Published 23.04.2024

Das durchlässige Quartier

Eine Theorie der transformativen Stadt

The Porous Neighborhood

Keywords: Durchlässigkeit; Stadtentwicklung; Transformation; Transformationswissen; Quartier ; Porosity; urban development; transformation; transformation knowledge; neighborhood

Abstract:

In diesem Essay wird ein theoretisches Angebot zur konzeptionellen Bestimmung der transformativen Stadt vorgelegt. Nachhaltige Stadtentwicklung, so die Annahme, wird dann Erfolg haben, wenn es gelingt, quartiersspezifisch unterschiedlich gelagertes Transformationswissen in das Konzept der „offenen Stadt“ (Sennett) zu übersetzen. Das durchlässige Quartier bildet damit die planerische Maxime eines multidimensionalen Transformationsverständnisses. Im Text wird unter anderem kritisch auf normative Transformationsdiskurse eingegangen und ein Vorschlag für eine neue sozialräumliche Bemessungsgrundlage angeboten. Zudem werden gesellschaftliche Voraussetzungen und Potentiale einer „Stadt für alle“ in den Blick genommen. Auf diese Weise entsteht eine Idee transformativer Stadttheorie. 

Das Gelingen transformativer Stadtentwicklung hängt bei genauerer Betrachtung von der sozialökologischen Wirksamkeit eigensinniger Transformationspraxen in den Quartieren ab. Der reflexive Anspruch von Stadtentwicklung muss allerdings darin bestehen, Quartiersprojekte in den Gesamtzusammenhang der Stadt einzubinden. Damit werden Fragen der offenen Stadt und insbesondere der sozialen Durchlässigkeit adressiert.

In diesem Beitrag wird die Bedeutung sozialräumlichen Transformationswissens1 für den nachhaltigen Umbau der Städte diskutiert. Zu diesem Zweck fasse ich, unter besonderer Berücksichtigung eines diskursiven Machtgefälles, zunächst einschlägige Begriffe und Narrative der Transformationsdebatte zusammen. In einem zweiten Schritt arbeite ich unterschiedliche Formen sozialräumlichen Transformationswissens heraus, um abschließend eine Theorieperspektive auf die transformative Stadt anzubieten.

Transformationsdiskurse: Begriffe, Narrative, Machtstrukturen

Über Transformation zu sprechen, hat wissenschaftsgeschichtlich durchaus Tradition2. Ungeachtet dessen, beschreibt Transformation heute den durch die Klimakrise erforderlich gewordenen, prozesshaften gesellschaftlichen Umbau mit keinem geringeren Ziel als den Erhalt der Lebensgrundlagen der Menschheit.3

Während sich einerseits ein deutlicher thematischer Zuschnitt in Richtung Nachhaltigkeit abzeichnet, wirken die in den Transformationsdiskurs eingebrachten Narrative wie „Zukunft“, „Stadt für alle“ oder „Gutes Leben“ unscharf und inflationär zugleich.4 Transformation scheint als Schlüsselthema im Alltagswissen der informierten Zivilgesellschaft weitgehend etabliert zu sein, seine hegemoniale Lesart prägen vor allem jene, die über Expertisen auf dem Feld der Ökonomie und der Kulturwissenschaften verfügen (Thiesen 2023a). Für die im politisch-medialen Raum anschlussfähige Argumentation typisch ist ein Vertrauen in „Zukunftskunst“, „grünes Wachstum“ und Suffizienz (Schneidewind 2015, 2018: 11). Der Liberalismus, der in diesen Schlagwörtern mitklingt – selbst Postwachstumsdiskurse setzen auf Eigenverantwortung – bleibt jedoch nicht folgenlos: Das in den Diskurs eingeführte imaginierte „Wir“ – sinngemäß: „Wir können es noch schaffen“, „Wir müssen alle Abstriche machen“ – führt dazu, dass soziale Fragmentierungen von Transformation in den Hintergrund rücken. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen von Transformation wird auf diese Weise unmöglich.5 Wer sich in dem so vereinnahmten „Wir“ nicht wiederfindet, ist demnach entweder gegen die Auffassung der aufgeklärten Mehrheitsgesellschaft und/oder vertritt eine sozialkritische Einzelmeinung, für deren diskursive Erörterung angesichts der Dringlichkeit des Transformationsthemas keine Zeit bleibt.

Geboten scheint daher, die politisch nachvollziehbare Zuspitzung des Transformationsdiskurses auf Nachhaltigkeit um ihre soziale Komponente zu erweitern: „Sozialökologische Transformation zu definieren, bedeutet [so verstanden], die Begrenztheit der Ressourcen und die Begrenztheit der sozialen Welt zusammenzudenken.“ (Thiesen 2023b: 126) Wird weiter berücksichtigt, dass sich „die Große Transformation“ (Schneidewind 2018) vor allem als Diskurs der Stadtforschung vollziehen muss – der Emissionsgehalt und die Innovationskraft von Großstädten begründen gleichermaßen diesen Punkt – fällt der politische Stellenwert transformativer Quartiersentwicklung ins Gewicht: Wo, wenn nicht in der unmittelbaren Erfahrungs- und Gestaltungswelt von Stadtbewohnern sollte sonst angesetzt werden (Thiesen 2023a)?

Heterogenität, Durchlässigkeit und Spontanität gelten als Ausweis großstädtischen Lebens. Der Weg dorthin führt über demokratische und offene Beteiligungskulturen (Götsch et al. 2012). Die Analyse sozialräumlichen Transformationswissens6 gewinnt deshalb an Relevanz, auf der planerisch-baulichen Ebene wie auch in der konkreten Quartierspraxis7.

Sozialräumliches Transformationswissen

In seinem historischen Epos zur Stadtplanung „Die offene Stadt“ hat Richard Sennett fünf Voraussetzungen progressiver Stadtentwicklung skizziert: Synchronität, Interpunktionalität, Durchlässigkeit, Unvollständigkeit und Vielfältigkeit (Sennet 2018: 255 ff.). Städtische Räume sollten erstens synchrone Praxen zulassen. Durch planerische Interventionen in den öffentlichen Raum wird marginalisierten Gruppen nicht der Status von Zaungästen zugestanden, sondern der Gleichzeitigkeit von Lebensstilen, Nutzungsinteressen und -bedürfnissen Rechnung getragen8. Zweitens befürwortet Sennett Interpunktionen als raumstrukturierende Elemente: Markante Architekturen bilden ein Ausrufungszeichen, Kreuzungen ein Semikolon und stadtplanerische Irritationen Anführungszeichen; es fällt nicht schwer, sich bei dieser Metapher an die Straßenführung südeuropäischer Städte zu erinnern. Am Ende geht es um die Stimulierung des Raumerlebnisses. Eine entscheidende planerische Größe bildet drittens physische Durchlässigkeit. Es macht also einen Unterschied, ob Orte der Vergesellschaftung im Zentrum oder an den Rändern eines Quartiers geplant werden. Die Funktion von Rändern vergleicht er mit Membranen. Eine intermediäre Institution am Übergang von zwei sozialökonomisch unterschiedlich aufgestellten Stadtquartieren besitzt das Potential, verschiedene Milieus miteinander in Kontakt zu bringen9. Viertens geht es Sennett darum, das Prinzip der Unvollständigkeit zu kultivieren und die Kontingenz stadträumlicher Entwicklung sicherzustellen. Dazu gehört zum einen, die Grenzen der Nachverdichtung anzuerkennen und die heterogene Nutzung beispielsweise von Brachen oder Freiflächen in der Stadt zu akzeptieren (bodenrechtliche Fragen seien hier zurückgestellt; Thiesen 2016b). Zum anderen bedeutet „Unvollständigkeit“ auch die ästhetische Toleranz unterschiedlicher, laienhafter Gestaltungsformen des öffentlichen und privaten Raums. Schließlich sollten Städte, fünftens, durch (bauliche) Vielfältigkeit geprägt sein. Damit wird der „Copy-Paste-Architektur“ der gläsernen Funktionsbauten in den Innenstädten eine Absage erteilt. Wenn Sennett Stadtplanung mit dem Auslegen einer Saat vergleicht, deren Erträge ebenso wenig exakt vorhersagbar sind wie das spätere Nutzungsverhalten der Stadtbevölkerung, leuchten die historisch verschenkten Gestaltungsspielräume bei der Entwicklung der Innenstädte ein.

In vielen Städten beziehungsweise Quartieren entsteht heute im Gegensatz zu Sennetts Vision der Durchlässigkeit vielmehr eine exklusive Stadt: Sportangebote gegen marginalisierte Gruppen im öffentlichen Raum oder „Superblocks“ mit Yoga-Angebot bieten dabei nur exemplarische Einblicke10. Solche Formen der „grünen Verdrängung“ müssen nicht immer politisch-normativ motiviert sein, sondern können als implizite Verdrängungsstrategie durch das Nutzungsverhalten bestimmter privilegierter Milieus ausgelöst werden11. Dabei benötigen gerade Innenstädte Räume des Übergangs, wollen sie ihre Urbanität erhalten: Schmutz, Brachen und vermeintlich zwielichtige Orte haben verschiedene Funktionen, sie können „unsichtbaren“ Akteuren der Stadtentwicklung unter anderem auch Schutz bieten12.

Progressive Stadtplanung muss sich an ihrer Fähigkeit messen lassen, soziale Durchlässigkeit herzustellen. Der Weg dorthin, so die Argumentation dieses Beitrags, führt über milieuübergreifende Beteiligung und die Generierung sozialräumlichen Transformationswissens. Methodisch stellt dies die Wissenschaft vor Herausforderungen, denn was unter dem Begriff „Zukunft“ überhaupt vorstellbar ist, hängt milieutheoretisch davon ab, welche Assoziationen das eigene kulturelle Relevanzsystem zulässt (Thiesen 2023b: 126). Weder der Hinweis auf zeitlichen politischen Handlungsdruck noch die Konstruktion apokalyptischer Szenarien scheint „a priori“ jedoch anschlussfähig an die Erfahrungswelten breiter gesellschaftlicher Milieus. Zudem greifen auch im Setting der klimabewegten Gruppen milieuspezifische Fliehkräfte: Die Artikulationsfähigkeit und Organisationskompetenz von Bewegungen wie Fridays for Future gründet in gesellschaftlich privilegierten Wahlverwandtschaften. Sprache, Lebensstil und kulturelle „Codes“ bringen symbolische Ausschlussformen hervor, die Beteiligungszugänge erschweren. Die von Sennett angebotenen planerischen Reflexionen bieten in diesem Zusammenhang einen wertvollen Konzeptbaustein, der Zugänge zu Transformationswissen strukturell erleichtert.

Inwieweit sowohl der Verzicht auf kleinräumige Identitätspolitiken, wie sie häufig in der sozialen Stadtentwicklung praktiziert werden, als auch eine Abkehr von der geografischen Orientierung am Quartierszentrum zu Transformationsdynamiken in einer Stadt führen können, haben wir in dem Projekt „Transcity“ getestet13. Dabei wurde im Zusammenspiel mit zivilgesellschaftlichen Akteuren über die strukturellen Voraussetzungen eines quartiersübergreifenden Emissionshandels in der Stadt Essen nachgedacht. Die sozialräumliche Inklusion einer Stadt über Quartiersgrenzen hinweg zu formulieren und auf diese Weise das Erreichen von Klimaschutzzielen über den „Umweg“ der De-Segregation im Diskurs zu antizipieren, stand im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Projekte wie Transcity stellen konzeptionelle Gewissheiten der Stadtentwicklung in Frage und erklären soziale Gesichtspunkte, milieuübergreifende Kooperationsbereitschaft und den öffentlichen Raum zu den wichtigsten Komponenten transformativer Stadtentwicklung.

Koordinaten einer Theorie der transformativen Stadt

Aus den bisher getroffenen Überlegungen lassen sich thesenartig vier Komponenten einer transformativen Stadttheorie ableiten. Ihnen gemeinsam ist ein reflexiver Bezug auf das Prinzip der Durchlässigkeit.

These 1: Der Zugang zu einer „Stadt für alle“ kann nur über normative Kriterien der Teilhabe erfolgen.

Ein wesentliches Kennzeichen der globalen Interdependenz spätkapitalistischer Wirtschaftsweisen besteht in der Unmöglichkeit, die Teilhabe am Gemeinwesen jenseits von „Marktbedingungen“ zu organisieren (Thiesen 2022: 52). Aus diesem Grund empfiehlt sich eine kritische Haltung gegenüber Quartiersnarrativen, die auf eine Didaktik räumlicher Identitätsbildung in segregierten Gebieten setzen (Thiesen 2016a). Reproduktive Praktiken wie diese sind ein Ausweis symbolischer Gewalt, durch die Akteure in ihrer gesellschaftlichen Position bestätigt werden. Wie am Beispiel des Projektes Transcity gezeigt, geht es darum, die Emanzipation marginalisierter Milieus durch Zugänge zur „ersten Kultur“ zu aktivieren. Die sozialen Problemstellungen einer Stadt bilden den Ausgangspunkt progressiver Konzepte transformativer Quartiersentwicklung.

Sennetts Überlegungen zu einer Kritik des planerischen Zentrums fordern dazu auf, quartiersübergreifende Austauschformate zu etablieren; dadurch wird gleichzeitig ein milieuübergreifender Austausch gewährleistet. Insbesondere die Soziale Arbeit verfügt durch aufsuchende und mobile Ansätze über sozialräumliche „Randkompetenz“. Der Zugang zu marginalisierten Gruppen ist methodisch eingeübt. Um Effekte der De-Segregation und Inklusion zu fördern, braucht es jedoch eine räumliche Neuausrichtung intermediärer Institutionen – nur so können normative Teilhabeversprechen gesellschaftlich eingelöst werden. Die Planung solcher offenen Orte an den Grenzen unterschiedlich aufgestellter Quartiere kann soziale Transformationsdynamiken hervorbringen.

These 2: Sozialökologische Transformationsprozesse besitzen das Potential, das gemeinsame Interesse an einem Erhalt der Lebensgrundlagen über kulturelle Grenzen zu stellen.

Die Stadtsoziologin Ingrid Breckner hat bereits im Jahr 2007 darauf hingewiesen, dass professionelle Akteure der Stadtentwicklung gut beraten sind, sich bei der Arbeit mit heterogenen Adressaten an „anschlussfähigen Differenzen“ zu orientieren, um den Transfer zu normativen Anforderungen gesellschaftlicher Integration zu gewährleisten (Breckner 2007). Diese Suche wird durch den Klimawandel möglicherweise erleichtert: Denkbar ist, dass das gemeinsame Interesse einer diversitären Quartiersbevölkerung, die elementaren Grundlagen der menschlichen Existenz zu erhalten, von ihr höher gewichtet wird als das Beharren auf Identitätspolitiken. Dies könnte angesichts der zu erwartenden steigenden Zahl so genannter Klimaflüchtlinge sogar für den Abbau rassistischer Ressentiments gelten, vorausgesetzt, dieser transformative Problemzusammenhang wird durch intensive Quartiersbildungsarbeit – und gegebenenfalls politische Intervention gegenüber xenophoben, exkludierenden und menschenverachtenden Praktiken – immer wieder verdeutlicht.

Weiter kann davon ausgegangen werden, dass der Stellenwert der Identitätspolitik insbesondere in den eigenverantwortlich-avantgardistischen Milieus14 Anklang findet. Hier kann also ein zusätzliches Argument für die Initiierung quartiersübergreifender Partizipationsprojekte entwickelt werden, um die politische Themensetzung zu Gunsten sozialökologischer Transformation und Solidarität zu verschieben.

These 3: Quartiere benötigen eine neue sozialräumliche Bemessungsgrundlage.

Die Umsetzung der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) in den Kommunen lässt sich im so genannten „SDG-Portal“ überprüfen (SDG-Portal 2023). Informationen zu kleinräumigen Fortschritten unterhalb der Einheit der Gesamtstadt bietet das Portal jedoch nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass quantitative Erhebungsverfahren keine Rückschlüsse auf quartiersspezifische Transformationspraxen zulassen. Aus diesem Grund haben wir an der Hochschule RheinMain in einem studentischen Lehrforschungsprojekt im Wiesbadener Inneren Westend untersucht, inwieweit dort Nachhaltigkeitsstrategien praktiziert werden. Durch ethnografische Streifzüge wurde ein erster Einblick in eigensinnige Transformationspraxen im Quartier möglich. Methodologisch führt unser Ansatz zu der Konsequenz, die Datengrundlage von Sozialraumanalysen um ökologische Kriterien zu erweitern. Diese können auf der Ebene der Haushaltsführung ebenso gefunden werden wie im physischen Raum, etwa durch Abbildung grüner und blauer Infrastruktur. Auf diese Weise entsteht ein sozialökologischer Segregationsindex einer Stadt, der – bedingt durch den niedrigeren Verbrauch sozialökonomisch benachteiligter Quartiere – ein völlig anderes Narrativ der segregierten Stadt schafft.15

These 4: Eine Theorie der Transformation muss Prozesse der Subjektivierung berücksichtigen, um Transformationswissen generieren zu können.

Es gibt einen Grund, weshalb Subjekte transformative Praxen auf ihre eigene Weise entwickeln. Gerade in sozialökonomisch schwächer gestellten Quartieren können (implizite) Formen von Suffizienz beobachtet werden, wenn auch, wie Pierre Bourdieu formulieren würde, aus einem Habitus der „Notwendigkeit“ heraus (Bourdieu 1982). Ebenfalls können habituell bedingte Ursachen dazu führen, dass sich professionelle Akteure der Stadtentwicklung über eigensinnige Transformationsstrategien der Quartiersbevölkerung „wundern“. Subjektivierung ist demzufolge sowohl Anlass für alltagskulturelles Handeln als auch Bedingung einer veränderten Perspektive auf die soziale Welt. Die Soziologie Didier Eribons kann dabei unterstützen, die historische Pluralität von Ausgrenzungs-, aber auch Emanzipationserfahrungen intersektional nachzuzeichnen (Eribon 2016, 20172018). Bei der politischen Umsetzung der „Großen Transformation“ entstehen, wie weiter oben bereits diskutiert, methodische Konsequenzen, da nicht verhaltenspsychologisch begründete „Anreizsysteme“ zu den gewünschten – und unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten essentiellen – gesellschaftlichen Entwicklungen führen, sondern soziologisch konnotierte „Erfahrungsräume“16. Nur wer über Erfahrungen transformativer Selbstwirksamkeit verfügt, öffnet sich für die politische Agenda der Transformation, etwa für neue Formen der Mobilität, und bringt Transformationswissen in den Diskurs ein. Auf diese Voraussetzung einzugehen heißt zugleich, gesellschaftliche Akzeptanzstrukturen für den zukunftsfähigen Umbau von Stadtgesellschaften zu schaffen. Da sozialökonomisch unterprivilegierte Milieus häufig nicht in der Lage sind, eigenständige Transformationspraxen im privaten Raum zu entwickeln, nimmt die Bedeutung des öffentlichen Raums als Methodenlabor gesellschaftlicher Transformation weiter zu.

Conclusio

Die machtvollen Diskurse um die Zukunftsfähigkeit unserer Städte zeichnen sich vor allem durch kulturell ungleich verteilte Deutungshoheiten und fehlende Partizipationsmöglichkeiten aus. Übersehen wird dabei die Funktion sozialräumlichen Transformationswissens für den Aufbau eines milieuübergreifenden „Commitment“ zur nachhaltigen Stadtentwicklung. Die normative Kraft gesellschaftlicher Teilhabe begründet diesen Aspekt. Die von Richard Sennett geforderte Durchlässigkeit kann dabei als Maxime der „offenen Stadt“ verstanden werden und die Generierung von Transformationswissen erhöhen. Die Erweiterung von Sozialraumanalysen durch Ergänzung sozialökologischer Faktoren könnte jene Durchlässigkeit auch empirisch abbilden. Eine subjektivierende Theoriebildung, die dabei hilft, kulturelle Differenz innerhalb solidarischer Quartiersstrategien zuzulassen, ohne die Nachhaltigkeitsperspektive aus den Augen zu verlieren, wäre ein weiteres Kriterium einer Theorie der transformativen Stadt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um die Zweitveröffentlichung eines Essays in „Forum Stadt – Vierteljahreszeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie, Denkmalpflege und Stadtentwicklung“, Heft 4/2023. Wir veröffentlichen den Text mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.

About the author(s)

Andreas Thiesen, Dr. phil., ist Professor für Theorien und Methoden Sozialer Arbeit am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u.a. in der Stadt- und Transformationsforschung.

Andreas Thiesen, Dr. phil., is Professor of Theories and Methods of Social Work at the Department of Social Work at RheinMain University of Applied Sciences in Wiesbaden. His research focuses on urban and transformation research.

References

1 Das Wuppertal Institut begreift Transformationswissen – neben System- und Zielwissen – als elementaren Bestandteil von Transformativer Forschung (Wuppertal Institut 2023).

2 Zur multidisziplinären Verwendung des Transformationsbegriffs (vgl. zusammenfassend Thiesen 2023a).

3 Darüber hinaus kann Transformation – folgen wir den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen – zahlreiche weitere, mit dem Leitgedanken des Klimaschutzes durchaus kompatible Themen umfassen, etwa Armutsbekämpfung (SDG-Ziel 1), Gendergerechtigkeit (SDG-Ziel 5) und nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung (SDG-Ziel 11).

4 Der indigene Ursprung des Konzeptes „Gutes Leben“ spielt für meine Argumentation keine Rolle.

5 Der Philosoph Raymond Geuss hat „die wirklich totale Ideologie unserer Ära, die Verbindung aus Demokratie, Liberalismus und Kapitalismus“ dahingehend beschrieben, dass sie in der Lage ist, sich als Antiideologie zu initiieren (vgl. Geuss 2023: 17).

6 Ich verwende Transformationswissen hier in einem genuin methodologischen Verständnis von partizipativer Forschung.

7 Zu dieser konzeptionellen Symbiose aus ville (verkürzt: Stadtplanung) und cité (verkürzt: Gemeinwesen) vgl. ausführlich Sennet 2018: 255 ff.

8 Es liegt auf der Hand, dass nun auf die Kriminalitätsbekämpfung im öffentlichen Raum verwiesen wird, z. B. die Sanktionierung von Drogendelikten. Entgegenzuhalten wäre hier, dass nicht die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten durch öffentliche Ausweisung urbaner Sonderbereiche als „gefährliche Orte“ zu den gewünschten sicherheitspolitischen Effekten führt, sondern die gesellschaftliche Problematisierung sozialer Problemlagen in der Stadt.

9 Die planerische Orientierung der Quartiersentwicklung am räumlichen Zentrum findet ihre Entsprechung häufig in einem „aus der Zeit gefallenen“ Projektkatalog, der zu einer Ignoranz postmigrantischer Realitäten in urbanen Quartieren führt und stattdessen symbolische Quartiersintegration durch Stärkung lokaler Identitätsbildung fördert
(vgl. Thiesen 2016a).

10 Ich beziehe mich bei diesen Beispielen auf Interventionen in den Stadtraum am Hannoverschen Raschplatz und im Wiesbadener Rheingauviertel.

11 Zur „Grünen Gentrifizierung“ vgl. Haase et al. 2023.

12 Zur Kategorie der Unsichtbarkeit in der Stadtforschung vgl. Eckardt et al. 2015.

13 Das Projekt wurde unter dem Titel Transcity – Sozialräumliche Inklusion durch Instrumente des Klimaschutzes in der Zeit von März 2021 bis August 2022 von der Hochschule RheinMain, dem Wuppertal Institut und der Grünen Hauptstadt Agentur der Stadt Essen durchgeführt und von der Stiftung Mercator gefördert (vgl. ausführlich Stelzer et al. 2023).

14 Zur milieusoziologischen Terminologie vgl. Geiling 2006: 42.

15 Ich danke der stellvertretenden Leiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren des Wuppertal Instituts, Dr. Carolin Baedeker, für den Impuls, die klassische Sozialstrukturanalyse als „sozialökologischen Strukturatlas“ zu denken.

16 Zum Konzept der soziologischen Selbsterfahrungsräume vgl. Thiesen 2022: 105 f.

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