Sie agieren als „Pioniere einer neuen Variante von Urban Governance (…) zwischen den formellen, reglementierten und rechtlich gerahmten Verfahren des Urban Governments und Kooperationsstrukturen, die in weiten Teilen noch informeller Natur sind“ (Beck 2021b: 2). Eine solche Rolle ermöglicht es dem social design lab über verschiedene Silos hinweg neue Kollaborationen aufzubauen und Netzwerke zu knüpfen, die einen Einbezug verschiedener Perspektiven in die Gestaltung von Sozialräumen möglich machen. Intermediäre Rollen sind aus der Perspektive des social design lab für die Bearbeitung komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen besonders geeignet, weil sie die notwendigen Prozesse gestalten können, aus denen neue, kreative Lösungen entstehen, die viele Wissensformen, fachliche, praktische und alltägliche, koproduktiv einbeziehen. Gleichzeitig ist die Labarbeit, die mit keinem rechtlichen oder politischen Mandat ausgestattet ist, auf die Akzeptanz als Kooperationspartner und ein entsprechendes Vertrauen stadtpolitischer, zivilgesellschaftlicher und für den jeweiligen Kontext relevanter Akteure angewiesen, da nur diese wiederum die informellen und formellen Handlungsspielräume intermediärer Akteure vergrößern.

Zum speziellen Verständnis dieser intermediären Rolle gehört in der Arbeit des social design lab ein mehrdimensionaler Wirkungs- und Transformationsansatz, der auf konkrete Veränderungen in vier Ebenen (individuell, sozial, materiell und strukturell) der jeweiligen sozialen Realitäten – im vorliegenden Fall der sozialräumlichen Situation – abzielt. Die Differenzierung erfolgt in die individuelle Ebene der Beteiligten über die soziale Ebene der Interaktionen, Beziehungen und Organisationen, die materielle der Ressourcen und Infrastrukturen bis hin zur strukturellen Ebene der Regeln, Diskurse und Machtverhältnisse.

In einer Tabelle werden die Wirkungsebenen und dazugehörige Kategorien dargestellt. Individuelle Ebene: Verhalten, Praktiken und Routinen, Bewusstsein und Haltungen, Fertigkeiten und Wissen. Soziale Ebene: Beziehungen, Organisation. Materielle Ebene: Ressourcen, Infrastrukturen. Strukturelle Ebene: Diskurse, Governance und Steuerungsformen, Regeln und Gesetze.
Abbildung 1: Wirkungsebenen des social lab. Quelle: social design lab.

Sie ist methodischer Teil des Versuchs, sich durch Systematisierung der Komplexität gesellschaftlicher Wirklichkeiten anzunähern. Ein wesentlicher theoretisch-konzeptioneller wie auch praktischer Bestandteil des Lab-Ansatzes ist dabei die kontinuierliche und dichte Beobachtung, Dokumentation und Reflexion von Wirkungen – und damit auch der transformativen Potenziale – entlang der oben genannten Ebenen (individuell, sozial, materiell und strukturell). Diese Form einer realzeitlichen Wirkungsbeobachtung und -messung ermöglicht es, kontinuierlich neue Erkenntnisse aus der operativen Arbeit zu gewinnen und den angestoßenen Transformationsprozess wirkungsvoll dynamischen Situationen anzupassen und damit immer wieder zu iterieren. Dies erlaubt es, das Zusammenspiel verschiedener Wirkungsweisen zu verstehen und dabei die Transformation gesamter Systeme im Blick zu behalten beziehungsweise, überhaupt in den Blick zu bekommen. Dieser Vorgehensweise liegt das Verständnis zugrunde, dass für eine Transformation Veränderungen in allen Ebenen stattfinden müssen. Deren zeitliche und strategische Abfolge – je nach Situation vor Ort kann es auch einen temporären Fokus auf nur eine Ebene geben – variiert. Im Sinne einer ergebnisoffenen, an veränderten Lagen orientierten und ständig iterierten Vorgehensweise ist das sogar eine wichtige Voraussetzung.

Der Ansatz des Labs schafft in Kombination mit der Rolle eines intermediären Akteurs Möglichkeitsräume für transdisziplinäre Akteurskonstellationen und transformationsorientierte Herangehensweisen. In der Sozialraumgestaltung wird dafür über mehrere Jahre hinweg vor Ort gearbeitet. Die Wirkungen dieser Arbeit werden dabei kontinuierlich beobachtet und reflektiert. Mit dem damit gewonnenen lokalspezifischen Wissen und dem Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen zu unterschiedlichen Partner:innen werden immer wieder Aktivitäten initiiert, die versuchen, an den entscheidenden Hebelpunkten ansetzen, um gesellschaftliche Transformationen anzustoßen.

In der praktischen Projektarbeit verschwimmen dabei die Grenzen zwischen gestaltenden und forschenden Aktivitäten.

Da gestalterische Aktivitäten Sichtbarkeiten erzeugen und damit bei Akteuren aus dem Sozialraum oftmals ein höheres Interesse hervorrufen, ermöglicht dieses Verschwimmen eine aktivere Involvierung von Akteuren in den gesamten Prozess. Gleichzeitig liegt in dieser Unschärfe die Gefahr, dass sich in Bezug auf die Definition und Perzeption der eigenen Rolle und damit einhergehenden Erwartungen, Unklarheiten und auch Missverständnisse ergeben. Bezüglich des gesamten Transformationsprozesses werden außerdem für Teilprojekte unterschiedliche Gewichtungen und Ziele gesetzt. Dadurch, dass jede Aktivität die nächste informiert, auf eine vorangegangene oder auch parallele Aktivität aufbaut, fließen gewonnene Erkenntnisse immer wieder direkt in den Gesamtprozess ein und dieser profitiert von kurzen Iterationszyklen und kontinuierlichen Lernprozessen. Diese Arbeitsweise des Labs ist für eine gelingende Sozialraumgestaltung im Sinne einer inklusiven Agenda essenziell. Auf diese Weise wird bei den beteiligten Akteur:innen Wissen, wie inklusive Sozialräume entstehen, gemeinsam weitergedacht und neu produziert werden können, aufgebaut. Gleichzeitig werden solche Sozialräume im Prozess auch praktisch in Kollaboration mit weiteren Akteur:innen geschaffen.

Praxis der Sozialraumgestaltung

Die vorangegangenen Darlegungen stehen in direktem Bezug zur Projektpraxis und haben zum Teil auch ihren Ursprung in dieser. Der folgende Abschnitt behandelt die Umsetzung der erläuterten Ansätze exemplarisch anhand eines Praxisbeispiels aus einem Pilotprojekt der Sozialraumgestaltung des social design lab, das in den Stuttgarter Stadtteilen Hallschlag und Münster durchgeführt wird. Diese Darstellung soll die Verbindung zwischen konzeptionellen Überlegungen und projektspezifischen Realitäten sichtbar machen und Einblick in die operative Tätigkeit des social design lab geben. Das Projektbeispiel Habibi Dome ist Teil eines Transformationsprozesses, aus dem an dieser Stelle nur ausgewählte Aspekte herausgegriffen werden können. Der Kontext ist der Aufbau eines Innovationslabors für Integration, ein seit März 2021 von der Stiftung Deutsches Hilfswerk gefördertes, mehrjähriges Projekt.

Das Projekt Habibi Dome lässt sich in zwei Projektphasen – Sommerzelt im Jahr 2020 und Habibi Dome Hallschlag im darauffolgenden Jahr – unterteilen und zeigt, wie die Koproduktion eines Interaktionsraumes gelingen, Erkenntnisse dadurch gewonnen und Veränderungen angestoßen werden konnten.

Man sieht den Habibi Dome, eine kuppelförmige Holzkonstruktion in seiner Umsetzung als „Sommerzelt“ im Jahr 2020.
Abbildung 2: Der Habibi Dome Hallschlag im Jahr 2020. Foto: social design lab.

In Bezug auf eine kollaborative Praxis ist hier insbesondere der Planungsprozess hervorzuheben. Mit dem gemeinsamen Ziel, in der Pandemie einen Interaktionsraum für junge Menschen zu schaffen, wurde eine Arbeitsgruppe mit Akteur:innen aus der Politik, Verwaltung sowie sozialen Einrichtungen aus dem Stadtteil ins Leben gerufen. Im Laufe des Prozesses erweiterte sich diese um Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft, der Stadtplanung und der Stadtverwaltung. In dieser Konstellation wurden gemeinsam die Rahmenbedingungen für das Projekt und die Gestaltung des physischen Orts entwickelt. Alle Beteiligten brachten dazu materielle, aber auch immaterielle Ressourcen, wie etwa Kontakte zur Stadtverwaltung, in die Realisierung des Projektes ein. Durch die Zusammenarbeit in dieser Konstellation war es möglich, den Habibi Dome – eine Holzkonstruktion mit einem Durchmesser von etwa 6 Metern – nach einer relativ kurzen Planungszeit von etwa zwei Monaten im Sommer 2020 auf drei Parkplätzen im Umfeld einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete (im Folgenden mit GU abgekürzt) aufzustellen. Im Unterschied zu anderen Projekten des Labs fanden aufgrund einer zeitlich dringlichen Lage nur in sehr eingeschränktem Umfang vorbereitende Feldforschungsarbeiten statt. Das Projektteam verfügte aber aus Vorgängerprojekten und bereits erschlossenen Netzwerken über Vorwissen und Kontakte, was es erlaubte, in einer dynamischen und neuen Situation schnell aktiv zu werden.

Nach der Aufstellung des Habibi Dome wurde der Ort zur Plattform für eine Vielzahl von Aktivitäten unterschiedlicher Akteur:innen. Durch die offen zugängliche Konstruktion konnte dieser auch unabhängig von Veranstaltungen genutzt werden. Insgesamt lag der Fokus darauf, Interaktion zwischen den Bewohner:innen des Stadtteils untereinander und zwischen den Mitarbeiter:innen von sozialen Einrichtungen und den Bewohner:innen des Stadtteils zu ermöglichen. In der Rolle des intermediären Akteurs sollte das social design lab Brücken zwischen stadtpolitischen Akteur:innen und der Zivilgesellschaft schaffen. Diese Beziehungsnetzwerke und damit eingehende wechselseitige Informationsflüsse bildeten dann die Basis für weitere Formate einer hierarchie- und sektorübergreifenden Zusammenarbeit im Quartier und machten auf die Situation für junge Menschen in der Pandemie – beziehungsweise auf deren Sozialraumbedürfnisse – aufmerksam. Der Zugang zu diesem Raum wurden möglichst offengehalten, auch um diesen für die jungen Bewohner:innen der GU, für die die Hürden zur Teilnahme an Angeboten etablierter Stadtteilakteur:innen oft insbesondere hoch sind, zugänglich zu machen.

Wirkungen wie neu entstandene Verbindungen, sich verändernde Wahrnehmungen oder Haltungen oder auch neue organisatorische Arrangements wurden durch Mitarbeitende des Labs, der Projektgruppe, aber auch durch die jungen Menschen selbst beobachtet. Dazu wurden Methoden aus der Designforschung, sogenannte Cultural Probes, genutzt. Diese Hilfsmittel ermöglichen es Teilnehmer:innen, eigene Eindrücke und Beobachtungen über einen längeren Zeitraum hinweg festzuhalten, etwa in der Form von Tagebüchern, standardisierter Beobachtungsnotizen oder aber auch Anleitungen zum Fotografieren.

Auf dem einem Tisch liegen die Bestandteile eines “Cultural Probes” Paketes: Ein Heft mit Forschungsnotizen, Stifte, Anleitungen, eine Kamera, ein Briefumschlag mit Interviewfragen und Smiley-Aufkleber.
Abbildung 3: Cultural-Probe-Paket. Foto: social design lab.

Durch teilnehmende Beobachtung, Interviews, Fotografien und die Cultural Probes wurden Daten vor Ort gesammelt und ausgewertet. Das Ziel dieser systematischen und partizipativen Erforschung von Veränderungen und Wirkungen war zu verstehen, ob und wie der Ort Raum für die Bedürfnisse der jungen Menschen bietet, ob durch die Intervention im physischen Raum auch soziale Räume verändert werden und inwiefern der Habibi Dome Veränderungen bei den Mitwirkenden selbst auslöst. Gleichzeitig brachte die intensive Beteiligung der Mitwirkenden diese in die Position, selbst einen forschenden Blick einzunehmen und über die Wahrnehmung und Nutzung des Raumes zu reflektieren. Das wiederum sind wichtige Kompetenzen kollaborativer Sozialraumgestaltung.

Die Analyse und Reflexion des Projekts zeigte, dass der Ort durch die direkte Nähe zur Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete primär als Ort für Geflüchtete wahrgenommen wurde. Diese hatten vor allem an den Angeboten im Habibi Dome teilgenommen und diesen zum Teil auch selbst gestaltet. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich auch die Bewohner:innen der GU untereinander kaum kannten und dadurch neue Beziehungen und Praktiken wie zum Beispiel gegenseitiges Abholen innerhalb der heterogenen Bewohnerschaft entstanden sind. Darüber hinaus wurden neue Organisationsformen (etwa Messenger-Gruppen mit Akteur:innen der sozialen Einrichtungen und jungen Menschen) gestaltet und dadurch Informationsflüsse ermöglicht, die jungen Menschen mit Fluchterfahrung Zugänge zu bestehenden Netzwerken eröffnet haben. Diese wiederum haben entlang persönlicher Interessen neue Interaktionsräume wie zum Beispiel BMX-Fahren auch außerhalb des Habibi Dome ermöglicht. Diese Zugänge blieben teilweise auch nach dem Abbau des Habibi Dome bestehen und das Wissen über Angebote und Einrichtungen im Stadtteil diffundierte in die Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Das war wiederum ein Auslöser dafür, dass sich die sozialen Räume verschiedener Menschen anfingen zu überlagern und dadurch gemeinsam neugestaltet werden konnten. Insgesamt konnten sowohl in der Planung als auch in der Durchführung des Habibi Dome einige Hebelpunkte genutzt und viele neue Erkenntnisse gewonnen werden, sowohl durch das Experimentieren vor Ort als auch in der kollaborativen Praxis mit diversen Akteur:innen.

Basierend auf einer Reflexion dieses ersten Projektteils wurde die Konzeption angepasst und der Habibi Dome im darauffolgenden Jahr durch einen erweiterten Akteurskreis gemeinsam geplant. Dabei wurde beispielsweise der Standort überdacht und sich gemeinsam für eine Fläche entschieden, die näher am Zentrum des Stadtteils gelegen ist. Um weiterhin Zugänge für die Bewohner:innen der GU – die den Habibi Dome bereits aus dem vorangegangenen Jahr kannten – zu ermöglichen, wurde eine Wegbegleitung für den etwa zehnminütigen Fußweg etabliert. Insgesamt führte die Iteration des Projekts dazu, dass mehr Aktivitäten, angeboten von diversen Akteur:innen, stattfanden, so zum Beispiel von einer Anwohner:in durchgeführte regelmäßige Tanzangebote für Kinder, Computerkurse, Bauworkshops, Druckwerkstätten, Fahrrad-Reparaturwerkstätten, Nachhaltigkeitstreffen, gemütlichen Runden mit Tee und Kaffee und viele weitere mehr.

In und vor dem Habibi Dome bauen Kinder, Jugendliche und Erwachsene zusammen Möbel aus Holz.
Abbildung 4: Der Habibi Dome Hallschlag im Jahr 2021 in Aktion. Foto: social design lab.

Dadurch kam es zu einer interessenbasierten Vernetzung im Stadtteil, die keinen spezifischen Fokus auf die Themen Integration oder Inklusion hatte, dennoch unterschiedlichen Gruppen Zugänge zu den Angeboten ermöglichte und so Interaktionsräume entstehen ließ.

Da sich bei diesen vielseitigen Aktivitäten von diversen Akteur:innen und einer größeren Fluktuation der Mitwirkenden Cultural Probes zur Erforschung des Kontextes und dessen Veränderungen weniger geeignet zeigten, wurden neben der analytischen Beobachtung durch Projektmitarbeitende dabei verstärkt Interviews, spielerische Aktivitäten oder Kartierungen des Sozialraums in die Angebote am Habibi Dome integriert. Gleichzeitig wurden diese durch eine Desk-Recherche zum besseren und umfassenderen Verständnis systemischer Zusammenhänge im Sozialraum ergänzt. Auch im zweiten Jahr zeigte sich durch die Analysen, dass durch den Habibi Dome Zugangsbarrieren abgebaut werden konnten, die Intervention zu einer Aneignung des Ortes geführt hat und neue Beziehungsnetzwerke und Informationsflüsse entstanden sind. Auf struktureller Ebene wurden durch den Habibi Dome Diskussionen rund um das Thema Teilhabe an der Gestaltung von (Sozial-)Räumen, aber auch zu Lernräumen auf Stadtteil- und auch stadtteilübergreifender Ebene angestoßen. Darüber hinaus wurde durch die Zusammenarbeit mit Grundstückseigentümer:innen Nutzungsmöglichkeiten für unbeachtete Stadträume erschlossen. Darauf bezogen sind neue Ideen, wie man diese im Sinne der Bürger:innen und Bewohner:innen der Stadt gestalten könnte, entstanden.

Jenseits einer Vielzahl positiver (Einzel-)Wirkungen, die durch solche Projekte immer wieder entstehen, sind diese als Bausteine eines größeren Prozesses zu verstehen, der mithilfe weiterer Aktivitäten und Experimente kontinuierlich gestaltet und weiterentwickelt werden muss. Im Prozess wird versucht, die Wirkungen auf den verschiedenen Ebenen des Systems so zu verketten, dass in der Summe transformative Qualitäten sichtbar werden. Damit sollen sich in einer veränderten Systemkonstellation dauerhaft neue Praktiken und Muster inklusiver Sozialraumgestaltung im hier beschriebenen Verständnis beobachten lassen.

Von der Sozialraumgestaltung zu inklusiver Raumproduktion

Sozialraumgestaltung versteht sich als experimenteller und transformativer Ansatz im Themenfeld urbaner Segregation und Exklusion. Aufbauend auf einem relationalen Verständnis von Raum wird dabei mit einer Vielzahl von Akteur:innen raumschaffend zusammengearbeitet und die initiierten Veränderungen im sozialen Gefüge beobachtet. Ein Ansatz, bei dem intermediäre Akteur:innen – im vorgestellten Fall eine gemeinnützige Stiftung – wichtige Brücken-, Moderations- und Innovationsrollen einnehmen können.

In der Praxis der Sozialraumgestaltung überlagern sich immer Forschungs-, Gestaltungs- und Transformationsintentionen. Eine gesellschaftliche Transformation hin zu inklusiven Sozialräumen bleibt dabei ein langer, noch zu entwickelnder Weg. In diesem Sinn gilt es weiter zu erforschen, wie (Interessens-)Konflikte im Sozialraum in transformative Gestaltung überführt werden können und wie sich erreichte Veränderungen bestmöglich verstetigen lassen. Zudem gilt es herauszufinden, welche Qualitäten und auch Quantitäten notwendig sind, dass inklusive Interaktionsräume entstehen, die das Potenzial haben, aus sich heraus immer neue Räume dieser Art entstehen zu lassen. Beides ist wichtiges Transformationswissen auf dem Weg zu einem der zentralen Ziele: Die Schaffung neuer systemischer Konstellationen, in denen immer wieder auf partizipative Art und Weise inklusive Sozialräume entwickelt und gestaltet werden.

About the author(s)

Marlene Franck, M.Sc. Architektur und Stadtplanung, arbeitet seit vier Jahren an der Konzeption, Umsetzung und Reflexion transformativer Gestaltungprozesse. Seit 2020 leitet sie unter dem Dach des social design lab die operativen Projekte zum Themenschwerpunkt Sozialraumgestaltung.

Marlene Franck, M.Sc. Architecture and Urban Planning, dedicated her work to develop, implement and reflect transformative design processes. Since 2020 she leads operative projects focusing on social space design under the umbrella of the social design lab.

Ralph Boch, Dr., Zeitgeschichte, Kommunikationswissenschaft, arbeitet seit mehr als 15 Jahren für die Hans Sauer Stiftung. Das ermöglichte es ihm, neue Ansätze zu den Themen soziale Innovationen und gesellschaftliche Transformation zu entwickeln, zu erproben.

Ralph Boch, Dr., Zeitgeschichte, Kommunikationswissenschaft, arbeitet seit mehr als 15 Jahren für die Hans Sauer Stiftung. Das ermöglichte es ihm, neue Ansätze zu den Themen soziale Innovationen und gesellschaftliche Transformation zu entwickeln, zu erproben.

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