- Start
- Klimaneutralität als sozialer Lernprozess
- Momentum
- Herausforderungen der Klimatransformation
- Bonn4Future: Ein lernender Prozess
- Wissensaufbereitung für das erste Klimaforum
- Gamechanger für die Klimatransformation
- Herausforderungen bei der Kokreation
- Vor- und Nachteile einer ungewöhnlichen Kooperation
- Ist Beteiligung an der großen Transformation noch Beteiligung?
- About the author(s)
- References
Published 2.07.2025
Klimaneutralität braucht Kokreation
Gamechanger für eine lebenswerte, klimaneutrale Stadt – das Beispiel Bonn4Future
Climate Transformation through Cocreation
Game Changer for a Liveable, Climate-Neutral City – The Example of Bonn4Future
Keywords: Transformation; Beteiligung; Klimaneutralität; soziales Lernen; Hebel der Veränderung; transformation; participation; climate neutrality; social learning; gamechanger
Abstract:
Klimaneutral bis 2035 bedeutet für die Stadt Bonn, dass die Emissionen um 93 Prozent sinken müssen und zwar sieben- bis zehnmal schneller als bisher. Kann man Bürger:innen solche Herausforderungen zumuten? Und wie werden sie zu Mitgestalter:innen dieser Transformation? Im Mitwirkungsverfahren Bonn4Future – Wir fürs Klima wurden die Klimaziele der Stadt für sieben Handlungsfelder aufbereitet. Über 300 Bürger:innen und Akteur:innen haben auf dieser Basis Empfehlungen entwickelt, wie die Klimatransformation in Bonn gelingen kann. Über 80 Prozent fühlten sich danach ermutigt. Eine Inhaltsanalyse der Empfehlungen zeigt: Die wichtigsten Gamechanger sind eine verständliche Kommunikation der Klimaziele und die Vervielfältigung der Räume, in denen Menschen ihr Wissen einbringen und an Lösungen arbeiten können. Der Artikel beschreibt Ziele, Design, Erfolgsfaktoren und Potentiale dieses Ansatzes und zieht Schlussfolgerungen für die Kokreation der klimaneutralen und lebenswerten Stadt.
For the city of Bonn, climate neutrality by 2035 means that emissions must be reduced by 93 percent, seven to ten times faster than before. Can citizens be expected to face these challenges? And how can they become co-creators of this transformation? In the participatory process Bonn4Future – We for the Climate, the city‘s climate targets were translated into seven fields of action. More than 300 citizens and stakeholders developed recommendations on how the climate transformation in Bonn can succeed. More than 80 percent felt encouraged. A content analysis of the recommendations shows: The most important gamechangers are comprehensible communication of climate goals and the multiplication of spaces in which people can contribute their knowledge and work on solutions. The article describes the goals, design, success factors and potential of this approach and draws conclusions for the co-creation of a climate-neutral and livable city.
Klimaneutralität als sozialer Lernprozess
Klimaneutralität lässt sich politisch beschließen, aber nicht verordnen. Denn der Weg führt nicht nur über unzählige Baustellen bei der Umstellung der Wärme-, Energie- und Mobilitätssysteme auf regenerative Energien. Mehr als die Hälfte der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in Bonn gehen auf das Konto von privaten Haushalten, Unternehmen und Institutionen (Helbig 2021). Es braucht also mehr als Beteiligung an einem Prozess, den andere realisieren. Es braucht Aufbruch, Mut und aktive Mitgestaltung (Manzini und Jégou 2003).
„The transition towards sustainability will be a social learning process which, given the nature and dimension of the change that must take place, will need to be both widespread and well articulated.“
(Manzini und Jégou 2003: 30)
Dieser Artikel beschreibt ein Mitwirkungsverfahren, das den Versuch unternommen hat, die Herausforderungen und Ziele, die wir als Gesellschaft kollektiv erreichen müssen, für Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen verständlich aufzubereiten, um auf dieser Basis mit den Teilnehmenden Transformationswissen für den Weg zur klimaneutralen Kommune zu erarbeiten.
Die folgenden Abschnitte beleuchten die Entstehungsgeschichte des Verfahrens Bonn4Future – Wir fürs Klima. Sie geben einen Einblick in die natur- und verhaltenswissenschaftlichen Grundlagen, die Ziele und das Design des Verfahrens. Der Artikel veranschaulicht beispielhaft die Übersetzung von wissenschaftlich begründeten und politisch vereinbarten Klimazielen auf konkrete Lebensbereiche. Er geht auf zentrale Empfehlungen der Mitwirkenden ein, die eigentlichen Gamechanger für eine klimaneutrale und lebenswerte Stadt. Und er zieht Schlussfolgerungen für einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess, der mehr als Beteiligung braucht.
Momentum
Im Jahr 2019 entwickelte sich in Bonn – wie in anderen Städten auch – eine starke Klimabewegung, angeführt durch FridaysForFuture. Im Vorfeld der Kommunalwahlen fiel auf Antrag der Klimagruppen zunächst ein Stadtratsbeschluss zum Klimanotstand. Kurz danach beschloss der Rat, dass Bonn bis spätestens 2035 klimaneutral werden soll. Ein Vorhaben mit Folgen für die gesamte Stadtgesellschaft. Bürgerbeteiligung war im Beschluss zur Klimaneutralität nicht vorgesehen. Im Februar 2020 reichten daher der Transition Town Verein Bonn im Wandel e.V. und die Klimawache Bonn nach § 24 Gemeindeordnung NRW einen Antrag zur Bürgerbeteiligung ein. Er trug den Titel Bonn4Future – Wir fürs Klima. Über 80 Initiativen, Organisationen und Unternehmen unterstützten den Antrag. Nach einem positiven Signal des Ausschusses für Bürgerbeteiligung entwickelte der Verein pro bono ein umfangreiches Beteiligungskonzept (Maschkowski et al. 2020). Im September 2020 beschloss der Stadtrat unter Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) auf dieser Basis mit großer Mehrheit die Förderung des Verfahrens. Dem Beschluss folgte die Ausarbeitung eines Projektplans mit Meilensteinen und Zuständigkeiten durch Bonn im Wandel e.V. – ebenfalls pro bono. Ende November 2020 wurde dann der Kooperationsvertrag durch Bonn im Wandel und Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Bündnis 90/ Die Grünen) unterzeichnet. Damit begann die finanzierte Phase des Projektes. Die methodische Konzeption und Umsetzung lagen vertragsgemäß in den Händen des gemeinnützigen Vereins.
Herausforderungen der Klimatransformation
Design und Umsetzung des Verfahrens Bonn4Future gründen auf verschiedenen Erkenntnisbeständen, unter anderem der Perspektive der Erdsystem-, der Verhaltenswissenschaften und der Resilienzforschung. Die Herausforderungen, die auf Städte und Gemeinden durch die Minderung der Klimaemissionen und die Anpassung an Klimafolgen zukommen, sind groß. Industrienationen wie Deutschland haben maßgeblich zur Zerstörung eines stabilen Klimas beigetragen (Hickel 2020). Wenn Menschen weltweit auch nur einen minimalen Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen erhalten sollen, dann braucht es „radikale gesellschaftliche und technologische Veränderungen“ so die Lancet Kommission für Planetare Gesundheit (Lancet Planetary Health Kommission). Kommunen und Unternehmen sieht die Kommission in der Hauptverantwortung für die Transformation der Energie- und Ernährungssysteme (Gupta et al. 2024: 2).
Es ist dringlich, wir sind zu langsam und tun zu wenig. Europa gehört zu den Kontinenten, die sich am schnellsten erhitzen, so der jüngste Bericht der Europäischen Umweltbehörde. Denn der Klimawandel wirkt als Risikomultiplikator. Er gefährdet die Energie- und Ernährungssicherheit, Ökosysteme, Infrastruktur, Wasserressourcen, die Finanzstabilität und die Gesundheit der Menschen (EUA 2024: 3).
Erkenntnisse der Verhaltens- und Transformationswissenschaften werden zu wenig berücksichtigt. Informationspolitische Maßnahmen folgen in der Regel einem bequemen aber unterkomplexen Aufklärungsansatz. Sie adressieren Individuen oder einzelne Haushalte. Diese sollen zu nachhaltigen Verhaltens- oder Lebensstiländerungen motiviert werden, die in der Regel teurer und unbequemer sind als die nicht nachhaltige Option. Dieser Aufklärungsansatz zeigt seit 50 Jahren kaum Wirkung. Friedemann Schulz von Thun bezeichnet Aufforderungen, die schwer oder gar nicht zu befolgen sind, als „Appelle, die den Seelenfrieden stören“. Sie sorgen für Unbehagen und führen zu Vermeidungsstrategien (Schulz von Thun 2009: 218–221). Diese schwer realisierbaren Appelle und die Individualisierung der Verantwortung lassen sich sowohl im Gesundheits- als auch im Nachhaltigkeitsbereich beobachten. Sie können Gefühle der Ohnmacht und der Bevormundung auslösen (Maschkowski 2019: 48ff). Studien zum Thema psychische Gesundheit und Klimawandel zeigen, dass die Wahrnehmung der Klimakrise zu Hilflosigkeit und Frustration führen kann, sogar in Ländern, die bisher nur wenig unter den Folgen leiden mussten. Die Wissenschaftler:innen berichten von Umwelt- und Klimaängsten (Ingle und Mikulewicz 2020). Für die Stadt Bonn bedeutet der Beschluss Klimaneutralität bis spätestens 2035, dass die Stadt Bonn ihre Treibhausgasemissionen sieben- bis zehnmal schneller reduzieren muss (Maschkowski et al. 2020). Abbildung 1 veranschaulicht diese Herausforderung.

Von der Resilienzforschung lernen
Die wenigsten Haushalte, Behörden oder Unternehmen haben Zeit und Ressourcen für die große Transformation eingeplant. Wer in diesem Bereich tätig wird, arbeitet daher mit der Überforderung. Umso mehr gilt es, auch die sozialen und psychischen Dimensionen der Klimakatastrophe im Blick zu halten. Zu den wissenschaftlichen Wurzeln von Bonn4Future gehört die Salutogenese. Aaron Antonovsky entwickelte das Konzept, als er feststellte, dass manche Menschen Krisen und schwere Lebensereignisse erstaunlich gut bewältigen können. Ihm fiel auf, dass diese Personen über ein hohes Kohärenzgefühl oder Gefühl der Stimmigkeit verfügen. Dieses wiederum speist sich aus drei Konstrukten:
- die Verstehbarkeit – das Gefühl, eine Herausforderung ist verständlich und lässt sich einordnen,
- die Handhabbarkeit – das Vertrauen, die Situation ist zu bewältigen, sei es mit eigenen oder fremden Mitteln,
- die Sinnhaftigkeit oder Bedeutsamkeit – sie steht für das Gefühl, die Mühe lohnt sich, es macht Sinn, sich zu engagieren. Denn wer keinen Sinn sieht, wer sich ohnmächtig oder hilflos fühlt, wird sich nicht engagieren (Antonovsky 1997).

Verfahrens- und Prozessziele von Bonn4Future – Wir fürs Klima
Das Verfahren verfolgte sowohl politische als auch erkenntnistheoretische Ziele: Was brauchen Bürger:innen, damit sie die große Transformation unterstützen und mitgestalten? Kann ein Mitwirkungsverfahren zur Klimatransformation das Gefühl des Verstehens, der Handlungsfähigkeit und der Bedeutsamkeit stärken? In den Zielen des Mitwirkungsverfahrens spiegeln sich alle vier Aspekte:
- Mitwirkung: Das Verfahren sollte die Lokalexpertise einer sehr diversen Stadtgesellschaft sichtbar und zugänglich machen, die Kokreation von innovativen Lösungen ermöglichen und auf diese Weise Politik und Verwaltung bei der Umsetzung der Klimaneutralität unterstützen.
- Verstehbarkeit: Im Rahmen des Verfahrens musste das politisch definierte Ziel einer klimaneutralen Stadt verständlich und alltagsnah für konkrete Handlungsfelder aufbereitet werden, damit die Beteiligten verstehen und erfahren, was die Klimakrise für ihr Leben in dieser Stadt bedeutet und wie sie Teil der Lösung werden können.
- Handhabbarkeit: Ein Beteiligungsverfahren, das Vertrauen stärkt, die Herausforderung zu bewältigen, muss den Akteur:innen positive Erfahrungen der Zusammenarbeit erlauben. Bonn4Future sollte Mut machen, Zusammenhalt und Lernen fördern.
- Sinnhaftigkeit: Erfahrungen von Teilhabe, Mitwirkung und Wertschätzung stärken die Bedeutsamkeit. Ein Anliegen der Stadtverwaltung war es, dass die Teilhabe bei Bonn4future, auch das Verständnis und die Akzeptanz von städtischen Klimaschutzmaßnahmen fördert.
Im Mitwirkungskonzept wurden die kursiv hervorgehobenen Begriffe als Kernziele des Beteiligungsverfahren definiert (Maschkowski et al 2020). Jedes dieser Ziele wurde für das Verfahren operationalisiert. Für jedes Teilprojekt wurde erarbeitet, was das Projekt erreichen musste, sollte oder könnte. So entstand eine umfangreiche Tabelle mit konkreten Zielformulierungen. Sie wurde der Verwaltung und dem wissenschaftlichen Evaluationsteam zur Verfügung gestellt und diente als Grundlage für die interne Projektsteuerung und die prozessbegleitende Evaluation (Zum Vorgehen und den Ergebnissen der Evaluation siehe Lobeck et al. 2023; Antoni et al. 2025).
Bonn4Future: Ein lernender Prozess
Die finanzielle Förderung der Stadt Bonn ermöglichte den Aufbau eines Projektteams unter Leitung der Verfasserin. Fünf Personen teilten sich 2,4 Stellen. Hinzu kamen Honorarkräfte, Praktikant:innen und Mitglieder des Vereins, so dass das koordinierende Team bis zu 12 Personen umfasste. Die Koordination auf städtischer Seite übernahm eine Person in Teilzeit, unterstützt durch die Leitstelle Bürgerbeteiligung und das Programmbüro Klimaneutrales Bonn 2035.

In vier Klimaforen zum Klima-Aktionsplan der Bürger:innen
Im Zentrum des Projektes standen vier große Klimaforen (siehe Abbildung 3). Die Zusammensetzung der Teilnehmenden war breiter als in einem klassischen Bürgerrat. Auch Stakeholder und Personen in Umsetzungsverantwortung wurden eingeladen, damit Systemwissen in den Prozess einfließen konnte und soziales Lernen ermöglicht wurde. Pro Klimaforum trafen bis zu 100 zufällig geloste Bürger:innen unterschiedlicher Altersklassen, Bildungsschichten, Wohnorte und Nationalitäten auf bis zu 50 Vertreter:innen gesellschaftlicher Interessensgruppen und bis zu 40 Vertreter:innen der Verwaltung und städtischer Unternehmen. Insgesamt nahmen über 300 Personen an den vier Klimaforen teil.
Design und Inhalte der Klimaforen
Das Prozessdesign von Bonn4Future folgte dem Ansatz des Backcasting (vgl. Carlsson-Kanyama 2008) und Mustern der Theorie U nach Otto Scharmer (Scharmer 2020).
- Klimaforum 1: Zukunftsbilder einer lebenswerten klimaneutralen Stadt – Vision
- Klimaforum 2: Klimaneutral wohnen – wie schaffen wir das? – Ideenfindung
- Klimaforum 3: Klimaneutral mobil sein – wie schaffen wir das? – Ideenfindung
- Klimaforum 4: Der Klima-Aktionsplan für eine lebenswerte und klimaneutrale Stadt – eine Rückwärtsplanung in sieben Handlungsfeldern von 2035 bis zu den ersten konkreten Schritten im nächsten Jahr
Die Foren wurden auf Anraten der Leitstelle Bürgerbeteiligung auf 1,5 Tage begrenzt. Die Entwicklung und Auswahl der sieben Handlungsfelder (siehe Abbildung 4) erfolgte schrittweise in Abstimmung mit der Verwaltung und orientierte sich unter anderem an der Struktur des Klimaplans, der im Jahr 2022 erarbeitet wurde. Im Vorfeld jedes Klimaforums fand zudem eine öffentliche E-Beteiligung auf dem städtischen Portal bonn-macht-mit.de statt, die aufbereitet und den Teilnehmenden der Foren zugänglich gemacht wurde.

Besonderheiten des Verfahrens Bonn4Future
An dieser Stelle werden einige Besonderheiten des Verfahrens aufgeführt, die kontinuierliches Lernen und eine hohe Prozessqualität des Verfahrens ermöglichten sowie die Rückbindung an Politik und Verwaltung.
Die Kooperation zwischen dem Verein Bonn im Wandel e.V. und der Stadt Bonn, die sich unter anderem dazu verpflichtet hatte, den Sachstand Klimaneutralität aufzubereiten. Ein Governance-Team aus Bonn im Wandel und Stadtverwaltung traf sich in der Regel alle zwei Wochen zum Jour fixe. Die Zusammenarbeit war geprägt von Respekt und Wertschätzung.
„Was mich am meisten beeindruckt hat, war die große gegenseitige Wertschätzung, mit der das alles stattgefunden hat.“
(Dirk Lahmann, ehemaliger Leiter der Leitstelle Bürgerbeteiligung, 2023)
Reflektions-Workshops mit der Verwaltung (siehe Abbildung 3) erlaubten eine iterative Rückkopplung der Ergebnisse aus den Foren mit Vertreter:innen verschiedener Fachämter im Sinne eines lernenden Verfahrens und dienten der schrittweisen Weiterentwicklung (vgl. auch Selle 2022). Prozessbegleitende Evaluation: Das Projekt wurde zielorientiert und kontinuierlich in allen Handlungssträngen evaluiert. Durch diese Hinweise wurde während des Verfahrens zum Beispiel die Diversität der Teilnehmenden in den Foren erhöht (siehe auch Lobeck et al. 2023: 28f). Ein Prozess-Beirat beriet in Verfahrensfragen, zum Beispiel zur Verzahnung der Ergebnisse aus Bonn4Future mit dem Klimaplan der Stadt Bonn. Fachliche, methodische und praktische Unterstützung: Methodische Beratung erfolgte unter anderem durch das Institut für Partizipatives Gestalten, IPG, das Institut für Verbindungskultur Circlewise und Berater:innen mit Expertise in Supervision, Prozessbegleitung und Kommunikation sowie durch den Bonn4Future-Unterstützerkreis. Kontinuierliche Rückbindung an die Politik: Die Ratsfraktionen wurden zum öffentlichen Teil der Foren eingeladen und waren als Mitglieder im Prozessbeirat vertreten. In den Ausschüssen gab es regelmäßig Mitteilungsvorlagen, Berichte und Kurzpräsentationen. Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen) verdeutlichte auf jedem Klimaforum die Bedeutung des Verfahrens und nahm die Ergebnisse in Empfang. Vor der Ratsentscheidung im März 2023 wurden die Empfehlungen der Bürger:innen an alle Parteien versandt und nach Möglichkeit in persönlichen Gesprächen erläutert. Zusammenführung der Ergebnisse für Politik und Verwaltung: Ein Jahr nach dem Start von Bonn4Future, Ende 2021 wurde ein Gutachter-Konsortium von der Stadtverwaltung mit der Erarbeitung eines Klimaplans beauftragt. Im März 2022 begann die Zusammenarbeit zwischen dem Gutachterteam und Bonn im Wandel. In den Klimaforen 2 und 3 waren sie mit Vorträgen präsent, sichteten die Ergebnisse und arbeiteten diese in die erste Fassung des Klimaplans ein. Aus Zeit- und Kapazitätsgründen entschied die Verwaltung, die Ergebnisse des letzten, vierten Klimaforums nicht mehr in das Planungswerk einarbeiten zu lassen. Dies sorgte für Verunsicherung bei den Teilnehmenden (Lobeck et al. 2023: 28f). Den erforderlichen Abgleich übernahm Bonn im Wandel pro bono. Der Abschlussbericht Klimaneutral und gut leben in Bonn – Ergebnisse aus Bonn4Future enthält die Aktionspläne der Bürger:innen in Kurzfassung, ihre Verortung im Klimaplan sowie eine Markierung von 30 sozialen Innovationen, die im Klimaplan nicht vorkamen (Maschkowski et al. 2023). Das Dokument lieferte die fachliche Basis für die positive Entscheidung des Stadtrates, alle Empfehlungen in den Klimaplan der Stadt Bonn aufzunehmen und auf Umsetzung prüfen zu lassen.
Wissensaufbereitung für das erste Klimaforum
Klimaneutral bis 2035 bedeutet eine Reduktion der Emissionen auf dem Bonner Stadtgebiet um 93 Prozent (Stadt Bonn 2024). Das Verfahren startete allerdings zu einem Zeitpunkt, als noch nicht klar war, was genau Klimaneutralität für den Alltag der Bonner:innen bedeutet. Das System- und Zielwissen war weder vollständig noch leicht verständlich vorhanden. Es wurde daher für jedes Klimaforum in Zusammenarbeit mit der Verwaltung, den Gutachter:innen und Wissenschaftler:innen aufbereitet (siehe Abbildung 5). Der folgende Abschnitt illustriert beispielhaft die Wissensaufbereitung in den Klimaforen.

Verstehbarkeit: Wo stehen wir und was ist nötig?
Im ersten Klimaforum erläuterten drei Expert:innen aus der Wissenschaft und der Verwaltung, wie Bonn von der Klimakrise betroffen sein wird, was die großen Handlungsfelder sind und wo wir in Bonn stehen. Die Teilnehmenden hatten außerdem die Möglichkeit, schriftlich Fragen einzureichen. Sie wurden über Nacht von Expert:innen aus dem Unterstützerkreis, Mehr Demokratie e. V., den Scientists4Future und der Verwaltung beantwortet. Die Impulsvorträge erläuterten folgende Aspekte:
- Was bedeutet die Klimakrise für Bonn? Die Polarforscherin Prof. Dr. Antje Boetius zeigte Aufnahmen von ihren Forschungsexkursionen. Sie übersetzte die globalen Entwicklungen mit Hilfe von Wetterprognosen für Bonn. „Das Wetter in Bonn wird viel wärmer, manchmal trockener, aber auch nasser“, erklärte sie. „Städte müssen möglichst ganz auf fossile Energieträger verzichten. Wer früh damit anfängt, hat einen Innovationsvorteil“ (Boetius 2021).
- Was muss sich ändern? Der Ökonom Dr. Sascha Samadi vom Wuppertal Institut veranschaulichte in seinem Vortrag „Alles Technik oder was – wie kann eine schnelle Energiewende gelingen?“ das Zielwissen mit Hilfe deutschlandweiter Modellierungen: „Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müssen wir dreimal so schnell die erneuerbaren Energien, wie Windkraft und Photovoltaik, ausbauen“ stellte er fest. „Gleichzeitig müssen wir unseren Lebensstil ändern. Das verringert den Druck auf die Ressourcen und erhöht die Chance, dass wir es schaffen“ (Samadi 2021).
- Wo stehen wir in Bonn? Achim Helbig, damals Leiter der Leitstelle Klimaschutz, erläuterte die Verantwortlichkeiten für die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen (siehe Abbildung 4). Alle bis 2020 geplanten Maßnahmen ermöglichten gut ein Prozent der Treibhausgas-Reduktion. Der Konzern Stadt selbst könnte bis 2035 etwa 22 Prozent der Emissionen durch Maßnahmen im Bereich Verkehr, Wärme oder Energie einsparen und indirekt über 42 Prozent durch Lieferung fossilfreier Energieträger an die Endkunden. Für die Verringerung von 57 Prozent der Emissionen war die Stadtgesellschaft inklusive der Wirtschaft verantwortlich. Das Bürgerbeteiligungsverfahren Bonn4Future – Wir fürs Klima bezeichnete er als vierte Säule der Klimaneutralität (Helbig 2021).
Das Grafic-Recording zum Vortrag von Helbig (siehe Abbildung 6) entwickelt sich im Prozessverlauf zu einer der wichtigsten Illustrationen in der Kommunikation mit den Teilnehmenden, der Verwaltung und den politischen Ausschüssen. Es zeigt die Hebel und die geteilte Verantwortung für den Transformationsprozess in Bonn und macht auf einen Blick ersichtlich: Für die klimaneutrale Stadt braucht es nicht nur Beteiligung an einem Prozess, den die Stadtverwaltung umsetzt. Es braucht ebenso die Aktivierung, das Engagement und die Unterstützung der gesamten Stadtgesellschaft und zwar in einem bisher nicht existierenden Ausmaß (vgl. Selle 2019: 23-26) zur Definition von Beteiligung und Engagement).

Handhabbarkeit stärken: Was ist möglich und wer macht das schon?
Neben den eigenen Erfolgserfahrungen können positive Rollenmodelle das Gefühl der Handhabbarkeit stärken. Der vierte Impulsvortrag mit dem Titel Gute Beispiele, die Mut machen präsentierte Pionierprojekte und Kurzinterviews. Die Gründer:innen der Pionierprojekte beantworteten darin unter anderem die Leitfragen: Welche Vision verfolgt das Projekt? Und: Was braucht es, damit sich dieses Modell verbreitet? Zu den vorgestellten Beispielen gehörten die erste solidarische Landwirtschaft Bonn und die Regionalwert AG Rheinland, die mit Bürgeraktien in die Ernährungswende investiert. Vorgestellt wurden auch eine Bürgergenossenschaft für Wärmenetze, die Gemeinwohlbilanzierung der Wirtschaftsförderung Bornheim, die größte autofreie Siedlung von NRW in Köln und eine klimaneutral sanierte Plattenbausiedlung in Potsdam (Maschkowski 2021).
Auch in den folgenden Klimaforen wurden Wissensbestände aufbereitet. Abbildung 7 ist Teil einer Grafikserie, die eigens für den Crashkurs klimaneutrales Wohnen angefertigt wurde (Fricke 2022). Diese Grafik zeigt, wie sich der Bedarf an erneuerbaren Energien in einem Wärmenetz reduziert, wenn Häuser gedämmt werden. Zahlreiche Teilnehmenden hatten bis zu diesem Zeitpunkt keine Vorstellungen von Wärmenetzen.

Gamechanger für die Klimatransformation
Das Verfahren Bonn4Future – Wir fürs Klima zeigte Wirkung. Es startete frühzeitig durch den Bürgerantrag aus der Zivilgesellschaft. Die Stadt Bonn verfügt nun über zwei Expertisen – top down und bottom up – die in einem Klimaplan zusammengeführt wurden. Schon im März 2023 beschloss der Stadtrat unter anderem ein Förderprogramm für urbane Agrikultur. Im Dezember 2024 wurde die Einrichtung von vier Klimaquartieren beschlossen. Auch Klimaforen sind im Klimaplan der Stadt Bonn verankert. Bonn im Wandel erhielt im Jahr 2024 als eines von vier deutschen Verfahren für Bonn4Future – Wir fürs Klima die Auszeichnung des Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung, weil es die zehn Qualitätskriterien guter Beteiligung in besonderem Maße erfüllte (Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung 2024).
Das Verfahren war aber auch ein methodisches Experiment. Denn es ging um mehr, als um das Sammeln von Wunschlisten. Die Bürger:innen sollten durch die verständliche Aufbereitung und Übersetzung der kollektiven Klimaziele in die Lage versetzt werden, selbst die Dimension der Herausforderung einzuschätzen. Auf dieser Basis haben sie in einem Backcasting-Ansatz 37 Aktionspläne erarbeitet: Was müssen wir 2035 geschafft haben? Was sind die Meilensteine im Jahr 2025 und was sind die ersten wichtigsten Schritte? Die Frage war also auch: Kann man Bürger:innen solche Herausforderungen zumuten? Und welche Gelingensbedingungen identifizieren die Bürger:innen für den großen Transformationsprozess, der vor ihnen liegt?
Die Ergebnisse der Evaluation unterstützen den salutogenen Ansatz. Die wiederholte Befragung nach den Klimaforen zeigte, dass es der Mehrheit der Teilnehmenden gut ergangen ist, obwohl die Herausforderungen deutlich benannt wurden. Im Abschlussbericht heißt es: „Für alle Mitwirkenden war der Beteiligungsprozess motivierend“ (Lobeck et al 2023: 5). Über 72 Prozent der Personen, die an den Umfragen teilnahmen, gaben an, neue Informationen zur Klimakrise erhalten zu haben, 70 Prozent hatten neue Informationen zu Maßnahmen der Stadt bekommen und 85 Prozent fühlten sich ermutigt, „gemeinsam neue Wege zu gehen für ein nachhaltiges und wertschätzendes Leben in Bonn“ (Lobeck et al. 2023: 58). Schon im ersten Klimaforum fand sich in den Zukunftsbildern der Wunsch nach Aufbruch und Kulturwandel und das Motto Klimaneutral ist einfach und normal (Maschkowski et al. 2021). Nach Abschluss des vierten Klimaforums wurden die 37 Klima-Aktionspläne der Bürger:innen einer Inhaltsanalyse unterzogen. Auf diese Weise konnten sechs Hebel der Veränderung identifiziert werden, die besonders häufig in den Aktionsplänen vorkamen. Diese sechs so genannten Gamechanger lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
- Kommunikation: ehrlich, positiv und verständlich – Worte und Bilder die Mut machen.
- Bildung und Mitwirkung vervielfachen: Alle wissen, worum es geht und bekommen die Chance mitzumachen.
- Transformation im Quartier: Loslegen vor der Haustür – das Zentrum des Wandels liegt im Viertel.
- Soziale Gerechtigkeit: Eine Stadt, die für alle bezahlbar, lebenswert und gerecht ist.
- Kokreation: Die klimaneutrale Stadt braucht neue Formen der Zusammenarbeit. Dafür braucht es einen guten Rahmen und Unterstützung.
- Neue Kooperationen: Starke Partner:innen für den Wandel finden und fördern.
Drei dieser Hebel werden im Folgenden etwas ausführlicher erläutert.
Kommunikation: In 23 von 27 Klima-Aktionsplänen gab es Hinweise und Empfehlungen für eine wirksame Klimakommunikation. Wissens- und Erfahrungslücken schließen: Mehrere Klima-Aktionspläne, zum Beispiel der Plan Die Klimakrise als Krise begreifen beschreiben die Notwendigkeit, dass Menschen erfahren und erleben, was die Klimakrise konkret für ihr Leben und Arbeiten, ihr Essen, die Mobilität und das Wohnen bedeutet. Der Plan richtete sich nicht nur an Bürger:innen, sondern auch an Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Armutshaushalte. Mut und Aufbruch: Aktionspläne wie Etablieren eines Bonner Nachhaltigkeitsclub oder Wandel des Mindset setzten auf die Wirkung von lokalen Vorbildern, Pionieren und Best Practice Beispielen. Wissen wo wir stehen und was zu tun ist: Wiederholt wurde mehr Transparenz eingefordert, ein Wer-macht-was-Plan.
Bildung, Mitwirkung und Transformation im Quartier: Die Teilnehmenden von Bonn4Future haben eine Reihe von Aktionsplänen erarbeitet, die Bürger:innen unterstützen, an der Klimatransformation mitzuwirken. Auffällig ist zunächst der häufige Quartiersbezug und die Empfehlung, Mitwirkung und soziales Lernen zu vervielfältigen.
„Wir hatten gedacht, dass es wichtig ist, dass man diese Kompetenzen nutzt und in Quartieren denkt und nicht nur alleine.“
(Bürgerin beim Klimaforum Wohnen)
Die Forderung nach Transformationszentren zog sich durch alle Klimaforen. Die Teilnehmenden haben unter anderem an der Frage gearbeitet, wie man in Quartieren Wohnbedarfe ermitteln und Umzugsketten ermöglicht, zum Beispiel im Aktionsplan Wohnkreislaufwirtschaft für Bonn – der richtige Ort fürs Jetzt! Andere Aktionspläne sehen die Mitwirkung der Bürger:innen bei der Stadtbegrünung vor, bei der Umstellung von Großküchen auf Bio-Regio-Essen oder bei der Schaffung von Lernorten.
„Bitte richtet Transformations-Hubs überall in Bonn ein!“
(Teilnehmende:r Bürger:in bei der Nachbefragung)
Die vollständigen Bürger:innen-Aktionspläne finden sich in der Onlinedokumentation des 4. Klimaforums. Die Gamechanger wurden für den Abschlussbericht Klimaneutral leben in Bonn – die Ergebnisse von Bonn4Future (Maschkowski et al. 2023) und in Kurzform in einer Kompaktbroschüre aufbereitet (Bonn im Wandel e. V. 2023).
Herausforderungen bei der Kokreation
Wer Bürger:innen befragt, ob sie ihren Parkplatz aufgeben, ihren Wohnraum verkleinern, den Wärmeverbrauch ihres Hauses halbieren und ihren Obst- und Gemüsekonsum verdoppeln wollen, wird Unverständnis ernten. Im Rahmen von Bonn4Future – Wir fürs Klima wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass sich die Teilnehmenden selbst mit den Zielen der Klimatransformation auseinandersetzen konnten und nach Wegen suchen, wie dieser Veränderungsprozess gelingt. Sie entwickelten Empfehlungen, wie Parkplätze verringert werden können, Wohnraum verkleinert und der Obst- und Gemüsekonsum für die gesamte Bevölkerung verbessert werden kann.
Das Verfahren Bonn4Future – Wir fürs Klima vermittelt einen Eindruck davon, was es bedeutet, wenn man nicht nur 300 sondern 330.000 Bonner:innen Mut für die große Klimatransformation machen möchte. Die Teilnehmenden wiesen wiederholt darauf hin, dass vielen Bürger:innen nicht klar ist, was Klimaneutralität für ihr Leben bedeutet, was Wärmenetze sind oder welche Ziele wir erreichen müssen, um entspannt, sicher und fossilfrei unterwegs zu sein. Die Mitgestaltung der großen Transformation braucht daher mehr als Meinungsumfragen. Sie braucht Wissensaufbau, ein Ownership am Problem und Ownership an der Lösung. Dieser Wissensaufbau, die Kooperation und Kokreation entsteht nicht von allein. Sie müssen professionell begleitet und moderiert werden.
Vor- und Nachteile einer ungewöhnlichen Kooperation
Bonn4Future – Wir fürs Klima war das erste Bonner Mitwirkungsverfahren, das von der Zivilgesellschaft initiiert, konzipiert und federführend umgesetzt wurde in einer ungewöhnlichen Kooperation mit der Stadt Bonn. Das hatte Vor- und Nachteile. Durch die Anwesenheit von Verwaltungsmitarbeitenden in den Klimaforen konnte Umsetzungswissen in die Empfehlungen einfließen. Zwischen Verwaltung für die Zivilgesellschaft entwickelte sich Austausch, Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen. In der anonymen Nachbefragung antwortete eine Person aus der Verwaltung auf die Frage, was sich durch das Bonn4Future – Wir fürs Klima verändert habe:
„Mehr Bewusstsein und die Erkenntnis, dass es viele Menschen in der Stadtgesellschaft gibt, die etwas verändern möchten, jedoch im Vergleich zu anderen Kritiker:innen sehr leise und dadurch weniger sichtbar sind. Wir sind viele!“
(Teilnehmer:in der Verwaltung)
Durch die Verwaltungsworkshops gelang es „dem Projektteam von Bonn4Future … für den Beteiligungsprozess in der Verwaltung zu sensibilisieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung auch untereinander in eine noch intensivere Diskussion zu bringen“ (Lobeck et al 2023: 31). Das Evaluationsteam stellte zusammenfassend fest, dass „…ein breit angelegtes Partizipationsverfahren mit genügend Ressourcen einen möglichen Ausgangspunkt für einen längerfristig kooperativen Modus von organisierter Zivilgesellschaft, Verwaltung und Kommunalpolitik darstellen kann“ (Antoni et al. 2025: 1).
Damit derartige Modelle der Zusammenarbeit tragfähig und skalierbar werden, muss sich aber strukturell noch einiges ändern. So war die Erkundungs- und Konzeptionsphase des Verfahrens nicht finanziert (Abbildung 3). Diese Phase ist aber entscheidend für die Qualität von transformativen Projekten (Förster 2022). Die Erfüllung und kleinschrittige Überwachung von Fördermittelauflagen kostete etwa ein Drittel der Personalkapazitäten und verbesserte weder die Ergebnisse noch die Zusammenarbeit, denn aus Partner:innen wurden Kontrollierende und Kontrollierte. Eine Prozesskontrolle nach Allgemeinen Nebenbestimmungen stellt eine hohe Belastung für gemeinnützige Organisationen dar. Die Enquete Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements hatte schon 2002 entsprechende Vorschläge zur bürokratischen Entlastung der Zivilgesellschaft unterbreitet, die aber noch auf Umsetzung warten (Deutscher Bundestag 2002).
Ist Beteiligung an der großen Transformation noch Beteiligung?
Der Ratsbeschluss Klimaneutrales Bonn bis spätestens 2035 aus dem Jahr 2019 war außergewöhnlich und mutig. Von diesem Zeitpunkt an waren theoretisch drei Wege möglich: Weiter wie bisher und damit Scheitern durch zu wenig und zu langsames Handeln. Klimaneutralität anordnen, eine Option, die weder realistisch noch realisierbar ist, angesichts der unterschiedlichen Hebel und Verantwortungsbereiche für die klimaneutrale Stadt. Der große Sprung nach vorn, durch das Bündeln und Zusammenführen von Wissensbeständen, Fähigkeiten und gesellschaftlichen Kräften.
Nachdem der Klimaplan entwickelt und beschlossen und die Empfehlungen aus Bonn4Future – Wir fürs Klima eingearbeitet wurden, steht die Stadt Bonn erneut vor diesen drei Optionen. Zwischen Scheitern durch zu wenig und zu langsames Handeln und dem Anordnen von Maßnahmen gibt es den dritten Weg, die Kokreation der unterschiedlichen Akteur:innen.
Eine Rückkehr zu Verhaltenstipps für ein ökokorrektes Leben wird weder der Komplexität der Herausforderungen gerecht noch den Empfehlungen der Bürger:innen. Auch die engagierte Zivilgesellschaft allein kann die Lücke nicht füllen. Leuchtturmbeispiele der Transformation, gleich ob in Brasilien, Finnland oder Bottrop, zeichnen aus, dass die Politik den Mut hatte, in flexible und professionelle Strukturen zu investieren, die langfristig die Koordination und Prozessbegleitung übernehmen und intermediäre Räume öffnen und moderieren (ICM 2015, Maschkowski 2024).
Es ist daher eine Zukunftsfrage für eine demokratische Gesellschaft, ob man die Debatte um die Transformation zur überlebensfähigen Gesellschaft der Meinungsumfragen-Politik oder den (sozialen) Medien überlässt oder ob und in welcher Form Bürger:innen die Chance bekommen, zu erfahren was drei Grad globale Erderhitzung für ihr Leben bedeuten und wie sie rechtzeitig Teil eines kollektiven Veränderungsprozesses werden können. Die Beteiligung und Mitwirkung an der großen Transformation braucht daher mehr als Beteiligung im klassischen Sinne (vgl. Selle 2019: 23f). Sie braucht Zeit, Räume und die Kultivierung des guten Miteinanders, damit die Kokreation der klimaneutralen und lebenswerten Stadt gelingt. Das könnte zahlreiche positive Effekte haben. Nicht nur für die Stabilität des Klimas.
Mit den akuten Krisen der jüngeren Zeit – der weltweiten Pandemie, dem brutalen russischen Überfall auf die Ukraine, dem brachialen Regierungsstil von Donald Trump in den USA und so weiter – gerät das ökoemanzipatorische Projekt (Blühdorn 2024: 19-28) der Moderne ins Wanken. Die so dringend erforderliche sozialökologische Transformation moderner Gesellschaften, für die das Projekt Bonn4Future steht, ist in Gefahr. Vielleicht kann ein Projekt wie Bonn4Future einen bescheidenen Eindruck davon vermitteln, was auf lokale Ebene möglich ist, wenn ein wertschätzender Raum geschaffen wird, in dem Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Bürger:innen auf Augenhöhe zusammenwirken können. Kokreation hat sich in dem Bonner Projekt weitgehend bewährt. Zur Bewältigung der Klimakrise empfiehlt sich diese Herangehensweise – und es braucht mehr denn je den Optimismus, den das Projekt während seiner Laufzeit in die Bonner Stadtgesellschaft ausgestrahlt hat.
References
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Ich danke Claus Wiegandt, Christiane und Richard Süverkrüp für ihre hilfreichen Hinweise zu dieser Publikation.