Published 26.04.2023

Hannovers Zukunft gemeinsam gestalten?! 

Der Dialogprozess zum Stadtentwicklungskonzept Mein Hannover 2030 auf dem Prüfstand 

Developing Hanover‘s Future Together?!  

The Dialogue Process for the Urban Development Concept My Hannover 2030 on Trial 

Keywords: Partizipation; Stadtentwicklung; Qualitative Interviews; Evaluation; Participation; urban development; qualitative interviews; evaluation

Abstract:

Partizipation in der räumlichen Entwicklung hat bereits eine lange Tradition und ist kontrovers diskutiert. Insbesondere in der Stadtentwicklung wird Beteiligung unterschiedlicher Akteur:innen immer wichtiger. Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover sammelt bereits seit einigen Jahrzehnten vielseitige Erfahrungen in der Beteiligung, so auch im Dialogprozess zum Stadtentwicklungskonzept Mein Hannover 2030. Ziel dieses Beitrages ist die Analyse der Ergebnisse des Stadtdialogs Mein Hannover 2030 und der sich daraus entwickelten Herausforderungen und Chancen für Beteiligungsprozesse und die darin involvierten Akteur:innen. Die Untersuchung zeigt, dass der Stadtentwicklungsprozess umfänglich war. Er hat sich für die Stadt Hannover in vielen Aspekten gelohnt, wenngleich es einige Reibungspunkte gab. Der Prozess hat für neue Impulse gesorgt, die ohne ihn vermutlich nicht aufgekommen wären. Neue Netzwerke sind entstanden – zwischen und innerhalb Verwaltung, Politik und Bürger:innen – die es zukünftig weiter auszubauen und zu stärken gilt.  

Participation in spatial development already has a long tradition and is controversially discussed. In urban development, it is becoming increasingly important. The city of Hannover, the capital of Lower Saxony, gained experience in the participation of different actors in the city for many decades, for example, in the dialogue process for the urban development concept My Hannover 2030. This paper aims to analyse the results of the urban dialogue process My Hannover 2030 and the resulting challenges and opportunities for participation processes and the involved actors. The analysis shows, that the urban development process was extensive. It has been worthwhile for the city of Hannover in many aspects, although there have been some friction points. The process has provided new impulses that probably would not have arisen without the process. New networks have emerged - between and within administration, politics and citizens - which must be expanded and strengthened in the future. 

Partizipation in Hannovers Stadtentwicklung 

Partizipation in der räumlichen Entwicklung hat bereits lange Tradition. Die Formen lassen sich zwischen formeller, also gesetzlich (verpflichtender) Beteiligung und informeller, freiwilliger Beteiligung unterscheiden (Selle 2013: 24). Zu den formellen Beteiligungsformen gehören zum Beispiel die Öffentlichkeitsbeteiligung (gem. § 3 BauGB) oder Petitionen. Informelle Formen sind beispielsweise Bürger:inneninitiativen, Runde Tische oder Workshops (Selle 2013: 62). Eine Kombination verschiedener Formen kann sinnvoll sein, birgt aber auch Herausforderungen. Die Gestaltung einer gelungenen Beteiligung wird deshalb kontrovers diskutiert: Während in den vergangenen Jahren immer wieder der Ruf nach mehr Partizipation in der räumlichen Planung laut wurde, gibt es vermehrt auch Kritik am Stellenwert und der Umsetzung partizipativer Verfahren. Seit einigen Jahren über- oder erarbeiten zahlreiche Städte ihre Stadtentwicklungskonzepte zunehmend kooperativ und im Dialog mit unterschiedlichen Akteur:innen in informellen Beteiligungsverfahren (Danielzyk 2015: 8–9). In der Stadtentwicklung treffen verschiedene Interessen aufeinander und verschiedene Aufgaben müssen bewältigt werden. Dabei sind zumeist vielfältige Akteur:innen involviert, die kommunikativ und multilateral Lösungen für Herausforderungen in der Stadtentwicklung finden müssen (Lobeck et al. 2021: 5). 

Auch die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover sammelt bereits seit vielen Jahrzehnten Erfahrungen in der Beteiligung unterschiedlicher Akteur:innen in der Stadtentwicklung (Hannover.de Internet GmbH 2022a; LHH 2014: 72). Neben Partizipation zur internationalen Weltausstellung EXPO 2000, zum Innenstadtkonzept Hannover City 2020+ oder verschiedenen Projekten in der Stadt, führte die Stadt ab dem Jahr 2014 den Stadtdialog Mein Hannover 2030 durch. Ziel des Prozesses war es, das integrierte Stadtentwicklungskonzept Mein Hannover 2030 mit Zielen und Strategien in einem groß angelegten informellem Dialogverfahren mit der Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit zu entwickeln (Hannover.de Internet GmbH 2022b). Dafür wurden in einer Auftaktphase von September 2014 bis Januar 2015 umfängliche Materialien erstellt (beispielsweise ein Status quo-Bericht mit Handlungsfeldern sowie Stärken- und Schwächenanalyse der Stadt) und die Beteiligungs-, Konzeptions- und Umsetzungsphase etabliert. In der Beteiligungsphase von Januar 2015 bis Juli 2015 fanden zunächst vier Impulsveranstaltungen statt, bei denen die Akteur:innen sich über den Prozess informieren und Fragen stellen konnten. Anschließend hatten alle Akteur:innen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, die Möglichkeit eigenständig Veranstaltungsformate jeglicher Art in Präsenz und online anzubieten (zum Beispiel Workshops, Themenabende, Bustouren, Podiumsdiskussionen). Diese sollten sich den Handlungsfeldern des Prozesses zuordnen. Danach folgte die Auswertung der Veranstaltungen und die Erstellung des Konzeptentwurfs in der Konzeptionsphase. Mitte des Jahres 2016 stimmte der Rat der Stadt dem Konzeptentwurf zu (siehe Abbildung 1), sodass seitdem die Umsetzungphase stattfindet. Im sogenannten Arbeitsprogramm wurden 50 Projekte identifiziert, die kontinuierlich aktualisiert und ergänzt werden (Hannover.de Internet GmbH 2022b). Im Jahr 2021 folgte dann zusätzlich der Startschuss für den Innenstadtdialog Hannover MIT(TE) gestalten, in dem im Dialog ein Konzept für das Stadtzentrum erarbeitet wird.

Die Printversion des Stadtentwicklungskonzepts Mein Hannover 2030 auf einem Stadtplan.
Abbildung 1: Das Stadtentwicklungskonzept Mein Hannover 2030. Quelle: Landeshauptstadt Hannover.

Ziel dieses Beitrages ist die Analyse der Ergebnisse des Stadtdialogs Mein Hannover 2030 und der sich daraus entwickelten Herausforderungen und Chancen für Beteiligungsprozesse sowie die darin involvierten Akteur:innen. Dafür wird an die Untersuchung anhand von Kriterien der Dialogphase des Stadtentwicklungsprozesses von Greinke (2016) angeschlossen. Somit ist es möglich, die Ergebnisse während des Prozesses im Jahr 2015 und die Eindrücke circa fünf Jahre nach Veröffentlichung des Konzepts zu evaluieren. Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage, inwiefern der Stadtdialog Mein Hannover 2030 die Governance zwischen den Akteur:innen beeinflusst hat. In dem vorliegenden Beitrag wird zunächst der Untersuchungsablauf und verwendete Methoden erklärt, bevor die Ergebnisse der Prozessanalyse diskutiert werden und ein Fazit mit Ausblick gezogen wird. 

Untersuchungsablauf und Methodik 

Die Dialogphase des Stadtentwicklungsprozesses Mein Hannover 2030 wurde im Jahr 2015 von Greinke (2016) anhand von Analysekriterien und -indikatoren (nach Selle 2013: 408) und mit Hilfe von quantitativen Befragungen von 61 Besuchenden sowie 20 qualitativen Interviews mit Expert:innen im Prozess evaluiert. Es wurden die Kriterien Ziel, Substanz, Akteur:innen, Ressourcen und Prozess analysiert. Mithilfe der Kriterien konnten die W-Fragen untersucht werden, die es nach Selle (2013:198) in Beteiligungsprozessen zu klären gilt: Zunächst sollten Ziele und Interessen (Warum? Wozu?) klar definiert werden. Zudem müssen die Inhalte (Was?) sowie Wirkung, Reichweite und Folgen des Verfahrens (Wie weit?) erörtert werden. Darüber hinaus gilt es, die Beziehung und Einbindung der Akteur:innen (Wer?) zu verdeutlichen. Des Weiteren sollte der Kontext und die Rahmenbedingungen sowie die Ressourcenverfügbarkeit kommuniziert werden. Außerdem ist es wichtig zu analysieren, welche Methoden und Verfahren verwendet werden beziehungsweise wie diese ineinandergreifen, um die Prozesse vielfältig, strukturiert, passgenau und transparent zu gestalten (Selle 2013: 408). Die Kriterien und Indikatoren (siehe Abbildung 2) werden auch für den vorliegenden Beitrag vergleichend verwendet. 

Die Abbildung zeigt die Analysekriterien und -indikatoren der vorliegenden Untersuchung. Dazu zählen die Ziel-, Substanz-, Akteur:innen-, Ressourcen- und Prozessanalyse.
Abbildung 2: Analysekriterien und -indikatoren. Quelle: Eigene Darstellung nach Selle 2013: 408. 

Um zu untersuchen, inwiefern der Stadtdialog Mein Hannover 2030 dazu beigetragen hat die Governance zwischen den Akteur:innen zu beeinflussen, wurden im Jahr 2021 erneut sieben leitfadengestützte, qualitative Interviews mit Akteur:innen aus Politik, Verwaltung und Institutionen/ Vereinen geführt, die in den Prozess involviert waren (Experteninterviews nach Liebold und Trinczek 2009; Mayer 2013; Meuser und Nagel 2002). Die Interviews dauerten 30 bis 60 Minuten. Der Leitfaden gliedert sich in drei Abschnitte: Erstens wurde die bisherige Beteiligungskultur in der Stadt Hannover diskutiert. Zweitens folgten Fragen zum Stadtentwicklungsprozess Mein Hannover 2030. Hier wurden insbesondere Ergebnisse aus der Analyse nach Greinke (2016) aufgegriffen. Drittens wurde die zukünftige Beteiligung in der Stadt Hannover thematisiert. Die Interviews wurden aufgrund der Covid-19-Pandemie online durchgeführt, aufgezeichnet und nach einheitlichen Regeln transkribiert (Meuser und Nagel 2002: 83). Ausgewertet wurden die Gespräche mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2000). Neben den durchgeführten Interviews wurde zudem der Prozess mittels teilnehmender Beobachtung immer wieder begleitet und protokolliert. Die Ergebnisse der Analysen fließen in die nachfolgende Ergebnisdarstellung und Diskussion ein. 

Fünf Jahre danach… 

Seit Beginn der Dialogphase im Stadtentwicklungsprozess Mein Hannover 2030 im Jahr 2015 ist in und um die Stadt Hannover viel passiert. Es gab unterschiedliche politische und verwaltungsinterne Umstrukturierungen. Anhand der der Prozessanalysekriterien (siehe Abbildung 1) werden nachfolgend die Ergebnisse der Analyse präsentiert und diskutiert. 

Das Ziel 

Das Ziel eines Beteiligungsprozesses sollte gegenüber allen Akteur:innen bereits zu Beginn klar von den Ausführenden definiert und kommuniziert werden (Netzwerk Bürgerbeteiligung 2013: 1; Selle 1994: 80). Für das Dialogverfahren zum Stadtentwicklungskonzept Mein Hannover 2030 wurden diverse Medien genutzt und Informationsmaterialien in Print und online zur Verfügung gestellt (zum Beispiel Handlungsfelder mit Querschnittsthemen und Leitfragen, Status quo-Bericht, Planungshilfen und Checklisten) (siehe Abbildung 3). Dadurch konnten sich alle Akteur:innen informieren und das Ziel des Prozesses nachvollziehen. Allerdings gab es während der Dialogphase auch kritische Stimmen zu fehlenden Print-Unterlagen vor Ort bei den Veranstaltungen (Greinke 2016: 46). Informationsunterlagen können zwar die Kommunikation des Ziels unterstützen, jedoch sollte es allen Akteur:innen noch klarer gemacht werden. 

Rückblickend ist den meisten Interviewten das Ziel des Prozesses zwar während der Durchführung der Beteiligung nicht immer klar gewesen, im Nachhinein ist es aber deutlich geworden. Viele können nachvollziehen, welche Ziele in 2015 festgelegt wurden und erkennen, dass sie umgesetzt werden. Das Ziel des Prozesses, ein integriertes Stadtentwicklungskonzept mit Zielen und Strategien im Dialog zu entwickeln, wurde stringent verfolgt und im Zeitplan umgesetzt. Das Konzept wurde der Öffentlichkeit vorgestellt und ist als Printversion und online erhältlich (siehe Abbildung 1). 

Eine Person liest die Informationszeitung der Dialogphase, auf der „Die Zukunft beginnt vor Ort“ zu lesen ist.
Abbildung 3: Informationszeitung zur Dialogphase. Quelle: Landeshauptstadt Hannover.

Die Substanz 

Für die Substanz eines gelungenen Beteiligungsprozesses ist es wichtig, die Inhalte, Wirkung, Reichweite und Folgen des Verfahrens zu erörtern (Lindloff 2003: 18; Selle 2013: 198). Diese sollten in den lokalen Kontext eingebunden sein (Lindloff 2003: 18; Wagner 2014: 116–117). Im Rahmen des Stadtdialogs wurden zahlreiche Akteur:innen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft aktiviert und eingebunden, indem sie entweder selbst eine Veranstaltung organisiert oder besucht haben und dabei ihre Stimme deutlich machen konnten. Zudem wurden die Ergebnisse mit Protokollen einheitlich dokumentiert. Die Akteur:innen vollzogen jedoch nur vereinzelt nach, inwiefern die Ergebnisse in den Prozess einbezogen werden und welchen Stellenwert die einzelnen Veranstaltungen im Prozess haben, wodurch es vielen Teilnehmenden schwerfiel sich einzubringen (Greinke 2016: 46). 

Fünf Jahre nach Veröffentlichung des Stadtentwicklungskonzepts Mein Hannover 2030 sind den Interviewten die Inhalte und Ergebnisse des Prozesses durchaus bewusst. Sie kennen das Konzept und können sich mit einigen Aspekten identifizieren. Allerdings kritisieren sie den Umgang mit den Ergebnissen. Die Interviewten sind der Ansicht, dass das Verfahren der Ergebnisanalyse mithilfe einer Matrix eine Art Black Box darstellt, die für die Beteiligten unbefriedigend ist. Sie haben sich im Prozess aufwendig beteiligt und hätten gerne an der Ergebniskondensierung mitgearbeitet. Die Beteiligten wünschen sich diesbezüglich mehr Transparenz und Wertschätzung für die Partizipation. Andere hingegen sind der Meinung, dass der Prozess von der Verwaltung und Politik initiiert wurde und diese dann auch für die Auswertung und Ergebnisdarstellung verantwortlich sind. Die Ergebnisanalyse sei jedoch nicht von Anfang an klar gewesen, sodass nahezu alle Akteur:innen mit dem Prozess und der Auswertung wachsen mussten. Das Ergebnis selbst – also das Stadtentwicklungskonzept – sei laut einigen Interviewten noch zu unkonkret und lasse zu viel Spielraum für Interpretationen. Gleichzeitig betonen Interviewte, dass sich durch die Offenheit auch Chancen eröffnen, die Themen interdisziplinär anzugehen. Die Interviewten sind sich jedoch einig, dass es unbedingt eine (zeitnahe) Umsetzung des Konzeptes geben sollte, – in welcher Form auch immer – damit es nicht zur Demotivation der Beteiligten käme. Die 50 im Arbeitsprogramm identifizierten Projekte seien ein erster Schritt, der weitergegangen werden sollte, um entsprechende Reichweite zu erlangen und den Nutzen des Konzepts mit seinen Zielen und Strategien für die zukünftige Stadtentwicklung Hannovers weiter zu verdeutlichen. 

Die Akteur:innen 

In einen Dialogprozess sollten sich alle Akteur:innen in der Stadtentwicklung offen, substanziell, reflektiert und auf Augenhöhe einbringen können (Goldschmidt 2014: 92; Stadt Bonn 2014: 9; Wagner 2014: 102-118; Netzwerk Bürgerbeteiligung 2013: 1). Während der Dialogphase in 2015 nahmen zahlreiche unterschiedliche Akteur:innen teil und konnten sich eine Änderung im Verhältnis der Bevölkerung zur Stadt(-verwaltung) vorstellen. Insbesondere Menschen, die sich sonst weniger einbringen (konnten), wurden in den Prozess eingebunden (zum Beispiel junge Mädchen, Migrant:innen und Taubblinde). Dennoch unterschieden sich die Akteur:innen bei den einzelnen Veranstaltungen zum Teil stark und einige Menschen konnten nicht aktiviert werden (zum Beispiel Obdachlose) (Greinke 2016: 46).

Im Rückblick ist der Prozess Mein Hannover 2030 ein Vorhaben, welches zahlreiche Personen einbezogen und aktiviert hat. Dass einige Zielgruppen nicht oder nur eingeschränkt erreicht wurden, ist und bleibt bei vielen Beteiligungsformaten eine Herausforderung, die es zukünftig zu lösen gilt. Insbesondere in Bezug auf die Ergebnisse hat die Stadt Hannover die Möglichkeiten für eine aktive Partizipation der Akteur:innen breit ausgeschöpft. Materialien wurden nicht nur transparent zur Verfügung gestellt und ausführlich vorgestellt, sondern auch in leichter Sprache aufgearbeitet. Die im Prozess Mein Hannover 2030 fehlenden Personen versucht die Stadt in zukünftigen Prozessen zielgruppenspezifischer anzusprechen und mitzunehmen. Dabei gilt es darauf zu achten, dass Einflussmöglichkeiten und Handlungsspielräume von Beginn an deutlich kommuniziert werden (Maikämper 2013: 9). 

Die Ressourcen 

Um gelungene Beteiligungsprozesse zu gestalten, müssen ausreichend Ressourcen finanzieller, personeller und materieller Art zur Verfügung stehen (Lindloff 2003: 18; Wagner 2014: 113–114). Im Stadtdialog Mein Hannover 2030 wurde dies unterschiedlich gehandhabt: Zum einen gab es zahlreiche, verfügbare Materialien (zum Beispiel Plakate, Flyer, Webseiten). Zum anderen jedoch wurden die Akteur:innen bei der Durchführung der Veranstaltungen nicht unterstützt. Es gab zwar Material und Checklisten, jedoch keine finanzielle oder personelle Hilfe bei der Organisation für diejenigen, die sich mit einer Veranstaltung in die Dialogphase einbringen wollten. Zudem sorgten fehlende Medienpartnerschaften und mangelhafter Einsatz sozialer Medien für negative Schlagzeilen in der Presse und bei den Teilnehmenden. Formate mussten zum Teil unter Zeitdruck durchgeführt werden (Greinke 2016: 47). 

Als ein Beispiel für die Weiterentwicklung der Beteiligungsformen in der Stadt Hannover ist der Innenstadtdialog Hannover MIT(TE) gestalten zum Innenstadtkonzept 2035 Mitte neu denken zu nennen, in dem es um einen konkreten räumlichen Zuschnitt geht – die Innenstadt Hannover. Dieser Prozess ist dadurch konkreter und für viele Beteiligte einfacher zu verstehen. Laut vielen Interviewten sollte Beteiligung zukünftig eher lokal angesiedelt werden. Während des Innenstadtdialogs wurde außerdem deutlich besser mit den Medien zusammengearbeitet. Die Berichterstattungen waren positiver und wurden deutlicher kommuniziert. Für den Innenstadtdialog wurde darüber hinaus ein Beirat aus Akteur:innen der Verwaltung, Politik, Vereinen und Zivilgesellschaft eingerichtet, der den Prozess beratend begleitete. Dadurch konnten wertvolle Hinweise in den Prozess eingebracht werden und ein Teil der Verantwortung von den Schultern der Verwaltung genommen werden. Gleichzeitig war der Beirat lediglich beratend tätig, sodass wichtige Entscheidungen nicht aus der Hand gegeben wurden. Demnach wurden sowohl die Rahmenbedingungen als auch die Öffentlichkeitsarbeit und Begleitung in nachfolgenden Beteiligungen und für zukünftige Prozesse verbessert. 

Der Prozess 

Dialogprozesse sind transparent, netzwerkorientiert, sorg- und vielfältig und wertschätzend, wenn sie mit passenden Methoden und Instrumenten durchgeführt werden (Selle 1994: 80; Stadt Bonn 2014: 10; Goldschmidt 2014: 94–95). Dies war im Stadtentwicklungsprozess der Stadt Hannover zumeist gewährleistet: Es gab vielfältige Themen, Abläufe, Zeiten und Orte (Greinke 2016: 47) (siehe Abbildung 4). Dennoch gab es vereinzelt unprofessionelle und chaotische Veranstaltungen. Zudem war den Beteiligten nicht klar, wie die Ergebnisse zusammengeführt und präsentiert werden. Dadurch wirkte der Prozess – auch aufgrund seiner Größe mit knapp 200 Veranstaltungen – unübersichtlich. Befürchtet wurde, dass der Prozess nicht ernst genommen wird und eine Umsetzung nicht stattfindet (Greinke 2016: 48). 

Aus den Erfahrungen des Dialogprozesses zu Mein Hannover 2030 hat die Verwaltung und Politik rückblickend positiv profitiert. Interviewte bezeichnen den Dialog als „Sprint“ (Interview mit Akteur:in der Stadtverwaltung am 29.03.2021), der durch seine Offenheit viele Möglichkeiten eingeräumt hat. Zwar bemängelten viele Interviewte auch aktuell noch, dass die Beteiligungsformate nicht alle Zielgruppen erreichen und zum Teil sehr unübersichtlich sind, dennoch sind deutliche Verbesserungen bei aktuellen Prozessen zu erkennen. Beispielweise wurden im Innenstadtdialog viele Zielgruppen spezifisch angesprochen. Ziele des Prozesses wurden klar formuliert und gleichzeitig auch Multiplikator:innen genutzt, um gemeinsame Projekte anzustoßen –zum Beispiel mit einer (mobilen) Stadtbibliothek oder professionellen und ehrenamtlichen Initiativen. 

Publikum bei einer Beteiligungsveranstaltung von Mein Hannover 2023.
Abbildung 4: Veranstaltungen Markt der Möglichkeiten. Quelle: Landeshauptstadt Hannover. 

Obwohl verwaltungsinterne Unstimmigkeiten und unterschiedliche Politikverständnisse im Prozess teilweise für Verzögerungen und Reibungen gesorgt haben, wurde an der Struktur und Organisation der Beteiligung in der Verwaltung gearbeitet. Laut Aussagen der Interviewten haben sich Strukturen verflüssigt und Dialoge sind innerhalb der Verwaltung initiiert und intensiviert worden. Neben einem Entwicklungsprogramm für fünf Jahre wurde zudem im Fachbereich Personal und Organisation der Stadtverwaltung Hannover die Koordinierungsstelle für Beteiligung eingerichtet, die mit zahlreichen Partner:innen – auch außerhalb der Stadtverwaltung – zusammenarbeitet (zum Beispiel Bürgerbüro Stadtentwicklung e. V., Stiftung Mitarbeit oder Netzwerk Bürgerbeteiligung). Die neu eingerichtete Stelle berät intern die Verwaltung zu Beteiligungsmöglichkeiten und legt Qualitätsstandards für diese fest. Sie ist folglich ein wichtiger Meilenstein in der Beteiligungskultur Hannovers, der laut Interviewten unmittelbar aufgrund des Dialogprozesses Mein Hannover 2030 entstanden ist. Zwar laufen die Prozesse zu Beginn der Einrichtung der Koordinierungsstelle noch nicht immer ohne Reibungen, jedoch gibt es auch aus der Politik Rückenwind für die Stelle, die als Satzung politisch verankert werden soll. Die Verantwortung für die Beteiligung bleibt nach wie vor bei den Dezernaten mit ihrer Fachkompetenz, was die Interviewten befürworten, jedoch unterstützt die Koordinierungsstelle bei der Entwicklung und Umsetzung passender Angebote. So betonen Interviewte: 

Durch Mein Hannover 2030 „haben [wir] identifiziert, dass [wir] ganz viele tolle Leute in der Stadtverwaltung [haben], die super Ideen haben, ganz offen sind gegenüber Partizipation, die aber leider nichts zu sagen haben und deshalb auch nichts Gutes machen“. 

(Interview mit der Akteur:in der Stadtverwaltung am 26.03.2021)

Für die Stadtverwaltung Hannovers gilt es zukünftig zu beachten, dass auch solche Koordinierungsstellen nicht für sich allein stehen und aus sich heraus wenig bewirken. Sie sind abhängig von der Mitwirkung zahlreicher Akteur:innen und der Bereitschaft aller, sich auf eine Kooperation einzulassen. Dabei darf sich die vorrangig angestrebte Kommunikation nicht ausschließlich auf vereinzelte Akteursgruppen (zum Beispiel Verwaltung oder Zivilgesellschaft) beziehen, sondern sollte inklusiv geführt werden (Lobeck et al. 2021: 14). 

In der 2015 durchgeführten Untersuchung (Greinke 2016) wurden erste Handlungsempfehlungen identifiziert. Beispielsweise wurde empfohlen, räumliche Abgrenzungen für Beteiligungsverfahren zu nutzen und die Kommunikation zu verbessern. Dies wurde beim Innenstadtdialog Hannover MIT(TE) gestalten durch klare räumliche Grenzen ermöglicht. Der Prozess wurde räumlich auf die Innenstadt beschränkt und damit deutliche Aktionsradien definiert. Zudem gab es eine ausgeweitete Medienkommunikation, welche für weitere Prozesse beibehalten werden sollte. Darüber hinaus sollte eine stärkere Zusammenarbeit in weiteren Netzwerken und mit anderen Institutionen stattfinden. Auch hier sind bereits erste Ansätze zu erkennen, die den Aufbau eines Netzwerks erhoffen lassen. Insbesondere auch die Bereitstellung von finanziellen und personellen Unterstützungsmöglichkeiten wurde in Mein Hannover 2030 bemängelt. Durch die neu eingerichtete Koordinierungsstelle ist ein Schritt zur Verbesserung der Ressourcen(- verfügbarkeit) gemacht worden. Die Stelle lässt zudem hoffen, dass Partizipation auch zukünftig verstetigt wird. So wünschen sich Interviewte, „dass [im Jahr] 2030 das Thema Einwohner:innenbeteiligung gar kein eigenes Thema mehr ist, sondern dass es selbstverständliches Handeln von Politiker:innen, Einwohner:innen und Verwaltungsmitaberiter:innen ist, das dann durchaus kontrovers sein kann“ (Interview mit Akteur:in der Stadtverwaltung am 26.03.2021). 

Mein Hannover 2030 als Basis und Impuls  

Zusammenfassend war der Stadtentwicklungsprozess Mein Hannover 2030 ein umfänglicher Prozess, der sich für die Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft in vielen Aspekten gelohnt hat, wenngleich es einige Reibungspunkte gab. Für die Akteur:innen war und ist der Prozess auch fünf Jahre nach der Ergebnispräsentation noch eine Herausforderung. So betiteln Hochmuth und Mangold (2021: 52–53) zurecht, dass Beteiligung „ein permanenter Lernprozess“ ist. Der Dialogprozess in Hannover hat durch seine Offenheit neue Impulse etabliert, die ohne ihn vermutlich nicht aufgekommen wären. So sind es zum Beispiel die Themen der Internationalisierung oder Digitalisierung, die zukünftig intensiver verfolgt werden. Auch die erfolglose Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 oder der derzeitige Weg hin zur Smart City Hannover sind positiv hervorzuheben. Neue Netzwerke sind entstanden – zwischen und innerhalb Verwaltung, Politik und Bürger:innen – die es zukünftig weiter auszubauen und zu stäken gilt. 

Die vorliegende Analyse zeigt, dass Beteiligungsprozesse in der Stadtentwicklung positive Veränderungen bewirken und neue Projekte anstoßen können, die allen Akteur:innen zugutekommen können. Durch den Aufbau auf die Ergebnisse aus dem Jahr 2015 konnte der Rückblick genutzt werden, um zu zeigen, dass der Weg für eine kontinuierliche Beteiligungskultur in der Stadt Hannover und daraus resultierenden neuen Ideen für die Stadtentwicklung geebnet ist. Die Untersuchung mit Hilfe von Analysekriterien und –indikatoren (nach Selle 2013: 408) und den qualitativen Expert:inneninterviews war für die Fragestellung zielführend. Zukünftig sollten die Interviews aber auf weitere Beteiligte und Nicht-Beteiligte im Prozess ausgeweitet werden, um deren Sichtweise auf den Prozess einzufangen. Darüber hinaus bieten sich quantitative Erhebungen an, um ein Stimmungsbild der Bevölkerung einzuholen, inwiefern der Dialogprozess zur Veränderung zwischen den Akteur:innen beigetragen hat oder die Umsetzung des Stadtentwicklungskonzeptes Mein Hannover 2030 durchgeführt wird. 

Die Stadt Hannover hat sich in der Vergangenheit stets offen für neue Ideen und Prozesse gezeigt. Diese Zugänglichkeit sollte für alle Beteiligten bewahrt und weiter ausgebaut werden. Der Stadtentwicklungsprozess Mein Hannover 2030 stellte und stellt eine „Basis unterhalb der Entscheidungsebene“ (Interview mit Akteur:in in der Stadtentwicklung am 13.03.2021) in der Stadt dar. Er liefert Grundlagen und Themen, die es mit Leben zu füllen gilt. Dabei ist den meisten Interviewten wichtig, dass die demokratisch gewählte Politik ihre Entscheidungskompetenz behält und dennoch reelle Partizipation stattfindet. Beteiligung darf kein politisches Machtinstrument sein und als solches missbraucht werden – auch wenn es politische oder verwaltungsinterne Herausforderungen gibt, die zu bewältigen sind. Nur in die lokale Beteiligungskultur eingebettete Beteiligungsprozesse können erfolgreich sein (Maikämper 2013: 7). Handlungsspielräume sollten deshalb stets offen und transparent kommuniziert werden. Zukünftig sehen einige Interviewte insbesondere Bürger:innengutachten als eine Chance zur zielgerichteten und transparenten Beteiligung in der Stadt. Ob und wie sich die Partizipationskultur in der Stadt Hannover entwickelt, bleibt deshalb weiter zu beobachten und zu evaluieren.

About the author(s)

Lena Greinke, Dr., Umweltplanerin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre am Institut für Umweltplanung der Leibniz Universität Hannover. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind multilokale Lebensweisen, Regionalentwicklung, Entwicklung ländlicher und urbaner Räume sowie Partizipation. 

Lena Greinke, Dr., environmental planner, is researcher and lecturer at the Institute for Environmental Planning at Leibniz University Hannover. Her current work focuses on multi-local lifestyles, regional planning, development of rural and urban areas as well as participation.

References

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