Published 15.02.2021

Der Weg entsteht beim Gehen!

Leben und Große Projekte und das Erfordernis zur Komplexitätsreduktion

The Path Is Created by Walking

Large Projects and the Need to Reduce Complexity

Keywords: Vorbereitende Untersuchungen; Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme; Neues Stadtquartier; Beteiligung; Komplexitätsreduktion; Preparatory studies; urban development measures; new city district; participation; complexity reduction

Abstract:

Der Blankenburger Süden ist mit seinen 430 ha Untersuchungs- und 150 ha Realisierungsgebiet eines der größten Stadtentwicklungsprojekte in Deutschland – und vielleicht auch eines der komplexesten und umstrittensten. Aufgrund einer Vielzahl an Raumwiderständen und Betroffenheiten vor Ort war der Untersuchungsprozess zwischenzeitlich in einem Maße durch einen steten Zuwachs an Komplexität wie auch Widerständen gekennzeichnet, dass sich die Frage nach den strukturellen Grenzen von Beteiligung stellte. Eine frühe und umfangreiche Beteiligung trug zeitweise das Potential in sich, die Untersuchungen stetig zu verzögern, wenn nicht ihren Ausgang sogar auf Dauer im Ungewissen zu halten. Es besteht die strukturelle Herausforderung, eine wirksame Beteiligung bei solch komplexen Untersuchungen durch eine gleichzeitige Komplexitätsreduzierung erst zu ermöglichen. Ein Erfahrungsbericht.

The Blankenburger Süden is one of the largest urban development projects in Germany with its 430 ha investigated area and 150 ha realization area – and perhaps also one of the most complex and controversial. Due to a large number of spatial resistances and local concerns, the investigation process was characterized by a constant increase in complexity and resistance to such an extent that the question of structural limits of participation arose. Early and extensive participation held the potential at times to constantly delay the investigations, if not even to keep their outcome in doubt. The structural challenge is to enable effective participation in such complex investigations by simultaneously reducing complexity. A progress report.

Der Blick in die Weite kann trügen – 430 ha untersuchen um auf 150 ha zu bauen?

Nach mehreren Jahren der Stagnation begann Berlin wieder zu wachsen – und dies mit zunehmender Dynamik. Wohnungen wurden wieder knapp und teurer. Vor diesem Hintergrund wurden im April 2016 durch den damaligen Senator für Stadtentwicklung und Umwelt in der Öffentlichkeit zwölf Schwerpunktgebiete für den Wohnungsbau vorgestellt. Darunter der heutige Blankenburger Süden, ein geplantes neues Stadtquartier mit circa 5.000–6.000 Wohnungen auf einer landwirtschaftlichen Fläche zwischen den drei, zum Großteil bis heute dörflich geprägten Ortslagen Blankenburg, Heinersdorf und Malchow im Bezirk Pankow – ein Stadtbezirk im Nordosten von Berlin, der derzeit am schnellsten wächst (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen o. J. a).

Abbildung 1: Blick von Norden auf den Standort (obere Bildmitte) für das neue Stadtquartier Blankenburger Süden.
Quelle: Dirk Laubner.

Diese drei ehemaligen Dörfer waren nach der Eingemeindung zu Berlin im Jahre 1920 – wie auch heute – sehr unterschiedlich von dem Berliner Wachstum zur Großstadt und der damit verbundenen Siedlungsentwicklung betroffen:

  • Teilweise reichte der Urbanisierungsprozess bis in diesen Raum; brach aber ab.
  • Teilweise wurden (und werden) ehemalige Bauerwartungsflächen kleingärtnerisch oder zu Erholungszwecken zwischengenutzt.
  • Teilweise ist das Umfeld bis heute Offenlandschaft.

Bis heute entspricht die Leistungsfähigkeit der Straßen zwischen diesen drei Dörfern eher der von Dorfverbindungsstraßen. Der hier betrachtete Raum ist in einem sehr hohen Maße verkehrlich überlastet und die Potentialfläche für das neue Stadtquartiers Blanken­burger Süden schon jetzt unzureichend erschlossen. Schnell wurde deswegen klar, dass vor einer Realisierung vor allem die verkehrliche Erschließung sichergestellt werden muss. Dies kann aber nur durch eine Verknüpfung mit den im räumlichen Kontext – einem über­wiegend durch Bestandsnutzungen und eine Eigentümervielfalt geprägten Siedlungs­gebiet – vorhandenen überörtlichen Verkehrsnetzen gelingen.

Vor diesem Hintergrund wurde für das potentiell circa 100 ha große Realisierungsgebiet ein mehr als viermal so großes Untersuchungsgebiet für Vorbereitende Untersuchungen (VU) gemäß 165 (4) BauGB beschlossen. Es galt zu klären, inwieweit für die Realisierung des neuen Stadtquartiers Blankenburger Süden – einschließlich der erforderlichen An­bindung an die überörtlichen Verkehrsnetze – die Städtebauliche Entwicklungs­maßnahme (das schärfste Schwert des Städtebaurechts) das zwingend anzuwendende Umsetzungsinstrument wäre. Zur Sicherung der angestrebten Entwicklungsziele standen damit frühzeitig für das gesamte VU-Gebiet das Instrument der Zurückstellung, ergänzt durch den Beschluss eines Besonderen Vorkaufsrechtes nach § 25 (1) Satz 1 Nr. 2 BauGB, zur Ver­fügung.

In der Folge dieses Ansatzes wurde nunmehr automatisch – wie auch rechtlich geboten – nicht nur die landwirtschaftlich geprägte Realisierungsfläche im Außenbereich, die sich schon jetzt im Eigentum des Landes Berlin befindet, in den Blick genommen, sondern auch die „verbleibenden“ drei Viertel (330 ha, circa 1.400 Parzellen / Flurstücke / Grund­stücke) des VU-Gebietes – eine durch sehr unterschiedliche Bestandsnutzungen geprägte Siedlungsfläche, die planungsrechtlich teilweise dem Innenbereich und teilweise dem Außen­bereich zuzuordnen ist. Dies war zunächst durchaus gerechtfertigt. Denn zum einen war es dadurch möglich, frühzeitig die für die erforderliche Anbindung an das übergeordnete Verkehrsnetz in Frage kommenden Flächen in den Blick zu nehmen und nach Möglichkeit zu sichern. Zum anderen konnten damit weitere – in räumlicher Nähe zur potentiellen Realisierungsfläche für das neue Stadtquartier gelegene – Wohnungsbaupotentialflächen auf ihre Realisierungschancen hin untersucht werden.

Der Preis für diese Ausweitung des Blickes war aber enorm. Vorhandene Kleingarten- und Erholungsanlagen, zu circa zwei Drittel bis drei Viertel in Landeseigentum, gerieten in den Fokus. Es stellte sich die Frage, inwieweit aus gesamtstädtischer Perspektive wie auch aus siedlungsstrukturellen, stadtwirtschaftlichen und ökologischen Gründen eine Ent­wicklung dieser Flächen – gegebenenfalls vorrangig – geboten wäre. Dies führte gleichzeitig zu einer kaum überschaubaren Anzahl potentiell Betroffener, deren grundsätzlicher Beunruhigung und den daraus resultierenden kritischen Nachfragen, Aktionen und Protesten auch nicht mit mehreren Informationsveranstaltungen, einer Projektseite im Internet, einem Vor-Ort-Büro, persönlichen Beratungsgesprächen ausreichend begegnet werden konnte (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen o. J. b).

Hoffen auf ein positives Grundnarrativ

Der für das neue Stadtquartier Blankenburger Süden als potentielle Realisierungsfläche in den Blick genommene Standort war schon zu DDR-Zeiten als Stadterweiterungsfläche vorgesehen und wurde auch nach der Wende entsprechend im Gesamtberliner FNP dargestellt. Dieser Standort und mit ihm das gesamte VU-Gebiet ist bis heute aber dadurch gekennzeichnet, dass in all den Jahren nach der Wende zu wenig für den Ausbau der verkehrlichen, sozialen, technischen Infrastruktur getan wurde. Gleichzeitig erfolgten in der Nachbarschaft und im weiteren Umfeld bauliche Verdichtungen. Im Ergebnis ist das VU-Gebiet bis heute durch eine hohe Anzahl an aufgestauten städtebaulichen Problemen gekennzeichnet, die sich insbesondere in der strukturell überlasteten Verkehrsinfra­struktur – sowohl auf den Straßen als auch im ÖPNV – widerspiegeln.

In diesem belasteten Raum ein neues Stadtquartier mit 5.000–6.000 Wohnungen realisieren zu wollen, stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Früh wurde zwar von allen Seiten erkannt, dass erst die jetzt schon vorhandenen Sowieso-Probleme gelöst werden müssen, bevor die erste Wohnung im neuen Stadtquartier gebaut werden kann. Der deswegen im Rahmen der VU verfolgte kommunikative Ansatz, die Realisierung eines ­s­olchen neuen Stadtquartiers in diesem stark vorbelasteten Raum nicht nur als potentiellen Problem­verstärker, sondern umgekehrt gerade deswegen als potentiellen Problem­löser (Stichwort: Fokussierung städtischer Ressourcen auf diesen Raum) anzusehen, drang aber nicht durch.

Gleichzeitigkeit von Untersuchen, Beteiligen und Steuern

Vorbereitende Untersuchungen nach § 165 (4) BauGB

Am 30. August 2016 – wenige Woche vor den Wahlen für ein neues Abgeordnetenhaus – beschloss der Senat von Berlin die Durchführung von Vorbereitenden Untersuchungen (VU) nach § 165 (4) BauGB für das circa 430 ha große VU-Gebiet. Damit setzte er zum einen ein klares Signal nach innen und nach außen, an dieser Stelle ein neues Stadtquartier errichten zu wollen. Zum anderen waren mit diesem Beschluss Rechtsfolgen und Botschaften bzgl. einer potentiellen Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme verbunden, die nicht nur zu Erleichterungen führten.

Forum Blankenburger Süden

Unmittelbar nach dem öffentlichen Bekanntwerden der zwölf räumlichen Schwerpunktgebiete für den Wohnungsbau schlossen sich im Frühjahr/Sommer 2016 vor dem formellen Start der VU engagierte Bürger:innen und Bürgerinitiativen vor Ort zu dem Forum Blankenburger Süden (ursprünglich Forum Neu-Blankenburg) zusammen, um sich von Beginn an kritisch in diesen Untersuchungs- und Planungsprozess für ein neues Stadtquartier in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft einbringen zu können.

Zur konstituierenden Sitzung des Forums im Oktober 2016 wurde auch die für die Durchführung der VU verantwortliche Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein­geladen, die dieser Einladung gefolgt ist. Bei dieser wie auch folgenden Sitzungen wurden die je­weiligen Perspektiven der Teilnehmenden ausgetauscht. Insbesondere informierte die Senats­verwaltung für Stadtentwicklung darüber, dass noch vor Ende des Jahres 2016 – parallel zur Ausschreibung der VU – auch eine Ausschreibung eines partizipativ zu erarbeitenden Partizipationskonzeptes erfolgen solle und eine Einbindung des Forum Blanken­burger Süden angestrebt werde. Dies erfolgte dann über die gemeinsame Erarbeitung eines Grundverständnisses und Grundansatzes zur Öffentlichkeitsbeteiligung als Teil der Ausschreibungsunterlagen.

Beteiligung zur Beteiligung: Partizipative Erarbeitung eines Partizipationskonzeptes

Anfang 2017 startete die partizipative Erarbeitung des Partizipationskonzeptes, in deren Rahmen vier Beteiligungswerkstätten durchgeführt wurden (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen o. J. c). Dieser sehr frühe partizipative Ansatz muss nachträglich durchaus kritisch gesehen werden. Zwar konnten damit sehr früh die Per­spektiven der Beteiligten in den Blick genommen werden. Gleichzeitig war diese Beteiligung zur Beteiligung noch keine Beteiligung an der eigentlichen Planung/dem eigentlichen Projekt, was nur eingeschränkt vermittelbar war und zu einer Vielzahl von Nachfragen und Irritationen führte. Das zentrale Ergebnis dieses Erarbeitungsprozesses ist bis heute das Beteiligungskonzept selber, auf dessen Grundlage ein Projektbeirat berufen und eine Auftaktarena als Startveranstaltung der inhaltlichen Beteiligung durchgeführt wurde (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen 2017).

Abbildung 2: Beteiligungswerkstatt Blankenburger Süden.
Quelle: Jörg Farys/www.dieprojektoren.de.

Komplexer Projektbeirat als innovatives Governance-Format?

Am 27. Februar 2018 konstituierte sich der Projektbeirat – wenige Tage vor Durchführung der Auftaktarena am 3. März 2018. Seine 37 Mitglieder sind Vertreter:innen der sechs Perspektiven Politik, Bürger- und Nachbarschaft vor Ort, gesamtstädtische Stadt­gesellschaft, Fachverwaltung, Fachwelt und Zukünfte im neuen Stadtquartier (wie die zukünftigen Investierenden, Wohnenden, Arbeitenden, Kinder und Jugendliche), die im Rahmen der VU wie auch der späteren Umsetzung als besonders relevant angesehen wurden (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen o. J. d).

Der Grundansatz des Projektbeirates war dabei von Beginn an, so früh wie möglich und so weit wie möglich diese sehr unterschiedlichen Perspektiven in den Blick zu nehmen, um die Wissensbasis für Entscheidungen durch die dafür politisch legitimierten Ent­scheider so gut wie möglich verbessern zu können. Der Projektbeirat ist also kein Entscheidungsgremium, sondern ein Konsultationsformat. Gleichzeitig ist er damit auch durch eine strukturelle Unwucht gekennzeichnet, da die in ihm vertretenen sehr unterschiedlichen Perspektiven sehr unterschiedlichen Systemen/Sphären zuzuordnen sind. Die sehr unterschiedlichen Zeit- und Systemlogiken haben zur Folge, dass zum Beispiel die eine weiß, was für den anderen neu ist – oder: was für ihn nachvollziehbar viel zu langsam geht, ist für sie zeitlich nicht zu schaffen.

Abbildung 3: Projektbeirat Blankenburger Süden.
Quelle: Jörg Farys/www.dieprojektoren.de.

Umsteuern, intensiver beteiligen, tiefer untersuchen

Auftaktarena am 3. März 2018

Mit der Auftaktarena am 3. März 2018 startete dann die eigentliche Beteiligung zur eigentlichen Planung in Form eines Dreisprungs, welcher sich im Nachhinein als Dreifachbelastung herausgestellt hat (vgl. Auftaktveranstaltung zum offiziellen Bürger­beteiligungsprozess). Denn aus verschiedenen Gründen war es im Vorfeld zu Verzögerungen im Projektverlauf gekommen. Eine ursprünglich als Abfolge dreier Veranstaltungen geplante Vorstellung des Beteiligungskonzeptes einschließlich Start und Schulterschluss aller Beteiligten, Vorstellung und Diskussion der Rahmensetzungen sowie Vorstellung und Diskussion von drei Entwicklungsalternativen fand nunmehr im Rahmen einer einzigen Veranstaltung statt – von Beginn an eine Überforderung für alle Beteiligten. Gleichzeitig wurde im Rahmen dieser Auftaktarena erstmalig in der Öffentlichkeit kommu­niziert, dass nicht nur die 100 ha Realisierungsgebiet, sondern darüber hinaus weitere po­tentielle Wohnungsbauflächen im 430 ha großem Untersuchungsgebiet in den Blick genommen wurden. Statt der bisher von 5.000–6.000 Wohneinheiten war nunmehr von 10.000–12.000 Wohneinheiten die Rede, was berechtigterweise zu großen Irritationen, zur Wahrnehmung einer plötzlichen Verdoppelung wie auch zu einem breiten Unmut bei der Veranstaltung selber wie auch dann in der Berichterstattung führte.

Abbildung 4: Auftaktarena am 3.März 2018.
Quelle: Jörg Farys/www.dieprojektoren.de.

Start eines negativen Grundnarratives

Seitens der Projektbeteiligten – den Verfasser eingeschlossen – war mit dieser Auftakt­arena ein doppeltes Erstaunen verbunden. Während der Veranstaltung waren die Projekt­verantwortlichen und Projektbeteiligten – nach umfangreicher Beschäftigung innerhalb der Projekt-Cloud – erstaunt, dass die Bürger:innen, Presse und Politik über die scheinbare Verdoppelung erstaunt waren. Denn aus Projekt-/Binnenperspektive war der Grund für diese scheinbare Verdoppelung die Vergrößerung des Betrachtungsraumes. Trotzdem gelang es, innerhalb dieser Veranstaltung die damit verbundenen Fragen zu beantworten und den dabei entstandenen Unmut wieder konstruktiv zu wenden.

Das mit dieser Auftaktarena gestartete – und zum weiteren Erstaunen der Projekt­beteiligten einseitig negative – Grundnarrativ war verheerend. Die – schon während der Auftaktarena einsetzende – Berichterstattung von der Verdoppelung der Zahlen sowie die Verunsicherungen bezüglich der verkehrlichen Erschließung, der Überlastungen des Raumes und der Überformung bestehender Nachbarschaften wie auch der Bedrohung eigener Besitzstände führte im Nachgang zu einer Vielzahl verschiedener Formen des Widerstandes: Plakataktionen vor Ort, Plakatieren im Zentrum von Berlin, mehreren Protest­demonstrationen, Anfragen bei der Verwaltung wie auch Anfragen bei oder von Abgeordneten der Bezirksverordnetenversammlung von Pankow, dem Abgeordnetenhaus von Berlin und dem Deutschen Bundestag. Der Tanker Stadt behutsam weiterbauen im Blankenburger Süden war in schwere Fahrwasser geraten: der Wind blies plötzlich von vorn und es entstand der Eindruck, dass erste Passagiere das scheinbar sinkende Schiff verlassen.

Nachsteuern, Umsteuern – oder doch lieber gleich Zurückrudern?

Schnell wurde deutlich – und dann auch so entschieden: ein Weitergehen auf dem bisher eingeschlagenen Weg war schlicht nicht möglich. Der Betrachtungsraum wurde ­deswegen auf ein nunmehr 150 ha großes eigentliches Realisierungsgebiet – dem so genannten Fokus­raum – reduziert, wobei nicht zwingend erforderliche aber konflikt­trächtige Flächen soweit wie möglich außen vorgelassen wurden. Mit den, aus dem bisherigen Partizipa­tionsprozess sehr vertraut gewordenen, Vertretern örtlicher Bürger:innen und Bürger­initiativen wurde in ad hoc anberaumten Gesprächen eine Wiederannäherung angestrebt. Durch die über eineinhalb Jahre sehr intensive Zusammenarbeit im Rahmen der partizipativen Erarbeitung des Partizipationskonzeptes war eine Vertrautheit und ein Vertrauensverhältnis entstanden, welches jetzt sehr erschüttert war. Eine Paradoxie wurde deutlich: durch die sehr frühe Beteiligung auf Augenhöhe konnte eine Vertrautheit mit der jeweils anderen Seite geschaffen werden, die dadurch aber auch – und auch erst jetzt – zerstört werden konnte. Denn: erst wer sich kennengelernt hat, kann sich entzweien.

Suche durch Versuche und die Rolle der Bilder

Im formalen Sinne ruht die VU seit der Auftaktarena vom 3. März 2018. Der einge­schlagene Weg führte in eine Sackgasse, aus der erst nach einem längeren Innehalten wieder herausgefunden werden konnte. Der dabei gefundene Aus-/Umweg war eine Kombination aus einem Denkraum (Freiraum zum Nachdenken) und einer Laborphase, in deren Rahmen für den Fokusraum ein kooperatives städtebauliches Werkstattverfahren mit vier Entwurfsteams durchgeführt wurde. Ziel war dabei in erster Linie, das vorge­gebene Entwicklungs- und Projektziel eines neuen Stadtquartiers mit 5.000–6.000 Wohnungen, 40 ha gewerblicher Baufläche, vier Schulen sowie weiterer sozialer und ­grüner Infra­struktur bei vorgegebenen Rahmensetzungen wie der verkehrlichen Anbindung einem Stresstest zu unterziehen. Das Ziel hinter diesem Ziel war es aber auch, zu untersuchen und aufzuzeigen, inwieweit bei unterschiedlichen Herangehensweisen/Grundhaltungen unterschiedliche Antworten auf die Entwurfsaufgabe gefunden werden und inwieweit die dabei entstehenden Testplanungen mit ihrer jeweils spezifischen Bildsprache und ihrem jeweiligen eigenem Bildgewicht eine Wende hin zu einem wieder positiverem Grund­narrativ – nach außen im Sinne bestärkender Botschaften und nach innen im Sinne einer Neumotivierung – bewirken könnten.

Zu diesem Zwecke wurden im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung vier Lose ausgeschrieben, die jeweils einer spezifischen Herangehensweise / Grundhaltung entsprechen:

  • Los 1 stand dabei für die Entwicklung des neuen Stadtquartiers aus der unmittel­baren, eher dörflich geprägten Nachbarschaft heraus;
  • Los 2 für ein Weiterbauen der Stadt aus der Perspektive der inneren, eher urbanen Mitte von Berlin;
  • Los 3 für einen Entwurf und eine Identität aus dem neuen Stadtquartier selber ­heraus;
  • Los 4 war als Wild Card die Auffangoption für all diejenigen, die sich den anderen drei Losen nicht zuordnen wollten oder konnten.

Um diese angestrebte wie auch vorgegebene Vielfalt in der Herangehensweise sicherzustellen, musste sich nunmehr jedes Bewerberteam einem dieser vier Lose zuordnen – womit aber durchaus auch das Risiko verbunden war, dass wegen fehlender oder mangelhafter Angebote nicht bei jedem Los eine Vergabe möglich sein werde!

Abbildung 5: Sitzung des Projektbeirates zur Zwischenpräsentation.
Quelle: Jörg Farys/www.dieprojektoren.de.

Im Ergebnis war das Werkstattverfahren ein voller Erfolg. In allen vier Losen war – wenn auch bei einem äußerst knapp – eine Vergabe möglich. Durch eine umfangreiche Begleitung der vier Entwurfsteams durch sechs Sachverständige, durch die Verwaltung, durch den Projektbeirat, durch das aus ihm gebildete – fachlich geprägte – Empfehlungs­gremium (Vorsitz: Prof. Christa Reicher) und durch die allgemeine Öffentlichkeit konnte bei allen vier Entwurfsteams die Beachtung der gemeinsamen Aufgabenstellung bei gleichzeitiger Orientierung an der jeweiligen losspezifischen Grundhaltung und Herangehensweise sichergestellt werden (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen o. J. e). Auch die Berichterstattung zum Start der Online-Beteiligung war erstmalig ungewohnt konstruktiv und wohlwollend. Schließlich zeichnen sich alle vier Testplanungen/Entwürfe durch eine Vielfalt und große Bandbreite hinsichtlich der wesentlichen Fragen – wie z.B. der Verortung der gewerblichen Bauflächen – aus, so dass anhand dieser sehr unterschiedlichen bildmächtigen Varianten nachgewiesen werden kann, wie das neue Stadtquartier trotz all der anspruchsvollen Rahmenbedingungen aussehen könnte.

Abbildung 6: Kooperatives städtebauliches Werkstattverfahren Blankenburger Süden 2019/2020:
Städtebauliche Rahmenpläne der vier Entwurfsteams. Quelle: Die Büros.

Aber eben auch nicht muss! Denn im Grunde geht dieser – und dann auch noch mehr­fache – Blick in die städtebauliche Tiefe eigentlich schon zu weit. Für eine VU im Sinne des § 165 (4) BauGB braucht es nur ein abstraktes Struktur- und Nutzungskonzept mit der prinzipiellen Strukturierung des neuen Stadtquartiers und der grundsätzlichen Verortung der einzelnen Nutzungsarten – also eher der Darstellungen eines Flächennutzungsplans mit seinen eher quantitativen Inhalten vergleichbar als den durchgearbeiteten Entwürfen einer städtebaulichen Vertiefung mit ihren Aussagen über Qualitäten. Denn erst nach Generierung des Struktur- und Nutzungskonzeptes, nach Wiederaufnahme und Abschluss der VU auf dessen Grundlage und nach dem Grundsatzbeschluss des Senats bezüglich der Realisierung des neuen Stadtquartiers (aus heutiger Sicht frühestens 2022) wird im Rahmen eines Städtebaulichen Wettbewerb zu klären sein, wie das neue Stadtquartier aussehen soll.

Die nächste kommunikative Herausforderung steht damit vor der Tür! Nach diesem sehr aufwendigen kooperativen städtebaulichen Werkstattverfahren muss erklärt werden, warum es jetzt erst einmal wieder „nur“ um das eher abstrakte, schwer vermittelbare Struktur- und Nutzungskonzept geht. Gleichzeitig ist aber vielleicht auch eine erste Grundlage für ein neues, wieder eher positives Grundnarrativ gelegt und damit eine Wende in der Erzählung eingeleitet worden.

Ausblicke in verschiedene Richtungen

Das Werkstattverfahren wurden am 19. September 2020 mit einer Diskussion der vorliegenden Ergebnisse (einschließlich der Ergebnisse aus der Öffentlichkeitsbeteiligung) im Projektbeirat abgeschlossen. Dazu gehörte auch die anschließende Verständigung des Empfehlungs­gremiums auf Empfehlungen, wie das Struktur- und Nutzungskonzept aus den Ergebnissen des Werkstattverfahrens generiert werden könnte (vgl. Senatsver­waltung für Stadtentwicklung und Wohnen 2020). Entsprechend dieser Ergebnisse und Empfehlungen wird das Struktur- und Nutzungskonzept auf der Grundlage zweier Testplanungen und unter Einbindung der jeweiligen Entwurfsteams generiert. Da die dafür erforderlichen Konkretisierungen von Rahmensetzungen erst Ende dieses Jahres vorliegen werden, wird dieser Generierungsprozess erst im I. oder II. Quartal 2021 abge­schlossen werden können.

Nach der Erstellung des Struktur- und Nutzungskonzeptes wird dieses durch den Senat von Berlin als Grundlage für die Weiterführung der VU wie auch für die erforderliche Änderung des FNP zustimmend zu Kenntnis genommen. Diese eher unübliche Vorgehensweise soll die erforderliche Planungssicherheit für den weiteren Planungsprozess stiften. Anschließend kann dann die VU wiederaufgenommen und weitergeführt werden. Aufgrund all der dabei noch anstehenden Arbeitsschritte ist davon auszugehen, dass die VU nicht vor 2022 beendet werden kann – womit sie zwar viel länger als ursprünglich geplant und ursprünglich vom Gesetzgeber auch vorgesehen, aber weiterhin kürzer als andere, vergleichbare Untersuchungen wäre.

Parallel soll im nächsten Jahr die Fortschreibung des Beteiligungskonzeptes erfolgen. Dabei böte es sich natürlich an, all die in den letzten Jahren gemachten vielfältigen Beteiligungs­erfahrungen kritisch zu reflektieren. So sind z. B. die bisher – eher ad hoc – angewendeten Informations- und Beteiligungsformate wie Projektseite im Internet, Vor-Ort-Büro, Planungszeitung, Newsletter, Projektbeirat, Online-Beteiligungen, Beteiligungswerkstätten und Informationsveranstaltungen daraufhin kritisch zu prüfen, inwieweit sie im Rahmen einer VU nach § 165 (4) BauGB – die ja erst einmal nur die Machbarkeit eines solchen großen Projektes untersuchen soll – überhaupt sachgerechte und leistbare Ansätze darstellen.

Im Sinne eines Fazits – und dabei gleichermaßen rückblickend wie vorausschauend – ist festzuhalten, dass das Stadtentwicklungsprojekt „Stadt behutsam weiterbauen im Blanken­burger Süden“ von Beginn an in einem sehr hohen Maße ambitioniert war. Es ging nie allein nur um die Realisierung eines neuen Stadtquartiers Blankenburger Süden auf einer landwirtschaftlichen Fläche im Außenbereich, sondern gleichzeitig um Stadtreparatur und Nachverdichtung in den angrenzenden Nachbarschaften. Auf die damit verbundene Komplexität wurde mit einem komplexen Untersuchungs- und Beteiligungsansatz reagiert, der für alle Beteiligten – insbesondere für die Betroffenen vor Ort, die Politik und die Verwaltung – eine zu große Herausforderung darstellte. Im Ergebnis gilt es jetzt zu reduzieren: die Komplexität, den Untersuchungsraum, den Beteiligungsansatz.

Der Weg entsteht also weiter – Schritt für Schritt.

About the author(s)

Ulf Gerlach, Stadt- und Regionalplaner (SRL), Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Stadt­entwicklung und Wohnen Berlin, Sonderreferat Wohnungsbau, Projektleiter Stadt be­hutsam weiterbauen im Blankenburger Süden.

Ulf Gerlach, City and regional planner (SRL), employee of the Senate Department for Urban Development and Housing Berlin, special unit for housing, project manager for Stadt behutsam weiterbauen im Blankenburger Süden (= “Continuing to carefully build in Blankenburger Süden”).

References

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hg.) (o. J. a): Neue Stadtquartiere.Blankenburger Süden. www.berlin.de/blankenburger-sueden, Zugriff am 26.11.2020.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hg.) (o. J. b): Blankenburger Süden. Öffentlichkeitsbeteiligung. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/blankenburger-sueden/de/beteiligung/index.shtml, Zugriff am 26.11.2020.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hg.) (o. J. c): Blankenburger Süden. Rückblick. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/blankenburger-sueden/de/rueckblick.shtml, Zugriff am 26.11.2020.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hg.) (o. J. d). Blankenburger Süden. Projektbeirat. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/blankenburger-sueden/de/beteiligung/projektbeirat.shtml, Zugriff am 26.11.2020.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hg.) (o. J. e): Vorbereitende Untersuchungen. Werkstattverfahren. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/blankenburger-sueden/de/werkstattverfahren.shtml, Zugriff am 26.11.2020.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hg.) (2017): „Stadt weiterbauen im Blankenburger Süden“ Beteiligungskonzept. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/blankenburger-sueden/download/BlankenburgerSueden-Beteiligungskonzept.pdf, Zugriff am 26.11.2020.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hg.) (2020): Kooperatives städtebauliches Werkstattverfahren Dokumentation der internen Abschlusspräsentation. 19. September 2020. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/blankenburger-sueden/download/abschlusspraesentation_werkstattverfahren_BlaSued%20.pdf, Zugriff am 26.11.2020.