Published 15.02.2021

Reallabor: Simultanschach im Städtebau

Die Entstehung der PHVision für Heidelbergs 16. Stadtteil

Living Lab: Simultaneous Chess in Urban Design

The Evolution of PHVision for Heidelberg’s 16th Urban Quarter

Keywords: Städtebauliche Konzeption; experimentelle Planungskultur; Governance-Strukturen ; Urban concept; experimental planning culture; governance structures

Abstract:

Die circa 100 Hektar große ehemalige Wohnsiedlung der US-amerikanischen Streitkräfte am Rande von Heidelberg, aber inmitten der Metropolregion Rhein-Neckar war der Ausgangspunkt für ein experimentelles Planungsverfahren der Internationalen Bauausstellung (IBA) Heidelberg. Über vier Jahre konzipierte und leitete sie zunächst einen Szenarienprozess hin zu einer Entwicklungsvision und verantwortete dann die Inhalte im Entstehungsprozess des „Dynamischen Masterplans“. Dabei wurden neue Wege der interdisziplinären und strukturübergreifenden Zusammenarbeit erprobt. Zusammen mit der Heidelberger Stadtverwaltung, dem Planungsbüro KCAP (Zürich) und vielen weiteren Beteiligten entstand ein Städtebau der Vielfalt in der Einheit. In dem vielschichtigen Prozess verbargen sich, besonders in der planerischen Synchronität, Chancen und Risiken eine integrative Planung für das Patrick-Henry-Village, die es im Kontext des „Reallabors“ IBA Heidelberg zu reflektieren gilt.

The approximate 100-hectare former housing estate of the US Armed Forces on the outskirts of Heidelberg, but in the middle of the Rhine-Neckar metropolitan region, was the starting point for an experimental planning procedure of the International Building Exhibition (IBA) Heidelberg. Over a period of four years, she first conceived and managed a scenario process leading to a development vision and was then responsible for the content of the „Dynamic Masterplan“. This involved testing new ways of interdisciplinary and cross-sectoral cooperation. Together with Heidelberg’s administration, planning firm KCAP (Zurich) and many other participants, an urban design of “diversity in unity” was created. The complex process revealed both opportunities and risks for integrative planning for the Patrick Henry Village, particularly in terms of synchronized planning, which needs reflection in the context of the IBA Heidelberg as a living laboratory.

Die IBA: ein Ausnahmezustand?

Einerseits scheinen Internationale Bauausstellungen ein aus der Zeit gefallenes Format der Baukultur und Stadtentwicklung zu sein, suggeriert der Titel doch die Möglichkeit kuratorischer Freiheit und internationaler Strahlkraft. Was die Rahmenbedingungen einer IBA im 21. Jahrhundert sind, würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen, daher nur soviel: während IBA im 20. Jahrhundert immer auch die Steuerung von Investitionsmitteln bedeutete, müssen heute bescheidene Planungsbudgets und Governance-Strukturen reichen, um gesellschaftliche Transformationsprozesse als Innovationsmotor für das Planen und Bauen handhabbar zu machen. Als „intermediäre Organisation“ (Selle 2017: 110) ist eine IBA daher oftmals gezwungen, ihre Unabhängigkeit und Wirkungsmacht – zum Beispiel in administrativen, ökonomischen oder medialen Kontexten – gegeneinander abzuwägen.

Im Fall von Heidelberg zeugt die außergewöhnliche Organisationsform als kommunale (!) Gesellschaft von den besonderen Herausforderungen im Spannungsfeld von Think- und Do-Tank, ganzheitlicher Innovationsagentur sowie der Qualitätssicherung in der Projektentwicklung. Für Bauprojekte führte diese Nähe immer wieder zu enttäuschten Erwartungen, was die Behandlung von IBA-Projekten im Verwaltungsalltag betrifft. Teil eines Stadtkonzerns zu sein, beförderte andererseits auf stadtplanerischer Ebene das Vertrauen, die größte Stadtentwicklungsfläche für einige Jahre in die Hände der IBA Heidelberg (und damit u.a. in die des Autors) zu legen – also, ein Stück weit aus der Hand zu geben.

Der Ort: ein Möglichkeitsraum?

Der Beginn der Heidelberger IBA-Dekade (Ende 2012/Anfang 2013) fiel unvorhergesehen mit dem Abzug der US-Armee zusammen. Rund 200 Hektar Entwicklungsfläche, davon viele reine Wohnquartiere für Truppenangehörige und ihre Familien, fielen an den Bund als Eigentümerin. Zielsicher schloss die Stadt Heidelberg eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), um ihren Entwicklungsanspruch über eine sukzessive (vorübergehende) Inbesitznahme aller Flächen, auf der Grundlage von gutachterlich ermittelten Kaufpreisen, bestmöglich umsetzen zu können.

Aufgrund der stadtseitigen Ressourcen und der Lagegunst gab es alsbald die Entscheidung, dass die innenstadtnahen Gebiete als erstes zu Planen und zu Entwickeln sind und damit das Patrick-Henry-Village (PHV) zunächst hintenangestellt wurde. Die ehemaligen Ackerflächen jenseits der Autobahn, die ab 1952 zur US-amerikanische Kleinstadt wurden, waren zwar bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 offen zugänglich, dennoch gehörte das PHV gefühlt nicht zu Heidelberg. Ungefähr 8000 Angehörige der US-Armee (inklusive ihrer Familienmitglieder) lebten dort in unterschiedlichen Gebäudetypologien, von der Villa bis zum Zeilenbau, und umgeben von einer kompletten Infrastruktur für den Alltag. Charakteristisch ist die geschwungene Straßenführung à la Frederick Law Olmsted (vgl. z.B. der Chicagoer Vorort Riverside) die mit mehr oder weniger opulenten Bäumen und ohne Zäune, aber autogerecht, im Charakter zwischen Gartenstadt und 50er-Jahre-Vorstadt schwankt.

Aus den Erfahrungen mit den innenstadtnahen Konversionsflächen kam die Erkenntnis, dass die Infrastruktur im Rahmen deutscher Vorschriften nur teilweise nachnutzbar sein würde und aufgrund der peripheren Lage die Homogenität der Gebäudestrukturen keine Grundlage für eine Quartiersentwicklung im 21. Jahrhundert sein konnte. Sollte der Auftrag an die IBA Heidelberg dazu dienen ihn aus einer Randlage ins Rampenlicht zu führen? Jedenfalls war das Gesellenstück für das PHV-Team der IBA (Michael Braum, Carl Zillich, Moritz Bellers, Carla Jung-König) gefunden – es galt, die räumlichen Entwicklungen einer Wissensgesellschaft über Einzelprojekte hinaus im Quartiersmaßstab zu entwickeln (Abbildung 1).

Abbildung 1: Mögliche Konfiguration der PHVision 2020.
Quelle: KCAP.

Der Einstieg: ein Zufall?

Die Planung und Entwicklung der Konversionsgebiete Mark-Twain-Village, die Patton-Baracks und das Hospital-Gelände hatte die Stadtverwaltung noch mit gewohnter Ambition selbst gestemmt, der Heidelberger Gemeinderat gab im Frühjahr 2016 das 100 Hektar große Patrick-Henry-Village aber zunächst in die Obhut der IBA. Die Voraussetzungen für diese Entscheidung, die bis dahin auf Bauprojekte fokussierte IBA hier mit zusätzlichen Mitteln und Befugnissen auszustatten, waren vielfältig. Zum einen hatte die IBA in den ersten Jahren Vertrauen in ihre Innovationskraft und Unabhängigkeit aufbauen können. Die Stadtspitze und der Gemeinderat hatte jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Kapazitäten der Verwaltung mit den oben genannten Konversionsflächen mehr als ausgelastet waren. Zum anderen hatte ein Investor Interesse an einem signifikanten Einstieg in die Flächenentwicklung bekundet, was von der Stadtspitze befürwortet wurde. In dieser Gemengelage war die Entscheidung des Gemeinderates nahezu einstimmig, die IBA über einen skizzierten Szenarienprozess eine Entwicklungsvision ausarbeiten zu lassen, in dem die räumlichen Entwicklungen einer Wissensgesellschaft an diesem Ort vorgedacht werden sollte. Damit konnten die einen eine Anerkennung und einen Qualitätsanspruch postulieren; andere sahen vielleicht die Chance, allzu frühzeitige wirtschaftliche Interessen mittels des IBA-Anspruchs und -Konzeptes einzuhegen.

Der Szenarienprozess: eine Planungsphase Null des Städtebaus?

Unter dem Namen PHV_NEXT_GENERATION wurde im Frühjahr 2016 ein Prozess angestoßen, der 20 Monate später in einem erneuten Gemeinderatsbeschluss münden sollte, der die von der IBA vorgelegten Planungen bestätigte. In der Zwischenzeit wurde eine komplexe Prozesskette samt vielfältiger Beteiligungsformate erfolgreich abgewickelt, die im Nachhinein fast übermütig erscheint.

Es war der politische Wille, dass die IBA freie Hand haben sollte, auch um Planerinnen und Architekten direkt zu beauftragen, so dass diejenigen Themenfelder den Szenarienprozess strukturieren sollten, die kurz zuvor mit dem interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen IBA-Kuratorium zur Konkretisierung des blumigen Mottos Wissen | schafft | Stadt herausgearbeitet worden waren. Ziel war, divergierende Perspektiven auf eine Wissensstadt von morgen zwischen lokalen Befindlichkeiten und globalen Strömungen diskursiv entstehen zu lassen. Dafür, von Anfang an dabei sein und am Ende die Polyphonie zu einem konsistenten, jedoch die Vielfalt unserer heutigen Gesellschaft abbildenden Städtebau zu führen, wurde Kees Christiaanse mit seinem Züricher Büro KCAP unter Vertrag genommen. Vier weitere Büros wurden beauftragt je ein Szenario für den neuen Stadtteil zu erstellen, um unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und deren räumliche wie sozioökonomische Konsequenzen beurteilen zu können

Für einen behutsamen Ansatz des Stadtumbaus wurde unter der Überschrift Lernräume + Wohnen Markus Neppl (ASTOC, Köln) beauftragt. Ergebnis war insbesondere ein Weiterdenken der vorhandenen Grundstruktur mit Hilfe der Transformation der Zeilenbautypologie und Platzierung strategischer Nachverdichtungen zur programmatischen Schwerpunktsetzung. Das auf globale Konkurrenzen ausgerichtete Szenario wurde in die Hände von Winy Maas (MVRDV, Rotterdam) gelegt. Für Wissenschaft + Wirtschaft wurde eine maximale typologische Mischung vorgenommen, die stadträumlich wie architektonisch Monumente schafft, die das romantische Heidelberg um ein Image des 21. Jahrhunderts erweitern. Für das Thema Digitalisierung wurde Carlo Ratti (CRA, Turin) gewonnen, um anhand von Vernetzungen + Infrastrukturen deren Konsequenzen für den Städtebau herauszuarbeiten.

Überraschender Weise kam der Vorschlag – im Gegensatz zu gängigen Visionen einer Smart City – nur mit minimalinvasiven Anpassungen von Architektur und Städtebau aus. Stattdessen wurde auf Basis einer digitalen Plattform ein Sharing-Konzept vorgeschlagen, das Wohnen, Arbeiten, Mobilität und Freizeit umfasst. Für ein ökologisch ausgerichtetes Szenario wurde Herbert Dreiseitl (Ramboll, Überlingen) mit Kathrin Bohn beauftragt. Unter der Überschrift Stoffkreisläufe + Freiraum wurde lokales zirkuläres Wirtschaften mit klimawirksamen und freizeittauglichen Landschaftsarchitekturen zusammengeführt (Abbildung 2).

Abbildung 2: Prozessdiagramm zum Szenarienprozess 2016/17.
Quelle: IBA Heidelberg.

Neben der Vielfalt der planerischen Positionen galt es, auch ein breites Spektrum an Expertisen in den Prozess zu integrieren. Grundlage dafür waren vier Bürgerforen zu unterschiedlichen Planungsständen, aber auch Werkpräsentationen der Planenden. Wichtiger war jedoch eine so genannte mitverantwortende Beteiligung: für die vier Themenfelder wurden jeweils circa 20 Personen eingeladen, um in Design-Thinking-Werkstätten unter Beteiligung der jeweiligen Büros, die Aufgabenstellung zu präzisieren. Neben Mitarbeitenden der Stadtverwaltung und der IBA waren die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft, Stadtgesellschaft und überregionale Fachleute zum Thema vertreten, die zudem noch einmal zu einer Zwischenkritik mit den Büros zusammentrafen. Außerdem sind die Bürgerforen 2 und 3 hervorzuheben, in denen jeweils zwei Szenarien mit der Politik und einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden, bevor KCAP begann in Absprache mit der IBA einen synthetisierenden Ansatz zu fertigen. Als weitere Grundlagen für diese Entwicklungsvision wurden noch Kommentare unabhängiger Expertisen zu den einzelnen Szenarien eingeholt, Ergebnisse von Werkstattgesprächen mit unterschiedlichen Zielgruppen aus Stadt und Region sowie die Stadtutopien aus der Jugendbeteiligung – über eine Auftragsadaption des Computerspiels Minecraft durch die Digital Design Unit der TU Darmstadt – herangezogen.

Schlussendlich zitierte KCAP tatsächlich unterschiedliche Bestandteile der vier Szenarien und fügte sie, ergänzt durch eigene Schwerpunktsetzungen, zu einem prototypischen Städtebau zusammen, dessen Grundannahmen bis heute (2020) Bestand haben. Dies sind zum Beispiel die mutige Mischung von bestehenden und neuen städtebaulichen, freiraumplanerischen und architektonischen Typologien sowie die Kombination aus Erhalt und Neubau auf allen Maßstabsebenen. Wenn auch zum 4. Bürgerforum ein Modell im Maßstab 1 : 200 die Entwicklungsvision eindrucksvoll symbolisierte, waren die eigentlichen Inhalte in einem illustrierten Narrativ in zwölf Kapiteln beschrieben und in zehn Bausteinen diagrammatisch erläutert. Denn es zeigte sich ein kommunikatives Dilemma: „Wie kommuniziert sich eigentlich städtebauliche Zukunft, wenn man sie als offen annimmt?“ (Eisinger 2019: 101).

Als diese Koproduktion der IBA Ende 2017 in den Abstimmungsprozess durch die politischen Gremien ging, legte die Stadtspitze das Ergebnis kurzfristig als Masterplan (Planungsphase 0) zum Beschluss vor, mit einer Begrifflichkeit, die aus planerischer Sicht weder dem Anliegen, noch dem Arbeitsstand entsprach. Da der positive Beschluss jedoch einstimmig ausfiel, mögen begriffliche Spitzfindigkeiten obsolet erscheinen, zumal der Beschluss auch die weitere enge Einbindung der IBA zur „Qualitätssicherung und Sicherung der inhaltlichen Ziele“ beinhaltete (Gemeinderat 2017: 2).

Abbildung 3: PHV-Planungsteam auf dem 4. Bürgerforum im März 2017 mit (1. Reihe v.l.n.r.) Kees Christiaanse, Herbert Dreiseitl, Carlo Ratti und Winy Maas. Foto: Christian Buck.

Prozessdesign PHVision: Strategie oder Methode?

Im anschließenden zweiten Teil des IBA-Engagements im Planungsprozess zu PHV wurde von der Arbeit am Dynamischen Masterplan gesprochen. Eine Terminologie, welche den Planungsstand, die noch anstehenden Verkaufsverhandlungen mit der BImA und die Prozessorientierung berücksichtigt. Gleichzeitig verbirgt sich in dem Begriff auch eine Unsicherheit, die es auszuhalten gilt: noch unbestimmte Finanzierungsmodalitäten und Einflussnahmen wecken auch bei den Planenden manches Mal Ängste. Gleichzeitig wuchs in Heidelberg, auch aufgrund der Erfahrung vorheriger Entwicklungsgebiete, die Einsicht, dass Festlegung von Baulinien und Traufhöhen keine Innovation im Städtebau hervorbringen. So kam bereits im Abschlussgespräch mit den Planenden der ersten Hälfte heraus, dass deren Neugier weniger dem Weiterkommen individueller Entwurfsansätze galt, als der Frage, welche finanzpolitische Weichenstellung solch integrativen Städtebau ermöglichen könnte. Neben der angestrebten Reaktionsfähigkeit auf große, aber auch kleine Investor:innen gilt es also, der Komplexität von Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert eine entsprechende (betriebswirtschaftliche) Struktur entgegenzustellen. Somit gilt weiterhin: „Schließlich vertagt die Vision strategische Grundsatzentscheidungen auf spätere Phasen“ (Eisinger 2019: 104).

Der planerische Ansatz war zunächst, die nun traditioneller Weise anstehende Grundlagenarbeit und Voruntersuchungen mit einem Prozess der stadtinternen Abstimmung und Ressortabstimmung zu parallelisieren sowie diese Ebenen mit einer kontinuierlichen Arbeit am Städtebau, stadtplanerischen und stadtentwicklungspolitischen Parametern zu verschränken. Neben der Kontinuität des Engagements der IBA und von KCAP sollte so eine Interdisziplinarität Anwendung finden, der etablierte Strukturen eigentlich entgegenstehen. Ziel dieser experimentellen Koproduktion, oder nach Kees Christiaanse dem „Simultanschach“, war eine tatsächlich integrierte Planung, bei der Interessenskonflikte frühestmöglich ausgehandelt werden sollten.

Im Spätsommer 2018 hatte der Oberbürgermeister dann ein „agiles Team“ der Stadtverwaltung berufen: In einem offenen Bewerbungsverfahren, mal über die Amtsleitungen, mal an ihnen vorbei, wurden aus den meisten Ämtern und städtischen Gesellschaften Personen berufen, die einen Tag in der Woche für das Projektteam PHV freigestellt waren. Damit trafen circa 25 Fachleute mit unterschiedlichen Hintergründen aufeinander, die jedoch – rückblickend – nicht zu einem schlagkräftigen Team zusammenfanden. Das könnte sowohl aus einer Konkurrenzsituation zu den Amtsleitungen, als auch der fehlenden Transparenz im Auswahlverfahren herrühren, ist aber sicher auch auf fehlende methodische Stringenz bei der (wöchentlichen) Zusammenarbeit zurückzuführen.

Parallel zu der Genese des Projektteams hatte die IBA den (extra vergüteten) Auftrag bekommen, die Projektsteuerung und inhaltliche Begleitung des Dynamischen Masterplans zu übernehmen. Konkret war sie damit in alle Entscheidungsfindungen seitens der Stadt eingebunden, die kollegial zwischen dem Baudezernat und dem Dezernat für Finanzen und Konversion behandelt wurden. Zustimmung fand der Ansatz, über die parallele Bearbeitung vertiefender Studien die vorliegende Planung zu überarbeiten und zu substantiieren. Die im Szenarienprozess 2016/17 benannten Themen wurden grundsätzlich beibehalten und eine europaweite Vergabe zu den Themen Stadtbautypologien (Bogevischs Buero), programmatischer Profilierung (Initialdesign mit Arup, Berlin), Multimobilität (Urban Standards mit Buro Happold und KCW), Freiraum und Stoffkreisläufe (Ramboll Studio Dreiseitl mit Fraunhofer ISE) und digitale Stadt (Austrian Institute of Technology) in die Wege geleitet. Eine Präzisierung der Themen und die Aufgabenstellung für das Bewerbungsverfahren wurde seitens der IBA auf Augenhöhe mit dem Projektteam PHV und unter Mitwirkung von KCAP erarbeitet. Im Frühjahr 2019 konnte die Beauftragung erfolgen, womit ein planerischer Ausnahmezustand begann (Abbildung 3).

Abbildung 4: Prozessdiagramm zum Dynamischen Masterplan PHVision 2019/20.
Quelle: IBA ­Heidelberg.

Simultanschach: eine Planungsmethodik?

Gerade weil der Autor im Folgenden Einzelaspekte des Planungsprozesses kritisch beleuchtet sei vorweggenommen, dass er das Ergebnis der hier beschriebenen Koproduktion städtebaulich und programmatisch für ein erfolgreiches und überaus anspruchsvolles Planwerk hält. Operativ stellte die Verschränkung der Arbeitsprozesse und Entscheidungsfindungen – von ca. 25 Personen aus dem Stadtkonzern mit circa fünfzehn Dienstleister:innen und zahlreichen weiteren Expertisen – eine besondere Herausforderung dar. Geplant waren drei Monate intensiver Arbeit der einzelnen Planungskonsortien, deren Austausch untereinander sowie mit der Projektgruppe, der IBA und KCAP. Die zunächst als Auftakt-, Zwischen- und Abschlusskolloquium geplante Schnittstelle mit der Stadtspitze und weiteren Stakeholdern musste jedoch um ein viertes Kolloquium ergänzt werden. Noch vor einer ersten Synthese ging der Prozess in die Verlängerung – plus zehn Wochen über die Urlaubszeit im Sommer – um den Abstimmungen, basierend auf den vielen tiefgreifenden Arbeiten, eine Chance zu geben. Das Prozessdesign der IBA und KCAP hatte den Prozess des Wissenstransfers zwischen den verschiedenen Studien – insbesondere deren Abstimmung mit den Auftraggeber:innen – und die dem Auftrag entsprechenden (limitierten) Ressourcen der Büros (bezogen auf die zahlreichen vor Ort Termine) unterschätzt.

Was mit vielen konstruktiven Workshops unter Planenden und intensiven Abstimmungen auf verschiedenen Ebenen zu unterschiedlichen Themen (Nutzungsmischungen, Typologien, Freiraumstrukturen, Verkehrsplanungen, Energiebilanzen und Digitalisierungsoptionen) begann, wurde mit fortschreitender Zeit zu einer babylonischen Kompetenzvielfalt. Hinzu kamen noch sogenannte thematisch fokussierte Werkstattgespräche, um das lokale Wissen gebündelt mit den Annahmen der Studien abzugleichen. Damit waren weniger die Inhalte, als die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die größte Herausforderung. Zwar hatte die Stadt Heidelberg über ihre Konversionsgesellschaft der Planungsaufgabe angemessene Planungsbudgets bereitgestellt, jedoch konnte der Mehraufwand durch den experimentellen und in Teilen akademisch-diskursiven Charakter darin nicht dargestellt werden. Eine alle Beiträge, Inputs und Outputs, wertschätzende Synthese war am Ende nur durch entwerferische Integration und einen besonderen Teamgeist zu leisten. Als dann die Studien im Entwurf vorlagen, gab es vereinzelt Unmut, als die Auftraggeber:innen bestimmte Interpretationen nicht mittragen wollten. Dazu muss jedoch ausgeführt werden, dass die herausforderndsten Diskussionen weniger über konkrete Planungen geführt wurden, sondern über dahinterliegende gesellschaftspolitische Dimensionen. Insofern wurde Stadt in diesem Prozess tatsächlich, frühestmöglich und interdisziplinär verhandelt.

Die PHVison: Wunsch wird Wirklichkeit?

Im Sommer 2020 beschloss der Heidelberger Gemeinderat den Dynamischen Masterplan PHVision auf Basis ausführlicher Beschreibungen gesellschaftlicher, räumlicher und ökologischer Parameter (Stadt Heidelberg et al. o. J.). Konkret benannt waren die räumlichen Quantitäten und Qualitäten, die planerischen Setzungen und Offenheiten, die programmatischen Mischungsverhältnisse und Betreibermodelle. Die IBA konnte zufrieden sein: Es ist gelungen die Ideen aus der Planungsphase Null weiterzuentwickeln, wenn auch nicht alle technischen Grundlagen ermittelt wurden. Es gibt auf allen Ebenen ambitionierte Zielvorstellungen, die nun – in einem dritten Kapitel 2021 ff. – mit der Umsetzung in Bauplanungen, mit der Einrichtung einer Entwicklungs- und Betreibergesellschaft weiterverfolgt werden können. Dies gilt insbesondere für die Innovationsaspekte, die da sind: (ökologische) Freiraumqualitäten, klimaneutrale Stadt, die Verkehrswende vorwegnehmende Mobilität und Flächengerechtigkeit sowie sogenannte Innovationszonen für Sharing und andere Gemeinschaftsaspekte. Deren Einzelheiten können hier leider nicht ausführlich dargelegt werden. Der von Vielfalt auf allen Ebenen und von Offenheit ohne Beliebigkeit geprägte Städtebau, wird sich aber nach Auffassung des Autors in jedem Fall als robust beweisen.

Zurückgeblieben hinter den IBA-Ambitionen sind bislang die Pioniernutzungen der als grundsätzlich erhaltenswürdig eingestuften Bausubstanz. Hierzu hatte die IBA bereits 2018 mit einem Street-Art-Festival (Metropolink) in und um Offiziersvillen im Norden einen Testlauf ermöglicht und Anfang 2019 einen internationalen Workshop (unter Leitung von Klaus Overmeyer) durchgeführt, dessen Ergebnisse verhallten. Mit der Vielzahl der weiterhin zu bearbeitenden Ebenen ist PHV nicht nur für die IBA, sondern den gesamten Stadtkonzern Heidelberg zu einem Reallabor geworden, wobei Strukturen und Kapazitäten einer kleinen Großstadt dazu führten, dass Erfolge und Enttäuschungen zwei Seiten einer Medaille bzw. eines Experimentes sind.

Für ein Projekt mit der Größenordnung von zukünftig ca. 10.000 Bewohner:innen und 5.000 Arbeitsplätzen auf einer Fläche von 100 Hektar wurde viel erreicht. Hierarchien wurden sowohl auf Seiten der Planung (keine 2. Reihe für einzelne Fachisziplinen), als auch auf Seiten der Verwaltungsstrukturen (Stichwort Agiles Team) zumindest vorübergehend aufgeweicht und durch Mut ersetzt, um ausgetretene Pfade der Problemlösung zu verlassen und Innovationen Raum zu geben. Alle Seiten hatten die Bereitschaft, der IBA als Ausnahmezustand auf Zeit auf diesem Weg zu folgen. Und auch das Motto der 2022 zu Ende gehenden IBA wurde mit Leben gefüllt:

„Die IBA experimentiert mit den Planern, der Stadt und auch mit ihren Bürgern im Realen. Dabei erfüllt sie die Idee einer Wissensökonomie beispielhaft.“

(Klauser 2018: 31).

Anders als bei ihren hochbaulichen Projekten wurde die IBA beim PHV vom intermediären zum eingebetteten Akteur. Das starke Mandat am Anfang und die politische Unterstützung ermöglichten es dennoch, Innovationstreiber zu bleiben, obwohl der eigene Verantwortungsbereich umfassend war. Insofern war die strukturelle Unabhängigkeit (als GmbH) entscheidend, um die Kompetenzen und Ambitionen aller Beteiligten zusammenzuführen. Trotz oder gerade wegen der Einbettung in das Verwaltungshandeln, konnten der Anspruch eines Reallabors aufrechterhalten werden. Das heißt, die situativ anpassbare Solidarität – mal mit den Planenden, mal mit der Verwaltung – ermöglichte es, das Experiment erfolgreich bis zum erfolgreichen Beschluss zu führen. Dies unterstreicht die im Memorandum Internationaler Bauausstellungen festgeschriebene Empfehlungen, eine IBA nur auf den Weg zu bringen, wenn ihre Unabhängigkeit auch organisatorisch sichergestellt ist (IBA-Expertenrat 2017: 11).

Ende gut, alles gut? Natürlich nicht – braucht es doch bei großen Projekten des Städtebaus einen langen Atem, in Strukturen verankerte Ambitionen und vielleicht auch eine Kontinuität an Personen, die in der Heidelberger Konstellation nicht garantiert werden können. Aber das Ergebnis der PHVision, die zugehörige Beschlusslage und sogar erste Verabredungen zwischen Stadt und BImA macht dem Autor – als teilnehmenden Beobachter – Hoffnung, dass die Aufwände von allen Seiten nicht umsonst gewesen sein werden.

About the author(s)

Carl Zillich, Architekt BDA a.o., ist Kuratorischer Leiter der Internationalen Bauausstellung (IBA) Heidelberg und seit seinem Studium in Kassel und New York, Grenzgänger zwischen Theorie und Praxis der zeitgenössischen Planungs- und Baukultur in Deutschland und darüber hinaus.

Carl Zillich, architect BDA a.o., is Curatorial Director of the International Building Exhibition (IBA) Heidelberg and, since his studies in Kassel and New York, works in-between theory and practice of contemporary planning and building culture in Germany and beyond.

References

Eisinger, Angelus (2019): Neue Insel im Archipel? Das städtebauliche Zukunftslabor PHVision. In: IBA Heidelberg (Hg.): Dynamik der Wissensstadt. Projekte, Prozesse. Zürich: Park Books, 94–107.

Gemeinderat der Stadt Heidelberg (2017): Patrick-Henry-Village – Ergebnis des Masterplans (Planungsphase 0) und weitere Konkretisierung, Beschlussvorlage. https://ww1.heidelberg.de/buergerinfo/getfile.asp?id=279415&type=do&, Zugriff am 12.10.2020.

IBA-Expertenrat im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2017): IBA Gesellschaften – formale und operative Dimensionen, in: Ebd., Memorandum zur Zukunft Internationaler Bauausstellungen. https://www.internationale-bauausstellungen.de/wp-content/uploads/2020/07/Memorandum-zur-Zukunft-Internationaler-Bauausstellungen.pdf, Zugriff am 12.10.2020.

Klauser, Wilhelm (2018): Eine eigene Taskforce für die Wissensstadt von Morgen. In: Bauwelt 26/2018 (Stadtbauwelt 220), 28–31.

Selle, Klaus (2017): Making of … – Die ersten Jahre einer Internationalen Bauausstellung. In: IBA Heidelberg (Hg.): Die Wissensstadt von morgen. Reflexionen. Zürich: Park Books, 109–123
Stadt Heidelberg; IBA Heidelberg und KCAP (o. J.): Dynamischer Masterplan PHVision. https://iba.heidelberg.de/media/20200113_dynamischer_masterplan_niedrige_aufloesung.pdf, Zugriff am 12.10.2020.