Published 15.02.2021

Neue Wege der Quartiersentwicklung:
aspern Seestadt als Role-Model?

New Approaches in Neighbourhood Development: aspern Seestadt as a Role-Model?

Keywords: aspern Seestadt; Wien; Quartiersentwicklung; Öffentlicher Raum; Management; Vienna; neigbourhood development; public space; management

Abstract:

Das größte und mittlerweile renommierteste Stadtentwicklungsprojekt Wiens, aspern Seestadt, hat seit der Gründung der Entwicklungsgesellschaft vor 15 Jahren in vielen Bereichen beispielhafte Wege der Quartiersentwicklung beschritten. In den letzten Jahren wurden deren Wirksamkeit und Erfolg zunehmend sichtbar und anerkannt; einzelne Aspekte werden in anderen Projekten übernommen bzw. weiterentwickelt. Dabei wird aber – speziell im Wiener Kontext – immer wieder die Sonderstellung der Seestadt, sei es in Bezug auf Größe, Organisationsform oder Finanzierung hervorgehoben, und damit implizit eine breitere Übertragbarkeit von bereits erreichten Qualitäten infrage gestellt. Der vorliegende Beitrag möchte dem entgegenwirken. Anhand von vier exemplarischen Bereichen werden die dahinter liegenden Denkprinzipien und Lerneffekte erläutert und im Anschluss versucht, daraus allgemeine Übertragbarkeiten zu kondensieren sowie einen Ausblick auf notwendige nächste Schritte zu formulieren.

Since the founding of the development agency 15 years ago, aspern Seestadt, Vienna‘s largest and meanwhile best-known urban development project, has acted as a role model for new approaches in many areas of neighborhood development. The effectiveness and success of these approaches has become increasingly visible and recognized in recent years, with individual aspects being adopted and/or developed further in other projects. At the same time, however – particularly in the Viennese context – commentators repeatedly emphasize the special status of Seestadt in terms of scale, organizational structure or funding, a stance that implicitly questions the wider applicability of the qualities already achieved. This contribution aims to counter that tendency. The authors explain the rationale behind four exemplary aspects of the project before presenting a detailed discussion of the lessons learned. Finally, an attempt is made to formulate some generally applicable principles and anticipate necessary steps to be taken going forward.

Eine Entwicklungsgesellschaft als zentrale Plattform

Viele erkennen die Relevanz der Wien 3420 Aspern Development AG als Entwicklungsgesellschaft für die Entwicklung der Seestadt an. Gleichzeitig wird sie aber für etwas Besonderes, Einmaliges, nicht Reproduzierbares gehalten. Ein genauerer Blick hinter die Kulissen lohnt sich, da die dahinterliegenden Prinzipien von Offenheit und Betroffenheit oder Wendigkeit und Flexibilität auch auf andere Systeme übertragbar sind. Die Wien 3420 wirkt im Vergleich zu anderen Entwicklungsstrukturen manchmal klarer und stringenter in ihrem Tun und Handeln. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch hier um Interessensausgleich und die Verhandlung von unterschiedlichen Positionen geht. Der Umgang mit diesen unterschiedlichen Positionen ist allerdings ein anderer als vielerorts und ist von mehr Offenheit, aber auch positiver Betroffenheit geprägt.

Schon der Beginn war anders. Ein junges Team durfte sich an der großen Aufgabe versuchen. Internationale Projekte wurden besichtigt, die Zusammenarbeit mit der Stadt Wien war intensiv und von zahlreichen Diskussionen geprägt. Man begegnete sich zunehmend auf Augenhöhe und entwickelte eine gemeinsame Vision. Zahlreiche Diskussionen mit unterschiedlichen Branchenexpert:innen wurden geführt. Dabei bewegte man sich auch aus der klassischen Planungsszene hinaus. Die Entwicklungsgesellschaft verstand sich als Plattform, als Drehscheibe, in hohem Maße prozessual verantwortlich aber nie als alleiniger inhaltlicher Master Mind. Man durfte und wollte mutig sein, Fehler waren erlaubt. Man verstand, dass dieses große Stück Land die Grundlage für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens war aber gleichzeitig auch für die Gesellschaft einen großen Wert hatte, den es treuhänderisch zu betreuen galt.

Ein Stück des Erfolgs liegt darin, dass man der Seestadt eine eigene ‚Persönlichkeit‘ gegeben hat. Die Seestadt war als sehr ‚selbstbewusstes‘ Projekt mit klaren Haltungen konzipiert. Durch die Formulierung von klaren Haltungen und Zielen wurde aber auch erkennbar, dass es mancherorts an Umsetzungsmodellen fehlt. Hier wird eine weitere Stärke der Struktur sichtbar: die aspern Seestadt Einkaufsstraßen GmbH, die Wien 3420 Umwelt und Baulog GmbH, die researchTUb GmbH – alles Beteiligungen der Wien 3420 – sind Beispiele für die Wendigkeit und die Flexibilität, mit der die Wien 3420 und damit auch ihre Eigentümer:innen an die Umsetzung von Spezialthemen heranging. Das ist enorm hilfreich bei einer dynamischen Stadtteilentwicklung.

Ein weiteres Erfolgskriterium für die beispielgebende Entwicklung sind Persönlichkeiten, die sich täglich für die Seestadt als Fokus ihres Wirkens einsetzen, eine starke Identifikation mit ihr entwickelt haben, gleichzeitig verstehen, dass der langfristige ökonomische Wert mit einem gesellschaftlichen Wert in enger Verbindung steht und daher die Entwicklung der Seestadt wie ein Plattform funktionieren muss. Die Organisationsform ist dabei nur Mittel zum Zweck und ist weder an wenige Eigentümer:innen noch an das Aktienrecht gebunden. Wohl aber an die Attribute Mut, Offenheit, Kooperationswilligkeit, Innovationsfreude und Unternehmertum.

Vision und Qualitätssicherung: von der Markenentwicklung zur Projektbegleitung

Geradezu Unerhörtes wagten die Seestadt-Entwickler:innen mit einem Prozess des City-Brandings in der Anfangszeit der Stadtteilentwicklung. Die Ziele des neuen Stadtteils am ehemaligen Flugfeld sollte nicht nur in einem klassischen städtebaulichen Entwurf, sondern auch in einer Standort-Marke festgemacht werden. Aber kann ein Stadtteil überhaupt eine ‚Marke‘ sein? Kann man einem Ort eine neue Identität ‚verordnen‘?

Aus der Sicht der Verantwortlichen war es klar, dass für einen ‚weißen Fleck‘ auf der mentalen Stadtkarte eine Vision für den künftigen Lebensort zigtausender Menschen gefunden werden musste. Ein emotionaler Anker. Ja, dazu gehörte schlussendlich auch ein neuer Name für den Ort – aspern Die Seestadt Wiens – und ein Logo. Dazu gehörten aber zuvorderst klare Bilder des künftigen Lebens, die nicht nur für Investor:innen attraktiv sein sollten, sondern eine nachhaltige Stadtteilentwicklung entlang glaubwürdiger Wertvorstellungen signalisieren sollten. Aber nur durch die konsequente Kaskadierung von einer Standort-Vision mit ihren Werten, über Prinzipien der Quartiersentwicklung zur Qualitätsvorgabe für einzelne Bauplätze wird die Marke authentisch und die gesamte Entwicklung glaubwürdig! Aus der Überlagerung von Marke und Masterplan, Wertvorstellungen und Plänen, ergänzt um den stets wachen Blick nach außen, erwachsen konkrete Prinzipien der Planung und Umsetzung. Darauf aufbauend können sehr klare Qualitätsvorgaben formuliert und notwendige Umsetzungswerkzeuge implementiert werden. Genau dies jedoch verlangt unweigerlich nach einer handlungsfähigen Organisationseinheit, die diese Werkzeuge zum integralen Bestandteil ihres Handelns macht.

Ein charakteristisches Prinzip der Seestadt ist der Prozess der Qualitätssicherung. Dessen erfolgreiche Werkzeuge sind die Bebauungsleitfäden und der aspern Beirat. Im Sinne einer mit der Stadtplanung vereinbarten ‚dualen‘ Qualitätssicherung fügen die Leitfäden dem robusten Rahmen des Bebauungsplanes ergänzende Qualitätsanforderungen für den jeweiligen Bauplatz hinzu – von Raumhöhe über Fahrradabstellplätze bis zur Energieeffizienz –, aber immer aus dem Blickwinkel des gesamten Stadtteils, der jeweiligen Nachbarschaft und der Nutzungstypologie! Und darum geht es: um das Quartier als Ensemble, also buchstäblich um das Gemeinsame.

Genauso wichtig wie es ist, Prinzipien für die Umsetzung der Vision nicht aus den Augen zu verlieren – und mit einer gewissen Strenge nachzuverfolgen! – , genauso wichtig ist es auch, eine gewisse Offenheit für andere Zugänge oder für ungewöhnliche Interpretationen zu behalten. Neben einem gut verankerten Standbein braucht es eben auch ein gelenkiges Spielbein. Dafür existiert die Projektbegleitung, deren zentraler Akteur der aspern Beirat ist. Die wertschätzende Begleitung der Planungsphasen von Architektur- und Freiraumprojekten ist ein zentrales Asset guter Stadtteilentwicklung. Sie repräsentiert den Willen, die hohen Ansprüche an den neuen Lebensraum nicht zurückzustecken; sie vermittelt den Planenden und Entwickler:innen auch, dass es jemanden gibt, der auf die notwendige Einbettung des Projektes in das Ensemble schaut; sie entdeckt mit dem Blick von außen Potenziale, die es zu heben gilt.

Dabei ist essentiell, dass diese Projektbegleitung nicht vom hohen Ross doziert, sondern sich auf Augenhöhe mit den vielschichtigen Produzent:innen der Stadt begibt. Sie ist wie die fordernde Trainerin, die ihren Schützling im Wissen um dessen Potenzial weitertreibt, ihn anfeuert und ihm bei Bedarf die Wasserflasche reicht. Nicht immer gelingen Bestleistungen; aber (fast) immer werden die Projekte zu einem wertvollen Baustein des Ensembles.

Attraktive Orte: Wechselspiel von öffentlichem Raum, Sockelzone und Mobilität

Dem grundsätzlichen Bekenntnis zur prägenden Rolle des öffentlichen Raumes fühlten sich die Seestadt-Entwickler:innen von Anfang an verpflichtet. Mit der Erarbeitung eines Handbuches für die strategische Entwicklung und Gestaltung des öffentlichen Raumes wurde in Wien ein neuer Planungsstandard gesetzt. Die Partitur des öffentlichen Raums von Gehl zielt darauf ab, soziale Aktivitäten zeitlich und räumlich entlang zentraler Orte zu konzentrieren und zu überlagern. Der Planungsphilosophie von Jan Gehl entsprechend müssen daher Konzeptionsprozesse umgekehrt werden: zuerst über das (künftige) Leben nachdenken, dann die Qualitäten des Stadtraumes definieren, dann den aktiven Beitrag der Gebäude einfordern.

Begreift man also zum Beispiel die Straße nicht mehr nur als Infrastrukturbauwerk, sondern als Aufenthalt-, Begegnungs- und Kommunikationszone, als potenziellen Freiraum für Aneignungsprozesse, so führt dies letztlich zu einer neuen Raumverteilung. Es muss aber konsequenterweise auch zu einer neuen Planungskultur führen. Und genau deshalb wurde erstmals in Wien vom ersten Konzept an durchgängig eine interdisziplinäre Straßenplanung im Zusammenspiel zwischen Mobilitätsexpert:innen, Tiefbauingenieur:innen und Landschaftsplaner:innen verpflichtend vorgegeben. Alleine dadurch wurde ein höherer Qualitätsstandard möglich.

Doch auch dem Baufeldrand wird im Städtebau der Seestadt großer Wert beigemessen – diese Zone ist räumlich, sozial und funktional maßgeblich für die Qualität öffentlicher Orte. Dabei spielt die städtische Sockelzone aufgrund der menschlichen Wahrnehmung eine zentrale Rolle. Unterschiedliche Typen von Sockelzonen wurden entwickelt und in eigenen Plänen verortet. Unter Berücksichtigung unterschiedlicher Aspekte wie Hierarchie der Straßenräume, Lage und Orientierung der Zone, Verkehrssituation oder Windkomfort werden ortsspezifische Vorgaben zu Gestaltung, Raumhöhen und Funktion erstellt. Noch bevor die Bauordnung die Festsetzung einer Mindestraumhöhe im Bebauungsplan vorsah, wurde eine solche (vier Meter) in den Hauptstraßen der Seestadt über privatrechtliche Vereinbarungen (Kaufvertrag) durchgesetzt. Dadurch wird das Erdgeschoß nutzungsoffen und gibt der Straße einen Hauch von Urbanität.

In neuralgischen Bereichen der Seestadt werden Handel und Dienstleistung als Motoren zur Belebung des öffentlich nutzbaren Raums eingesetzt: ganz dezidiert wird der Typus einer öffentlichen Geschäftsstraße zum stadtplanerischen Paradigma der Nahversorgung. Die Sockelzone wird dabei als bauplatzübergreifende, eigenständige Typologie begriffen, für die es letztlich auch einer eigenen Managementstruktur bedarf: die Entwicklungsgesellschaft gründete gemeinsam mit SES Spar European Shopping Centers eine Einkaufsstraßen-Gesellschaft, welche die in einem Erdgeschoß-Leitplan definierten zentralen Geschäftslokale nach dem Muster eines Einkaufszentrums betreibt. Während die Bauträger Geschäftslokale in vorher definierter Lage, Größe und Qualität herstellen, mietet die Gesellschaft definierte Geschäftslokale an, und kümmert sich um Vermietung und Vermarktung. So kann der notwendige Branchenmix hergestellt und unterschiedliche Mieterträge ausgeglichen werden.

Die Qualität und Nutzbarkeit öffentlicher Räume ist eine wesentliche Voraussetzung zur Schaffung attraktiver verdichteter Stadtstrukturen; qualitätsvolle Erdgeschoßzonen sind dafür ein wichtiger Baustein. Beide prägen die Art und Weise, wie wir uns im Stadtraum bewegen. Damit liegt die Verbindung mit einer zeitgemäßen Mobilitätsstrategie auf der Hand: die Förderung sanfter Mobilität unterstützt die fußläufige Nah-Versorgung, das Zurückdrängen des Autoverkehrs bringt mehr Verkehrssicherheit – und im Zusammenspiel mit attraktiver Gestaltung auch mehr Aufenthaltsqualität. Ein wichtiger Baustein ist dabei die faire Raumverteilung zwischen den Mobilitätsformen.

Eine weitere Form der Balance ist die finanzielle Umverteilung in der Unterstützung der Mobilitätsformen. Das ist die Grundidee des in der Seestadt erfundenen ‚Mobilitätsfonds‘. Die Stellplatzreduktion bedeutet reale Einsparungen für die Entwickler und Bauträger. Ein Teil dieser Einsparungen fließt als definierter Fixbetrag pro Stellplatz in den ‚Mobilitätsfonds‘. Daraus werden Projekte und Maßnahmen zur Förderung stadtteilgerechter Mobilität finanziell unterstützt.

Aufgrund unserer Erfahrungen sind wir überzeugt, dass Grundbedingungen für die Schaffung von attraktiven Orten im Spannungsfeld der Themen ‚öffentlicher Raum‘, ‚Erdgeschoßnutzung‘ und ‚Stadtteilmobilität‘ durchaus aktiv geplant werden können, wenn die Zielsetzungen nicht separat verfolgt werden: Für die Entwicklung neuer Stadtquartiere ist die interdisziplinäre Arbeit und das integrierte Denken unabdingbar.

Prozessuale und managementorientiere Quartiersentwicklung

Die Entwicklungsgesellschaft, das Stadtteilmanagement, das Erdgeschoßmanagement, das Mobilitätsmanagement, das Eventmanagement, das Management von Pionier- und Zwischennutzungen oder eine ‚Kulturintendanz‘: ein wenig vermittelt das dem/der kritischen Betrachter:in den Eindruck, dass man auf einmal für alles ein Management braucht, was früher einfach passiert ist. Städte und deren Qualitäten haben sich maßgeblich anhand ökonomischer Prinzipien entwickelt. Bestehende Orte und Quartiere gelangen dort in die Krise, wo ökonomische Prinzipien nicht mehr funktionieren. Dann kommt es zu Veränderung oder es braucht die Intervention zur Steuerung der Veränderung, also Managementstrukturen.

So betrachtet mögen die nun bei Stadtentwicklungsgebieten (wie auch in der Seestadt) eingeforderten Management-Ebenen so etwas wie ‚Schnellkochtöpfe‘ sein. Weniger soll dem Zufall überlassen werden, weniger Zeit zum Anwachsen und Verändern wird gegeben. Gleichzeitig geht es um Erhöhung der Steuerbarkeit, der Kontrolle, größere Beeinflussbarkeit und gezielte Kommunikation zur Aufwertung. Verfügt ein Standort nicht über diese Werkzeuge, so ist er in der Umsetzung, der Innen- und Außenwahrnehmung deutlich stärker von Dritten und auch dem Zufall abhängig. In der ständigen Standortkonkurrenz um die unterschiedlichsten Formen von Ressourcen erscheint dies höchst relevant. Managementstrukturen haben gleichzeitig das Potential, die bestehenden Märkte und die von den Marktteilnehmern genannten Bedingungen zu beeinflussen und zu verändern. Die international viel beachtete Einkaufstraßen-Management-Gesellschaft ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel. Die gleichen Mechanismen finden sich aber auch in den Mobilitätsagenden der Seestadt oder den Versuchen, kulturelles Leben im Stadtteil zu aktivieren.

Lernen von funktionierenden Strukturen und Nachdenkprozesse, wie man bestehende Märkte im Sinne der Projektqualitäten beeinflussen kann, sind dabei die Grundlage. Vorteile von bestehenden Strukturen wie etwa das Centermanagement in Einkaufszentren wurden übernommen und in neue Systeme eingebettet. Die Wien 3420 hat dazu Tochtergesellschaften mit entsprechenden Spezialaufgaben gegründet. Die Konzeption der Seestadt hat also aus der reinen räumlichen und funktionalen Planung den Schritt in eine rechtliche und ökonomische Umsetzung gemacht. Dabei verbleibt immer im Blickwinkel, dem Markt und den Zielgruppen mit ihren Bedürfnissen entsprechen zu können.

Im Rahmen dieser Ausführung soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Management-Ebenen einen dominanten Top-down-Zugang haben und natürlich Gefahr bergen, langfristig wirkende Bottom-up-Effekte zu schwächen. Die Stärkung der langfristigen Effekte ist aber wesentlich, da die Entwicklung der Seestadt aufgrund ihrer Größe und Entwicklungsdauer kein einmaliges Ereignis ist.

Vielmehr ist es wichtig zu erkennen, dass man sich in einem ständigen Kreislauf von Vorbereiten und Planen (Leitbilder, Organisationsformen), Einladen (Kommunikation, Kuratieren) und Begleiten (Akquisition, Adaption) befindet. Dieser Kreislauf lässt sich durch eine starke Verschränkung der Managementstruktur optimieren: Die Entwicklungsgesellschaft bekommt Feedback vom Stadtteilmanagement für die weitere Entwicklung, Erdgeschoßzone und Stadtteilmanagement befruchten sich gegenseitig in der Aktivierung der öffentlichen Orte, usw.

Die Herausforderung der Seestadt ist damit also neben der Ausgewogenheit von zielgerichteten Managementstrukturen mit lokalen Initiativen auch die bessere Verknüpfung dieser Management-Ebenen. Ein Netzwerk, in welchem die Teilnehmer sich mittel- und langfristig gegenseitig speisen aber auch herausfordern, soll entstehen. Auch für aspern Seestadt selbst gilt also: ‚Learning from Seestadt‘.

Learning from Seestadt: Übertragbarkeiten

Entsprechend unserer Erfahrungen, die auch über die Seestadt hinausreichen, möchten wir einzelne Aspekte der Übertragbarkeit hervorheben und gleichzeitig zur Diskussion stellen:

Die eigenständige Organisationsform ist wichtig.

Eigene Strukturen mit dem Fokus der Quartiersentwicklung finden sich sowohl aufseiten der Developer und Grundstückseigner als auch aufseiten der Verwaltung. Die Argumente dafür sind ökonomisch (z.B. effiziente Lösung von quartiersbezogenen Mobilitätsangeboten), organisatorisch (Kooperationsnotwendigkeiten), politisch (Steuerbarkeit der Einflussnahme), strukturell (Entwicklungs- versus Verwaltungsstrukturen), vielfach aber auch persönlich (Personen mit Gestaltungswillen) motiviert.

Qualifizierte Personen sind das ‚Um und Auf‘.

Handlungsfähige Organisationen benötigen auch fachlich qualifizierte Personen. Interdisziplinarität und Wille zum Teamwork sind essentiell; die Unterschiedlichkeit von Personen bringt dabei zusätzliche Würze; die Offenheit, gute Ideen ‚von außen‘ zuzulassen, ebenfalls. Und – ganz wichtig – es braucht Begeisterung für die Sache!

Gezieltes Management unterstützt positiv besetzte Stadtbilder.

Die in unserer Wahrnehmung positiv besetzten, zumeist historischen Stadträume sind mit den heutigen Markt- und Planungsmechanismen nicht mehr selbstverständlich reproduzierbar. Hier bedarf es der Steuerung: von Gestaltungsleitbildern über die Ansprache alternativer ‚Stadtproduzenten‘ und schließlich dem Management von Geschäftslokalen, dem Kuratieren von Raumaneignungen oder der Unterstützung sozialer Prozesse. Zahlreiche Projekte verfolgen bereits diesen management-orientiertem Ansatz.

Die Marke ist ein Tiefwurzler.

Ein neuer Standort braucht mehr als einen/eine Planer:in – braucht Emotion. Eine Vision, ein Profil. Wie auch immer der Prozess zur Entwicklung dieses Leitbildes aussieht, die Glaubwürdigkeit steht und fällt mit den nachfolgenden Aktivitäten. Am Ende sollte jedes einzelne Projekt ein qualitätsvolles Kapitel der Quartierserzählung mitgeschrieben haben.

Qualitätsmanagement ist eine Kernaufgabe.

Eine gute Erzählung braucht nicht nur einen brillanten Plot zu Beginn, sie braucht auch ein seriöses Lektorat am Ende. Die Absicherung von anfangs versprochenen Projektqualitäten in den ‚Niederungen‘ des Planungs- und Baualltages muss als Kernaufgabe der Projektentwicklung wahrgenommen werden. Beiräte oder Lenkungsgruppen können nur dann wertvolle Inputs liefern, wenn sie von einem ‚hauptberuflichen Quartiersmanagement‘ mit viel Hintergrundwissen ‚gebrieft‘ sind.

Der öffentlich wahrnehmbare Raum als attraktiver Ort.

Die Wichtigkeit der öffentlichen Räume für neue Quartiere ist in aller Munde; jene einer belebten Sockelzone auch. Der Fokus muss jedoch auf der Schaffung attraktiver, lebenswerter Orte liegen. Dazu müssen die Wechselwirkungen mehrerer Faktoren bedacht und konsequent aufeinander abgestimmt werden. Es hilft, dabei konsequent zuerst an die Nutzer:innen, an das ‚Leben‘ zu denken und erst dann an Stadträume und Gebäude.

Quartiersentwicklung ist eine Aufgabe vieler.

Um lebenswerte Orte zu schaffen, bedarf es der konsequenten Einbindung und Aktivierung der in der jeweiligen Phase relevanter Akteursgruppen. Formate und Plattformen für Informationsaustausch und gemeinsames Arbeiten am Quartier müssen aber von übergeordneter Stelle organisiert und strukturiert werden!

Verbreitung und Vernetzung von Wissen: ein Ausblick

Aus unserer bisherigen Erfahrung im Kontext der Wiener Stadtteilentwicklung sind wir der Meinung, dass es in weiterer Folge weniger darum geht, immer neues Wissen im Bereich der Quartiersentwicklung zu generieren, sondern vielmehr darum, das vorhandene, aber fragmentierte Wissen aufzuspüren und aufzubereiten, es zu verbreiten, zu verankern und gegebenenfalls zu zeigen, wo es Notwendigkeiten für weitere Wissensvermittlung gibt.

Es braucht eine bessere Sichtbarkeit gelungener Projekte, eine allgemeine Ableitung relevanter Prinzipien und einen kontinuierlichen Wissensaustausch dazu. Erkenntnisse, welche bei einem Projekt gewonnen wurden, finden selten genug Eingang in das nächste Projekt. Man bekommt sogar oft den Eindruck, dass auf Projektebene immer wieder von vorne begonnen wird. Insbesondere auf der Umsetzungsebene gibt es zu wenig Austausch und Reflexion. Dies ist aber essentiell, da nur die Kreativität und der lange Atem im Umsetzungsprozess ein abstraktes Ziel zu einer erlebbaren Qualität erheben.

Es braucht darüber hinaus aber auch eine ehrliche Vernetzung, ein tiefes gegenseitiges Verständnis der Handlungslogiken und Mechanismen aller Akteure und Institutionen – von der Stadt über die Standorte – bis hin zu Immobilienentwicklung. Und es braucht auch ein aktives Fördern neuer Akteure, ungewöhnlicher Geschäftsmodelle und fehlender Organisationsformen.

Dabei ist auch die Seestadt-Entwicklung noch lange nicht am Ziel: ihre Akteure sind darum bemüht, im gemeinsamen Lernprozess der Stadtteilentwicklung weiterhin eine aktive Rolle einzunehmen.

Dieser Beitrag geht zurück auf einen Artikel in: Neues Soziales Wohnen: Positionen zur IBA_Wien 2022, IBA_Wien 2022 / future.lab (Hg.). Erschienen bei Jovis, Berlin 2020. Wir veröffentlichen den Text mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber:innen.

About the author(s)

Peter Hinterkörner, Architekt, arbeitet seit 2008 als Projektmanager in der Wien 3420 Aspern Development AG. Neben der Koordination städtebaulicher Planungen erarbeitet er Qualitätskriterien für Teilquartiere und Baufelder und steuert den Prozess der Qualitätssicherung.

Peter Hinterkörner, architect, has been Project Manager at Wien 3420 Aspern Development AG since 2008. Besides coordinating urban planning projects, he elaborates quality criteria for specific sites and plots as well as overseeing the quality assurance process.

Claudia Nutz, Raumplanerin, begleitete 10 Jahre lang die Entwicklung von aspern Seestadt als Vorstand. Für die Österreichischen Bundesbahnen leitete sie die Hochbau- und Liegenschaftsentwicklung. 2017 gründete sie die Firma nutzeffekt und berät bei großflächigen städtischen Entwicklungen.

Claudia Nutz, urban planner, was involved in the development of aspern Seestadt for 10 years as Technical Director. She was subsequently in charge of construction and facility management for Austrian Federal Railways. In 2017 she founded her consultancy nutzeffekt, which advises clients on large-scale urban development projects.

References

Hinterkörner, Peter und Nutz, Claudia (2020): Neue Wege der Quartiersentwicklung: aspern Seestadt als role-model? In: IBA_Wien 2022 / future.lab (Hg.): Neues Soziales Wohnen: Positionen zur IBA_Wien 2022. Berlin: Jovis, 236–240.

Wien 3420 Aspern Development AG; Magistratsabteilung 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung (Hg.) (2009): Partitur des öffentlichen Raums. Planungshandbuch aspern Seestadt. Werkstattbericht der Stadtentwicklung Wien (Nummer 103). Wien. Abrufbar unter: https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008068.pdf.