Published 2.07.2025
Achteinhalb Hektar Hoffnung
Neue Wege in der nachhaltigen Stadtentwicklung in Lörrach
Planning for Eight and a Half Hectares
New Approaches to Sustainable Urban Development in Lörrach
Keywords: nachhaltige Gewerbegebiete; Transformation; Beteiligung; Klimaanpassung; nachhaltiges Bauen; sustainable business parks; transformation; participation; climate adaptation; sustainable building
Abstract:
100 Jahre alte Hallen mit Natursteinfassaden stehen auf dem Areal eines ehemaligen Textilunternehmens in Lörrach. Die Stadt konnte die Fläche erwerben und arbeitet nun daran, dass erste klimaneutrale Gewerbegebiet Deutschlands in Holzbauweise auf den Weg zu bringen. Klimaneutralität bedeutet hier vor allem: Bauen mit Holz, weitgehend autarke Energieversorgung durch regenerative Energien und innovative Mobilität. Für die neuen Nutzer:innen des Areals lautet der Grundsatz, dass Form (Holzbau) und Inhalt (Mindset) zusammenpassen; denn nachhaltige Unternehmen brauchen nachhaltige Gewerbegebiete.
100-year-old halls with natural stone facades stand on the site of a former textile company in Lörrach. The city has acquired the site and is now working on creating Germany‘s first climate-neutral industrial estate in timber construction. Above all, in this case climate neutrality means building with wood, a largely self-sufficient energy supply through renewable energies and innovative mobility. For the new users of the site, the fundamental concept is that form (timber construction) and content (mindset) go together, because sustainable companies need sustainable business parks.
Nachhaltige Stadtentwicklung geht uns alle an
Im Südwesten der Republik, zwischen Dreiländereck und Schwarzwald liegt die Stadt Lörrach mit rund 50.000 Einwohner:innen. Auf dem 8,5 Hektar großen Werksgelände des ehemaligen Textilunternehmens Lauffenmühle soll das deutschlandweit erste klimaneutrale Gewerbegebiet in Holzbauweise entstehen. Erklärtes Ziel der Stadtverwaltung ist es, noch in diesem Jahrzehnt ein Stück Stadtreparatur zu beenden und sich als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit einen Namen zu machen. Auf Landesebene kommt das Vorhaben gut an. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium fördert die Weiterentwicklung der Idee bislang mit Städtebaufördermitteln von rund neun Millionen Euro im Rahmen des Landessanierungsprogramms (LSP). Im März 2022 hat die Stadt im Rahmen des Förderprogramms Holzbau-Offensive Baden-Württemberg weitere knapp 400.000 Euro an Fördermittelzuschuss erhalten. Eine weitere Fördermittelzusage erhielt das Projekt jüngst im April 2024. Im Rahmen der nichtinvestiven Städtebauförderung des Ministeriums für Landesbau und Wohnen Baden-Württemberg wurde dem städtebaulichen Leuchtturmprojekt eine Fördersumme in Höhe von 83.400 Euro zugesprochen.
Ende des 19. Jahrhunderts zogen viele textilverarbeitende Betriebe ins Wiesental, das zu jener Zeit neben Mannheim das wichtigste Industriezentrum in Baden und der wichtigste Standort in Südbaden war. Zeitweise arbeiteten in verschiedenen Hallen über 700 Menschen und produzierten Mode- und Jeansstoffe und zuletzt Berufskleidung. Weitere Industriezweige wie Maschinenbaufirmen und eine Druckerei folgten. Zu ihrer Unterstützung lockten die Firmen Arbeitskräfte aus dem Schwarzwald, Italien, der Steiermark oder Slowenien ans Rheinknie. Neben den Produktionsstätten und eindrucksvollen Firmenvillen entstanden auf den Arealen Arbeitersiedlungen. Die Unternehmen wollten ihre Mitarbeiter:innen auch wegen der damals langen Arbeitszeiten nah an den Arbeitsstätten wohnen lassen. Dieses Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten lässt sich durch die aktuelle Gesetzgebung im Planungsrecht in Deutschland nicht mehr umsetzen. Insbesondere Lärm ist hierbei eine Hürde. Zusätzlich stärken fehlende Flächen und politische Forderungen zur Steigerung der Flächeneffizienz neue Konzepte auch im gewerblichen Bereich, zum Beispiel Modelle wie der urbanen Produktion oder Wachstum in die Höhe.
Im Jahr 2019 ging der Textilbetrieb Lauffenmühle insolvent und stellte seine Produktion in Lörrach-Brombach ein. In der Folge erwarb die Stadt das rund 8,5 Hektar große Grundstück im Norden der Stadt mit dem Ziel, die gewerbliche Nutzung weiterzuentwickeln. In Lörrach ist die Stadtspitze grundsätzlich daran interessiert, freiwerdende Areale in innerstädtischer Lage als Teil der strategischen und aktiven Bodenpolitik zu sichern und so einen vorausschauenden und selbstbewussten Städtebau voranzutreiben. Zur Unterstützung der Ziele der Gewerbe- und Industrieflächenentwicklung, gibt es im Städtebaurecht das Besondere Vorkaufsrecht (§ 25 BauGB). Mit diesem rechtlichen Mittel soll eine aktive Anwendung der städtischen Vorkaufsrechte forciert werden.
Vom Gebäude bis zum Kabel: konsequente Weiterverwendung
Beim Gang über das Gelände der Lauffenmühle fallen die historischen Fabrikgebäude mit ihren Natursteinfassaden auf: 100 Jahre alte Handwerkskunst, die es in dieser Form kaum noch gibt. Unter Denkmalschutz stehen die Gebäude und ihre Fassaden zwar nicht, doch als ortsbildprägende Elemente sollen sie instandgesetzt und in ihrer Grundstruktur soweit möglich erhalten bleiben. Teilweise werden Anpassungen oder Teilabbrüche nötig werden, um die Arbeitsstättenrichtlinie einzuhalten oder die Tragwerke zu ertüchtigen. Werden die Tragwerke der Neu- und Bestandsbauten von Beginn an statisch durchdacht, werden Aufstockungen mittelfristig möglich sein. Die Stadtverwaltung ist in Lörrach überzeugt, dass die Expansion und der Flächenausbau vorzugsweise vertikal funktionieren kann.
Holz im Überfluss
Holz als nachwachsender Rohstoff und CO2-neutraler Energieträger gibt es im Südwesten Deutschlands genug. Die Stadt Lörrach besitzt 1.600 Hektar Mischwald, was etwa 40 Prozent der Gemarkungsfläche ausmacht. In den Jahren 2019 und 2020 fiel durch die Schädigung des Waldes in Form von Eschentriebsterben und Borkenkäferbefall der Fichten viel Holz an, das als Baustoff genutzt werden konnte. 2023 wurde durch einen Sommersturm binnen zehn Minuten ein Drittel des jährlichen Holzeinschlags vom Wind geworfen. Ideal wäre es, wenn anfallendes Schad- oder Sturmholz einen direkten Absatzmarkt vor Ort hätte. In der Verarbeitung zeichnen sich jedoch Engpässe ab, weshalb ein etappierter Bauablauf auf dem Gelände der Lauffenmühle angedacht wird. Das Holz soll sowohl als Baustoff als auch als Energieträger eingesetzt werden. Der Stadt ist es wichtig, mit holzverarbeitenden Betrieben zu bauen, die vorwiegend regionale Produkte verwenden und wo möglich mit forstlichem Schadholz arbeiten. Für Unternehmen, die auf dem Areal bauen möchten, erarbeitet das Projektteam derzeit im Rahmen eines Pilotprojektes mit dem Land Baden-Württemberg Baurichtlinien und lässt prüfen, wie der Holzbau rechtssicher umgesetzt werden kann. Der geplante, konsequente Einsatz von Holz bei Gewerbebauten ist bisher in Deutschland noch wenig verbreitet.
Klimaneutralität verlangt mehr als Sonne und Holz
Verkehrlich ist das künftige Gewerbegebiet bereits gut erschlossen. Einerseits ist es an die S-Bahn angebunden, so dass Mitarbeitende künftiger Betriebe den Arbeitsweg klimaneutral bestreiten könnten. Andererseits liegt es direkt an der Bundesstraße B 317 mit Anschluss an die Autobahn A 98 und somit günstig für die Zulieferung. Hinsichtlich des Individualverkehrs gibt es dennoch einiges zu tun. Durch die Entwicklung des Areals im Sinne einer Stadtreparatur soll auch das nahe Umfeld aufgewertet werden.
Neben der Mobilität ist der Umgang mit Wasser und Abwasser ein zentrales Thema. Das Lauffenmühle-Areal liegt an einer tiefen Stelle im Stadtteil Lörrach-Brombach. Dort gibt es Bereiche, in denen sich Wasser zurückstaut. Das Projektteam möchte das anfallende Regenwasser auf dem Areal selber speichern, versickern und nutzen. Das Prinzip der Schwammstadt soll konsequent verfolgt werden. Das reicht von der Ausweisung von Grünflächen, nicht versiegelten Bereichen und Retentionsflächen für Starkregenereignisse bis zur Vorgabe, dass die Grauwassernutzung sowie Zisternen und Gründächer zur Regenrückhaltung in der Planung zu berücksichtigen sind. Mit diesen Maßnahmen sollen Überflutungen vermieden, das Stadtklima verbessert und die Gesundheit von Stadtbäumen gefördert werden.
Städtebaulich-freiraumplanerischer Wettbewerb Lauffenmühle – next innovation
Die Kombination aus Holz und Sonnenenergie soll als zukünftiges klimaneutrales Gewerbegebiet innovativen Unternehmen moderne Rahmenbedingungen bieten. Die Stadt Lörrach strebt bis 2030 an, einen attraktiven Arbeitsort für neue Arbeitsformen und -welten zu schaffen. Insbesondere die Vernetzung und die Begegnung der Unternehmen sowie ihrer Beschäftigten untereinander sollen auf dem Areal gefördert werden. Um einen zukunftsorientierten städtebaulichen und freiräumlichen Entwurfsansatz für die Transformation des Lauffenmühle-Areals in ein modernes, klimaangepasstes und nachhaltiges Stadtquartier für überwiegend gewerbliche Nutzungen zu finden, lobte die Stadt einen nichtoffenen Realisierungswettbewerb mit vorgelagertem Teilnahmewettbewerb und anschließendem Verhandlungsverfahren nach der Vergabeverordnung aus (Stadt Lörrach 2024). Maßgebend für die Bewertung der 14 eingereichten Arbeiten waren folgende Kriterien, die gleichrangig in die Beurteilung einflossen:
- Leitidee (Aussagekraft und Plausibilität insbesondere zum Thema Holzbau und Klimaanpassung)
- Städtebauliche und freiräumliche Konzeption und Einbindung in umgebende Strukturen
- Erschließungskonzeption und Mobilitätskonzept
- Bauabschnittsbildung
- Flexibilität der städtebaulichen und freiräumlichen Grundstruktur
- Nachhaltigkeit, Stadtklima, Ökologie
- Wirtschaftlichkeit
Das Preisgericht tagte am 1. März 2024 und empfahl der Ausloberin einstimmig den Entwurf Die Mühlen von Übermorgen zur weiteren Bearbeitung (Abbildung 1 und 2). Er stammt von Astoc Architects and Planners aus Köln, Henning Larsen, Überlingen (Freiraumplanung) und Merz Kley Partner, Dornbirn (Beratung Holzbau). Zentral ist eine klare Verkehrsanbindung: Durch eine ringförmige Erschließung, um den Bereich, in dem die alten Gebäude stehen, ist dieses Gebiet gut erreichbar. Bisher konnte man das Betriebsgelände der Lauffenmühle nicht durchqueren. Die schnelle Radverbindung führt weiterhin entlang der Bahn, wird aber durch neue Radverbindungen ergänzt. Im Zentrum des Verkehrsrings ist ein neuer Platz vorgesehen. Der Jurybericht beschreibt das Projekt wiefolgt:
„Innerhalb des Rings entstehen zwei Bereiche, die durch eine Zufahrtsstraße getrennt sind. Der sehr markante und fantasievolle, städtebaulich klug entwickelte Baublock mit den kleinen Volumina im Hof, die einer Kasbah ähneln, kann als Nährboden räumlich führend werden. Ein Einstiegsort für Unternehmer, die weiter zu einem größeren Standort im größeren angrenzenden Gebiet wachsen. Dies ist eine wesentliche wirtschaftliche Stärke dieses Designs. Es steht eine große Auswahl an Geschäftsflächen unterschiedlicher Größe zur Verfügung. Über die Fläche wird ein Rastermaß gelegt, das sich aus einem idealen Rastermaß für den Holzbau ergibt. Das Konstruktionsprinzip des Holzbaus dient somit auch als städtebauliches Gliederungsprinzip für das Gebiet. Dies wird in klar definierten Gebäudetypologien herausgearbeitet. Architektonisch bietet es die Chance für eine schöne nachhaltige Ausarbeitung. Es wird auch zwischen Eigenbau und größeren Volumina durch einen Auftragnehmer unterschieden. Außerhalb des Verkehrsrings werden die bestehenden Volumina und die neu zu errichtenden Gebäude in eine grüne Umgebung gestellt. […] Die Grünstruktur schließt an eine Grünzone an, die von Süden nach Norden entlang des Verkehrsrings verläuft.“
(Stadt Lörrach o. J.).
Dieser Grünstreifen fügt sich in das Wohngebiet von Brombach ein. Grundsätzlich kann der erstplatzierte Entwurf nicht nur für „Lörrach, sondern aufgrund der hohen Ambitionen, die er tatsächlich erfüllt, auch für Deutschland“ wegweisend sein, so die Jury (Stadt Lörrach o. J.).

Adresse für Nachhaltigkeit
Der Ansatz der Klimaneutralität im Gewerbegebiet wäre nicht vollständig, wenn er sich nicht in der Haltung und Zielsetzung aller Beteiligter spiegelte. Gesucht werden deshalb Unternehmen, die eine dem Areal entsprechende Unternehmensphilosophie vertreten und die Lauffenmühle mitgestalten möchten. Das Projektteam der Stadt Lörrach ist überzeugt, dass es viele Unternehmen aus den Bereichen Produktion, Forschung, Dienstleistung und innovativem Handwerk gibt, die Teil dieses Gewerbegebietes sein möchten. Eine Potenzialanalyse habe dieses Profil geschärft, so die Bürgermeisterin von Lörrach, Monika Neuhöfer-Avdic.

References
Stadt Lörrach (2024): Städtebaulich-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb „Lauffenmühle - next innovation“. Nichtoffener Realisierungswettbewerb mit vorgelagertem Teilnahmewettbewerb und anschließendem Verhandlungsverfahren nach der VgV. Dokumentation der Wettbewerbsarbeiten. März 2024
Stadt Lörrach (o. J.): Lauffenmühle - next innovation: Städtebaulich-freiraumplanerischer Wettbewerb. Der Siegerentwurf: „Die Mühlen von übermorgen“ [Auszug aus dem Jurybericht.]. https://www.loerrach.de/Lauffenmuehle-Wettbewerb, Zugriff am 11.03.2025.
Wir danken Daniela Dietsche für ihre Mitwirkung am Text.