Published 31.05.2022

Partizipation in Genossenschaftssiedlungen

Warum? Für wen? Und was braucht es dafür?

Participation in Housing Cooperatives

Why? For Whom? And What Does It Take?

Keywords: Partizipation; Wohnungsbaugenossenschaft; Nicht-Beteiligung; participation; housing cooperative; non-participation

Abstract:

Partizipation ist stets ein zentrales Thema für Genossenschaften. Für Wohnungsbaugenossenschaften stellen sich zusätzlich zu Fragen der Beteiligung in den Gremien der Genossenschaft vor allem Fragen hinsichtlich des Zusammenlebens in der Siedlung sowie deren baulicher Gestaltung. Genossenschaftsverwaltungen unternehmen deshalb vielfältige Anstrengungen zur Förderung des Austauschs und zur Mitbestimmung der Bewohnenden in unterschiedlichen Themenbereichen. Trotz dieser Anstrengungen werden nicht alle Bewohnenden erreicht. Auch sehen nicht alle Bewohnenden ihre Bedürfnisse nach Beteiligung befriedigt. Dies war Ausgangslage einer Untersuchung in einer genossenschaftlichen Siedlung in Zürich. Wir gingen der Frage nach, warum und für wen es Partizipation in Genossenschaftssiedlungen braucht, wie diese gelingen kann und welche Hürden bestehen.

Participation is always a central issue for cooperatives. In addition, housing cooperatives face questions of participation in their committees, especially questions regarding communal life in the estate and its architectural design. Therefore, cooperative administrations go to great lengths to promote the exchange and co-determination of residents in various subject areas. Despite these efforts, they do not manage to reach all the residents, nor do all of them see their needs for participation satisfied. This is the starting situation of our research study on a housing cooperative in Zurich. We investigate why and for whom participation is necessary in housing cooperatives, how it can be accomplished successfully, and what obstacles exist.

Partizipation in der Siedlungsentwicklung

In Schweizer Städten entstehen immer mehr Siedlungen durch Wohnbaugenossenschaften, in denen – neben kostengünstigem – auch gemeinschaftliches Wohnen angeboten werden soll. Die Partizipation der Bewohner:innen wird als ein wichtiger Pfeiler betrachtet, um deren Bedürfnisse berücksichtigen zu können und ihr Engagement zu unterstützen (ARE Bundesamt für Raumentwicklung 2016). Bewohner:innen sollen aktiv an der Entwicklung des Quartiers und der Genossenschaft teilhaben, aber auch Verantwortung für das Zusammenleben im Quartier übernehmen.

In den zehn Leitsätzen für den gemeinnützigen Wohnungsbau des Verbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz (Wohnbaugenossenschaften Schweiz 2021), heißt es diesbezüglich: Bewohner:innen sollen bei Entscheidungen zur Genossenschaftssiedlung beteiligt werden und gemeinsame Aktivitäten sollen die Solidarität untereinander, aber auch Eigeninitiative fördern. Zudem stehen Wohnbaugenossenschaften (potenziell) allen offen; soziale Durchmischung ist ein wichtiges Ziel.

Schon aus diesem Ausschnitt der Ideen und Ziele des Verbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz wird deutlich, dass Partizipation ein zentraler Punkt ist. Es werden aber auch mögliche Schwierigkeiten oder gar Widersprüche erkennbar: Eigeninitiative kann Solidarität entgegenstehen, soziale Durchmischung bedeutet vielfältige Interessen et cetera. Zudem stellt sich die Frage, ob die Interessen der Genossenschaftsverwaltung denen der Bewohner:innen, also der Mitglieder der Genossenschaft, entsprechen. Vor diesem Hintergrund möchten wir in diesem Beitrag den Fragen nachgehen, wofür es in einer genossenschaftlichen Siedlung Partizipation der Bewohner:innen braucht, wer welche Interessen an Partizipation hat und wie gegebenenfalls widersprüchlichen Interessen und Wünschen begegnet werden kann. Weiter sollen förderliche und hinderliche Faktoren der Partizipation in Genossenschaftssiedlungen herausgearbeitet werden.

Diese Fragestellungen werden auf dem Hintergrund von Resultaten einer Befragung behandelt, die im Jahr 2020 in einer Genossenschaftssiedlung in der Stadt Zürich stattfand. Die Erhebung war Teil einer Studie, welche von 2019 bis 2021 von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften durchgeführt wurde. Um den genannten Fragestellungen auf den Grund zu gehen, wird zunächst dargelegt, welches Partizipationsverständnis dem Artikel zugrunde liegt und welche Gewinne, aber auch Gefahren, mit Partizipation verbunden sein können. Im zweiten Abschnitt werden die untersuchte Genossenschaftssiedlung, die Methodik der Untersuchung sowie Ergebnisse dargestellt, die die unterschiedlichen Partizipationsprojekte genauer beleuchten. Daraus werden Aussagen über förderliche und hinderliche Faktoren für Partizipation geleitet. Im Fazit wird die Fragestellung beantwortet: Warum und für wen braucht es Partizipation in einer Genossenschaftssiedlung?

Theoretische Bezüge

Der Begriff Partizipation wird teilweise mit den Begriffen Mitbestimmung, Selbstverwaltung, aber auch Bürgerbeteiligung, Bürgerengagement oder Demokratisierung gleichgesetzt (Uebersax 1991: 5). Damit wird die ursprüngliche Bedeutung von Partizipation als „Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen“ deutlich (Moser et al. 1999: 109). Für die Ausgestaltung von Stadtentwicklungsprozessen und -projekten bringt es Lüttringhaus (Lüttringhaus 2000: 23) auf diese Formel: „Partizipation = Beteiligung/ Teilnahmegewährung/ Teilnahmestärkung + Teilnahme“. Damit sind zwei Seiten der Partizipation angesprochen.

Es braucht eine Seite, die Partizipation gewährt und gegebenenfalls fördert, und eine Seite, die die Angebote zur Partizipation tatsächlich annimmt oder im besten Falle mit eigenen Projekten an der Entwicklung teilnimmt.

Partizipation darf nie Selbstzweck sein, sondern muss immer ein klares Ziel verfolgen (Moser et al. 1999: 113). In Abhängigkeit des jeweiligen Ziels eines Partizipationsprojekts oder -prozesses ist ein unterschiedlicher Umfang an Partizipation erforderlich. Um diesen analysieren oder planen zu können, haben Straßburger und Rieger (2014) das Modell einer Partizipationspyramide entworfen, das unterschiedliche Stufen der Partizipation sowie die oben benannten Perspektiven (Teilnahmegewährung/-förderung aus institutionell-professioneller und Teilnahme aus bürgerschaftlicher Perspektive) integriert. In dem hier untersuchten Quartier entsprechen die beiden Perspektiven der Genossenschaftsverwaltung auf der einen und den Bewohner:innen auf der anderen Seite. Die Stufen dieses Modells zeigen verschiedene Grade von Partizipation auf; dies reicht von (sich) informieren bis Entscheidungsmacht übertragen/ausüben (Abbildung 2). Die oberste Stufe wird als zivilgesellschaftliche Eigenaktivität beschrieben. Es handelt sich dabei um gänzliche Selbstorganisation von Bürger:innen. Die Begleitung oder Unterstützung von institutionell-professioneller Seite fällt weg. Die beiden Seiten der Pyramide ergänzen sich gegenseitig. Sie stellen zwei Blickrichtungen auf einen Partizipationsprozess dar. Dieser kann erfolgreich sein, wenn sich die Erwartungen an den Umfang der Partizipation beider Seiten annähernd auf derselben Stufe treffen. Sind unterschiedliche Erwartungen über die geeignete Partizipationsstufe vorhanden, kann dies zu Konflikten und Schwierigkeiten führen. Die Ziele und das Maß möglicher Partizipation müssen deshalb möglichst frühzeitig im Prozess geklärt werden.

Die Autorinnen betonen außerdem, dass die hierarchische Anordnung dieser Stufen lediglich darauf beruht, dass sie aufeinander aufbauen und aussagen, wie weit die Möglichkeiten der Mitbestimmung reichen, dass aber keine Wertung damit verbunden sei (Straßburger und Rieger 2014). Gleichwohl unterscheiden sie zwischen Vorstufen der Partizipation, in denen ein Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses kaum möglich ist, und echter Partizipation, die auch die Regeln und Bedingungen unter welchen partizipiert werden kann, mitbestimmt. Je nach Aufgabenstellung, Situation und Setting muss die optimale Stufe gefunden werden.

Durch Partizipation erwartete Gewinne

Neben den in der Einleitung angesprochenen Erwartungen von Wohnbaugenossenschaften an Partizipation in ihren Quartieren oder Siedlungen werden in der Literatur weitere positive Aspekte benannt, die Partizipation in der Quartiersentwicklung haben kann: Partizipative Projekte und Prozesse fördern das Empowerment (Herringer 2020), also den Aufbau von Kompetenzen, sich in politische und soziale Entscheidungsprozesse einzubringen. Auf individueller Ebene werden Selbstwirksamkeitserfahrungen und auf gesellschaftlicher Ebene ein soziales und gerecht(er)es Zusammenleben gefördert. Partizipation ist aber auch ein wichtiger Aspekt der quartiersbezogenen Integrationsarbeit (Schnur et al. 2013) und zielt auf ein Miteinander und nicht ein wir mit den anderen ab und damit auf das Zusammenleben im Quartier. Partizipation ist zudem gerade in der Quartiersentwicklung ein wichtiger Pfeiler für eine sozial nachhaltige Entwicklung (Drilling und Schnur 2012).

Grenzen und Gefahren von Partizipation

Partizipationsprozesse haben jedoch Grenzen und bergen immer auch Gefahren. Zunächst einmal beteiligen sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht alle Personen oder Gruppen in gleichem Maße. Dadurch werden bestehende Meinungen, Wünsche, Interessen nicht gesehen. Zudem bleibt wertvolles Wissen für Projekte und Prozesse unbeachtet. Lüttringhaus (2000: 39–41) warnt vor Manipulation auf den tieferen Partizipationsstufen. Sie bezieht sich dabei auf ihr eigenes Stufenmodell der Partizipation, welches dem von Straßburger und Rieger als Grundlage diente (2014: 21). Es können beispielsweise Informationen zurückgehalten oder der Zugang zu diesen erschwert werden. Auch können Informationen unvollständig, oberflächlich oder in einer unverständlichen Fachsprache wiedergegeben werden. Weiter besteht die Gefahr, dass die Anmerkungen der Bürger:innen nicht ernst genommen werden oder – möglicherweise bereits getroffene – Entscheidungen gar nicht mehr beeinflusst werden können. Partizipation solcher Art hat den Zweck, die Entscheidungen durch Scheinbeteiligung der Betroffenen zu legitimieren.

Partizipative Projekte und Prozesse können zudem Gefahr laufen, von kleinen beteiligungsstarken und aktiven Gruppen dominiert zu werden, während passivere Gruppen vergessen werden (Budäus und Grüning 1997). Roth (2011: 84–85) weist darüber hinaus darauf hin, dass in einer Gesellschaft nie alle die gleichen Fähigkeiten und Chancen besitzen, sich zu beteiligen. Um partizipieren zu können, sind Ressourcen wie Zeit, Geld, Wissen, Selbstbewusstsein, soziale Kontakte und so weiter notwendig. Diese Ressourcen sind in der Gesamtgesellschaft und auch in kleineren Gemeinschaften ungleich verteilt. Ebenso ungleich verteilt sind sozialisationsabhängige Handlungskompetenzen, die gerade bei Projekten auf hohen Partizipationsstufen erforderlich sind (Weinacht 2002: 237–241).

Damit bergen partizipative Projekte die Gefahr, ohnehin schon bevorteilte zusätzlich Gruppen zu stärken, die Chancenungleichheit voranzutreiben und damit auch der Integration benachteiligter Gruppen entgegenzustehen.

Ein unabdingbarer Teil von Partizipation ist somit die Unterstützung und Förderung der Teilnahme genau dieser Bevölkerungsgruppen (Lüttringhaus 2000: 70–71). Die Verantwortung dafür liegt vor allem bei den Entscheidungsträger:innen auf professionell-institutioneller Seite, aber auch die schon aktiven Teilnehmer:innen haben Einfluss auf zusätzliche Beteiligung.

Die untersuchte Genossenschaftssiedlung

Die untersuchte Genossenschaftssiedlung Hunziker-Areal der Genossenschaft mehr als wohnen befindet sich im Norden des Stadtgebiets Zürich, circa sechs Kilometer vom Zentrum entfernt. Das 2014 entstandene Areal wurde nach Gründung der Genossenschaft auf dem Gelände einer ehemaligen Betonfabrik gebaut. Durch die Umnutzung des Areals wurde dies für die Bevölkerung zugänglich und als Teil der Stadt erfahrbar. Die Umnutzung des Hunziker-Areals kann neben anderen Umstrukturierungen als ein wichtiger Beitrag zur Aufwertung des Images des Stadtkreises angesehen werden, der zuvor eher als Industriestandort wahrgenommen wurde. In direkter Nachbarschaft befinden sich neben Wohnsiedlungen ein Schulhaus, Restaurants, ein Hallenbad und eine Kunsteisbahn.

Karte der Stadt Zürich mit Lage des Hunziker-Areals im Nordosten der Stadt.
Abbildung 1: Lage der untersuchten Genossenschaftssiedlung in der Stadt Zürich.
Quelle: Kartengrundlage: Landeskarten 1:25000 bis 1:500000, swisstopo (5704001878), https://maps.zh.ch.

Die Siedlung verfügt auf einer Fläche von 41.000 Quadratmetern über Wohnraum für 1.200 Personen sowie über Gewerbeflächen für rund 150 Arbeitsplätze. Die verschiedenen Häuser auf dem Areal haben unterschiedliche Architekturen und bieten Wohnungen mit der Möglichkeit für altbewährte, aber auch neue Formen des Zusammenlebens, wie beispielsweise für Groß-WGs. Die Mietpreise sind, wie bei Genossenschaften üblich, im Verhältnis zum städtischen Durchschnitt günstig. Eine Besonderheit der Genossenschaft mehr als wohnen ist, dass Mieter:innen entlang dem Ziel ausgewählt werden, sodass die Bewohnerschaft bezüglich Diversität nach Alter, Herkunft und ökonomischem sowie beruflichem Hintergrund ein Abbild der Gesamtbevölkerung der Stadt Zürich darstellt. Die Mieter:innen bezahlen mit ihrer Miete einen einkommensabhängigen Beitrag in den Solidaritätsfonds, aus dem Aktivtäten in der Siedlung finanziert werden.

Die Partizipationsmöglichkeiten in der Siedlung sind sehr breit: Mitglieder- und Hausversammlungen stellen die offiziellen, formalen genossenschaftlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten sicher. Die Allmendkommission, die durch Mitglieder der Genossenschaftsverwaltung und Bewohner:innen der Siedlung besetzt ist, entscheidet über die Verteilung der Mittel aus dem Solidaritätsfonds sowie die Nutzung gemeinschaftlicher Räume. Circa 50 Quartiergruppen, die teilweise durch die Verwaltung, teilweise durch Bewohner:innen initiiert wurden, widmen sich unterschiedlichsten Themen. So gibt es beispielsweise eine Gruppe zum Anbau von Gemüse, einen Sonntags-Kaffee-Treff, eine Malgruppe, eine selbstorganisierte Kinderbetreuung, eine Gruppe von Migrant:innen zum Lernen der deutschen Sprache oder eine Gruppe für Senior:innen. Zudem gibt es verschiedene Chatgruppen, die für die Kommunikation im jeweiligen Haus oder den Tausch von Kinderkleidung genutzt werden. Auch gibt es runde Tische, verschiedene Anlässe zur Förderung des Austauschs sowie Gruppen, die an der Gestaltung von Außenräumen des Quartiers mitarbeiten. Zur Information der Bewohnenden über die vielseitigen Aktivitäten gibt es einen regelmäßigen E-Mail-Newsletter der Genossenschaft.

Daneben stehen eine Reihe von Räumen unterschiedlicher Ausstattung für die gemeinschaftliche Nutzung zur Verfügung, neben Räumen für Gruppentreffen oder private Feiern gibt es beispielsweise ein Malatelier, einen Co-Working-Space, eine Werkstatt, ein Fitnessstudio, einen gemeinschaftlichen Pizzaofen sowie einen Laden, in welchen Lebensmittel ohne Plastikverpackungen angeboten werden. Auch diese dienen als Möglichkeiten zur Teilhabe und zum sozialen Austausch der Bewohner:innen untereinander.

Methodisches Vorgehen

Grundlage dieses Beitrags sind zwei Expert:inneninterviews mit Mitarbeitenden der Genossenschaftsverwaltung sowie 32 Tür-und-Angel-Gespräche mit Bewohnenden. Es wurden zwei Häuser mit stark unterschiedlichen architektonischen Konzepten ausgewählt, welche die Kommunikation der Bewohnenden und damit auch die Beteiligung im Haus und im Areal beeinflussen, beziehungsweise unterschiedliche Interessen hinsichtlich Beteiligung und Kommunikation bedienen sollten.

Die Befragung wurde mittels Flyer angekündigt und fand dann mithilfe vom Klingeln an der Wohnungstür zu verschiedenen Tageszeiten an verschiedenen Wochentagen statt. Dieses Vorgehen wurde mit dem Ziel gewählt, möglichst alle Bewohner:innen der beiden Häuser zu erreichen – insbesondere auch diejenigen, welche mit klassischeren Herangehensweisen (etwa Kontaktaufnahme über Brief/E-Mail, Haussitzungen, Einladung zu einem Workshop) weniger erreicht würden. In einigen Wohnungen wurde allerdings auch mit dieser Methode niemand angetroffen. Einige der Personen waren zudem nicht interessiert oder nicht bereit für ein Gespräch. Der Großteil der Befragten lebt in Familien mit einem bis vier Kindern, sieben allein, vier mit Partner:in ohne Kinder und einer in einer Wohngemeinschaft.

Die Aussagen der Bewohner:innen wurden jeweils während dem Gespräch protokolliert und anschließend anhand einer offenen Codierung inhaltsanalytisch ausgewertet. Für die Auswertung schien eine Einteilung der Befragten in die drei Gruppen sinnvoll, die nach dem Maß des Engagements beziehungsweise der Partizipation im Quartier unterscheidet: Engagierte, Beteiligte und Nicht-Beteiligte. Engagement in anderen Bereichen wie beispielswiese Sportvereinen oder politischen Organisationen blieb dabei unberücksichtigt, wurde vereinzelt von Befragten aber als ein Grund für geringes Engagement im Quartier benannt. Diese Einteilung erfolgte aus analytischen Gründen und stellt keinerlei Wertung dar. Als Engagierte werden diejenigen Bewohner:innen bezeichnet, welche eine aktive Rolle in den Quartiergruppen einnehmen, etwa als Initiator:innen oder Verantwortliche. Die Beteiligten partizipieren teilweise an Quartiergruppen oder nehmen zum Beispiel einfach an Mitglieder- oder Hausversammlungen teil, ohne dort Verantwortung zu übernehmen. Die Personen der dritten Gruppe beteiligen sich weder an den Quartiergruppen noch an Versammlungen. Alle drei Gruppen pflegen in der Regel Kontakte zu Nachbar:innen. Circa die Hälfte der Befragten gab an, mindestens in einer Quartiergruppe beteiligt zu sein.

Durch den gewählten Feldzugang konnte weder eine Vollerhebung noch eine Erhebung anhand einer randomisierten Stichprobe durchgeführt werden. Aus diesem Grund ist die Befragung nicht repräsentativ. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass die dargestellten Antworten einen großen Teil der Meinungen von Bewohner:innen abdecken und somit durchaus eine Aussagekraft haben. Zudem konnte mit dem gewählten Zugang die Gruppe der Nicht-Beteiligten zumindest teilweise erreicht werden.

Partizipationsformate: Synthese der Interessen

Für die Synthese der Ergebnisse werden im Folgenden die unterschiedlichen Partizipationsformate in der Genossenschaftssiedlung auf der Partizipationspyramide verortet und diskutiert. Anschließend werden, daraus abgeleitet, förderliche und hinderliche Faktoren für Partizipation in den Blick genommen.

Partizipation auf unterschiedlichen Stufen und mit unterschiedlichen Interessen

Die genannten Partizipationsprojekte und -prozesse sind auf der Partizipationspyramide nach Straßburger und Rieger (2014) unterschiedlich einzuordnen. Die Partizipation findet auf verschiedenen Stufen statt; auch wurde sie von unterschiedlichen Seiten initiiert. Als Grundlage für fast alle partizipativen Projekte und Prozesse im Quartier dient der E-Mail-Newsletter der Genossenschaft, der von allen Befragten als sehr hilfreich – wenn auch oftmals zu umfangreich – eingeschätzt wird. Hier treffen sich die Erwartungen beider Seiten auf der untersten Stufe der Pyramide (Information und sich informieren; siehe Abbildung 2).

Die formellen Partizipationsgefäße wie beispielsweise die Allmendkommission oder die Hausversammlungen wurden von Seiten der Genossenschaftsverwaltung initiiert. Sie finden auf verschiedenen Partizipationsstufen statt. Bei der Allmendkommission scheint die vierte Stufe (Mitbestimmung zulassen) und bei den Hausversammlungen sogar eine höhere Stufe (Entscheidungskompetenzen teilweise abgeben und Entscheidungsmacht übertragen) zu passen. Die Erwartungen der Bewohner:innen entsprechen größtenteils den entsprechenden Stufen auf der bürgerschaftlichen Seite der Pyramide. Folglich kommt es diesbezüglich kaum zu Konflikten.

Partizipationspyramide nach Straßburger/Rieger mit Eintragung der untersuchten partizipativen Projekte im Hunziker-Areal.
Abbildung 2: Einordnung der Prozesse/Projekte auf der Partizipationspyramide.
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Straßburger und Rieger 2014.

Bei den Quartiergruppen müssen zwei Aspekte betrachtet werden: Einerseits wurden diese überwiegend von der Genossenschaftsverwaltung ins Leben gerufen und teilweise mit Räumlichkeiten oder im Rahmen des Solidaritätsfonds finanziell unterstützt. Andererseits werden die einzelnen Gruppen meist vollumfänglich von engagierten Bewohner:innen getragen. Bezogen auf die Quartiergruppen handelt es sich somit am ehestens um eine Kombination der sechsten Partizipationsstufe auf beiden Seiten (Entscheidungsmacht übertragen und bürgerschaftliche Entscheidungsfreiheit ausüben). Auch hier scheinen die Interessen und Vorstellungen der Genossenschaft und Aktiven gut zusammen zu passen. Die Quartiergruppen scheinen darüber hinaus für deren Mitglieder eine zentrale Rolle für das Zusammenleben im Quartier einzunehmen. Für Personen, die an diesen Gruppen nicht beteiligt sind, wirken sie jedoch oftmals relativ geschlossen. Von den Befragten wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Gruppen eingeschworen und freundschaftlich vernetzt wirkten, so dass man von außen schwer Zugang bekomme oder eine Beteiligung unerwünscht erscheine.

WhatsApp- und andere Chatgruppen, in welchen ein Teil der Kommunikation in der Siedlung abläuft, wurden gänzlich von Seiten der Bewohner:innen initiiert. Es handelt sich folglich um die oberste Partizipationsstufe (Zivilgesellschaftliche Eigenaktivitäten). Sprachbarrieren wurden, anders als beispielsweise für Hausversammlungen oder Quartiergruppen, nicht als hinderlich für die Beteiligung beschrieben. Hindernis ist hier eher die Unkenntnis über bestehende Chatgruppen, da diese Informationen nicht über die Genossenschaftsverwaltung verteilt werden können.

Bei anderen, von den Bewohnenden initiierten Projekten auf dem Areal wie Quartierfesten oder der Tischtennis-Liga treffen unterschiedliche Partizipationsstufen zusammen. Die Initiant:innen bewegen sich auf der obersten Stufe der zivilgesellschaftlichen Eigenaktivität. Gleichzeitig wechseln sie sozusagen die Seite der Pyramide und werden zu Veranstalter:innen, indem sie eine einfache Teilnahme ohne Voraussetzungen oder Verpflichtungen auf einer niedrigen Partizipationsstufe ermöglichen. Dies wird sehr breit angenommen, zum Beispiel auch von Personen mit geringen Deutschkenntnissen. Derartige Anlässe und Veranstaltungen werden durchgängig als positiv wahrgenommen; für eine Nichtteilnahme wurden nur persönliche Gründe benannt. Zudem wurden die eher informellen Angebote wie die Tischtennis-Liga von den Befragten als besonders integrativ wirkend bezeichnet, da über diese unterschiedliche Gruppen angesprochen würden. Es entstehen daraus jedoch kaum Folgeaktivitäten.

Bemerkenswert sind die teilweise hohen Erwartungen engagierter Bewohner:innen, sowohl gegenüber beteiligten und nicht-beteiligten Bewohner:innen als auch gegenüber der Genossenschaftsverwaltung. Sie wünschen sich einen stärkeren Fokus auf gemeinschaftliches Leben, einen höheren Beteiligungsgrad, aber auch höhere Mitsprache- oder Selbstbestimmungsspielräume. Sie streben also eine allgemeine Partizipation auf hoher Stufe an (bürgerschaftliche Entscheidungsfreiheiten ausüben oder zivilgesellschaftliche Eigenaktivität). Nicht immer ist die Genossenschaftsverwaltung gewillt, die geforderten Entscheidungsspielräume einzuräumen; es kommt bei engagierten Bewohner:innen zu Frustration. Die anderen Bewohner:innen können oder wollen den Erwartungen der Engagierten teilweise nicht gerecht werden; sie sind mit einer tieferen Partizipationsstufe zufrieden. Dies führt teilweise zu Frustration unter den engagierten Bewohner:innen – bei insgesamt hoher Zufriedenheit mit dem Leben im Quartier, auch bei nicht-beteiligten Bewohner:innen.Die Ergebnisse aus der Erhebung decken sich mit den theoretischen Überlegungen von Straßburger und Rieger (2014: 15–21) welche beschreiben, dass es auch für den weiteren Verlauf von partizipativen Prozessen entscheidend ist, von welcher Seite die Prozesse initiiert wurden. So beeinflusst die Frage, von wem der Prozess ausgeht beispielweise die Atmosphäre und die Dynamik der Kommunikation zwischen den Bewohner:innen und der Genossenschaftsverwaltung.

Die stärker involvierte Seite, oft diejenige, welche einen Prozess initiiert hat und damit die Verantwortung für ein Projekt oder einen Prozess trägt, wird ihre Interessen eher umsetzen können oder umzusetzen versuchen.

Sie ist aber gleichzeitig auf die Beteiligung anderer angewiesen. Dieses Spannungsfeld gilt es zu gestalten.

Förderliche und hinderliche Faktoren für Partizipation

Auf Grundlade der untersuchten partizipativen Projekte und Prozesse sollen an dieser Stelle schließlich förderliche und hinderliche Faktoren, also Treiber und Hürden der Partizipation, herausgearbeitet werden. Die Analyse zeigt, dass es immer von der Zielstellung der Projekte beziehungsweise der beteiligten Personen abhängt, welche Faktoren die Partizipation fördern oder eher behindern. Einzelne Faktoren können sogar je nach Zielsetzung förderlich, aber auch hinderlich sein. In der untersuchten Genossenschaftssiedlung haben wir auf Grundlage der Aussagen der Befragten drei Zielkategorien gefunden:

  • Praktische und ergebnisorientierte Ziele:
    Einige Mitwirkende verfolgen praktische oder ergebnisorientierte Ziele, wie beispielsweise eine eigene Ernte (Quartiergruppe Gemeinschaftsgarten), körperliches und geistiges Wohlbefinden (Mitwirkung an der Quartiergruppe Yoga), gesunde und nachhaltige Ernährungsweisen (Mitwirkung an der Gemüsetausch-Quartiergruppe) und so weiter. Das Knüpfen neuer Kontakte und der Austausch mit Gleichgesinnten wird dann als willkommener Mehrwert angesehen, der aber für die Einschätzung als gelingende Partizipation nicht entscheidend ist.
  • Ziel der möglichst breiten Beteiligung:
    Einige Mitwirkende sehen eine möglichst breite Beteiligung als Ziel der Partizipationsprozesse. Bei der Allmendkommission ist dies eine Erwartung der Genossenschaftsverwaltung, bei Haussitzungen und Quartiergruppen sind dies auch Erwartungen der engagierten Bewohner:innen.
  • Soziale und prozessorientierte Ziele:
    Für einige Mitwirkende stehen soziale Ziele im Mittelpunkt, zum Beispiel nicht allein zu sein, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern oder Kontakte und Netzwerke zu pflegen. Bei vielen Quartiergruppen stehen diese Ziele im Vordergrund, praktische Ziele sowie das Ziel möglichst alle einzubinden, sind dabei sekundär.

Tabelle 1 zeigt am Beispiel der Quartiergruppe zur Bewirtschaftung eines Gemeinschaftsgartens, wie sich unterschiedliche Zielsetzungen in unterschiedlichen förderlichen oder hinderlichen Faktoren für Partizipation niederschlagen. Es sind sowohl ergebnisorientierte und praktische Ziele (Ernte), das Ziel der möglichst breiten Beteiligung, als auch eher prozesshafte und soziale Ziele (Freundschaften innerhalb der Quartiergruppe) bei Mitwirkenden vorhanden. Einzelne Mitwirkende können dabei mehrere Ziele verfolgen.

Tabelle 1: Förderliche und hinderliche Faktoren für Partizipation je nach Zielsetzung.
Quelle: Eigene Darstellung.

Es wird sichtbar, dass je nach Zielsetzung sogar gegensätzliche Faktoren vorhanden sein können. Wenn eine breite Beteiligung erreicht werden soll, ist beispielweise eine eher tiefere Partizipationsstufe Voraussetzung. Während bei einer ergebnisorientierten und praktischen oder prozessorientierten und sozialen Zielsetzung, eher höhere Partizipationsstufen erforderlich sind. Bei einer praktischen Zielsetzung sind klare Zuständigkeiten und eine Leaderperson sinnvoll, während bei sozialen Zielen eher eine egalitäre Gruppenkonstellation förderlich ist. Das Ziel der möglichst breiten Beteiligung stellt aus Sicht einer gut eingespielten Gruppe von Gleichgesinnten eher einen hinderlichen Faktor dar. Und schließlich ist es für eine breite Beteiligung wichtig, möglichst viele verschiedene – digitale und analoge – Kommunikationskanäle zu nutzen, während bei einer praktischen Zielsetzung die Konzentration auf einen einzigen effizient nutzbaren Kommunikationskanal sinnvoll ist.

Zentral für die Ausgestaltung von gewinnbringenden Partizipationsprozessen für alle Beteiligten scheint deshalb ein Austausch über die jeweiligen Ziele.

Dies benötigt Kommunikation im Vorfeld, spätestens jedoch in der Anfangsphase. Es müssen aber auch im Verlauf längerer Prozesse oder Gruppenarbeiten immer wieder Anpassungen ausgehandelt werden. Entscheidend ist dabei, wer mitbestimmen kann, welche Ziele verfolgt werden – ist dies die Verwaltung, sind es die Bewohnenden selbst oder beide gemeinsam. Oder anders ausgedrückt, wie im jeweiligen Prozess oder Projekt Entscheidungsmacht verteilt ist und wie darüber kommuniziert wird.

Besonderer Beachtung bedarf, dass einige Gruppen oder Personen bei Partizipationsprojekten und -prozessen auf mehr hinderliche Faktoren stoßen als andere. So wurde beispielsweise festgestellt, dass Bewohner:innen, welche kein Deutsch beziehungsweise Schweizerdeutsch sprechen, des Öfteren nicht an Quartiergruppen teilnehmen wollen oder können. Auch Personen, welche über wenig Zeit und Interesse verfügen oder sich nicht als Teil der engagierten Kerngruppe sehen, beteiligen sich weniger, ebenso wie Personen, welche weniger lange auf dem Areal wohnen. Die Ergebnisse zeigen auf, dass die in der Theorie beschriebenen Schwierigkeiten und Gefahren von Partizipationsprozessen (Manipulation/Scheinbeteiligung, Vernachlässigung beteiligungsschwacher Teilnehmer:innen und Benachteiligung sozioökonomisch schlechter gestellter Gruppen) trotz der Bemühungen der Verwaltung hin zu mehr Partizipation, auch in den Genossenschaftssiedlungen auftreten.

Warum und für wen braucht es Partizipation in Genossenschaftssiedlungen?

Abschließend kann festgehalten werden, dass die Partizipationsprojekte und -prozesse in der untersuchten Genossenschaftssiedlung mehrheitlich als positiv wahrgenommen wurden, sowohl von den Bewohner:innen als auch von der Genossenschaftsverwaltung. Dies ist möglich, weil verschiedene Partizipationsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Stufen angeboten werden. Nicht alle Bewohner:innen verfügen über dieselben Ressourcen, sich an Partizipationsprozessen – insbesondere auf hohen Stufen – zu beteiligen. Ziemlich einheitlich empfanden die Bewohner:innen eine Erwartung, jedoch kaum einen Druck, sich an Quartiergruppen und anderen Projekten oder Prozessen in der Siedlung zu beteiligen.

Insbesondere von der Gruppe der Engagierten wurde bemängelt, dass sich immer die Gleichen beteiligen würden. So wurde von einigen Engagierten die Frage gestellt, wieso Leute hier wohnen, wenn sie kein Interesse an gemeinschaftlichem Zusammenleben hätten. An diesem Punkt kommt sicher die Besonderheit der untersuchten Genossenschaftssiedlung zum Tragen, nämlich das Ziel, auf dem Areal einen Querschnitt der Stadtbevölkerung hinsichtlich sozialstruktureller Merkmale abzubilden. Dass bei der Auswahl der Mieter:innen auch Haushalte berücksichtigt werden, die kein Interesse am genossenschaftlichen Leben haben oder sich nicht einmal etwas darunter vorstellen können, führt an dieser Stelle zu Missmut. Gleichzeitig wurde die bunte Sozialstruktur von der Mehrzahl der Befragten als positives Merkmal des Lebens in der Siedlung hervorgehoben.

Letztlich kommt hier die Freiwilligkeit als zentrale Bedingung von Partizipationsprozessen (Lüttringhaus 2000: 70–71) zum Tragen: Nicht alle in einer Genossenschaftssiedlung wohnhaften Personen haben Zeit und Interesse an solchen Projekten und Prozessen teilzunehmen. Das Ziel, alle zu erreichen, ist deshalb in gewissen Fällen verfehlt. Wansing und Windisch (2017: 24) betonen explizit auch das Recht zur Nicht-Partizipation: Teil- und zeitweise Exklusionen im Sinne von Nicht-Zugehörigkeit und Nicht-Partizipation sind nicht per se als Verstoss gegen die Menschenrechte zu interpretieren. Sich nicht für Sport zu interessieren, keiner Religion anzugehören oder nur wenige soziale Kontakte zu pflegen, kann Ausdruck von Identität und Selbstbestimmung sein, sofern die (Selbst-)Exklusion das Resultat freier Entscheidungen ist.“

Jede:r Bewohner:in hat das Recht sich nicht zu beteiligen. Partizipation darf keine Erwartung darstellen, sondern muss mit Autonomie verbunden sein (Wansing und Windisch 2017: 23). Dieser Grundsatz ist insbesondere vor dem Hintergrund zentral, dass knapp die Hälfte der Befragten nicht spezifisch eine Wohnung in einer Genossenschaftssiedlung gesucht hatte. Das Gemeinschaftliche an dieser Wohnform spielte nur bei wenigen eine ausschlaggebende Rolle bei der Wohnungssuche, während bei vielen Befragten andere Aspekte wie etwa bezahlbarer Wohnraum wichtiger waren.

Gleichwohl geht es darum, allen Beteiligungsinteressierten die Beteiligung zu ermöglichen. Auch wenn es im Rahmen einer genossenschaftlichen Siedlung weniger um die Berücksichtigung tatsächlicher Menschenrechte geht, entspricht dies dem genossenschaftlichen Gedanken (Wohnbaugenossenschaften Schweiz 2021). Dies erfordert insbesondere von der Genossenschaft Anstrengungen, beispielsweise wenn es darum geht auch Menschen mit geringen deutschen Sprachkenntnissen die Partizipation zu ermöglichen. Es erfordert aber eben auch von bisher schon Mitwirkenden Offenheit für andere Meinungen und Interessen und gegebenenfalls auch für Verzögerungen oder Umwege in Projekten und Prozessen. Dafür braucht es eine entsprechende Haltung oder die Anerkennung entsprechender Zielsetzungen oder eines Leitbildes. Es empfiehlt sich deshalb, Beteiligungsmöglichkeiten auf tieferen Partizipationsstufen anzubieten. So können bei niederschwelliger Teilnahme im Sinne des Empowerments schrittweise Kompetenzen der Partizipation und Selbstorganisation erlernt werden, ohne dass Unterlegenheitsgefühle hervorgerufen würden (Roth 2011).

Da Partizipation immer gewissen Regeln und Bedingungen unterliegt (Pigorsch 2021: 3), führt eine Nichterfüllung dieser Bedingungen beziehungsweise eine Nichteinhaltung dieser Regeln entsprechend zu Ausschluss. Die bewusste Ablehnung dieser Regelungen, die Verweigerung der Partizipation oder die Wahl einer anderen Formen von Teilnahme ohne Erfüllung der gestellten Bedingungen stellen emanzipatorische Strategien dar, mit diesem Ausschluss umzugehen (Bareis 2012). Deshalb erscheint es für die Genossenschaftsverwaltung sinnvoll, auch Nicht-Beteiligungsinteressierte im Blick zu behalten. Hierfür gilt es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass auch diese Personen die Möglichkeit haben, ihre Interessen zu äußern.

So zeigt sich aus dieser Untersuchung in Zürich, dass auch in Genossenschaftssiedlungen diverse Hürden bei Partizipationsprojekten und -prozessen bestehen. Es muss immer berücksichtigt werden, dass unterschiedliche Mitsprachebedürfnisse und -kompetenzen, Zielvorstellungen und Interessen, sowohl unter den Bewohner:innen, als auch bei der Genossenschaftsverwaltung bestehen. Es lohnt sich, sich dieser Unterschiede und Schwierigkeiten bewusst zu werden, um einen gemeinsamen Umgang damit finden zu können und so ein sozial nachhaltiges Zusammenleben und eine hohe Zufriedenheit im Quartier zu erreichen.

About the author(s)

Elias Brandenberg, M.Sc. in Sozialer Arbeit. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe, Schwerpunkt Community Development. Berufserfahrung in der Quartierarbeit/Offenen Kinder- und Jugendarbeit.

Elias Brandenberg, MSc in social work. Research assistant at the Zurich University of Applied Sciences (ZHAW) at the Institute for Diversity and Social Participation, with a focus on community development. Professional experience in neighborhood work and open child and youth work.

Anke Kaschlik, Dr. rer. pol., Stadtplanerin. Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe, Schwerpunkt Community Development. Forschungsschwerpunkte: Stadt- und Quartierentwicklung, Partizipation und Governance.

Anke Kaschlik, PhD in planning sciences, urban planner. Lecturer at the Zurich University of Applied Sciences (ZHAW) at the Institute for Diversity and Social Participation, with a focus on community development. Research interests: urban and neighborhood development, participation, and governance.

References

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Wohnbaugenossenschaften Schweiz (2021): 10 LEITSÄTZE für den gemeinnützigen Wohnungsbau. https://www.zehnleitsaetze.ch/10-leitsaetze/, Zugriff am 21.09.2021.