Published 15.02.2021

Was eine neue Stadt alles braucht –
und wie man sie trotzdem bauen kann

Erfahrungen aus der aspern Seestadt in Wien

What Is Needed in a New City – and How You Can Build It

Experiences From aspern Seestadt in Vienna 

Keywords: aspern Seestadt; neuer Stadtteil; new town; mixed usage

Abstract:

Ein dünn besiedeltes Gebiet, nur 30 Minuten vom Stadtzentrum entfernt, bekommt ein neues Zentrum mit über 25.000 Bewohner:innen und bis zu 20.000 Arbeitsplätzen. Um hier für die Bewohner:innen und Nutzer:innen alles zu bieten, was die moderne Stadt so erfolgreich macht, mussten neue Strategien und Methoden entwickelt werden. Aspern Seestadt hat das geleistet und für die Entwicklungsgebiete im Umfeld dieses Zentrums ein Vorbild geschaffen. Nun heißt es, Schlüsse zu ziehen, sich einzufügen und neue Prinzipien und Standards zu entwickeln. Der Beitrag schildert die Faktoren, die zu dieser Entwicklung geführt haben, die gewählten Herangehensweisen und die Schlussfolgerung, die man heute für die weiteren Entwicklungen in diesem Gebiet und darüber hinaus ableiten kann.

A sparsely populated area, only 30 minutes from the city center, is getting a new center with over 25,000 residents and up to 20,000 jobs. In order to offer the residents and users everything that makes the modern city so successful, new strategies and methods had to be developed. Aspern Seestadt has achieved this and created a model for the development areas in the vicinity of this center. Now it is time to draw conclusions, adapt and develop new principles and standards. The article describes the factors that have led to this development, the approaches chosen and the conclusions that can be drawn today for further developments in this area and beyond.

Wien als wachsende Stadt – Zielgebiet U2 Donaustadt

Jahrzehntelang stagnierte die Wohnbevölkerung Wiens bzw. schrumpfte sogar leicht. Doch mit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs und vor allem seit dem Beginn der EU-­Osterweiterung im Jahr 2004 verzeichnete Wien einen deutlichen Wachstumsschub. ­Hatte Wien um 1990 rund 1,5 Millionen Einwohner:innen, so sind es jetzt rund 1,9 ­Millionen (Stadt Wien 2019: 62). Die Stadt erkannte diesen Trend früh und sorgte vor: So er­warben stadteigene Immobiliengesellschaften unter anderem einen großen Teil des ehe­maligen Asperner Flugfeldes. Nachdem ein erster Masterplan für diese Fläche mit einer Er­schließung nur über die S-Bahn verworfen wurde, fielen letztlich im Jahr 2003, als die EU-­Erweiterung vor der Tür stand, wesentliche Schlüsselentscheidungen: Die U-Bahn-Linie U2 über die Donau nach Aspern zu verlängern, eine eigene Entwicklungsgesellschaft zu gründen und einen neuen Masterplanprozess zu starten.

Im Jahr 2005 wurde das gesamte Gebiet, das durch die U-Bahn-Verlängerung erschlossen wird, zum „Zielgebiet der Stadtentwicklung“ (Stadt Wien 2005: 216). Das ehemalige Flugfeld soll somit zum Zentrum eines Entwicklungsgebiets werden, das rund 1.100 ha groß ist und zu den bestehenden rund 26.000 Einwohner:innen (2013) bis 2030 voraussichtlich 60.000 zusätzliche Einwohner:innen aufnehmen wird – und zusätzlich noch Flächen für weitere große Stadterweiterungsgebiete aufweist.

Abbildung 1: Lage des Zielgebiets, der Seestadt und Entwicklungsgeschichte.
Quelle: Wien 3420 und Stadt Wien/MA 21B

­Ein neues Zentrum – Masterplan

Diese dünn besiedelten Flächen am Ostrand der Stadt wiesen bis dahin wenig Infra­struktur auf. Die Wege sind weit – zur Arbeit, zum Einkaufen, zur Schule, zum Arzt – das Auto spielt eine überproportionale Rolle. Dezidiertes Ziel dieser Entwicklung ist es daher, hier, auf der linken Seite der Donau im 22. Bezirk (Donaustadt) ein neues Zentrum zu schaffen mit Arbeitsplätzen und Versorgungsangeboten, attraktiven Flächen für Betriebsansiedlungen und einem guten Wohnungsangebot in einem lebenswerten Stadtteil.

Als Wettbewerbssieger gestaltete Tovatt Architects and Planners aus Stockholm den Master­plan für die „Seestadt Aspern“. Mit einem See in der Mitte und der Er­schließung über eine Ringstraße reagiert er auf die partielle Insellage und schafft prägnante, identitäts­stiftende Elemente. Der Masterplan hat eine hohe Flexibilität und kann trotzdem hohe Stabilität entwickeln. Auf 240 ha Fläche entsteht Platz für über 25.000 Bewohner:innen, aber auch bis zu 20.000 Arbeitsplätze und 70 ha Grünflächen. Schlüsselelemente des Masterplans sind:

  • Durchmischung und Vielfalt,
  • Stadt der kurzen Wege,
  • sanfte Mobilität,
  • Energieeffizienz und
  • hochwertige öffentliche Räume.
Abbildung 2: Masterplan Flugfeld Aspern, 2007.
Quelle: Projektteam Flugfeld Aspern, Tovatt Architects and Planners und N+ Objektmanagement.

Darauf aufbauend entwickelte Jan Gehl die „Partitur des öffentlichen Raums“, die ­intensiv das Zusammenspiel zwischen Erdgeschoss- und Freiraumnutzungen definiert und Schwerpunkte für die Bündelung publikumswirksamer Nutzungen setzt – mit Verbindungs­linien („Saiten“). So soll ein attraktives Umfeld für die Bewohner:innen, Arbeitnehmer:innen und Unternehmen entstehen. Der Grundgedanke ist, dass die Hauptqualität städtischer Strukturen Interaktionsdichte ist – kurzum: Urbanität.

Interaktionsdichte und Mischung

Diese Qualität in einem komplett neuen Stadtteil aufzubauen ist keine Selbst­verständlichkeit. Bauliche Dichte ist eine wesentliche Voraussetzung, aber keine hin­reichende Maßnahme zur Sicherstellung. Die Attraktivität der Strukturen und Nutzungen zieht Menschen an und lädt zum Verweilen im öffentlichen Raum ein. Die Frequenz der Passant:innen ist im Gegenzug für viele Unternehmen relevant, um sich erfolgreich am Ort etablieren zu können. Etablierte Unternehmen bieten ein interessantes Umfeld für weitere Unternehmen, da hier ein Austausch stattfinden kann. Ein attraktiv gestaltetes Umfeld und gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind gute Voraus­setzungen, um ein positives Arbeitsplatzumfeld zu schaffen. Vorausblickende Unternehmen wissen dies zu schätzen, um qualifizierte Mitarbeiter:innen anzusprechen und zu binden.

Ein durchmischter Stadtteil mit vielen Unternehmen und attraktiven Freiräumen sowie Freizeit- und Bildungsangeboten ist ein attraktiver Wohnort für alle Bevölkerungs­gruppen und ermöglicht ein Alltagsleben ohne die Belastung durch lange Wegstrecken. Mischung spielt auch beim Wohnen eine Rolle: Soziale Mischung erreicht man durch ein unterschiedliches Wohnungsangebot von der Miete zum Eigentum, gefördert, leistbar und freifinanziert. In Summe: eine neue Stadt. Aber wie setzt man dieses Rad in Gang? Der Immobilienmarkt sieht das Gebiet vor allem als Wohnstandort. Wie kann man Mischung durchsetzen, wenn Investoren in „Assetklassen“ denken – und gemischt genutzte Immobilien als „schwierig zu verwalten“ qualifiziert werden?

Die erste Etappe – Erfolgsfaktoren

Die erste Etappe der Seestadt ist fertig umgesetzt, die zweite teilweise noch im Bau. In der ersten Etappe sind rund 7.000 Einwohner:innen eingezogen und 2.200 Arbeitsplätze angesiedelt worden – vom 50m²-Büro bis zum 4ha-Industriekomplex. Man kann also eine erste Zwischenbilanz ziehen, und die fällt durchaus positiv aus. Grundsätzlich gelenkt wird die Entwicklung – wie üblich – durch öffentlich-rechtliche Instrumente: Der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan als zentrales raumplanerisches Instrument und, wie für Gebietsentwicklungen dieser Dimension vorgesehen, eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Wesentliche Innovationen wurden jedoch im Bereich der privatrechtlichen Instrumente erarbeitet, die den Erfolg erst ermöglicht haben.

Erster und wesentlicher Schritt war die Bildung einer Entwicklungsgesellschaft, welche die Grundeigentümer vereint und gesamthaft für die Entwicklung des Areals zuständig ist. Dieser gesamthafte Blick sichert, dass auch die ökonomischen Faktoren gesamthaft betrachtet werden: Der Erfolg wird höher, wenn im Sinne der Mischung auch ­weniger ertragreiche Nutzungen angesiedelt werden. Zwischen der Stadtverwaltung und dieser, überwiegend in öffentlicher Hand befindlichen Gesellschaft wurde ein gemein­sames Programm­management aufgestellt. Dies stellt sicher, dass bei der Umsetzung der Entwicklungs­maßnahmen alle an den zahlreichen Schnittstellen der diversen städtischen Dienststellen an einem Strang ziehen, und punktuelle Probleme immer rasch und im ­Sinne der Gesamtentwicklung gelöst werden können.

Gezielte Infrastrukturinvestitionen bilden die Basis für die Erschließung und Attraktivität des Gebiets: Bereits vor der Umsetzung der ersten Phase wurde die U-Bahn-Linie U2 ins Gebiet verlängert und verbindet in rund 30 Minuten Fahrzeit die Seestadt mit der Wiener Innenstadt. Im Jahr 2018 wurde die Schnellbahnstation Aspern Nord eröffnet, von dort aus ist der Wiener Hauptbahnhof in rund 20 Minuten Fahrtzeit erreichbar. Im Projektbudget sind zusätzliche Mittel für den Straßenausbau einkalkuliert, die besonders hohe Ausstattungsqualitäten im öffentlichen Raum ermöglichen – sämtliche Straßen werden in Partnerschaft zwischen Landschaftsplanung und Verkehrsplanung geplant und umgesetzt.

Abbildung 3: Luftbild der Seestadt 2019, die erste Etappe ist fertiggestellt, die zweite in Bau.
Quelle: Christian Fürthner/Stadt Wien – MA 18.

In der Seestadt werden die Stellplätze für die Bewohner:innen in Sammelgaragen ge­bündelt angeboten. Die Anzahl ist reduziert – je ein Stellplatz pro rund 120-160m² Nutzfläche. Dies entspricht und unterstützt den Trend weg vom eigenen KFZ. Neben den ­Anbindungen an U-Bahn, S-Bahn, Straßenbahn (geplant) und Bus sollte daher auch für die kleinräumige Mobilität ein zusätzliches Angebot geschaffen werden. Dazu wurde ein Mobilitätsfonds eingerichtet, der mehrere wegweisende Projekte initiiert hat: Ein Einkaufs­trolley zum Einzug für jede Wohnung und ein stationsgebundenes Radverleihsystem mit Lasten- und Elektrofahrrädern sind nur die prominentesten Beispiele, die durch diesen Fonds angestoßen werden konnten.

Mehrere Bildungscampi mit Kindergärten, Volksschulen und weiterführenden Schulen werden in den jeweiligen Quartieren mit umgesetzt. Die einzelnen Grundstücke werden mit Auflagen verkauft, die die Umsetzung des Masterplans garantieren – teilweise über die in Wien generell seit langem erfolgreich etablierten Bauträgerwettbewerbe, wo zu einem festen Preis ein Qualitätswettbewerb der Bauträger durchgeführt wird, teil­weise über andere Verkaufsverfahren. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Innovationen in der Energieeffizienz der Gebäude. Einzelne Gebäude wurden mit zahlreichen Mess­punkten aus­gestattet, die nun konkrete Auswirkungen bautechnischer Maßnahmen im Zusammenspiel mit dem Nutzer:innenverhalten in der gelebten Praxis beobachten ­lassen. Die Aspern Smart City Research GmbH wertet die Ergebnisse aus und zieht daraus Schlüsse für künftige Gebäude.

Zur Umsetzung der Ziele der „lebendigen Erdgeschosse“ wurden die Erfahrungen aus dem Einkaufszentrumsmanagement aufgegriffen und eine Gesellschaft gegründet, die Konzepte für die beiden Einkaufsstraßen ausgearbeitet hat, klare Vorgaben für die Plan­ungen der Gebäude macht und die Geschäftslokale mietet. In Untermiete werden diese dann an die Geschäftsbetreiber weitervermietet, wobei ein passender Branchenmix gesucht und die Mieten entsprechend der Umsatzmöglichkeiten angepasst werden. Durch die Organisation von Straßenfesten, Märkten etc. wird für zusätzliche attraktive Angebote gesorgt. Ein eigens eingerichteter aspern Beirat wacht über die Umsetzung der Qualitätsziele und begutachtet jede Planung. Als Plattform für Kommunikation und Austausch vor Ort wurde ein lokales Stadtteilmanagement eingerichtet.

Erfahrungen nutzen – die Entwicklungen im Umfeld

Das Zielgebiet U2-Donaustadt umfasst neben der Seestadt als Zentrum auch eine Reihe weiterer Entwicklungsgebiete mit jeweils Potential für mehrere tausend Wohneinheiten im Einzugsbereich der Linie U2. Bei der Planung und Umsetzung dieser Gebiete profitiert die Stadtplanung von den Erfahrungen aus der Seestadt und verfolgt das Ziel, die Entwicklung zu einem kompletten Ganzen werden zu lassen. So wurde in Zusammenarbeit mit dem Forschungs- und Planungsbüro „OIR Projekthaus“ an grundlegenden Ideen für Zielsetzungen zur Einordnung der einzelnen Entwicklungsgebiete im Umfeld der Seestadt ins Gesamtgefüge gearbeitet. Dabei wurden wesentliche Fragen aufgeworfen:

Wie kann den durch die Immobilienmarktpreise forcierten Entmischungstendenzen entgegengewirkt werden, so dass Handel, Dienstleistungen, Büro und Wohnen auf engem Raum kombiniert werden können?

Wesentliche Voraussetzung ist, dass die Entwicklung eines zusammenhängenden Gebiets auch auf Seite der Grundeigentümer:innen und Immobilienentwickler:innen koordiniert und gesamthaft erfolgt. Die Stadtteilplanung verlangt daher mittlerweile vor Start eines Planungsprozesses, dass sich Grundeigentümer:innen und Entwickler:innen schon im Vorfeld auf eine Kooperation einigen, die garantiert, dass die erforderlichen Aufschließ­ungs­- und Infrastrukturmaßnahmen in Folge rasch und koordiniert umgesetzt werden können und die Entwicklung vollständig inklusive aller erforderlichen Qualitäten realisiert wird. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch weniger ertragreiche aber für das Funktionieren des Gesamten erforderliche Nutzungen zuverlässig umgesetzt werden. Allfällige individuelle Nachteile werden wechselseitig ausgeglichen. Dies kann, wie zum Beispiel beim Entwicklungsgebiet oberes Hausfeld, auch die enge Zusammenarbeit von mehr als 15 sehr unterschiedlichen Unternehmen erfordern.

Wie viel Zentrumsfläche wird im Verhältnis zu der Wohngebietsfläche benötigt? Wie wird sichergestellt, dass die lokalen Bedürfnisse gestillt, aber gleichzeitig auch die Zentrumsbildung in der nahegelegenen Seestadt unterstützt wird?

Es ist wichtig, im Vorfeld eines städtebaulichen Wettbewerbs eine klare Vorstellung von der Nutzungsmischung und dem Raumbedarf der verschiedenen Nutzungen zu ent­wickeln. Während der Bedarf bezogen auf manche Brachen gut durch Kaufkraftstudien abschätzbar ist (Handel und Dienstleistungen mit hohem Ortsbezug) oder in Österreich reguliert ist (Arztpraxen, Apotheken) so gibt es ein breites Feld an Nutzungen, die einen Stadtteil erst zum Stadtteil machen und für die platzmäßig in der Planung vorgesorgt werden muss, lange bevor die konkreten Nutzer:innen Standortentscheidungen treffen.

Die Wiener Stadtteilplanung hat daher im ersten Schritt in Zusammenarbeit mit einem Spezialbauträger ein Nachschlagwerk (Die Sockelzone in Neubaugebieten) erarbeitet, das die Anforderungen und Bedürfnisse einer Vielzahl von potentiellen Nutzer:innen der Sockel­zonen – von Sportvereinen bis zu außerschulischen Bildungseinrichtungen, von geriatrischen Tageszentren bis Co-Working-Hubs – kompakt zusammenfasst und einen er­sten Einstieg und Überblick bietet. Ergänzt durch Tipps und Anmerkungen soll das Nachschlagwerk nicht nur Planer:innen einen ersten Überblick über den räumlichen Bedarf einer Vielzahl von Spezialnutzungen bieten, sondern auch Bauträger:innen einen Überblick verschaffen und damit die Scheu vor Sondernutzungen dämpfen. Denn ohne Räume für Sondernutzungen wird kein Stadtteil den Bedürfnissen der Bewohner:innen gerecht werden.

Um die Bedürfnisse verschiedener potentieller Nutzer:innengruppen besser zu ver­stehen, wurde bei der Planung des Entwicklungsgebiets oberes Hausfeld (3.800 Wohnungen) ein Pilotversuch vom Büro „superwien architecture urbanism“ mit einem Aufruf an diverse Netzwerke gestartet. Von der klassischen Wirtschaftskammer bis zu Co-Working-­Netzwerken, von Maker Austria bis zur Sport Union und Start-Up-Beratung waren zahlreiche Dachverbände gefragt, ihre Bedürfnisse an Räumen zu einem frühen Zeitpunkt in die Planung einzubringen. Dies hat einen hohen Wissensschatz gebracht, allerdings war für viele potentielle Nutzer:innen die Perspektive viel zu langfristig – sie haben in der Zwischen­zeit andere Standorte gewählt. Es ist jedoch ein sehr umfangreiches Netzwerk an Interessent:innen entstanden, auf das bei der jetzt anstehenden Umsetzung des Stadtteils zurückgegriffen werden kann.

Abbildung 4: Seestadt Straßenfest. Die Seestadt nimmt auch die Rolle eines lokalen Stadtteilzentrums wahr, wie hier bei einem Straßenfest 2018. Quelle: aspern shopping/Robert Fritz.

Können kulturelle und soziale Einrichtungen sowie private und öffentliche Versorgungs­einrichtungen eine zentrale Rolle spielen?

Stadtplanerisches Ziel muss es sein, insbesondere städtische Einrichtungen in Stadt­erweiterungsgebieten so zu positionieren, dass sie als natürliche Anziehungspunkte für ein breites Publikum auch räumlich als Schlüsselfunktionen einen Beitrag zur Quartiers­entwicklung leisten. Dabei kommt es, wie bei anderen Nutzungen auch, immer wieder zu einem Spannungsverhältnis zwischen den inneren Anforderungen der Nutzung (z.B. Aufsichtspflicht, Sicherheit bei Bildungseinrichtungen) und der Öffnung zum Quartier. In den letzten Jahren konnten in Wien im Bildungsbereich große Schritte gemacht werden – so ist in der Seestadt Aspern derzeit ein Bildungscampus in Umsetzung, der einen Teil seiner Frei- und Sportflächen synergetisch in den angrenzenden Park integriert. Was hier als stadtplanerische Idee begann, wurde mittlerweile zu einer Forderung der Schul­planer:innen selbst. Ebenso wie die quartiersversorgenden Einrichtungen (wie Schulen und Kindergärten) von Anfang an bei jeder Stadtteilplanung mitgedacht werden, macht es auch Sinn, dort wo ein echtes Zentrum entstehen soll, frühzeitig in zentralen Lagen Vorsorge für Einricht­ungen mit übergeordneter Bedeutung zu treffen. Während die rechtlichen und wirtschaft­lichen Rahmenbedingungen die Planungshorizonte für Stadtteile immer länger machen (bei der Seestadt Aspern: zum Beispiel 25–30 Jahre ab Beginn des Masterplanprozesses), können Standortentscheidungen für Einrichtungen oft nicht so lang im Vorhinein getroffen ­werden.

Der Masterplan der Seestadt Aspern sah ursprünglich in zentraler Lage eine sehr große Fläche für eine Universität vor, weil zu der Zeit der Planerstellung zwei große Wiener Universitäten Überlegungen zu neuen Standorten anstellten. Damals konnte ­niemand wissen, dass mehr als zehn Jahre später die (relativ kleine) kirchlich-pädagogische Hochschule eine Standortentscheidung für die Seestadt treffen würde. Die Entscheidung, im Zielgebiet aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums ein neues Hallenbad zu planen, fiel erst im Jahr 2020. Und ein kleines Radgeschäft ist so erfolgreich, dass es sich deutlich vergrößert: an einem neuen Standort – weiterhin in der Seestadt und diesmal noch zentraler. Für all diese Veränderungen, auf den großen, aber auch auf den vielen kleineren Ebenen, bietet der belastbare und in sich sehr flexible Masterplan Platz, und das ökonomische Modell der Seestadt Möglichkeiten. Diese Nutzer:innen-Orientierung ist die besondere Stärke der Seestadt, die einen lebendigen Stadtteil ermöglicht.

Die Erfolgsfaktoren

Auch all die anderen Erfahrungen aus der Seestadt, im Bereich der Sammelgaragen, der Qualitätssicherung, der Energieplanung und vieler anderer Themen werden in ganz Wien und darüber hinaus als Benchmark und Vorbild herangezogen, sodass es hier den Rahmen sprengen würde alle diese Entwicklungen im Einzelnen nachzuzeichnen. Zusammenfassend kann man sagen: Der Erfolg aus Sicht der Betreiber:innen und Nutzer:innen basiert auf:

  • klaren, langfristigen Zielen für die Nutzungsstruktur als Funktion der Dichte, Verkehrs­erschließung und Lage im Stadtraum,
  • einer wirtschaftlichen Umsetzungsstruktur, die spezifisch auf die Nutzungs- und Gestaltungs­ziele hin zugeschnitten ist und
  • einer Einbindungs- und Kommunikationsstruktur, die das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure der Umsetzung garantiert und für Kontrolle und Qualitäts­sicherung sorgt.

About the author(s)

Philipp Fleischmann, Architekt und Stadtplaner, koordiniert und plant mit seinem Team in der Stadtteilplanung von Wien die Entwicklung entlang der U-Bahn-Linie U2 in der ­Donaustadt. Mit ihren verschiedenen Entwicklungsgebieten ist das die größte äußere Stadterweiterungszone von Wien.

Philipp Fleischmann, a trained architect and urban planner, coordinates and plans the development alongside the U2 subway line in Vienna-Donaustadt with his team within the district planning department of Vienna. With its various development areas, it is the largest outer urban expansion zone of Vienna.

References

Stadt Wien (Magistratsabteilung 18 Stadtentwicklung und Stadtplanung der Stadt Wien) (2005): Stadtentwicklungsplan 2005.

Stadt Wien (Magistratsabteilung 21 Stadtteilplanung und Flächennutzung der Stadt Wien) und TU Wien, Institut für örtliche Raumplanung (IFÖR) (2013): Wo willst Du hin, meine Donaustadt? - Strategieplan für das Zielgebiet U2 Donaustadt. Wien.

Stadt Wien (Magistratsabteilung 21 Stadtteilplanung und Flächennutzung der Stadt Wien) auf Basis einer Studie von Michaela Mischek Bauträger GmbH (2016): Die Sockelzone in Neubaugebieten – Katalog möglicher Nutzungen. Wien: Werkstattberichte der Stadtentwicklung Wien (Nr. 162).

Stadt Wien – Wirtschaft, Arbeit und Statistik (2019): Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 2019.

Projektteam Flugfeld Aspern, Manfred Schönfeld, MA 21 B (2007): Masterplan Flugfeld Aspern.

Verkehrsclub Österreich/Omintrend, Daten zum Modal Split in Wien 2016. Abrufbar unter: https://www.vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/vcoe-grosse-mobilitaetsunterschiede-innerhalb-wiens, Zugriff am 11.9.2020.