pnd – rethinking planning - Große Quartiere: Hafner in Konstanz
Vision für die Entwicklung Hafner, Wettbewerbsentwurf. Quelle: KCAP Architects&Planners.
  1. Start
  2. Ausgangslage zur Entwicklung des Hafners
  3. Flexibilität und Weiterentwickelbarkeit
  4. Fazit und Ausblick
  5. About the author(s)
  6. References

Published 15.02.2021

Große Quartiere: Hafner in Konstanz

Chancen und Herausforderungen einer großen baulichen Entwicklung in der Kulturlandschaft

Large Urban Quarters: Hafner in Constance

Opportunities and Challenges of a Major Urban Development in the Cultural Landscape

Keywords: Große Quartiere; Hafner Konstanz; Kulturlandschaftsentwicklung; Large urban quarters; Hafner Constance; cultural landscape development

Abstract:

Das Stadtentwicklungsprojekt Hafner der Stadt Konstanz – das größte seiner Art seit den Siedlungserweiterungen in den 60er und 70er Jahren mit über 3.000 möglichen Wohneinheiten – zeigt die Chancen und Herausforderungen einer großen baulichen Entwicklung in der Kulturlandschaft. Vor dem Hintergrund der komplexen Rahmenbedingungen und stadtgesellschaftlichen Diskussionen in einer dynamischen Umgebung beeinflusst die Prozessqualität das Ergebnis dank eines Austauschs zwischen allen beteiligten Akteuren. Das städtebauliche Konzept beruht auf den landschaftlichen Gegebenheiten und fördert neben Resilienz die Durchmischung von Gebäudetypologien und Nutzungen um ein grün-blaues Infrastrukturband herum mit innovativem Mobilitätskonzept. Die Struktur der Teilquartiere und der kleinteiligen Bebauung bietet die Möglichkeit einer stufenweisen Entwicklung des Gebietes und sichert eine hohe Lebensqualität.

The urban development project Hafner in the City of Constance, the largest of its kind since the settlement expansions in the 1960s and 1970s with over 3,000 potential housing units, shows the opportunities and challenges of a major building development in the cultural landscape. Against the background of the complex framework conditions and urban social discussions in a dynamic environment, the quality of the process influences the outcome thanks to an exchange between all the actors involved. The urban design concept is based on the landscape conditions and, in addition to resilience, promotes the mixing of building typologies and uses around a green-blue infrastructure band with an innovative mobility concept. The structure of the sub-quarters and the small-scale development offers possibilities for a gradual development of the area and ensures a high quality of life.

Das Stadtentwicklungsprojekt Hafner der Stadt Konstanz das größte seiner Art seit den Siedlungserweiterungen in den 60er und 70er Jahren mit über 3.000 möglichen Wohneinheiten, zeigt die Chancen und Herausforderungen einer großen baulichen Entwicklung in der Kulturlandschaft.

Vor dem Hintergrund der komplexen Rahmenbedingungen und stadtgesellschaftlichen Diskussionen in einer dynamischen Umgebung beeinflusst die Prozessqualität das Ergebnis dank eines Austauschs zwischen allen beteiligten Akteuren. Das städtebauliche Konzept beruht auf den landschaftlichen Gegebenheiten und fördert neben Resilienz die Durchmischung von Gebäudetypologien und Nutzungen um ein grün-blaues Infrastrukturband herum mit innovativem Mobilitätskonzept. Die Struktur der Teilquartiere und der kleinteiligen Bebauung bietet die Möglichkeit einer stufenweisen Entwicklung des Gebietes und sichert eine hohe Lebensqualität.

Für alle Beteiligten war der intensive gemeinsame Prozess zur Erarbeitung des Rahmenplans von hohem Wert, nicht nur aufgrund der hohen Qualität des Ergebnisses. Für die Stadt Konstanz hat er auch für zukünftige Entwicklungen wichtige Erkenntnisse geliefert, für die am Prozess teilnehmenden Planungsteams den Blick für die Arbeit an den Konzepten geweitet. Die Einnahme der unterschiedlichen Perspektiven spiegeln sich auch in den Konzepten des Rahmenplans wider.

Ausgangslage zur Entwicklung des Hafners

Die Stadt Konstanz wächst. In der zurückliegenden Dekade teilweise mit über 1.000 Einwohner:innen pro Jahr, in den vergangenen drei Jahren hat dieser jährliche Zuwachs abgenommen. Begründet liegt dies insbesondere in fehlenden kurzfristigen Flächenverfügbarkeiten für den Wohnungsbau. So ist in den vergangenen Jahren auch die Zahl fertiggestellter Wohnungen spürbar zurückgegangen: Wurden in den Jahren 2013-2015 noch knapp 1.500 Wohnungen fertiggestellt, so waren dies in den drei Folgejahren nur noch rund 800 Wohnungen, im Jahr 2019 nur noch 182 Wohnungen (StaLa BW 2020a2020b). Gleichzeitig sind eine deutliche Verknappung des Wohnraums und entsprechende Verdrängungs- und Preisentwicklungen sichtbar: 24 % der Wegzüge sind dem so genannten Nahbereich zuzuordnen (Stadt Konstanz 2020: 7–8), insbesondere auch in die angrenzenden Schweizer Kantone, in denen in den letzten Jahren der Wohnungsbau verstärkt vorangetrieben wird. Gleichzeitig werden von den dort lebenden Deutschen die sozialen und schulischen Infrastrukturen von Konstanz weiterhin genutzt. Der Nahbereich weist schon seit Jahren negative Wanderungssalden aus – ein Zeichen für zunehmende Verdrängungsprozesse auf dem Konstanzer Wohnungsmarkt, in dem Mieten und Kaufpreise seit Jahren extrem steigen. Insbesondere Familien und das mittlere Segment sind von diesen Prozessen betroffen. Sichtbar wird der Familienwegzug insbesondere in den negativen Wanderungssalden der Altersgruppen der 0- bis 18-Jährigen (Konstanz 2020: 8). Und auch im gewerblichen Bereich kann die Stadt die Nachfrage seit einigen Jahren nicht mehr ausreichend bedienen.

Abbildung 1: Säule der Entwicklung Wohn-/gemischte Baufläche: Baulandpreisindex der Stadt Konstanz.
Quelle: Amt für Liegenschaften und Geoinformation, Geschäftsstelle des Gutachterausschusses.

Die naturräumlichen Rahmenbedingungen schränken die Stadt in ihrer Außenentwicklung stark ein. Im Handlungsprogramm Wohnen wurden 2014 knapp 50 Flächen, größtenteils kleiner oder mittlerer Größe (Innen- wie Außenbereich), für die Wohnbauentwicklung identifiziert. Das Programm wurde im Jahr 2017 bereits evaluiert, die vorgesehenen Dichten und Segmentierungen überprüft und die Zahl der zu schaffenden Wohnungen auf insgesamt 7.900 Wohnungen beziffert. Begleitende Gutachten zur Evaluierung attestieren dem Programm bereits in den ersten Jahren einen nachweisbaren Effekt. Wesentlich wird weiterhin sein, die Ziele des Programms auch in den nächsten Jahren weiter konsequent umzusetzen. Nur so können die gewünschten Effekte auf den Konstanzer Wohnungsmarkt erzielt werden. Neben der Schaffung entsprechender Quantitäten wird vor allem die Durchmischung der Segmente und Angebote in allen Preisniveaus Schwerpunktaufgabe sein. Die mit Abstand größte Flächenreserve stellt der Hafner dar, auf dem mit über 3.000 möglichen Wohneinheiten ein beträchtlicher Teil des Wohnungsbedarfs geschaffen werden kann. Das Gebiet übersteigt bezüglich Größe und Komplexität der planerischen Aufgabe alle bisherigen Stadtentwicklungsprojekte der Stadt Konstanz – es ist das größte Entwicklungsprojekt seit den größeren Siedlungserweiterungen in den 1960er und 1970er Jahren (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Erstellte Wohneinheiten in der Stadt Konstanz im historischen Vergleich.
Quelle: Wohnungsbedarfsprognose 2035 der Stadt Konstanz.

Stadtgesellschaftlich wird immer wieder die Diskussion des Ob von Stadtwachstum geführt: Ob sich die Stadt Konstanz auch als Schwarmstadt dieser Entwicklung entziehen kann – häufig verbunden mit der Frage Wem gehört die Stadt?. Verstärkt wird diese Diskussion durch die anhaltende Nachverdichtung im Bestand, die für die Bewohner:innen der Stadt sichtbar werden und das gewohnte Wohnumfeld maßgeblich beeinflussen und mitprägen.

Aufgrund zu erwartender Folgen – wie der weiteren Preisentwicklung für Wohnen, der Verdrängung der so genannten Mittelschicht (insbesondere der Erwerbstätigen) und wirtschaftlicher Folgen für die ansässigen Unternehmen (insbesondere für deren weitere Entwicklung und die Fachkräftegewinnung) – positionieren sich Verwaltung und Gemeinderat der Stadt Konstanz inzwischen mit großen Mehrheiten für die Entwicklung auch im Außenbereich. Viele Jahre hatte sich die Entwicklung der Stadt auf die Verdichtung des Innenbereichs beschränkt.

Neben sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen für die Stadt Konstanz hat der Wegzug von einzelnen Bevölkerungsteilen in das nahe Umfeld einen sehr wesentlichen Effekt: Wird eine fehlende Wohnbauentwicklung in Konstanz von den Nachbargemeinden und -städten aufgefangen, so ist von einem deutlich größeren Flächenverbrauch auszugehen. Konstanz hat die mit Abstand höchste Bevölkerungsdichte und bauliche Dichte im Landkreis – zum Vergleich: Konstanz 1566 EW/km², Singen 773 EW/km², Radolfzell: 533 EW/km² (Stichtag 31.12.2018; StaLa BW 2020).

Die Prognosen zeigen, dass in Konstanz auch weiterhin mit Stadtwachstum zu rechnen ist, bis zum Jahr 2040 könnte die Stadt Konstanz auf fast 100.000 Einwohner:innen anwachsen. Anstatt sich auf die reine Zahl der Wohnungen zu konzentrieren, wird man sich mit den Qualitäten beschäftigen müssen und wie ein Stadtwachstum gestaltet werden kann.

In der Bauwelt konstatierte der ehemalige Oberbaudirektor Hamburgs, Jörn Walter:

„Es geht heute im Kern nicht um Quantitäten, sondern um Qualitäten. Wachstum und Schrumpfung sind keine Werte an sich. Hier liegt die entscheidende Herausforderung für die Stadtentwicklung, die Chancen des Wachstums in funktionaler und sozialer Hinsicht für durchmischtere, vielseitigere, innovativere und damit stabilere Quartiere und Stadteile zu nutzen. […] Das momentane Wachstum [ist] eine wirkliche Chance, Arbeiten und Wohnen wieder enger miteinander zu verflechten und mit Kultur-, Geschäfts-, Freizeit- und Erholungsnutzungen zu durchziehen.“

(Walter 2018: 15–16).

Teil dieser Diskussion ist die Frage nach der richtigen und angemessenen städtebaulichen Dichte, die einerseits den Anforderungen hoher Flächeneffizienz genügt und andererseits den Genius Loci würdigt und die notwendigen und gewünschten räumlichen, baulichen und funktionalen Qualitäten abbildbar macht.

Vor dem Hintergrund der komplexen Rahmenbedingungen und stadtgesellschaftlichen Diskussionen stellen sich verschiedene Fragen: Wie kann ein Quartier dieser Größe möglichst behutsam, spekulationsfrei und nachhaltig entwickelt werden und gleichzeitig den hohen Anforderungen von Wohnungsmarkt und stadtgesellschaftlichem, ökologischen und planerischem Anspruch genügen? Wie kann das Quartier gemeinsam mit der Bürgerschaft entwickelt, wie können gemeinschaftliche Konzepte entwickelt werden?

Das städtebauliche Konzept und der Prozess der Erstellung sind ein Kernelement zur frühen Qualitätsgestaltung und -sicherung zu Beginn der Entwicklung des Hafners. Beides ist und wird nicht alleine entscheidend für einen qualitativ hochwertigen, spekulationsfreien, durchmischten und sozial ausgewogenen, klimaneutralen Stadtteil sein. Insbesondere die Themen der sozialen Durchmischung, der Spekulationsfreiheit und der Preissegmentierung müssen über andere Instrumente gesichert werden, bspw. das Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach besonderem Städtebaurecht, der Bauleitplanung oder der Konzeptvergabe von Grundstücken. Dennoch gibt der Städtebau den entsprechenden Rahmen vor und setzt grundlegende Parameter für die Erreichung dieser Ziele. Die Erfahrungen aus dem wettbewerblichen Planungsdialog zum Rahmenplan Hafner lassen den Schluss zu, dass die Prozessqualität die Ergebnisqualität maßgeblich beeinflusst.

Der Austausch zwischen allen beteiligten Akteuren (Planerteams, Eigentümer:innen, Bürger:innen, Verwaltung, Gutachter:innen) ist eine wesentliche Voraussetzung, um zum frühen Zeitpunkt vorhandenes Wissen zu bündeln, auszutauschen und einen gegenseitigen Lernprozess zu beginnen. Eine wesentliche Herausforderung bei der Konzeption des Planungs- und Austauschprozesses war die Erfüllung der Anforderung des Wettbewerbsrechts insbesondere hinsichtlich der Anonymität und Gleichbehandlung bei gleichzeitig maximalem Austausch zwischen allen Beteiligten. Im Projekt hat sich Konstanz für drei aufeinander aufbauende Wettbewerbe (Teilnahmewettbewerb, 1. Wettbewerb, 2. Wettbewerb) entschieden, die jeweils durch Austauschformate begonnen und abgeschlossen wurden (siehe Abbildung 3). So kam es zum direkten Austausch zwischen den genannten Akteuren inklusive der Besprechung der konkreten Konzepte.

Abbildung 3: Systematik des wettbewerblichen Planungdialogs Hafner.
Quelle: Eigene Darstellung.

Für die Planerteams bot dies die Gelegenheit, lokales Wissen zu erheben, für Eigentümer:innen und Bürgerschaft ergab sich die Chance, direkte Erläuterungen zu den städtebaulichen Konzepten zu erhalten bzw. sogar eigene Grobkonzepte zu entwickeln (1. Bürgerforum). Die intensive Vorprüfung der Ergebnisse (inklusive bspw. Lärm, Energie, Stadtklima) gab der Jury eine sehr detaillierte Entscheidungsgrundlage und den Büros wichtige Informationen für die weitere Arbeit an den Konzepten (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Lokalklimatische Prüfung des Siegerentwurfs.
Quelle: Lokalklimatische Vorprüfung der Beiträge, Büro Dröscher Tübingen.

Neben den prozessualen Anforderungen des Planungsdialogs haben sich für die Entwicklung des Hafners breite planerische Zielspektren ergeben. So wurde für den Wettbewerb eine Fülle quantitativer und qualitativer Anforderungen und Vorgaben für die verschiedensten Funktionsbereiche definiert. Für die Erreichung und langfristige Sicherung der Ziele und einen hohen Grad der Nachhaltigkeit und Resilienz des Stadtteils sind einige planerische Parameter von entscheidender Bedeutung. Die wesentlichen Zieldimensionen sind/waren hierbei folgende:

Nachhaltigkeit und Energiewendedienlichkeit

Zwar kann der städtebauliche Rahmenplan nur wesentliche Grundzüge zur Energieversorgung beachten und noch keine konkreten Aussagen zur Klimafreundlichkeit liefern. Dennoch setzt er einen ersten Rahmen in verschiedenen Bereichen: Er sichert Flächen zur Energieerzeugung, gibt den Entwicklungsrahmen im Bereich Mobilität vor sowie erste Hinweise auf architektonische Möglichkeiten zur Vermeidung größerer ökologischer Fußabdrücke. Schon im städtebaulichen Wettbewerb wurde die Verknüpfung zwischen städtebaulichen Faktoren und einer Klimaneutralität in der Energieversorgung gesetzt: Die Teams mussten über Definition eines Grobkonzeptes der Energieversorgung und einer Ermittlung der Verbräuche eine in der Bilanz klimaneutrale Energieversorgung nachweisen.

Ein- und Anbindung an Stadt und Ortsteil

Aufgrund der Flächenknappheit für den Wohnungsbau, der Ziele im Bereich Raumökonomie und Flächeneffizienz wird eine in der städtebaulichen Körnung rein morphologisch abgeleiteter Städtebau in Anlehnung an den dörflich geprägten Stadtteil Wollmatingen nicht möglich sein. Ziel ist es, dennoch verbindende Elemente zu finden, die nicht nur städtebauliches Rückgrat für den neuen Stadtteil sind, sondern ebenso einen funktionalen und räumlichen Link zum bestehenden Ortsteil Wollmatingen schaffen. Als zentrale Elemente wurden hier der öffentliche Raum und Freiraum, die landschaftsräumlichen Verbindungen, die Nutzungszusammenhänge und -verteilungen sowie die entsprechende Platzierung sozialer Infrastrukturen identifiziert.

Flexibilität und Weiterentwickelbarkeit

Die Entwicklung eines großen Gebietes wie des Hafners wird einige Jahre dauern. Qualitative und quantitative Bedarfe können sich in dieser Zeit immer wieder verändern. Für die Entwicklung des Hafners sind daher einige strukturelle Ziele für die Entwicklung des städtebaulichen Konzeptes entscheidend:

Entwickelbarkeit in Stufen

Eine Aufteilung in Bauabschnitte ist logische Konsequenz bei der Entwicklung größerer Gebiete, sind die zeitliche Dauer der Entwicklung und Kapazitäts- und Bedarfsfragen doch wesentlich komplexer als in kleinen Gebieten.Herausfordernd ist die Umsetzung des Zieles, schon im Konzept einzelnen Bauabschnitten eine eigene Identität und funktionale Eigenständigkeit zu verleihen – und dies gleichzeitig auch für das Gesamtgebiet zu ermöglichen.

Entwicklung flexibler und anpassbarer Strukturen

„Ein nachhaltiges Zusammenwirken zwischen Struktur und Prozess der Stadtquartiersentwicklung erfordert anpassungsfähige, für Veränderungen offene Quartiersstrukturen. Das bedeutet Flexibilität und Reversibilität der Strukturen im Stadtquartier.“

(BBSR 2013: 14).

Aufgrund einer zunehmend kurzfristigen Taktung soziologischer, stadtgesellschaftlicher und räumlicher Veränderungsprozesse können sich auch im Zeitfenster der langwierigen Gebietsentwicklung wichtige Parameter verändern und die Akteursstruktur diverser und vielfältiger werden. Damit ändern sich möglicherweise die qualitativen und quantitativen Ansprüche. Diese müssen im Laufe der Entwicklung des Gebietes, aber auch nach Abschluss der Maßnahme, abbildbar sein. (Städte-) Bauliche Strukturen dürfen daher nicht zu statisch gedacht werden. Dies betrifft verschiedene Funktionsbereiche des Quartiers: unter anderem Mobilität, Nutzungsanordnungen, Wohntypologien, öffentliche Räume. Baulich und funktional einschränkende Faktoren – wie Tiefgaragen mit Auswirkungen auf Gebäudestatik/Architektur, welche die Kleinteiligkeit oder auch die typologische Durchmischung des Baufelds limitieren, – sollten vermieden werden.

Kleinteiligkeit in der Bebauung

Die Akteursstruktur im Bereich des Wohnungsbaus wird diverser und vielfältiger, kleinere Initiativen und lokale Player gewinnen an Bedeutung. Für das städtebauliche Konzept gilt daher das Ziel, das Gebiet möglichst kleinteilig zu entwickeln und Raum für kleinteilige Parzellierungen zu geben und große, statische Strukturen aufzubrechen. Dadurch wird eine Partizipation vieler unterschiedlicher Bauherr:innen und Grundstückseigentümer:innen (mit unterschiedlichen Anforderungen) an der Entwicklung ermöglicht – schon auf Ebene des Baufelds – und der Rahmen für einen hohen Durchmischungsgrad verschiedener Preissegmente, Wohntypologien und Wohnformen gesetzt. Eine darauf aufbauende Konzeption zur Vergabe der Grundstücke sichert in der weiteren Entwicklung die Umsetzung dieser (städte-) baulichen Struktur.

Das städtebauliche Konzept auf Basis landschaftlicher​ Gegebenheiten

Eine großflächige Entwicklung in der Kulturlandschaft bedeutet in einem komplexen Zusammenspiel von Chancen, aber auch Herausforderungen einen maximalen Mehrwert zu generieren. Es gilt die Biodiversität aufrecht zu erhalten, eine klimagerechte Entwicklung anzustreben, die gleichzeitig die Umgebung respektiert und integriert, wirtschaftlich stabil ist und eine nachhaltige Lösung für Mobilität bietet. Damit versucht die Entwicklung Hafner einen beispielhaften Weg zu gehen.

Die geplante Entwicklung liegt im topographisch geprägten Landschaftsraum zwischen mehr als zehn Erhebungen mit dem Hafner im Zentrum und greift in den wertvollen Landschaftsraum hinein. Eine bauliche Entwicklung könnte – intuitiv – als Zerstörung des Landschaftsraums betrachtet werden. Anders gedacht bietet aber die bauliche Entwicklung, interdisziplinär geplant und behutsam integriert, eine große Chance das kulturlandschaftliche Erbe als Identitätsträger für einen einzigartigen Lebensraum zu nutzen. Dabei soll der hügelige Charakter des Landschaftsraums und seine Qualitäten erhalten bleiben oder sogar noch verstärkt werden, indem nicht jeder einzelne Baum geschützt wird, sondern wertvolle Landschaftselemente identifiziert und so transformiert werden, damit diese mit neuen Bauten und Nutzungen einen hoch qualitativen Lebensraum schaffen können.

Die Besonderheit bei der planerischen Herangehensweise in dem Entwicklungsprojekt Hafner besteht im städtebaulichen Ansatz, die vielschichtigen klimatischen und landschaftlichen Gegebenheiten als Ausgangslage für die Planung zu nehmen. Mit dem Hügel Hafner im Zentrum, wird die städtebauliche Struktur von den Klimakorridoren, topographische Lage und Biotope bestimmt. Eine Orientierung an der vorhandenen Parzellenstruktur erleichtert die Integration von erhaltenswerten Strukturen und sichert eine langfristig etappierte Entwicklung mit möglichst wenig Abhängigkeiten (Abbildung 5).

Abbildung 5: Entwurfsparameter. Quelle: KCAP Architects&Planners.

Die Klimakorridore gliedern den Siedlungsraum von circa 60 ha. in zwei größere Teilquartiere, die wiederum in kleinere Einheiten teilbar sind bis auf ein einzelnes Baufeld oder Gebäudeensemble. Das räumliche Konzept folgt demnach einer Art von Matroschka-Prinzip, ein großes Quartier in klar identifizierbare Teilquartiere zu gliedern, die in sich funktionieren. Somit wird eine hohe Flexibilität nicht nur in der Etappierung, sondern auch in der Lesbarkeit und Definition der Quartiersgrößen und ihren funktionalen Schwerpunkt geschaffen (Abbildung 6).

Abbildung 6: Archipel von klar identifizierbaren und abgerundeten Quartieren.
Quelle: KCAP Architects&­Planners.

Ein grün-blaues Infrastrukturband als zentraler öffentlicher Raum

Ein grün-blaues Infrastrukturband Hafner Ring, welches als soziales Aktivitäts- und Begegnungsrückgrat die bestehende dörfliche Struktur und die neue urbane Struktur verbindet, ist der zentrale öffentliche Raum. Auf multikodierten, in Abschnitten gegliederten Flächen werden Spiel- und Sportmöglichkeiten der angrenzenden Schulen und Kitas, Plätze und Treffpunkte, Gemeinschaftsgärten sowie Joker-Flächen geschaffen, die auch als Öko-Nischen, Entwässerungsflächen funktionieren. Das grüne Band ist gleichzeitig auch der zentrale Mobilitätsraum für den öffentlichen Verkehr sowie Fahrrad und Fußgänger. Es ist eine neue Interpretation eines Freiraumtypus, der als intensiv bespielte Freifläche im Kontrast zur extensiven Kulturlandschaft der Umgebung neue urbane Lebensformen im landschaftlich geprägten Umfeld schafft (Abbildung 7).

Abbildung 7: Perspektive Hafner-Ring. Quelle: Ramboll Studio Dreiseitl.

Klima- und wassersensible Stadt als Leitbild

Eine klimagerechte Planung bedeutet, die natürlichen Ressourcen und Gegebenheiten maximal zu berücksichtigen. Die Lage des grün-blauen Infrastrukturbandes wird durch die natürlichen Entwässerungsgräben und Bäche definiert. Eine Oberflächen-Regenwasserbewirtschaftung wird auf Basis der topographischen Rahmenbedingungen erstellt und in die Freiraumgestaltung integriert. So werden multifunktionale ökologische Freiräume geschaffen, welche einen Mehrwert für alle Nutzer:innen bilden und eine nachhaltige Entwicklung einer wassersensiblen Stadt fördern (Abbildung 8).

Abbildung 8: Wassersensible Stadt als Leitbild. Quelle: Ramboll Studio Dreiseitl.

Durchmischung von flexiblen Typologien und Nutzungen

Eine nachhaltige Entwicklung bedeutet auch, möglichst hohe Vielfalt an Angeboten zu schaffen und eine Durchmischung von Gebäudetypologien und Nutzungen zu fördern. Das städtebauliche Konzept für Hafner schafft Spielraum, so dass ein Baufeld aus unterschiedlichen Wohntypologien oder Wohnformen bestehen kann. Je nach Bedarf kann eine unterschiedliche Mischung aus Mietwohnungen, Eigentumswohnungen, öffentlich geförderte Wohnungen oder Baugenossenschaften entstehen.

Hybride und nutzungsneutrale Typologien als Kombination von Wohnen und immissionsfreie Gewerbenutzungen wie Industrie 4.0 bieten eine hohe Flexibilität und Anpassbarkeit je nach Bedarf. Auch die Quartiersparkhäuser stellen eine Platzreserve für zukünftige Entwicklung in der Mobilität zur Verfügung, indem z.B. eine größere Raumhöhe Potenzial für eine spätere Umnutzung für Gewerbeeinrichtungen, FAB Labs oder Smart-Factories bietet (Abbildung 9).

Abbildung 9: Flexible Bebaubarkeit und Nutzung der Baufelder. Quelle: KCAP Architects&Planners.

Mobilität im Zeitalter der Digitalisierung und Sharing

Die Entwicklung Hafner sieht eine hochwertige Erschließung durch vielfältige und passgenaue Mobilität vor. In den Mobilitätsstationen werden Lastenräder, E-Scooter und Car-Sharing Services angeboten. Im Mobilitätstation L (large) wird ein umfangreicher Service wie zum Beispiel eine Fahrrad Reparatur, Post/Paket Dienst, Gemüselieferung, Ticketverkauf etc. angeboten. Die Mobilitätsstationen sind im gleichmäßigen Radius an den Bushaltestellen im Quartier integriert und werden mit Quartierparkhäusern kombiniert, sodass die Bewohner- und Besucherstellplätze gebündelt untergebracht werden und der öffentliche Raum weitgehend vom ruhenden Verkehr befreit ist. Somit können attraktive Verbindungen für Fahrradfahrer und Fußgänger und eine hohe Aufenthaltsqualität geschaffen werden (Abbildung 10, 11).

Abbildung 10: Mobilitätsstationen und Quartiersparkhäuser. Quelle: KCAP Architects&Planners.
Abbildung 11: Beispielhaftes Angebot einer Mobilitätsstation L. Quelle: ARGUS Stadt und Verkehr.

Eine langfristige, stufenweise Etappierung

Die Struktur der Teilquartiere und der kleinteiligen Bebauungsstruktur bietet mehrere Möglichkeiten für eine stufenweise Entwicklung des Gebietes Hafner. Die Initialphase der Entwicklung im Westen angrenzend zu Wollmatingen zu starten hat den Vorteil, dass die bestehende Infrastruktur genutzt und erweitert werden kann. Die Etappierung ist so konzipiert, dass auch eine Teilfertigstellung ein in sich abgeschlossenes Quartier bildet. Somit kann die Lebensqualität der neuen Bewohner:innen und Nutzer:innen des Teilquartiers unabhängig von der Gesamtentwicklung gesichert werden (Abbildung 12).

Abbildung 12: Etappierung. Quelle: KCAP Architects&Planners.

Fazit und Ausblick

Für die Stadt Konstanz und die beteiligten Akteure war das bisherige Verfahren Entwicklung des Rahmenplans nicht nur hinsichtlich des Ergebnisses wertvoll, sondern hat vielmehr vielfältige Erkenntnisse und Lerneffekte gebracht. Aus Sicht der Stadtverwaltung sowie des Projektteams sind dies insbesondere:

Proaktive Wachstumsdiskussion:

Auch in wachsenden Mittelstädten wie Konstanz wird zunehmend die Frage nach den Grenzen des Wachstums geführt. Es ist Aufgabe der Städte, diese stadtgesellschaftliche Diskussion proaktiv zu führen – und mit der Frage der angemessenen Dichten und Qualitäten zu verbinden. Für Mittelstädte bedeutet dies nicht selten, ein komplett neues Feld der Öffentlichkeitsbeteiligung zu erschließen – und wie im Prozess Hafner geeignete Formate für die Diskussion dieser Fragen zu finden.

Gemeinsame Zieldefinition:

Schon zu einem frühen Zeitpunkt im Prozess der Entwicklung großer Quartiere muss die große Breite der Akteure in einen gemeinsamen koproduktiven Prozess der Zieldefinition eingebunden werden. Die Abstimmung und – wo möglich – die Verfolgung gemeinsamer Ziele (bspw. zwischen Verwaltung, Politik und Planungsteams) fördert nicht nur ein qualitativ hochwertiges Entwicklungsergebnis, sondern gibt allen Beteiligten schon im Prozess Planungssicherheit. Der regelmäßigen internen und externen Kommunikation der Ziele (auch an Eigentümer:innen, Bürger:innen etc.) wird auch im Projekt Hafner eine entsprechende Bedeutung zugemessen.

Prozessqualität sichert Ergebnisqualität:

Ein gemeinsamer, iterativer Planungsprozess mit verbindlichem Austausch führt im Ergebnis in der Regel zu einer deutlichen Steigerung der Qualität sowie zu öffentlicher Akzeptanz des Ergebnisses. So ist beispielsweise der Rahmenplan Hafner von hoher inhaltlicher Qualität, resultierend aus dem intensiven Austausch aller Akteure im Prozess. Kritik am Konzept – auch aus der direkten Nachbarschaft – wird nur äußerst selten geäußert und beschränkt sich zumeist auf kleinere Einzelaspekte (bspw. die Bebauung einzelner Randgrundstücke), nicht aber die Grundzüge des Konzepts.

Aufwändigere Verfahren zur Qualitätssicherung:

Von der Konzepterarbeitung bis zur Grundstücksvergabe: Insbesondere bei großen Quartieren sind die Mechanismen zur Qualitätskontrolle komplex und aufwändig. Kommunen (auch Kommunen mit kleinerem Verwaltungsapparat) müssen sich zunehmend entsprechend hierzu aufstellen – hinsichtlich des fachlichen Know-hows sowie der personellen Kapazitäten. Ein entsprechendes Beratungs- und Austauschnetzwerk mit anderen Kommunen ist – insbesondere auch für die Klärung und Diskussion sehr spezifischer Fragen – hilfreich.

Offenheit aller Beteiligten:

Die Entwicklung großer Quartiere ist nicht nur planerisch eine äußerst komplexe Aufgabe. Der Prozess erfordert eine Offenheit der Verwaltung und anderer Akteure (bspw. Preisgericht, Vergabekommissionen, Politik etc.) gegenüber neuen Verfahren und innovativen Prozessbausteinen („Lernprozess“), um eine nachhaltige und hochwertige Entwicklung zu gewährleisten. Auch in Konstanz war und ist diese Offenheit der Akteure in allen Schritten des Planungsprozesses gefragt.

Das hochwertige und in Politik und Stadtgesellschaft sehr anerkannte städtebauliche Konzept basiert auf dem querschnittsorientiert ausgearbeiteten Rahmenplan. Dieser bildet für die weitere Arbeit im Prozess nicht nur einen inhaltlich-fachlichen Rahmen für den Städtebau, sondern ist auch Ausgangspunkt für die Vertiefung in den unterschiedlichen Funktionsbereichen. Das frühe Mitdenken aller relevanten Themen im Prozess sichert schon mit dem informellen Instrument des städtebaulichen Rahmenplans Qualität und Ziele und erhöht die Chancen ihrer tatsächlichen Umsetzung.

About the author(s)

Lukas Esper ist als Planer bei der Stadt Konstanz tätig und leitet das Projekt Entwicklung Hafner. Im Rahmen seiner Tätigkeiten in Forschung, Lehre und Praxis beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit den Querschnittsthemen des Städtebaus und der Quartiers- und Stadtentwicklung.

Lukas Esper works as an urban planner for the city of Constance and heads the project Hafner Development. Within his diverse professional activities in research, teaching and practical work he is concerned with the cross-cutting issues of urban design and development.

Yoo Na Ho entwickelt städtebauliche Konzepte und Transformationsstrategien für Agglomerationen, Städte und Quartiere als Associate partner bei KCAP Architects&Planners. Sie leitet die Konzeption und Erstellung des städtebaulichen Rahmenplans für die Entwicklung Hafner.

Yoo Na Ho creates urban design concepts and transformation strategies for agglomerations, cities and neighborhoods as associate partner at KCAP Architects&Planners. She leads the urban design and masterplan of the development Hafner.

References

BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) (Hg.) (2013): Ziele nachhaltiger Stadtquartiersentwicklung. Bonn: BBSR-Analysen KOMPAKT 09/2013.

Stadt Konstanz (Hg.) (2020): Einwohnerbewegung 2019. Statistik-Info 4/2020.

Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2020a): Bevölkerung im Überblick. https://www.statistik-bw.de/BevoelkGebiet/Bevoelkerung/01515020.tab?R=LA, Zugriff am 15.10.2020.

Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2020b): Wohnbau: Genehmigungen und Fertigstellungen. https://www.statistik-bw.de/HandwBauwirtsch/Bautaetigkeit/07015111.tab?R=GS335043, Zugriff am 16.10.2020.

Walter, Jörn (2018): Wachstumsdämmerung. In: Bauwelt 04/2018, 15–16.